Höchste Zeit für mutige Umsetzungsszenarien!
Anregungen für Staat und Wirtschaft
Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer, Scheer Holding
Kurz & Bündig
Innovatives und nachhaltiges Wirtschaften wird von Staat und Gesellschaft angemahnt, nicht zuletzt angesichts der Bedrohungen durch den Klimawandel. Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer ist überzeugt, dass der Einsatz bereits bestehender digitaler Technologien und Offenheit gegenüber sich neu entwickelnder einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten können. Dazu gibt er Staat und Wirtschaft gezielte Anregungen.
Manchmal beschleicht einen der Verdacht, der Staat und Teile der Wirtschaft in Deutschland sehen sich eher als passiver Gegenstand oder gar Opfer der digitalen Transformation anstatt die Chancen neuer Technologien mutig zu ergreifen und für eine gute Zukunft zu nutzen. Dabei geht es nicht um abstrakte Konzepte, sondern um konkrete Umsetzungsszenarien. Innovatives und nachhaltiges Wirtschaften wird auf allen Ebenen zurecht angemahnt, aktuell zusätzlich befeuert durch die Bedrohungen des Klimawandels. Ich bin überzeugt davon, dass der Einsatz bereits bestehender digitaler Technologien und Offenheit gegenüber sich neu entwickelnden einen maßgeblichen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten können. Dafür braucht es mutige Entscheidungen für Investitionen in Entwicklungen von morgen. Dazu für Staat und Wirtschaft je fünf Anregungen:
„Time to act“ für den Staat
Die Bündelung der digitalen Kompetenz in einem eigenen Bundesministerium ist überfällig. Die Zersplitterung der Verantwortung auf mehrere Ministerien und das Kanzleramt erfordert ständige Koordination, führt zu keiner Gesamtstrategie und erschöpft sich häufig in kleinteiligen Abstimmungsproblemen und Zuständigkeitsrangeleien.
Die digitale Infrastruktur in Deutschland befindet sich zum Teil auf dem Niveau eines Dritte Welt Landes. Der Ausbau leistungsfähiger Netze, die Beseitigung der Funklöcher und die Beschleunigung von 5G sind ein „Must“. Der Staat ist weiter gefordert, durch Verwaltungsvereinfachung und neue Agilität seinen Beitrag zu leisten. Nur so können auch innovative, oft ressourcensparende Geschäftsmodelle seitens der Wirtschaft umgesetzt werden.
In Deutschland und Europa müssen staatliche Stellen sehr viel aktiver den digitalen Wandel gestalten und fortentwickeln. Aus Europa heraus müssen Impulse für neue Technologien gesetzt werden, die der Nachhaltigkeit und dem Klimaschutz dienen. Dabei geht es nicht darum, bestehendes zu verwalten und zu begleiten, sondern nach disruptiven Konzepten und deren technologischer Umsetzung zu suchen. Nur so kann Europa in diesem Themenkomplex eine führende Rolle einnehmen. Deutschland war in den 90er Jahren stolz darauf, mit modernen Technologien Vorreiter in der Luftreinhaltung zu sein, oder durch ein Kreislaufwirtschaftsgesetz Zeichen in der Abfallreduzierung gesetzt zu haben. Wo aber bleiben heute neue Konzepte, die die Chancen von Massendatenverarbeitung und Künstlicher Intelligenz für die aktuellen Herausforderungen zur Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Verwaltung nutzen?
Es müssen überzeugende Leuchtturmprojekte zur Digitalisierung vom Staat in Auftrag gegeben werden, die auch die Wirtschaft zu Investitionen anregen. Wichtig sind dabei übergreifende Themen wie die nachhaltige Energieversorgung und Mobilität der Zukunft. Auch das systematische und transparente Recycling der Rohstoffe für Batterien und leistungsstarke Akkus wird im rohstoffarmen Deutschland zu einer Herausforderung. Hier Forschungsprojekte zu initiieren und in neue Ideen ergebnisorientiert zu investieren, bedeutet heute die Spuren für den Weg von morgen zu legen. Dabei darf es keine Denkverbote geben.
Die in Deutschland immer wieder zurecht beklagte Mehrfachentwicklungen neuer Konzepte auf Ebene der Länder bis hin zu den Gemeinden führt zu viel „Klein-Klein“. Gute Pilotprojekte, auch im Bereich der Nachhaltigkeit, erhalten nur selten die Chance im koordinierten Großversuch ihre Wirkkraft zu beweisen. Dies kann nur durch eine Standardisierung der Prozesse durch digitale Technologien unterbunden werden. Die dadurch gewonnene Transparenz und Geschwindigkeit ermöglichen dann wirtschaftlich vertretbare und oft auch schnelle Lösungen.
Time to watch“ für die Wirtschaft
„Nicht mehr Holz einschlagen, als nachwächst“, das war die vom sächsischen Forstrat Heinrich Cotta (1763 – 1844) postulierte Grundidee der Nachhaltigkeit. Unterdessen hat der Begriff der Nachhaltigkeit eine Bedeutungsanreicherung erfahren, die Unternehmen vor neue Aufgaben stellt. Die Innovationskraft neuer Technologien ist aus meiner Sicht ein unerlässliches Vehikel, um jene neuen Aufgaben zu bewältigen. Umso mehr mahne ich gerade den Mittelstand an, sich zu öffnen. Beispielhaft sei hier das Cloud Computing genannt: Die Wirtschaftlichkeit ist klar bewiesen, die großen Softwareunternehmen drängen ihre Kunden in diese Technologie. Und die Entwicklung geht weiter, nämlich mit der Frage, ob es Sinn macht, alle Daten ausschließlich in großen Serverparks zu verarbeiten. Ist es zielführend, alle Maschinendaten, die in einer Fabrik anfallen, über teure Datenleitungen in weit entfernte Datenzentren zu übermitteln? Ist es nicht viel sinnvoller, diese Daten vor Ort, das heißt in der Maschine selbst, vorzuverarbeiten und lediglich komprimierte Daten über das Netz zu versenden? Mit dem Begriff Edge Computing bezeichnet man diese Vor-Ort-Verarbeitung von Daten am „Rande“ des Netzwerks der Cloud. Hier geht es um die Nachhaltigkeit beim Datenverkehr und um Ressourcenschonung. Der Mittelstand kann mit seiner Flexibilität und Wendigkeit hier Pflöcke einschlagen und Wettbewerbsvorteile sichern. Es gilt für den CIO, genau zu beobachten, wie sich neue Anbieter auf diesem Gebiet entwickeln und ob Edge Computing für ihn zur interessanten Option wird.
Anwendungen der Künstlichen Intelligenz sind entgegen dem Hype der Medien vielfach noch nicht ausgereift. Die Daten sind häufig nicht in erforderlicher Güte vorhanden, die Erstellung von Modellen ist sehr aufwändig und die Fragestellungen für eine KI Lösung sind oft noch nicht präzise formuliert. Hier gilt es für den CIO, sich Kompetenz zur Beurteilung der gegenwärtigen Situation und der Potenziale dieses Gebietes zu verschaffen. Betrachtet man die großen Herausforderungen der Wirtschaft gerade im Bereich des nachhaltigen und ressourcenschonenden Handelns, wäre es lohnend, hier mutig in diese neue Technologie zu investieren. Große IT Hersteller bieten bereits Modelle für bestimmte Fragestellungen an, die z.T. sogar durch Datenbestände vortrainiert sind. Die Möglichkeiten, solche Standardlösungen auf ihre Tauglichkeit für eigene Problemstellungen zu überprüfen und gegebenenfalls zu customizen, also auf eigene Bedarfe anzupassen, ist zu beobachten. Der Fachkräftemangel gerade bei Programmierern ist bekannt. Die Ressource Mensch wird hier knapp. Gleichzeitig gilt der Satz „software is eating the world“ nach wie vor. Hier bieten neue Ansätze unter dem Stichwort „low code“- Entwicklung den Unternehmen die Möglichkeit, auch Nichtinformatiker für die Entwicklung von Software-Lösungen zu qualifizieren. Derartige Systeme zu testen ist ein wichtiger Beitrag zur Auflösung des Flaschenhalses bei der Software-Entwicklung. Es wäre in der Tat lohnend, solche „low code“ Ansätze auch zu nutzen, um gezielt Software (weiter) zu entwickeln, die die drängenden Fragen des Klima und Umweltschutzes einer Lösung zuführen.
Die Digitalisierung führt zu neuen Geschäftsmodellen und -prozessen. Ein Re-skilling der Mitarbeiter ist unerlässlich. Hier gilt es, Fahrt aufzunehmen über neue Formen der Aus- und Weiterbildung wie sie digitale Lernsysteme bieten. Auch das ist eine Investition in eine nachhaltige Unternehmensentwicklung. Der kompetente Einsatz bereits bestehender digitaler Technologien und eine Offenheit gegenüber sich ständig neu entwickelnden, kann einen maßgeblichen Beitrag zur Innovation und damit zur nachhaltigen Zukunft von Unternehmen leisten. Das bedeutet auch, dass Unternehmen darüber nachdenken müssen, sich zu verjüngen. Aufgeschlossenheit gegenüber technologischen Entwicklungen wird zu einem nicht zu unterschätzenden Merkmal werden. Nun ist das Alter allein noch kein Qualifikationsmerkmal – weder in der einen noch in der anderen Richtung. Trotzdem gilt es, im Unternehmen zu beobachten, ob bei neuen Entwicklungen das gegenwärtige Management eher ein Treiber oder ein Verzögerer ist. So kann bei eigentümergeführten Unternehmen ein Generationensprung bei der Unternehmensführung sinnvoll sein. Grundsätzlich ist das Überspringen verdienter Mitarbeiter schmerzlich, aber manchmal im Sinne des Unternehmens unvermeidlich.