Der Arzt als App: „Die Künstliche Intelligenz lernt mit jedem Nutzerkontakt dazu“
Im Gespräch mit Daniel Nathrath, Gründer und CEO des Start-up Unternehmens Ada Health
Unternehmensprofil
Ada gehört zu den jungen Unternehmen, die bereits heute Künstliche Intelligenz erfolgreich in die Anwendung bringen – auf dem Digitalen Gesundheitsmarkt und damit in einem Segment, dem Analysten ein Wachstumspotenzial von 20 Prozent pro Jahr zutrauen.
IM+io: Herr Nathrath, wie sieht das Leistungsportfolio von Ada aus? Welchen Mehrwert bietet die App dem Anwender?
DN: Wir haben mit Ada eine KI-gestützte Gesundheitsplattform geschaffen, die Menschen überall auf der Welt Zugang zu vertrauenswürdigen und qualitativ hochwertigen Gesundheitsinformationen bietet. Seit dem Launch der App im November 2016 haben bereits mehr als vier Millionen Menschen weltweit Ada genutzt, um ihre Gesundheit zu verstehen und zu verbessern. Eine Analyse beginnt damit, dass Ada den Nutzer zunächst in einem kurzen Anamnese- artigen Dialog kennenlernt – ganz ähnlich wie beim Arzt. Anschließend geht es weiter mit der gezielten Erfragung der Symptome, die am Ende zu einem individuellen Bericht führt, der die wahrscheinlichsten Ursachen für die Beschwerden und Vorschläge zum weiteren Vorgehen beinhaltet. Der Bericht kann heruntergeladen und direkt an den Arzt verschickt werden. Ada gibt auch Hinweise, ob und wie dringend ein Arztbesuch notwendig ist. Das verhindert unnötige Arztbesuche – eine Ursache immenser Kosten im Gesundheitssystem. Wir wissen, dass heutzutage die Mehrheit aller Patienten ihre Symptome „googlen”. Viele Ärzte mögen das nicht, da die Informationen den Patienten ungefiltert und nicht personalisiert erreichen und damit potentiell Verwirrung und Unsicherheit erzeugen. Aber genau hier setzt Ada an. Ada liefert von Experten kuratierte, auf den Nutzer zugeschnittene, persönliche Gesundheitsinformationen.
IM+io: Welche Rolle spielt dabei die Künstliche Intelligenz?
DN: Hinter Adas Power steckt eine KI-Technologie, die wir inhouse über sieben Jahre entwickelt haben und die auf einer Kombination aus Denken in Konstellationen und Mustererkennung beruht. Im Grunde repliziert Ada menschliche Entscheidungsprozesse. Zu Beginn einer Symptomanalyse nennt der Nutzer ein Symptom, das ihn beunruhigt. Im Folgenden stellt Ada personalisierte und adaptive Fragen, die sich ganz nach den präsentierten Beschwerden richten. Im Hintergrund durchsucht Adas KI eine medizinische Datenbank nach den wahrscheinlichsten Krankheiten, wobei sie Milliarden von Symptomkonstellationen berücksichtigt. Wir haben diese große medizinische Wissensbasis gemeinsam mit zahlreichen ärztlichen Experten erstellt und sie wird stets auf den neuesten Stand der Wissenschaft aktualisiert. Durch maschinelles Lernen und mehrere geschlossene Feedbackschleifen lernt Ada mit jedem Nutzerkontakt dazu und wird intelligenter. Eine KI-Technologie wie Ada bietet die Möglichkeit, die hohen Datenvolumen, die in der Gesundheitsbranche unterwegs sind, zu organisieren sowie Ressourcen und Wissen besser zu vernetzen.
IM+io: Sie haben lange gezögert auf den deutschen (Heimat-)Markt mit seinen vielen datenrechtlichen Restriktionen zu gehen. Wie haben Sie nun den Sprung geschafft? Welche Herausforderung bietet für Sie das Thema Datensicherheit?
DN: Unser Ziel war es von Anfang an, mit Ada ein Produkt zu schaffen, das so vielen Menschen wie möglich helfen kann. Da wir uns in der Entwicklung zunächst auf Englisch als weitverbreitetste Sprache konzentriert haben, konnten wir Ada direkt für eine Vielzahl von Menschen zugänglich machen. Für uns war aber von Anfang an klar, dass wir Ada in weiteren Sprachen verfügbar machen wollen. Wenn wir über unsere Gefühle, Empfindungen und Schmerzen sprechen, dann möchten wir dafür unsere eigene Sprache verwenden und wir wollen in dieser auch verstanden werden. Das gibt uns Sicherheit, wir können Vertrauen aufbauen und gleichzeitig wird Raum für ein persönliches Erlebnis geschaffen. Deshalb folgte im September 2017 der Release von Ada auf Deutsch und im Frühjahr dieses Jahres auf Portugiesisch und Spanisch. An weiteren Sprachen wird auf Hochtouren gearbeitet. Natürlich war uns von Beginn an klar, dass wir mit dem höchsten Maß an Verantwortung mit den Gesundheitsdaten der Nutzer umgehen müssen, denn diese Daten sind hochsensibel. Für uns ist Datenschutz aber keine Herausforderung, sondern ein grundlegendes Prinzip. Dabei machen wir weder Ausnahmen noch Sonderregelungen für bestimmte Länder. Für die Einhaltung höchster Sicherheitsstandards wurde Ada dieses Jahr vom TÜV mit einem ISO27001 Zertifikat für Informationssicherheit ausgezeichnet und erhielt vom Bundesverband für Internetmedizin die CE Zertifizierung als Medizinprodukt. Selbstverständlich hält sich Ada an alle Regelungen der Datenschutzgrundverordnung und geht über diese noch hinaus. Dass sich unsere Bemühungen um Datenschutz lohnen und die Nutzer Ada vertrauen, bestätigen uns Hunderte von positiven Bewertungen jeden Tag.
IM+io: Wann und wie kam es zur Gründungsidee, und wer sind die Köpfe dahinter?
DN: Unsere Geschichte begann 2011, als wir drei uns das erste Mal in Berlin getroffen haben: Martin Hirsch, Wissenscha_ ler mit Forschungsschwerpunkt auf menschlichem Denken, Claire Novorol, Genetikerin und Kinderärztin aus London und ich, mit langjähriger Erfahrung im Aufbau und in der Beratung und Führung internationaler Unternehmen. In der Anfangsphase lag unser Hauptfokus auf der Entwicklung einer Technologie, die Ärzte bei der Diagnosestellung unterstützen soll. Wir sahen die große Chance, die künstliche Intelligenz hierbei bietet. Eine Maschine kann schier unendliches Wissen abrufen, kann Wahrscheinlichkeiten abwägen und wird niemals müde. Wir begannen damit, unsere eigene KI zu entwickeln und Adas medizinische Wissensbasis aufzubauen. Zunächst arbeiteten wir mit Fachärzten aus dem Bereich Neurologie zusammen und konzentrierten uns auf seltene Erkrankungen, erweiterten aber schnell die Entwicklung auf Allgemeinmedizin. Es war uns immer klar, dass der Wert von Ada für den Patienten bereits ganz am Anfang seiner Reise durch das Gesundheitssystem beginnt. Und somit starteten wir zusätzlich zur professionellen Version für Ärzte mit der Entwicklung einer App für den Anwender zu Hause auf dem Sofa oder im Zug. Unsere ersten gemeinsamen Schritte haben wir damals in Berlin gestartet und auch heute noch sitzen wir im gleichen Haus, allerdings kamen ein paar weitere Etagen für unsere Büroräume dazu. Unser Team ist mittlerweile auf über 120 engagierte Mitarbeiter gewachsen und wir haben zusätzliche Büros in München und London.
IM+io: Ist Ada Health ein fertiges Produkt, das ‚nur‘ noch seine Märkte finden muss, oder sind Weiterentwicklungen geplant?
DN: Die Gesundheitsbranche bietet für Ada noch viel Raum, um zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. Dabei haben wir nicht einen Markt im Blick, sondern die Patienten überall auf der Welt. Ihnen wollen wir mit Ada eine Begleiterin an die Seite stellen, die durch individuelle Beratung und Unterstützung immer für sie da ist, den Dialog mit Ärzten und die Buchung von medizinischen Dienstleistungen erleichtert und gleichzeitig bei der Navigation durch das Gesundheitssystem hilft . Dabei liegt der Fokus nicht nur auf Ländern mit hoch entwickelten Gesundheitssystemen, sondern auch auf weniger entwickelten Systemen. Wir haben spannende neue Projekte und Kollaborationen mit verschiedenen Krankenkassen und Dienstleistern vor uns. Und auch Ada ist nicht „fertig“. Die medizinische Wissensbasis wird weiter ausgebaut und es kommen neue Sprachen hinzu. Außerdem arbeiten wir an der Integration von zusätzlichen Gesundheitsinformationen in der Symptomanalyse, zum Beispiel von Smartwatches. Wir sind nicht fertig – wir haben gerade erst angefangen.
IM+io: Wie schätzen Sie ganz grundsätzlich die Chancen für KI in der praktischen medizinischen Anwendung ein – in Europa und besonders in Deutschland?
DN: Eine KI-Technologie wie Ada hat das Potenzial, Gesundheitssysteme weltweit radikal zu transformieren. Sie gibt dem Patienten die Kontrolle, aber auch die Verantwortung für seine Gesundheit zurück – ein wichtiger Schritt im Empowering des Patienten. Überfüllte Wartezimmer und überlastete Ärzte lassen in derzeitigen Gesundheitssystemen o_ keine Zeit für die dringend notwendigen, intensiven Patientengespräche – laut einer kürzlich veröffentlichten Studie unterbrechen Ärzte Patienten durchschnittlich nach elf Sekunden. Dabei wissen wir, dass im Zuhören der Schlüssel zur richtigen Diagnose liegt. Mit Ada kann der Patient jederzeit vom eigenen Handy aus seine Symptome beurteilen und überwachen – dadurch entsteht ein ganzheitliches Bild des Gesundheitszustandes des Patienten, das mit einzelnen Arztbesuchen, zwischen denen oftmals Monate liegen, nicht vergleichbar ist. Für das Arztgespräch bedeutet das mehr Zeit und Raum, eine neue Patienten- Arzt-Interaktion zu entwickeln. Der flächendeckende Einsatz von KI in der Medizin wird in Zukunft helfen, die richtigen Diagnosen früher zu stellen und auch seltene Erkrankungen rechtzeitig zu erkennen, was dazu führt, dass Patienten früher als bisher die richtige Therapie erhalten können. Zusammen mit der Automatisierung von repetitiven Prozessen in Kliniken können dadurch in Zukunft die Kosten im Gesundheitssystem gesenkt werden. Der Bedarf ist so hoch wie nie zuvor und es ist jetzt die Zeit, die Innovationen in die Anwendung zu bringen.