Die drei Dimensionen von Nachhaltigkeit
Eine Alternative zur klassischen Entwicklungshilfe
Tibor Sprick, Christoph Dillenburger, BlueFuture Project
Kurz & Bündig
Die klassische Entwicklungshilfe ist von Ineffizienzen geprägt. Seit Jahren werden zahlreiche afrikanische Staaten in Milliardenhöhe unterstützt, die Umstände vor Ort verschärfen sich jedoch weiter. Ein Lösungsansatz ist die sogenannte Dreidimensionalität der Nachhaltigkeit, die ökonomische, soziale und ökonomische Maßstäbe verbindet. Das BlueFuture Project aus Saarbrücken hat ein Geschäftsmodell entwickelt, das die nachhaltige Unterstützung von Einheimischen ländlicher afrikanischer Gebiete effektiv sichern soll.
In Afrika leben knapp 1,2 Mrd. Menschen, viele von ihnen unter schwierigsten Bedingungen und in großer Armut. Industriestaaten der OECD, wie Deutschland und Frankreich, unterstützen afrikanische Staaten mit Entwicklungshilfen in Milliardenhöhe. Doch wie erfolgreich, nachhaltig und an die lokalen Umstände angepasst wird dabei vorgegangen? Ein Beispiel, wie ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit in der Entwicklungshilfe vorangetrieben werden kann, ist das BlueFuture Project aus Saarbrücken.
Armut und Entwicklungshilfe in Afrika
Afrika – einer der größten und facettenreichsten Kontinente der Erde. Zusammengesetzt aus unzähligen Kulturen, Ländern, Sprachen und Landschaften. Neben dem höchsten Aufkommen natürlicher Ressourcen, besteht jedoch ebenfalls die größte Armut weltweit: mehr als die Hälfte des ärmsten Teils der Weltbevölkerung lebt in Afrika. Die Vereinten Nationen definieren absolute Armut als „einen Umstand, in dem sich ein Mensch nicht die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse leisten kann“ [1]. Zwar ist die weltweite Zahl an absoluter Armut seit 1990 von 1,85 Mrd. auf 736 Mio. in 2015 gesunken, jedoch spiegeln diese mutmachenden Zahlen nicht die Situation in großen Teilen Afrikas wider. Allein in SubsaharaAfrika leben mehr Menschen in extremer Armut als in allen Teilen der Welt zusammen. Bestätigt sich dieser Trend bis 2030, werden bis zu dieser Zeit in Subsahara-Afrika neun von 10 Menschen in absoluter Armut leben [2].
Defizite in den Bereichen Motivation und Information
Um gegen die dramatischen Armutszahlen vorzugehen, investieren alleine die OECD Staaten knapp 50 Mrd. Euro jährlich [3]. Wie ist vor diesem Hintergrund die antiproportionale Entwicklung vor Ort zu erklären? Um die Funktionsweise klassischer Entwicklungshilfe zu verstehen, müssen die Ursprünge dieser kurz in Betrachtung gezogen werden. Das Ziel von Entwicklungshilfe ist eine Gesamtverbesserung der Lebensumstände von Einheimischen. Schlüsselaktivitäten stellen hierbei die Eindämmung von Krankheiten, Verringerung von Kindessterblichkeit und Arbeitslosigkeit, Steigerung von Lebensmittelsicherheit und Einkommen, so wie Bildung und Steigerung landwirtschaftlichen Outputs dar. Aktueller wurden politische, soziale und umweltschützende Ziele ergänzt [4].
In der Vergangenheit wurde in der Entwicklungshilfe zur Zielerreichung primär auf wirtschaftliches Wachstum gesetzt. Soziale Dimensionen der Entwicklung wurden nicht ausgleichend beachtet. Der Grundgedanke war die Industrialisierung weniger entwickelter Länder nach dem Vorbild westlicher Zivilisationen [5]. In Folge hat das System Defizite in den Bereichen Information und Motivation.
Die Motivation klassischer Entwicklungshilfe ist beeinflusst von den Wirkungen des Shareholder-Value Ansatzes. Die Interessen des jeweiligen Kapitalgebers, im Falle Afrikas Staaten und Unternehmen, stehen im Vordergrund unternehmerischer Aktivitäten. Um soziale, ökonomische und auch ökologische Aspekte nachhaltig aufbauen zu können, müssen Strategien an die Interessen aller Stakeholder angepasst werden. Ein effektiver Hebel scheint daher weniger moralischer, sondern eher strategischer Natur zu sein und kann entsprechend in der strategischen Ausrichtung von Projekten genutzt werden.
Um unternehmerische Aktivitäten zielgerichtet anpassen zu können, werden neben internen Daten auch Informationen über Umwelt und lokale Bedingungen benötigt. Ein Ansatz zum Aufbau von Informationsnetzwerken ist die „Anwendung von Wissen in der Gesellschaft“, eine der bedeutendsten Arbeiten von Friedrich August von Hayek [6]. Er erläutert, jedes Land verfüge über dezentralisiertes Wissen. Das bedeutet, dass in der Gesellschaft viele wichtige Informationsteile verbogen sind, die essenziell für eine effiziente Koordination der Wirtschaft sind. Zentrale Planstellen können dieses Wissen nur eingeschränkt nutzen und demnach kein wirtschaftliches Wachstum ermöglichen. Private Investoren hingegen verfügen über ein geeignetes Informationsmanagement um Wissen zu bündeln, zu analysieren, und zielgerichtete Maßnahmen ableiten zu können [7].
Erfolgsfaktoren nachhaltiger Strategien in Entwicklungsländern
Um Nachhaltigkeit in strategische Entscheidungen zu integrieren, muss zunächst die Dreidimensionalität des Konzeptes vor Augen geführt werden. Neben der allgegenwärtigen Dimension der Ökologie, müssen ebenso soziale und ökonomische Maßstäbe mitbedacht werden. Nachhaltig kann nur sein, wer diese Dimensionen langfristig vereint und ausrichtet. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Interessen aller Stakeholder in die Entscheidungsfindung von betriebswirtschaftlichen Akteuren einbezogen werden. Eine Forderung, die im globalen Kontext im August 2019 von einer Reihe amerikanischer CEOs in die Öffentlichkeit getragen wurde [8]. Überträgt man diesen Ansatz auf entwicklungswirtschaftliche Konzepte in Afrika, ergeben sich, vor dem Hintergrund der bestehenden Defizite, Chancen zur nachhaltigen Unterstützung der einheimischen Bevölkerung.
So stellt eine umfassende Umweltanalyse einen entscheidenden Erfolgsfaktor dar. Diese Analyse muss, äquivalent zum Gedanken der Nachhaltigkeit, ökologische, ökonomische und soziale Dimensionen abdecken. Nur so können Chancen und Risiken effektiv identifiziert werden. Hierbei gilt es, klassische Instrumente wie PESTEL- oder SWOT -Analysen nicht isoliert zu betrachten. Aus der Summe der Erkenntnisse einzelner Analysen können strategische Optionen bewertet und abgeleitet werden.
In der sozialen Dimension wird die Lösung der Frage kultureller Unterschiede zu einem wesentlichen Hebel. Um erfolgreich Maßnahmen vor Ort umsetzen zu können, dürfen westlich industrialisierte Konzepte nicht als Blaupause für Afrika dienen. Der Gedanke, dieselben Entwicklungsschritte wie in westlichen Ländern würden zum gleichen Wohlstandszuwachs in Afrika führen, ist gescheitert. So zeigen Projekte der Organisation NORAD in Kenia exemplarisch, dass konzeptionell überzeugende Projekte nicht final umgesetzt werden konnten. Die eigentlichen Stärken und kulturellen Haltungen der Bevölkerung wurden zu Gunsten der Umsetzungsideen der Ausführenden vernachlässigt, was nach einigen Wochen zu einem Scheitern des Projektes führte [9].
Weiter kann auf diese Weise das in der Gesellschaft verborgene Wissen besser gebündelt werden. Verfügt man über dieses Wissen und nutzt man es zielorientiert, ist es möglich, Infrastrukturen nachhaltig aufzubauen. Neue Arbeitsplätze und Absicherungsmöglichkeiten für lokal Beteiligte können als Ziel resultieren. Um diese praktischen Maßnahmen langfristig umsetzen zu können, bedarf es jedoch einer Haltung, einer Art philosophischen Klebstoffs. Die Idee des „Meliorismus“ bietet für alle Wirkungsbereiche der Nachhaltigkeit eine geeignete Orientierungshilfe. Verbesserungen sind demnach allgemein nicht schockartig, sondern stufenartig und Schritt für Schritt zu erwarten [10]. Nachhaltigkeit zu leben bedeutet, Veränderungen phasenweise und mit Geduld entgegenzutreten. Es gilt daher: Jeden Tag ein bisschen besser, statt radikalem Wandel.
Fallbeispiel: BlueFuture Project & Dr. Hilonga
Die akute Notwendigkeit zur Lösung von Problemen, bietet immer die Chance zur (Weiter-) entwicklung von Geschäftsmodellen. Exemplarisch für die Chance, klassische Entwicklungshilfe durch nachhaltige Geschäftsmodelle zu ersetzen, steht das BlueFuture Project aus Saarbrücken.
Derzeit agiert das Unternehmen in Tansania, einem Land in dem von 57 Mio Einwohnern nur knapp die Hälfte Zugang zu sicherem Trinkwasser hat. In den ländlichen Regionen, dem strategischen Schwerpunkt des Start-Ups, ist ein solcher Zugang nicht gegeben. Neun von zehn Kindern, die nicht überleben, sterben an durch Wasser übertragbare Krankheiten. Die Hälfte aller Patienten in Krankenhäusern leiden an Krankheiten dieser Art. Die Zugänge zu Wasser erfolgen meist über Flüsse oder Seen. Die Gewässer sind kontaminiert mit Schwermetallen, Pestiziden, Fluoren oder gefährlichen Mikroorganismen. Verstärkt wird die Situation durch fehlende, nachhaltige Infrastrukturen. Während jedes Jahr knapp 60.000 Jobs geschaffen werden, strömen aus der jungen Gesellschaft (Medianalter: 17,7) ca. 900.000 junge Menschen auf den Arbeitsmarkt [11,12]. Diese fehlenden Möglichkeiten sind einer der größten Treiber der Migration und stehen somit in direktem Zusammenhang mit dem westlichen Tun.
Der Lösungsansatz des BlueFuture Projects: Die beschriebene Wasserkrise durch das Schaffen von Möglichkeiten und Arbeitsplätzen für Einheimischen lösen. Um diese Vision umzusetzen, kooperiert das Unternehmen mit einem tansanianischem Chemieingenieur, Dr. Askwar Hilonga. Der ausgezeichnete Entrepreneur bringt Technologien und Ansätze mit, die die lokalen Umstände vor Ort miteinbeziehen. Schlüsselinstrument ist dabei Dr. Hilongas Nanofilter, ein innovatives und preiswertes Wasserfiltrationssystem. Das Wasser wird ohne Elektrizität oder chemische Zusatzstoffe gereinigt. Die Reinigung erfolgt in drei Schritten: Zuerst befreit ein feiner Sandfilter das Wasser von Bakterien, Viren oder andere Mikroorganismen. Im nächsten Schritt wird das schädliche Fluor entzogen. Abschließend beseitigen eine Nanomembran und Nanomaterialien Schwermetalle, Pestizide und andere Kontaminanten. Ein besonderes Alleinstellungsmerkmal des Nanofilters ist, dass er auf die lokale Verschmutzung des Wassers angepasst werden kann. Da jede kontaminierte Quelle in Afrika andere Verunreinigungen aufweist, ist die Kalibrierung des Filters immens wichtig. Bevor der Nanofilter in Betrieb genommen wird, testet Dr. Hilongas Team die lokale Wasserquelle. Danach wird der Filter auf die Verschmutzung eingestellt. Somit kann vor Ort immer hervorragende Wasserqualität gewährleistet werden. Der Filter selbst wird bereits an Kommunen und Familien verkauft, jedoch können die meisten Einwohner, insbesondere ländlicher Gebiete, sich das System nicht leisten. Da Risiko und Kosten für Dr. Hilonga zu groß sind um in diese Bereiche zu expandieren, versorgt das deutsche Start-up Mitglieder von Gemeinden mit Verkaufsstellen und integrierten Nanofiltern. Die sogenannten „Waterstations“ werden von privaten Betreibern („Locals“) im Franchisesystem betrieben. Diese zahlen einen gemäßigten Betrag an Dr. Hilongas Unternehmen und verkaufen das Wasser zu einem Preis, den jeder betroffene Bewohner aufbringen kann. Mit den Franchisegebühren werden die Filtersysteme gewartet und erforderliche Marketingaktivitäten finanziert. Der Ansatz schafft eine nachhaltige Infrastruktur: Die Wartung ist gesichert, lokaler Support garantiert und Arbeitsplätze werden geschaffen.
Fazit
Nachhaltige Geschäftsmodelle eröffnen Möglichkeiten, Entwicklungsarbeit in bedürftigen Ländern effizienter zu gestalten als bisher. Mit dem richtigen Purpose können private Investoren lokale Bedingungen besser nutzen, um bestehende Probleme zu lösen. Wichtig ist die ganzheitliche Betrachtung der Möglichkeiten. Es wird in Zukunft nicht ein Unternehmen, eine Organisation, oder ein Land sein, das wirtschaftliches Wachstum in Afrika nachhaltig etabliert. Die Summer einzelner, dem Umfeld gezielt angepasster Maßnahmen, können dabei helfen nachhaltige Infrastrukturen zu etablieren.