10 dringende Appelle an den Mittelstand
Digitalisierung als Chance verstehen!
August-Wilhelm Scheer, Scheer Holding
Kurz & Bündig
Die Wucht der Digitalen Transformation hat längst auch den Mittelstand erreicht. Nun gilt es, diese zielgerichtet zu gestalten und die neuen Chancen intelligent zu nutzen, meint Unternehmerprofessor Dr. August-Wilhelm Scheer.
Der Digitalisierungstsunami erreicht den Mittelstand. Automobilzulieferanten müssen ihre Komponenten und Produkte durch Software intelligenter machen. Lieferantenportale großer Handelsketten zwingen Lieferanten, ihre Angebote und Logistikprozesse zu digitalisieren. Der stationäre Einzelhandel sucht nach Gegenmitteln zum Verdrängungswettbewerb durch den Internethandel. Dies alles führt zu einem enormen Bedarf an neuem Verständnis, Kompetenz und Umsetzungswissen. Nicht zuletzt die individuelle Entwicklung von Software erhält einen neuen Stellenwert. Der Mittelstand ist im Umbruch, aber die Digitalisierung kann gelingen.
1. Ich bin sicher, die Zeit ist reif. Seriöse Untersuchungen zum Stand der Digitalisierung im Mittelstand zeigen:
Mittelständler erkennen überwiegend die hohe Bedeutung der Digitalisierung für ihr Unternehmen. Größere Mittelständler sind weiter als kleinere. Die Mehrzahl der Mittelständler hängt dem Stand der Technik hinterher. Mindestens 20% der Mittelständler haben noch kein Digitalisierungsprojekt gestartet. Fördermaßnahmen des BMWi und anderer Institutionen sind vorhanden. Mit nachlassender Konjunktur und geringeren personellen Engpässen müssen die freien Ressourcen eingesetzt werden, um verlorenes Terrain bei der Digitalisierung aufzuholen und neue Chancen zur Expansion anzugehen. Dazu hat der Mittelstand gute Voraussetzungen.
2. Unternehmerische Entscheidungsspielräume müssen jetzt genutzt werden.
Eigentümer und Geschäftsführer können im Mittelstand schneller entscheiden, werden nicht vom Quartalsdenken börsennotierter Unternehmen getrieben und können deshalb eher Versuchsballons zur Digitalisierung starten. Vom BMWi geförderte Kompetenzzentren stehen als regionale Informations- und Schulungseinrichtungen sowie kompetente Ansprechpartner für neue Geschäftsmodelle zur Verfügung. Voraussetzung sind Lernbereitschaft und Umsetzungswille der Geschäftsführung, auch zur Motivation der Mitarbeiter. Auch kann man der jüngeren Erbengeneration eine vorgezogene Chance geben.
3. Die Orientierung an Best Practice - Beispielen von Vorreitern lohnt sich.
Vorreiter bei der Digitalisierung im Mittelstand nach Bundesländern sind Berlin, Hamburg, Baden – Württemberg und Bayern. Als Branchen führen Energie, Elektro, Maschinenbau und Kraftfahrtechnik. Durch Kontaktpflege zu vergleichbaren Unternehmen (insbesondere Konkurrenten) können Resultate und Erfahrungen übernommen oder zur eigenen Inspiration genutzt werden.
4. Kundennähe muss als Wettbewerbsvorteil erkannt werden.
Digitale Geschäftsmodelle werden vom Kundennutzen aus entwickelt. Die vorhandene Kundennähe von Mittelständlern hilft, Verbesserungspotenziale beim Kunden leicht zu erkennen und dafür neue digitale Produkte und Serviceprozesse zu entwickeln. Über die Verbesserung der Kundenbindung durch Vertrieb, Marketing und Service sind die leichtesten Erfolge zu erzielen. Hier ist der Einsatz von Social Media ein „must“.
5. Interne Geschäftsprozesse straffen heißt Kosten zu reduzieren.
Die Administration kann durch die Internetanbindung des Außendienstes, Rechnungsstellung
vor Ort sowie digitale Zahlungsvorgänge drastisch beschleunigt und reduziert werden. Dies
kann helfen, Konjunkturdellen auszugleichen.
6. Das bestehende Geschäftsmodell kann erfolgreich erweitert werden.
Die Aufnahme von Internetpräsenz hilft, das bestehende Geschäftsmodell regional auszuweiten. Ein bisher regionaler Fleischer bietet dann z.B. seine leckeren Wurstspezialitäten landesweit an. Eine lokale Modeboutique erweitert ihren Kundenstamm über das Internetgeschäft überregional.
7. Software und Künstliche Intelligenz sollten für Produktinnovationen genutzt werden.
Materielle Produkte enthalten immer mehr Software zur Verbesserung von Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit und bieten Chancen für digitale Dienstleistungen. Fernwartung und vorausschauende Wartung sind dazu Stichwörter. Eigenentwickelte Software zu einem materiellen Produkt ist als eigenes Produkt zu erkennen und mit Preisschild und Wartungsvertrag zu versehen. Durch Wartungseinnahmen kann so für Software ein kontinuierlicher Erlösstrom erzielt werden.
8. Durch Kooperationen mit Big Playern neue Erfolge generieren.
Auch die großen internationalen Digitalunternehmen benötigen mittelständige Partner zur Implementierung, Auslieferung oder Wartung ihrer Produkte. Ohne Auto mit Fahrer kann Uber nicht befördern, ohne lokale Berater kann Software von Microsoft nicht implementiert werden, usw. Deshalb frühzeitig den digitalen Wandel der Branche erkennen und lieber mit den großen Tigern partnern als von ihnen gefressen zu werden
9. Künstliche Intelligenz entspannt den „War for Talents“.
Durch die Kooperation von Menschen mit Robotern oder intelligenten Werkzeugen werden die Fähigkeiten der Menschen erweitert. Damit werden sie produktiver und können auch für höherwertige Aufgaben bei niedriger Qualifikation eingesetzt werden. Der gegenwärtig angespannte Arbeitsmarkt durch den Fachkräftemangel kann dadurch entschärft werden, freie Kapazitäten können für neue Entwicklungen genutzt werden.
10. Angst vor der Digitalisierung ist ein schlechter Ratgeber.
Digitalisierung ist kein Hexenwerk. Schulungen werden von vielen Institutionen angeboten. Programmiersprachen und Hilfsmittel zur Entwicklung eigener Software werden immer einfacher. Mit sogenannten low code Werkzeugen können Softwarelösungen sogar von Mitarbeitern der Fachabteilungen (citizen developer) entwickelt werden. Insgesamt bietet die Digitalisierung viele Chancen. Schließlich hat auch Robert Bosch als Mittelständler in einer Werkstatt angefangen und sich durch die offene Haltung gegenüber neuen Technologien zu einem der erfolgreichsten Großunternehmer entwickelt.