Online-Training – lästige Pflicht oder Lernen mit Spaßfaktor?
Im Gespräch mit Christian Mai, S&G Automobil AG
Kurz & Bündig
Durch den Einsatz eines Learning Management Systems, LMS, konnte man bei der S&G Automobil AG viele wichtige Themen, die in der Vergangenheit noch als Präsenztraining vermittelt wurden, digitalisieren und in ein Online-Training umfunktionieren. Die Einführung fand bei Mitarbeitern ein geteiltes Echo: Einerseits gab es Mitarbeiter, die das „mit-der-Zeit-gehen“ schätzten. Andere wollten sich der Modernisierung nicht stellen. Das Unternehmen investierte dort erfolgreich in Aufklärungsarbeit.
Gegründet wurde die S&G Automobil AG im Jahre 1898 in Karlsruhe als Automobil-Zentrale. Heute arbeiten beim weltweit ältesten Mercedes Benz-Händler rund 1.400 Mitarbeiter, darunter knapp 300 Auszubildende, an elf Standorten in Baden-Württemberg und acht in Sachsen-Anhalt. Voraussetzung für diese mittelständische Erfolgsstory war immer auch, offen für neue Entwicklungen zu sein. Digitalisierung wird bei S&G als Chance gesehen, die es aktiv zu gestalten gilt. Darüber haben wir mit Christian Mai aus der Personalabteilung des Unternehmens gesprochen.
IM+io: Herr Mai, S&G hat sich bereits vor drei Jahren für die Einführung eines Learning Management Systems (LMS) für die Fortbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entschieden. War das ein einmaliges digitales Abenteuer, oder ist das Teil einer gesamten Digitalisierungsstrategie für das Unternehmen?
CM: Sicherlich war die Einführung für uns sehr abenteuerlich, aber, Spaß beiseite, es handelt sich eher um einen Teil einer Digitalisierungsstrategie. Wir versuchen unsere Arbeitsprozesse zu vereinfachen. Hierzu ist es oft notwendig, Dinge, die zuvor noch einen recht hohen „manuellen Einsatz“ erforderten, zu digitalisieren. Gleichzeitig muss auch abgewogen werden, ob es wirklich sinnvoll ist, einen langjährig erprobten und daher häufig gut eingespielten Prozess umzustellen. Wir als kundendienstorientiertes Autohaus müssen – insbesondere im digitalen Zeitalter – uns zwar als modernes Unternehmen präsentieren; gleichzeitig dürfen wir die Wünsche und Bedürfnisse unserer Kunden nicht außer Acht lassen und sind daher bemüht, den Spagat zwischen unseren jungen und meist „digitalen“ Kunden sowie der etwas älteren Kundschaft, die sich oftmals mit technischen Neuerungen schwer tut, zu schaffen. Dementsprechend digitalisieren wir daher dann, wenn es für uns möglich und sinnvoll ist – sowohl aus der Sicht des Unternehmens als auch der Kunden.
IM+io: Ist ein LMS nicht eher was für die Großen? Welche Vorzüge und Möglichkeiten ergeben sich für ein mittelständisches Unternehmen wie die S&G Automobil AG?
CM: Aus unserer Sicht passt ein LMS gut zu mittelständischen Unternehmen. Es stellt sich die Frage, wie das LMS genutzt wird. In unserem Fall nutzen wir es „nur“ für unsere Mitarbeiter und nicht für Kunden, wie dies bei größeren Unternehmen häufig der Fall ist. Auf diese Art und Weise können z. B. Informationen an alle Mitarbeiter schnell kommuniziert werden – unabhängig davon, an welchem Standort sie sich befinden oder welcher Tätigkeit sie nachgehen. Außerdem können spezifische Informationen, die nur eine bestimmte Mitarbeitergruppe erhalten soll, anhand der Tätigkeit genau diesen Mitarbeitern zugeordnet werden. Über die Funktion des Reportings kann dann genau nachvollzogen werden, zu welchem Zeitpunkt das Online-Training absolviert wurde.
IM+io: Wie kann man sich den Einsatz des LMS im praktischen, alltäglichen Einsatz in Ihrem Unternehmen vorstellen?
CM: Wir nutzen das LMS in erster Linie für Online-Trainings. Darüber decken wir verschiedene grundsätzliche Themen wie Brandschutz, Unternehmenssicherheit, Compliance, Datenschutz oder Sicherheitsunterweisungen ab. Außerdem gibt es spezifische e-Trainings für bestimmte Mitarbeitergruppen wie beispielsweise Wartungsdienstschulungen für Mitarbeiter im technischen Bereich. Zum Teil sind die Online-Schulungen für bestimmte Mitarbeitergruppen verpflichtend; teilweise können sich Mitarbeiter aber auch freiwillig auf Schulungen, die ihren Tätigkeitsbereich betreffen, buchen. Nach der Buchung auf ein e-Training erhalten Mitarbeiter eine Buchungsbestätigung per Mail und können über den darin befindlichen Link direkt die „Lernwelt“ aufrufen. Wir haben jedoch auch Mitarbeiter, die keinen eigenen Mail-Account haben. Dabei handelt es sich häufig um Aushilfskräfte oder zum Teil auch um Monteure. Diese erhalten die Information über die Kursbuchung beim An- bzw. Abmelden in der digitalen Zeiterfassung an zentralen Rechnern. Für Mitarbeiter ohne eigenen Computer haben wir Rückzugsarbeitsplätze eingerichtet, an denen die Schulungen absolviert werden können. Einige Schulungen bedürfen einer Wiederholung in einem bestimmten Rhythmus. Diese haben wir direkt so eingerichtet, dass die Mitarbeiter automatisch nach dem jeweiligen Intervall erneut auf die Schulung gebucht werden. Sofern sich der Lerninhalt in der Zwischenzeit geändert hat, kann dieser natürlich ausgetauscht werden, sodass der Mitarbeiter immer die aktuellste Version der Schulung absolviert. Durch den Einsatz des LMS konnten wir einige Themen, die in der Vergangenheit noch als Präsenztraining vermittelt wurden, digitalisieren und in ein Online-Training umfunktionieren. Bei wenigen Themen ist dies aufgrund des extrem hohen inhaltlichen Umfangs sowie der Komplexität, durch die Rückfragen weitestgehend unumgänglich sind, jedoch nicht möglich. Die wenigen verbleibenden Präsenztrainings koordinieren wir auch über das LMS. Mitarbeiter mit eigenem Mail-Account erhalten bei Präsenztrainings neben der Buchungsinformation per Mail auch einen Eintrag in den Outlook-Kalender, damit der Termin dort direkt eingetragen ist.
IM+io: Wie haben Sie erreicht, dass die neue digitale Lernwelt akzeptiert wurde – vom Kfz Mechaniker bis zum Vertriebsspezialisten?
CM: Die Einführung der Lernwelt wurde von den Mitarbeitern unterschiedlich aufgenommen. Einerseits gab es Mitarbeiter, die den zeitlichen Aufwand ansatzweise beurteilen konnten und das „mit-der-Zeit-gehen“ schätzten. Andererseits waren da die Mitarbeiter, die sich der Modernisierung nicht stellen wollten und die Lernwelt als zusätzliches Übel empfanden. Wir haben dann jedoch viel Aufklärungsarbeit geleistet und erklärt, dass durch die Einführung der Lernwelt teilweise auch „alte“ Arbeitsschritte ersetzt wurden, sodass es sich nicht um zusätzliche Arbeit handelt. So wurden zum Beispiel in der Vergangenheit jährlich Schreiben zur Brandschutzordnung an alle Mitarbeiter geschickt, die die Brandschutzordnung lesen und durch Unterschrift bestätigen sollten, dass sie den Inhalt verstanden hatten. Dieser Prozess wurde durch ein kurzes Online-Training abgelöst, das nun jährlich wiederholt wird. Auch unser kaufmännischer Vorstand hat mitgeholfen zur Akzeptanz der Lernwelt beizutragen, indem er bei der Betriebsversammlung erklärt hat, warum sie eingeführt wurde. Die Mitarbeiter konnten so nachvollziehen, welche Vorteile ein LMS mit sich bringt: z.B. schnelle und standortübergreifende Information aller Mitarbeiter, interaktives und dadurch unterhaltsameres Vermitteln zum Teil trockener Informationen, eine moderne und leichter zugängliche Möglichkeit der Fort- und Weiterbildung. Zudem können die Inhalte der Schulungen den Mitarbeitern auch als Hilfestellung dienen, wenn diese in gewissen Situationen unsicher sind, wie sie sich verhalten sollen. So haben wir beispielsweise in die Compliance-Schulung praxisbezogene Fälle eingearbeitet, an denen sich Mitarbeiter orientieren können, falls ihnen ein Kunde ein Geschenk anbieten will und der Mitarbeiter nicht weiß, ob er dieses annehmen darf. Außerdem profitiert auch der Arbeitgeber, indem dokumentiert wird, dass rechtlich relevante Themen wie beispielsweise Geldwäsche, Compliance oder Datenschutz von bestimmten Mitarbeitergruppen regelmäßig im Rahmen von Online-Trainings vermittelt werden. Zusätzlich haben wir die Belegschaft informiert, dass auch die Lerninhalte von S&G-Mitarbeitern erstellt wurden, was ebenfalls dazu beigetragen hat, dass die Lernwelt akzeptiert wurde. Inhalte der Schulungen können den Mitarbeitern auch als Hilfestellung dienen.
IM+io: Welche weiteren Schritte in die Digitalisierung sind in Ihrem Unternehmen geplant?
CM: Wir haben in letzter Zeit bereits einige Prozesse digitalisiert. So wurde beispielsweise das „Kommen-“ bzw. „Gehen-Stechen“ mit einer Stechkarte durch ein An- und Abmelden am Rechner abgelöst. Auch die Beantragung von Urlaub oder die Korrektur von Zeitbuchungen wird nicht mehr klassisch anhand von Formularen ausgeführt, sie wurde durch einen digitalen Employee-Self-Service (kurz ESS) ersetzt. Außerdem haben wir unlängst ein Programm zur digitalen Erfassung der Eingangsrechnungen eingeführt, das nun immer stärker ausgeweitet wird. So können nun auch digital eingehende Rechnungen darüber verarbeitet werden. Ebenso digitalisieren wir den Versand unserer Ausgangsrechnungen sukzessiv und erarbeiten so entsprechende Workflows, bei denen immer weniger manuell eingegriffen werden muss. Neben dem Ausbau bestehender sollen künftig weitere Workflows eingeführt werden. Insbesondere im Fahrzeug-Verkauf gibt es hier noch Verbesserungspotenzial.
IM+io: Wie sind grundsätzlich Ihre Erfahrungen bei der Einführung digitaler Innovationen in Ihrer Unternehmensgruppe? Wie muss eine Organisation ticken, damit sie nicht von der Digitalisierung überrollt wird?
CM: Ähnlich gespalten wie bei der Lernwelt war die Reaktion auf die Einführung anderer digitaler Innovationen. Einige Mitarbeiter sind Neuerungen gegenüber aufgeschlossener als andere. Unter den Skeptikern gibt es allerdings auch viele, die sich dann vom Mehrwert der Veränderung überzeugen lassen oder sich durch die wiederholte Durchführung an das geänderte Prozedere gewöhnen. Natürlich sollte man jedoch auch Mitarbeitern gegenüber Verständnis entgegenbringen, die Schwierigkeiten im Umgang mit Digitalisierung und modernen Medien haben. Hier sollte dann Unterstützung von Kollegen aus der jeweiligen Fachabteilung angeboten werden. Eine Organisation sollte immer gut abwägen, wo Digitalisierung sinnvoll ist und wo sich vielleicht doch eine eher klassische Handhabung bewährt. Dabei sollten sowohl die Interessen des Unternehmens und der Mitarbeiter als auch die von Kunden und ggf. Dienstleistern/Zulieferern berücksichtigt werden. Wichtig ist es, die Mitarbeiter über den Nutzen und die Vorteile der Digitalisierung aufzuklären, sie einzubeziehen und so die Akzeptanz – zumindest eines Großteils der Belegschaft – zu erlangen.