„Ich bin überzeugt davon, dass ein erfolgreicher Turnaround möglich ist“
August-Wilhelm Scheer im Gespräch mit Irmhild Plaetrich, IM+io

(Titelbild: Adobe Stock | 925813581 | merida)
Kurz und Bündig
Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer sieht durchaus Chancen für eine erfolgreiche Transformation der deutschen Automobilindustrie. Gefragt ist die Innovationskraft von Automobilherstellern und Zulieferern. Dabei spielt die Digitalisierung eine zentrale Rolle im Strukturwandel. Unternehmen müssen sich zu Softwareunternehmen mit klarem Fokus auf E-Mobilität entwickeln. Gleichzeitig muss die Entwicklung anderer Technologien wie Wasserstoff mit E-Fuels verfolgt werden, um mögliche Innovationssprünge nicht zu verpassen.
Insgesamt sind derzeit über 2 Millionen Menschen in der Automobilwirtschaft in Deutschland beschäftigt, das sind etwa 7 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze. Aktuell steht die Branche vor enormen Herausforderungen, um den Anschluss an die E-Mobilität nicht zu verlieren. Starke Konkurrenz kommt unter anderem aus China, das nicht nur seinen eigenen Markt erobert, sondern auch europäische Märkte erfolgreich bearbeitet. Über Gründe, Chancen und Risiken der Transformation der deutschen Automobilbranche haben wir mit Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer gesprochen.
IM+io: Die Wirtschaftsdaten aus der deutschen Automobilindustrie zeigen deutlich, dass die Transformation hin zur E-Mobilität zu spät und zu zögerlich in Angriff genommen wurde. Hat sich die Branche im Innovators Dilemma verfangen – ganz nach dem Prinzip „unsere Verbrenner sind Marktführer, warum sollten wir etwas verändern?“
AWS: In den Zehner-Jahren dieses Jahrhunderts war das durchaus der Fall. Teslas Versuche, den E-Auto Markt von den USA aus aufzurollen und auch die chinesischen Ansätze, auf E-Mobilität zu setzen, wurden eher belächelt. Übersehen wurde dabei, dass sowohl Elon Musk als auch die chinesischen Produzenten nicht versuchen mussten, ein etabliertes Gefährt auf E-Mobilität umzustellen, sondern bei null angefangen haben. Man hat das Autoprojekt direkt als E-mobiles Gefährt aufgesetzt und durchdacht. Weder Tesla noch BYD mussten mehrgleisig denken – den Verbrenner optimieren, den Markenwert hochhalten und gleichzeitig E-Autos konzipieren. So war der Weg frei zu mutigen Innovationen, verbunden mit dem Mut, Fehler zu machen, aus denen man dann wieder gelernt hat – das ist die klassische Start-up Mentalität, die Innovation erleichtert. Außerdem hat man sich bei den deutschen Premiummarken wohl darauf verlassen, dass edle Verbrenner auch künftig das obere Preissegment beherrschen werden.
IM+io: Hat diese Einstellung auch dazu geführt, dass man es in Deutschland beim nun laufenden, schrittweisen Umbau auf E-Mobilität verpasst hat, preiswerte Autos für den Normalbürger anzubieten? In diese Lücke stoßen nun Unternehmen wie BYD aus China sehr erfolgreich.
AWS: Die Umstellung auf E-Mobilität ist mit sehr hohen Kosten verbunden. Rein betriebswirtschaftlich lag es also nahe, dort zu investieren, wo hohe Preise auch realisierbar sind, in der Luxusklasse. Unterdessen hat man aber durchaus erkannt, dass die Entwicklung in die Breite gehen muss. Das Premiumsegment wird eben nicht mehr nur von der deutschen Automobilindustrie beherrscht.
IM+io: Die deutsche Automobilindustrie hat sich schon mehrfach erfolgreich durch Krisen gearbeitet, aber derzeit handelt es sich um einen so wesentlichen Strukturwandel, dass dieser große Ängste auslöst…
AWS: Wir erleben ganz sicher einen tiefgreifenden Strukturwandel, der durch die notwendige Transformation zur Elektromobilität, die Digitalisierung und die zunehmende Automatisierung geprägt ist. Verunsicherung entsteht insbesondere dadurch, dass viele Geschäftsmodelle in der traditionellen Zulieferindustrie nicht mehr funktionieren und eine Vielzahl von Arbeitsplätzen bedroht ist. Die gesamte Beschäftigungslandschaft wandelt sich durch die Umstellung vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb. Während Arbeitsplätze in Motorproduktion und Metallbearbeitung wegfallen, braucht man mehr Fachkräfte in Bereichen wie Softwareentwicklung, Batterietechnologie und Elektronik. Entscheidend wird sein, ob und wie man sich dieser radikalen Transformation stellt.
IM+io: Wo sehen Sie die Chancen, die sich aus dem radikalen Umbruch ergeben können?
AWS: Gefragt ist die Innovationskraft von Automobilherstellern und Zulieferern. Die Entwicklung neuer Technologien und Geschäftsmodelle im Bereich der Elektromobilität und des autonomen Fahrens kann andere, neue Wachstumsimpulse generieren und auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wieder zurückerobern. Die Digitalisierung spielt eine zentrale Rolle im Strukturwandel der Automobilindustrie. Neue digitale Technologien verändern nicht nur die Produktionsprozesse, sondern auch die Geschäftsmodelle. Die Entwicklung von Software und digitalen Dienstleistungen gewinnt an großer Bedeutung. Unternehmen müssen sich zu Softwareunternehmen entwickeln.
Wir brauchen massive Investitionen in Batterietechnologie, Software und auch in den Bereich autonomes Fahren. Die Integration von Zulieferern in den Innovationsprozess wird ebenfalls zum erfolgskritischen Faktor. Als wichtig und richtig hat sich auch der Abschluss strategischer Partnerschaften im Sinne von Kooperationen mit Technologiefirmen und Tech Start-ups erwiesen. Spannend wird zum Beispiel sein, wie Volkswagen von der kürzlich eingegangenen Partnerschaft mit dem US-amerikanischen E-Autobauer Rivian profitieren wird. VW setzt da auf die technologische Expertise und Softwarekompetenz des amerikanischen Unternehmens.
Ich bin überzeugt davon, dass ein erfolgreicher Turnaround möglich ist. Er erfordert eine erhebliche Transformation und strategische Weichenstellungen in einer sich ständig verändernden globalen Automobilwelt.
IM+io: st die sich rasant wandelnde Automobilwelt nicht eine weitere Bedrohung für Deutschlands Transformation? Rennen wir nicht ständig hinterher, während andere den nächsten Innovationssprung wagen?
AWS: Ich fahre seit rund 10 Jahren einen S-Tesla. Mich hat damals fasziniert, dass das Mobilitäts- und Kommunikationskonzept des Autos durchgehend von innovativer Software bestimmt war. Über die Jahre hat Tesla dann auch einen echten Boom erfahren, man hat sich über die Zeitachse zudem erfolgreich der Herausforderung der Massenproduktion gestellt. Und dennoch scheinen jetzt die Zeiten vorbei zu sein, in denen Tesla der unangefochtene Premiumstandard der E-Mobilität war. Die Verkaufszahlen gehen deutlich zurück, heute versucht Tesla mit hohen Rabatten den Abschwung zu verlangsamen. In China ging in nur zwei Jahren der Marktanteil im E-Auto-Segment um mehr als die Hälfte zurück. Tesla ist in diesem großen Markt auf Platz 5 nur noch ein Anbieter unter vielen – abgehängt von einheimischen Herstellern wie BYD, Geely, Chery oder Changan.
Insgesamt schien Tesla lange Zeit mit seiner Innovationskraft gerade für etablierte Autokonzerne uneinholbar zu sein. Doch eben diese Innovationskraft schwächelt, es fehlen neue überzeugende Modelle und Ideen. Auch werden zunehmend Klagen laut, was das Qualitätsmanagement des Herstellers betrifft. Diese Entwicklung zeigt, dass auch auf dem Markt der E-Mobilität nichts in Stein gemeißelt ist. Viele Player mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen ringen um Marktanteile, und noch ist hier nichts entschieden. Die deutsche Automobilindustrie hat, wie schon erwähnt, den Nachteil, nicht wie ein Start-up iterativ und mit Fehlertoleranz agieren zu können, man erwartet von Anfang an perfekte Autos. Auch bestehen viele veraltete Fabriken mit entsprechend veralteten Technologien. Dies macht es umso notwendiger, sich von Doppelstrategien mit Verbrennern und E-Autos zu lösen, hin zum strategischen Fokus auf die E-Mobilität, die eindeutig softwaredominiert ist. Auch Vertriebsstrategien müssen hin zum Direktvertrieb modernisiert werden. Trotz der Festlegung auf die Elektrostrategie muss natürlich die Entwicklung anderer Technologien wie Wasserstoff mit E-Fuels verfolgt werden. Schließlich wurde am Anfang des vorigen Jahrhunderts schon einmal der Elektromotor bevorzugt und dann vom Verbrenner verdrängt. Da die Zukunft unsicher ist, hilft nur die Einstellung, für alle neue Entwicklungen offen zu sein, gleichzeitig aber einen klaren Kurs zu verfolgen. Dafür benötigt man die passenden Manager. An ihnen liegt es am Ende, ob die Transformation gelingt.
Wird man in Deutschland mit Umsicht dem Transformations- und Innovationsdruck gerecht, haben auch unsere Hersteller gute Chancen, im Automotive Markt wieder wettbewerbsfähig zu agieren.