Wohlstand ade!?
Wirtschaftsethische Blickpunkte auf Profit und Moral
Bernward Gesang, Universität Mannheim
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Kurz und Bündig
Die ökonomische Ethik besagt, dass moralisches Handeln für Unternehmen umsetzbar ist, wenn sie sich langfristig lohnt. Empirisch lässt sich zeigen, dass es einen uneinheitlichen Zusammenhang zwischen Moral und Gewinnen gibt, aber auch positive Auswirkungen. Anspruchsvoller Umwelt- und Klimaschutz kann für Unternehmen teuer sein, doch erfolgreiche Unternehmen können auf Gewinne verzichten, um diese Maßnahmen umzusetzen. Geld ist oft im System wie Missmanagementfälle, wie etwa der VW-Skandal, zeigen. Der Staat sollte zudem Anreize setzen, um die Lücke zwischen dem Machbaren und dem Erforderlichen zu schließen.
Unternehmen streben nach finanziellem Gewinn. Haben soziale und nachhaltige Ziele dann überhaupt eine Chance in der Wirtschaft? Angesichts des Klimawandels und sozialer Verantwortung werden vermehrt Stimmen laut, die fordern, dass erfolgreiche Unternehmen auch auf Gewinn verzichten sollten, um die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Impact wird also zwingend notwendig. Um einen dauerhaften Klima- und Umweltschutz zu betreiben, braucht es aber Anreize, die aus der Politik kommen. Dann gelingt ein friedliches Miteinander von Wirtschaft und Ökologie.
I. Das Ausgangsproblem und die ökonomische Ethik
Können Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich und gleichzeitig sozial und nachhaltig sein? Der traditionelle Ansatz der Wirtschaftsethik, die „ökonomische Ethik“, meint „ja“, aber nur dann, wenn Wirtschaft und Ökologie sowie Soziales zu Win-Win Verhältnissen gemacht werden. Nur dann werden Ökologie und Soziales umgesetzt. Die Argumentation verläuft wie folgt:
Die ökonomische Ethik behauptet, dass selbst altruistisch motivierte Menschen unter scharfem Konkurrenzdruck nicht anders können, als im Extremfall sogar ihre eigenen moralischen Überzeugungen zu verraten [1]. Es besteht ein Zwang, dass letztlich alle Individuen unter Konkurrenz wie ein Homo oeconomicus handeln [2]. Erst wenn eine ursprünglich wirkungslose Norm N (etwa die Forderung nach Nachhaltigkeit) den Vorteil der Individuen vergrößert, wird sie umsetzbar, denn Individuen werden nicht dauerhaft gegen ihren Vorteil handeln [3].
Fazit: Moral wird umgesetzt, indem von Institutionen dafür Sorge getragen wird, dass sie sich langfristig lohnt, was nur im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft realisierbar ist. Es muss gewährleistet sein, dass Moral eine langfristige Investition zur Steigerung der Gewinne eines Unternehmens ist. Ingo Pies nennt eines seiner Bücher sogar „Moral als Produktionsfaktor“ [4]. So werden Win-win-Situationen aufgezeigt und erzeugt, um den wechselseitigen Vorteil zu mehren. Aber moralische Forderungen, die nicht darauf reduzierbar sind, werden fallengelassen.
II. Empirie
Wie die Chancen für eine rentable Moral stehen, hängt neben der Theorie davon ab, wie wahrscheinlich es ist, dass Moral unter den gegebenen Rahmenordnungen zu Gewinnen führt, und das ist empirisch strittig. Es gibt inzwischen hunderte von Studien über diese Frage, und die Ergebnisse sind uneinheitlich. So zeigten 2003 von 109 Studien 54 einen positiven Zusammenhang von Moral und Gewinnen, 20 gemischte Resultate, 28 nicht signifikante Resultate und sieben einen negativen Zusammenhang [5]. Das beweist aber noch keinen positiven Zusammenhang. Denn die sich zeigende Kausalität lässt sich auch wie folgt erklären: Ethische Maßnahmen verbessern nicht die Performance, sondern erfolgreiche Unternehmen setzen ethische Instrumente eher ein als andere. Ihr überdurchschnittlicher finanzieller Erfolg besteht aber schon vor dieser Maßnahme [6].
Eine Vielzahl von Studien legt jedoch immerhin einen positiven Zusammenhang von Unternehmensgewinnen mit Maßnahmen nahe, die als moralisch gelten. Allerdings zeigt die Empirie auch, dass diese Win-Win-Verhältnisse a) sich kaum sicher berechnen lassen, da der Markt ständig wechselnde Aktivitäten honoriert oder ignoriert [7] und b) sich schnell auflösen, wenn grundlegende moralische Reformen durchgeführt werden, die ein oft rechtlich verbürgtes Minimalmaß überschreiten [8]. Wenn man moralische Innovationen also an Gewinne koppelt, dann werden wirklich tiefgreifende Reformen, die weiter als das Recht gehen, nicht durchgeführt, und hier liegen Gefahren. Es wäre zumindest zu zeigen, wie diese Probleme, die auch unter den heute gegebenen differenzierten Rahmenordnungen der Industrienationen gegeben sind, durch weitere Veränderungen der Rahmenordnung einzudämmen sind, möglichst ohne Bürokratie zu schaffen. Weiterhin muss bedacht werden, dass es häufig auch etwas kostet, neue Anreize zu setzen. Steuervergünstigungen, zinsarme Kredite und so weiter müssen gegenfinanziert werden.
III. Was bedeutet das?
Das Fazit fällt also gemischt aus. Anspruchsvoller und langfristiger Umwelt- und Klimaschutz kostet die Unternehmen eventuell mehr, als er mittelfristig einbringt. Die Win-Win-Logik wird gebrochen. Erfolgreiche Unternehmen können a) auf Gewinne verzichten, um das zu kompensieren. Der Staat und seine Anreize müssen b) die entstehende Lücke zwischen dem, was Unternehmen leisten können, und dem, was erforderlich ist, schließen. Das ist die einzige Möglichkeit, Wirtschaft und Ökologie dauerhaft in ein friedliches Miteinander zu überführen. Die empirische Klimaforschung zeigt uns, wie notwendig dieses ist:
Die Gefahr des Klimawandels besteht im Wesentlichen im Überschreiten von Kipppunkten. Dabei handelt es sich um sogenannte Feedbackschleifen im Kohlenstoffkreislauf beziehungsweise Teufelskreise, von denen mehrere im Klimasystem existieren. Sie sorgen für ein weiteres Aufheizen der Erde. Auch wenn die menschliche Verursachung des Klimawandels sofort entfallen würde, laufen diese Teufelskreise selbstverstärkend weiter, wenn sie einmal ausgelöst sind. Ein Beispiel: die Zunahme der Klimagase in der Atmosphäre bewirkt ein schnelleres Abschmelzen des Grönlandeises und des westantarktischen Eisschildes. Dabei wird weißes Eis in dunkles Wasser umgewandelt. Das Wasser reflektiert weniger Sonnenlicht als das weiße Eis und verstärkt damit die Konzentration der Klimagase in der Atmosphäre. Nach neuesten Prognosen werden wir mit 14-prozentiger Wahrscheinlichkeit eine Welt sehen, die durch solche Teufelskreise auf mehr als 4,5 Grad Celsius erwärmt ist. Folgen werden diskutiert von einer Dezimierung der Menschheit um ein Zehntel, bis zum Aussterben der Menschheit als solcher [9]. Dazu kommen soziale Folgen also etwa Rohstoffkriege, Migration et cetera. Also ein Fünftel aller Zukunftsprognosen bedeuten den blanken Horror. Auch unterhalb dieser Annahmen verbreitet der Klimawandel Schrecken in fast allen Zukunftsprognosen. Zudem ist unsere Wirtschaftsweise an sich fragwürdig, weder ist der Input an Rohstoffen und Energie dauerhaft gesichert, noch ist der Output an Schadstoffen dauerhaft erträglich.
Ein weiter so geht einfach nicht. Wenn wir vermeiden wollen, viele Kipppunkte auszulösen, müssen wir schnell sein. Etwa „Technologieoffenheit“, die derzeit viel beschworen wird, können wir uns zum Teil zeitlich nicht mehr leisten. Insbesondere dann, wenn Technologien erforscht und erfunden werden müssen, die erst in Jahrzehnten einsetzbar sind, wie die Kernfusion. Der Wettlauf mit der Natur entscheidet sich in den nächsten Jahren, sonst lösen wir viele der benannten Kipppunkte aus. Das heißt, wir müssen schnell auf Nachhaltigkeit umstellen, das erfordert kreative Schaffung von Win-Win-Verhältnissen, Bereitschaft zum Verzicht auf Gewinne von Unternehmen [10] und eine engagierte Klimapolitik.
Zahlreiche Fälle von Missmanagement zeigen, wie viel Geld Unternehmen spontan mobilisieren können. Bestes Beispiel ist der VW Skandal. Der Konzern hat spontan 28 Milliarden Euro [11] für Entschädigungen mobilisiert. Das Geld muss im Etat des Unternehmens existiert haben und hätte auch für Nachhaltigkeit investiert werden können. Es ist verblüffend, dass allerseits argumentiert wird, dass Marktwirtschaft so viel Wettbewerb bedeutet, dass Unternehmen die Gewinne nicht maximieren, vom Markt gehen müssen [12]. Aber VW ist immer noch auf dem Markt. Genauso wie andere Firmen, die spontan die Kosten für solche Fehlleistungen und Missmanagement überbrücken können, etwa die Deutsche Bank oder seinerzeit Mannesmann.
Firmen, deren Geschäftsmodell dauerhaft nur funktioniert, wenn es Nachhaltigkeit und Menschenrechte mit den Füßen tritt, sollten vom Markt gehen. Ihr Unternehmenszweck ist allgemeinwohlschädlich. Wir brauchen gerade in „saturierten“ Industrieländern nicht alle Unternehmen am Markt, die Arbeitsplätze schaffen. Vielmehr ist Arbeit ein knappes Gut, da gilt es umzudenken. Es geht verstärkt auch um einen ethisch legitimen Unternehmenszweck, der einer Firma zugrunde liegen sollte.
Die Politik muss also die Lücke schließen, die die Unternehmen durch Eigenengagement nicht schließen können. Das heißt nicht, dass der Standort Deutschland unattraktiver gemacht werden soll. Stattdessen sollten wir neue sinnvolle Vorschriften durch den Wegfall alter Bürokratie kompensieren. Vorschriften sollten dabei auch, wann immer möglich, in marktkonforme Instrumente gekleidet sein, aber auch Verbote sind möglich. Wir schränken Freiheit kurzfristig und geplant ein, um zu verhindern, dass wir sie dauerhaft aufheben müssen, wenn die Natur uns per Desaster dazu zwingt [13].