Eine Ode an die Demokratisierung der Robotik
Mit einem universellen Beriebssystem zum
industriellen Mainstream
Martin Wanitschke, Wandelbots
(Titelbild: © Adobestock | 824985572 | Alpha)
Kurz und Bündig
Robotik ist eines der Kernthemen der Automatisierung in der industriellen Produktion: wiederkehrende Tätigkeiten können relativ sicher und konstant ausgeführt werden. In der Praxis hat Robotik noch den Charakter von aufwendigen Individuallösungen. Die Zukunft ist, Roboter als Computer zu sehen: eine einheitliche und branchenübergreifende Programmiersprache, homogene Entwicklungstools und -umgebungen senken die Einstiegshürden für die Anwendung, erhöhen die Flexibilität und Attraktivität für junge Entwickelnde. Der App-Store für Roboter. Mehr als als Zukunftsmusik.
Die Einführung von Robotern in den Alltag wird seit Jahren prognostiziert, doch ihr Potenzial wird in der Industrie, insbesondere im Mittelstand, weitestgehend nicht ausgeschöpft. Hohe Betriebskosten, schwer verfügbare Expert:innen, fehlende Standardisierung und veraltete Programmiersprachen sind vier wesentliche Gründe dafür. Ein herstel-lerunabhängiges Betriebssystem kann diese Hürden überwinden und dafür sorgen, dass Roboter im Mainstream ankommen.
Seit Jahren prognostizieren Expert:innen den Einzug von Robotern in den Alltag. Humanoide Roboter meistern inzwischen Parcours-Strecken, die für Menschen schwer überwindbar scheinen. Dass Aufgaben wie Rasenmähen und Staubsaugen inzwischen von autonomen Geräten übernommen werden, ist Standard. Nur in der Industrie, insbesondere im Mittelstand, liegt die Robotik noch im Tiefschlaf und das Potenzial wird weitestgehend nicht ausgeschöpft. Warum? Dafür gibt es vier Gründe:
- Hohe Betriebskosten trotz gesunkener Anschaffungskosten: Über die Jahre sind die Anschaffungskosten für Roboter-Hardware gesunken. Dennoch folgen hohe Betriebskosten, etwa für die initiale Programmierung oder Anpassung von bestehenden Roboterprogrammen, sowie an sich verändernde Prozesse. Je kleiner die Losgröße, desto höher der Aufwand. In etwa entfallen 75 Prozent der sogenannten „Total Cost of Ownership“ für eine Roboterzelle auf operative Kosten wie zum Beispiel die Programmierung. Das macht Automatisierung vor allem für Firmen wirtschaftlich attraktiv, die – wie zum Beispiel die Automobilindustrie – typischerweise Low-Mix-High-Volume produzieren. Für den mittelständischen Schreinerbetrieb mit 30 Angestellten lässt sich so keine Rentabilität der hohen Investition erzielen.
- Knappheit an Programmierexpert:innen: Die Anzahl der weltweit verfügbaren Expert:innen für die Roboterprogrammierung ist verschwindend gering im Vergleich zur Gesamtzahl der Softwareentwickelnden. Von rund 27 Millionen Softwareentwickelnden verfügen nur etwa 0,2 Prozent über die notwendigen Fähigkeiten, Roboter zu programmieren. Nur große Firmen können solche Mitarbeitenden in ihren eigenen Reihen beschäftigen, was zur Folge hat, dass für jede Prozessanpassung Dienstleistende beauftragt werden müssen, die schwer verfügbar sind und am umkämpften Ressourcenmarkt ihre Tagessätze entsprechend justieren können.
- Fehlende Standardisierung der Programmiersprachen: Diese ca. 50.000 Roboter-expert:innen können längst nicht alle Robotertypen programmieren, da heute jeder Produzierende seine persönliche, proprietäre Programmiersprache verwendet. Es gibt heute keine Lösung, die es ermöglicht, herstellerübergreifende Software für Roboter zu entwickeln und breit auszurollen.
- Veraltete Programmiersprachen: Viele der in der Robotik verwendeten Programmiersprachen stammen aus den 90er-Jahren und sind teilweise bereits vor Jahren aus der Lehre verbannt worden. Diese veralteten Systeme sind nicht nur weniger effizient und leistungsfähig, sondern gleichzeitig weniger attraktiv für junge Softwareentwickelnde, die lieber mit modernen, innovativen Technologien arbeiten.
In den vergangenen Jahrzehnten lag der Fokus in den Bereichen Forschung und Entwicklung in weiten Teilen in der Weiterentwicklung von Roboterhardware. Präzisere Sensorik, größere Reichweiten, höhere Traglasten sind unter anderem die Ergebnisse. Die Software blieb dagegen weitestgehend unangetastet. Wenn doch einmal Aufwand in die Weiterentwicklung geflossen ist, dann homöopathisch und vor allem: herstellerspezifisch. Ein universelles Betriebssystem, das eine bedienerfreundliche User Experience und einfache Erweiterungsmöglichkeiten für individuelle Bedarfe durch die Anwender selbst vereint, kann dieses Potenzial heben und die Robotik endlich demokratisieren.
An Gründen, diese Barrieren aufzubrechen, mangelt es nicht. Neben der gewöhnlichen Motivation für die Einführung neuer Technologien – Steigerung der Effizienz oder Ertragserhöhung – hat die Automatisierung das Potenzial ein viel fundamentaleres Problem zu beheben: den Fortbestand eines Unternehmens. Der Großteil einer Volkswirtschaft wird durch mittelständische Betriebe erwirtschaftet, während genau da der Automatisierungsgrad noch im einstelligen Prozentbereich liegt.
Vielen dieser Unterhemen geht es nicht vorrangig darum, den letzten Prozentpunkt an Effizienz aus ihrer Firma herauszukitzeln, sondern teilweise über Generationen geführten Betrieben überhaupt eine Zukunft zu ermöglichen. Der demographische Wandel sorgt einerseits schon dafür, dass die Anzahl nachkommender Arbeitskräfte geringer ist, andererseits sind die Attraktivität des Jobs und die viel diskutierte Work-Life-Balance wichtige Kriterien, mit denen Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen neue Fachkräfte gewinnen. Anders ausgedrückt: Die Bereitschaft von Menschen, unter widrigen Bedingungen immer wieder dieselben Aufgaben auszuführen, ist gesunken. Der ländliche Tischlerbetrieb hat ähnliche Schwierigkeiten, neue Mitarbeitende zu finden, die acht Stunden am Tag exzellente Qualität beim Schleifen von Holz abliefern wie der Bäckereibetrieb, eifrige Gesellen die um 2:00 Uhr Nachts Teigrohlinge kneten, welche am frühen Morgen die Kundschaft glücklich und satt machen sollen.
Doch sind es genau diese wiederkehrenden Aufgaben, die sich mit heute verfügbarer Technologie schon ganz leicht automatisieren ließen. Der Bedarf dieser Firmen ist riesig, die Hürden mindestens ebenso hoch.
Bis Anfang der 90er-Jahre waren Computer meist Experten und Expertinnen aus der Wissenschaft oder dem Militär vorbehalten. „A Computer on every desk in every home“ war die Vision von Microsoft, das einen großen Teil dazu beigetragen hat, dass man im Jahr 2024 weltweit von ungefähr 2 Milliarden verwendeten Computern aller Couleur ausgeht. Zu dieser steilen Adaptionskurve über die letzten 30 Jahre haben inbesondere drei Paradigmen beigetragen:
- Grafische Benutzerschnittstelle: Als der Nutzer nach dem Einschalten des PCs mit einem schwarzen Bildschirm und einem weiß blinkenden Cursor erfreut wurde, war der Experte gefragt, der das Gerät mit kryptischen Kommandos dazu gebracht hat, eine Aufgabe zu erfüllen. Mit dem Einzug eines grafischen User Interface und einer Mouse konnte plötzlich jeder mit dem PC interagieren, Expertenkenntnisse waren für einfache Aufgaben wie die Textverarbeitung nicht mehr notwendig.
- Universelles Treiberkonzept: Einzelne Komponenten verschiedener Herstellender können durch mitgelieferte Treiber zu einem digitalen Arbeitsplatz miteinander verbunden werden. Ganz egal, für welchen Herstellenden eines Druckers sich ein Nutzer oder eine Nutzerin entscheidet, der Dialog zum Drucken einer Seite Text sieht weitestgehend gleich aus. Genauso verhält es sich mit den allermeisten anderen Peripheriegeräten – technologische Barrieren, die aus der Verwendung unterschiedlicher Komponenten von verschiedenen Firmen resultieren, sind auf ein Minimum reduziert und ermöglichen dadurch die Auswahl des für seinen jeweiligen Zweck idealen Peripheriegerätes.
- Entwicklertools und -umgebungen: Längst ist ein Nutzender eines PCs nicht mehr gezwungen, ausschließlich die Software zu verwenden, die der Produzent der Hardware mitliefert. Auf einem Laptop von Dell läuft die Bildbearbeitungssoftware von Adobe ebenso performant wie auf einem PC von Apple. Die Hardwareherstellenden haben sich dafür geöffnet, dass Drittanbieter ihre Software auf ihrer Technologie zum Laufen bringen. Dafür stellen sie Programmierenden die notwendigen Entwicklertools und -umgebungen zur Verfügung und – seit der Einführung von Appstores – sogar Distributionskanäle, über die selbst Privatpersonen eine riesige Anzahl potenzieller Kunden und Kundinnen für ihre eigens entwickelten Programme erreichen und diese monetarisieren können. So erreicht man eine Win-Win-Win-Situation.
Ein universelles Betriebssystem wird die genannten Barrieren aufbrechen, indem es eine standardisierte Plattform für die Programmierung und den Betrieb von Robotern bietet. Dies senkt nicht nur die Betriebskosten, sondern erhöht auch die Verfügbarkeit von Programmierern und könnte die Innovationskraft in der Branche stärken. Die Theorie ist einfach, der Beweis im Bereich der Personal Computer erbracht. Die Vorteile eines universellen Betriebssystems liegen auf der Hand.
Durch die Einführung einer einheitlichen Programmiersprache, angelehnt an existierende Standards können Programmierende ihre Fähigkeiten auf eine breite Palette von Robotern anwenden, unabhängig von der produzierenden Firma. Einsetzende Unternehmen können so aus einer Vielzahl von Hardware frei auswählen.Mittels Standardisierung können Unternehmen die Kosten für Programmanpassungen und Ausbildung von Expert:innen deutlich senken. Ein universelles Betriebssystem ermöglicht es, Software-Updates und Anpassungen zentral zu verwalten und auszurollen.
Darüber hinaus ziehen moderne, innovative Technologien junge Entwickelnde an, die die Robotikbranche mit neuen Ideen und Ansätzen bereichern werden. Dies führt langfristig zu mehr Innovationskraft und Fortschritt in der Robotik und für die Entwickelnden zu neuen Monetarisierungskanälen (man stelle sich nur einmal einen App-Store für Roboter vor).
Abschließend aufzuführen ist die erhöhte Verfügbarkeit von Expert:innen. Eine standardisierte Plattform senkt die Hürde für Entwickelnde, in der Robotik zu arbeiten, da sie weniger neue Fähigkeiten erlernen müssen. Dadurch könnte sich der Markt für Robotikexpert:innen erweitern und die Kosten für ihre Dienste würden sich automatisch senken.
Ohne ein universelles Betriebssystem mit einer exzellenten User Experience wird die Robotik nie den Durchbruch zum Mainstream schaffen können. Die hohen Betriebskosten, der Mangel an Expert:innen, die Fragmentierung der Programmiersprachen und die veralteten Technologien stellen derzeit unüberwindbare Hürden dar. Ein universelles Betriebssystem bietet die Chance, diese Barrieren abzubauen und wird die Robotik für eine viel größere Anzahl von Unternehmen und Anwendenden zugänglich machen. Auf diese Weise kann das volle Potenzial der Automatisierung ausgeschöpft und die Robotik endlich demokratisiert werden und messbar wirken.
Die Einführung eines solchen Systems wird durch die Zusammenarbeit und das Engagement von Herstellenden, Entwickelnden und politischen Entscheidungsträgern und -trägerinnen erleichtert. Wandelsbots hat bereits notwendige Schritte unternommen und ein solches Betriebssystem entwickelt und veröffentlicht (NOVA). Es ist an der Zeit, die Robotik aus dem Nischendasein zu befreien und sie zu einem integralen Bestandteil unseres Alltags und der Industrie zu machen. Nur dann werden wir in der Lage sein, die Vorteile der Robotik voll zu nutzen und eine Zukunft zu gestalten, in der Roboter uns bei der Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts unterstützen.