Hyperautomatisierung ist...
wenn die Dunkelfabrik sich selbst organisiert.
Christian Bennoit und Tobias Greff, August-Wilhelm Scheer Institut für digitale Produkte und Prozesse
(Titelbild: © AdobeStock | 931627259 | Oleh)
Kurz und Bündig
Hyperautomatisierte Fabriken sind die nächste Generation vollautomatisierter Fabriken nach „Dunkelfabriken“. In der Theorie steuern, überwachen und organisieren sie sich völlig selbstständig. Was bleibt sind die durch Menschen zu treffenden Entscheidungen. Zumeist sind diese strategischer Natur. Dabei sind die Optimierungsparameter zu definieren: Wieviel gewichtet die eigene Organisation ökologische, soziale, ökonomische, ethische, sicherheitstechnische oder datenschutztechnische Parameter? Doch bevor man hier nur noch dashboardzentriert steuert, muss dies in einem wertschöpfungskettenübergreifenden, intelligenten Netzwerk – einem steuerbaren, geteilten Datenraum – umgesetzt werden. Datenflüsse, Abhängigkeiten, intelligente Vertragskonstrukte und Prozesse müssen beschrieben werden. Hier setzt eine Referenzmodellierungsmethode für hyperautomatisierte Prozesse an, welche durch die Autoren entwickelt wurde und hier vorgestellt wird.
Es ist dunkel in der Produktionshalle, doch die Anlagen arbeiten auf Hochtouren: Sensoren blinken, Kompressoren brummen, Energieketten summen. Transportroboter bewegen sich autonom über den Hallenboden. Sie versorgen die Produktionslinien just-in-time mit Rohmaterial und transportieren Zwischenprodukte zur nächsten Station. Am Ende werden die fertigen Produkte automatisiert für den Versand verpackt. Die Schicht endet produktiv, die Kennzahlen bestätigen es. Ein autonomer Schichtwechsel steht bevor – doch wer kommt und wer geht?
Die Idee vollständig autonom agierender und somit hyperautomatisierter Produktionsstätten ist nicht neu. Trotzdem sind solche Konzepte auch heute oft noch Zukunftsmusik. Auch wenn diese hohe Potenziale versprechen, sind die Investitionen aufgrund der mangelnden Digitalisierung der Maschinenparks zumeist äußerst hoch [1, 2, 3]. In der Praxis sind sie daher selten und wenn, dann auch nur in abgeschwächter Ausprägung zu finden. So auch bei PAKIC GmbH in Elchingen: „Wir haben mit einigen Hürden zu kämpfen, versuchen aber stetig eine dritte, vollkommen personalfreie Schicht zu integrieren. Sinkende Losgrößen und nicht immer technisch umsetzbare, prozessindividuelle Tätigkeiten erschweren jedoch die Realisierung. „Derzeit haben wir ungefähr zwölf Prozent unserer Maschinen in einer Dunkelschicht“, sagt Belizer Pakic, CEO des Auftragsproduzierenden.
Herausforderungen auf dem Weg zur hyperautomatisierten Produktion
Bei der Realisierung hyperautomatisierter Fabriken ist eine der Kernherausforderungen, dass Störungen oder Verzögerungen aufgrund unvollständiger Informationen in relevanten Workflows immer ohne das direkte Eingreifen von Menschen gelöst werden müssen. Ziel ist es daher, diese Risiken zu minimieren und darüber hinaus den Maschinen eine autonome und selbstgesteuerte Produktion zu ermöglichen. Erreicht werden kann dies durch die Schaffung geteilter Datenräume und intelligenter Regeln [4].
Gestaltung geteilter Datenräume
Hieraus entsteht die Frage, wie dies umgesetzt werden kann. Zur Gestaltung von Modellierungsartefakten ziehen die Autoren ihre Erfahrungen aus dem Projekt Factory-X. Das Projekt wird gefördert durch die Europäische Union und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Unter der Leitung von Siemens und SAP zielt das Projekt, bestehend aus 47 Partner:innen, darauf ab, den Produktionsstandort Deutschland zu einem der intelligentesten und fortschrittlichsten der gesamten Branche zu machen. Beteiligt sind einige der wichtigsten Firmen der Software-, Fabrikausrüster- und Fabrikbetreibendenbranche. Neben Siemens und SAP zählen hierzu unter anderem DMG Mori, Trumpf, Uhlmann, Festo, Igus, Berger, PAKIC, RIF, Fraunhofer IOSB, LNI 4.0, Scheer und das August-Wilhelm Scheer Institut für digitale Produkte und Prozesse [5]. Im Projekt wird die Basis für die Schaffung zukunftsfähiger Hyperautomatisierter Fabriken erforscht und in beispielhaften einzelnen Ansätzen prototypisch konzipiert und validiert.
Die Autoren haben in Abbildung 1 eine Vielzahl an Anforderungen und Rahmenbedingungen zusammengestellt. Zur Realisierung einer Hyperautomatisierten Fabrik benötigt es also vernetzte Software-, Hardware- und organisationsintegrierte Assets – meint materielle und immaterielle adressierbare Güter wie bspw. Maschinen oder Zertifikate – und das nicht nur innerhalb der eigenen Firma, sondern über die gesamte Lieferketten hinweg. Dies ist jedoch äußerst anspruchsvoll. Es benötigt daher Hilfsinstrumente, welche die komplexen Vernetzungen und Anforderungen für alle Akteur:innen – fachlich als auch technisch – in der Realisierung einer Hyperautomatisierten Fabrik verständlich und vereinfacht abbilden. Dies wird in Form von BPMN Referenzmodellen, die um spezielle Artefakte erweitert werden, ermöglicht [6].
Kernelement der BPMN-Referenzmodelle ist die Modellierung von Geschäftsprozessen zwischen den beteiligten Endkunden und -kundinnen, Fabrikbetreibenden, Maschinenherstellenden und Komponentenherstellenden. Dies erfolgt in für BPMN typischen Sichten (sogenannten Lanes). So werden Modelle aus jeder Sicht der Rollen erstellt. Ein Beispiel ist ein Referenzmodell für Fabrikbetreibende oder ein Referenzmodell für einen Komponentenherstellenden in einem der im Projekt realisierten Nutzungsszenarien. Jede der aggregierten Sichten repräsentiert eine Gruppe von Partner:innen sowie deren gebündelte Ansprüche und Anforderungen an ein offenes, kollaboratives und intelligentes Datenökosystem.
Erkenntnisse zur Modellierung von Diensten in geteilten Datenräumen
Im Rahmen der Ist-Aufnahmen mit circa zehn Partner:innen hat sich gezeigt, dass insbesondere drei zusätzliche Modellartefakte von hoher Relevanz und somit von hohem Mehrwert für die Strukturierung der Modelle sind.
Es braucht 1) einen Authentifizierungsdienst zwischen allen Akteur:innen und Assets, der gleichzeitig den Zweck der Kontaktaufnahme kommuniziert, 2) direkt nutzbare, möglichst vollumfängliche Standards zur Assetbeschreibung, um fallbasierte Entscheidungen vollumfänglich abbilden zu können und 3) digital abgebildete Vertragsmodelle zwischen den Parteien, optimalerweise als mindestens teilautomatisierte smarte Verträge. Denn erst dadurch wird die vollautomatisierte Bearbeitung von wertschöpfungs- und lieferkettenübergreifenden Prozessen in höchstem Maß effizient. Insbesondere durch die daraus resultierende Möglichkeit vollautomatisierte Entscheidungen unter Prämissen zu treffen, die im Vorfeld klar definiert wurden. Abbildung 2 verdeutlicht, wie die drei Artefakte die Geschäftsprozesse stark vereinfacht hierarchisieren, selbst wenn diese verzweigt, voneinander abhängig und komplex sind, jedoch handhabbar bleiben.
Modellierungsartefakte für übergreifende Datenräume als Software nutzen
Hier setzen die Arbeiten des August-Wilhelm Scheer Instituts für digitale Produkte und Prozesse in Zusammenarbeit mit der Scheer GmbH an: Im Rahmen des Projektes entwickeln beide gemeinsam für mehrere der Szenarien im Projekt anwendungsorientierte Referenzarchitektursprachen. Diese bilden in einer eigens entwickelten, BPMN-basierten Notation, die von den Projektpartner:innen aufgenommenen Anforderungen, zur Darstellung solcher lieferkettenübergreifender Workflows ab. Zu nennen ist hier die Einbindung zentraler im Projekt geplanter Authentifizierungsdienste, die Integration von Standards in konkreter Form von AAS-Referenzen zum Speichern und Austauschen sämtlicher Produktionsdaten und wertschöpfungsübergreifende Kollaborationseintragsoptionen in Form von smarten Verträgen. All das hilft die Verwendung von partner:innenübergreifenden Datenräumen als föderiertes, interoperables und datensouveränes System zu realisieren.
Prozessbasierte Modelle als Grundlage für Hyperautomatisierung
Softwarebasierte Modelle der Datenraumdienste ermöglichen prozessgestützte Ansätze für eine ressourcenschonende Umsetzung wertschöpfungsübergreifender Datenräume und -applikationen sowie die Integration neuester Technologien. Dies bildet die Grundlage für Hyperautomatisierte Fabriken und vereinfacht die Umsetzung trotz der hohen Komplexität. Auch die Erweiterung der Modellartefakte um Dienste zur Identifikation von Automatisierungspotenzialen durch generative Prozessmodellierungsassistenten ist theoretisch möglich und wird in der nächsten Ausbaustufe der Tools eingebunden [7].
Sind solche prozessbasierten Modelle vorhanden, kann die darauf aufbauende Entwicklung von Softwarediensten für hyperautomatisierte Produktionshallen und für sich selbst verwaltende Maschinenparks in geteilten Datenräumen verstanden und effizient umgesetzt werden. Realisiert wurde die toolseitige Modellierung als Basis der Softwareentwicklung durch den Scheer PAS Business Modeler, welcher als Software um diese Artefakte erweitert wurde. Durch die Option des Umgangs mit der multimodalen Komplexität wird es möglich, neben ökonomischen Parametern auch ökologische, soziale, ethische, sicherheits- und datenschutztechnische zu berücksichtigen [8].
Förderhinweis:
Die Arbeiten erfolgten zu Teilen im Rahmen des Förderprojektes Factory-X (Förderkennzeichen 13MX001ZY), das von der Europäischen Union und dem deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert wird.