Den Weg erkennen:
Autonomes Fahren neu gedacht
Alexander Wischnewski, driveblocks im Gespräch mit Milena Milivojevic, IM+io

(Titelbild: ©Adobe Stock | 956974364 | Andrii)
Kurz und Bündig
Autonomes Fahren entwickelt sich rasant weiter – mit Technologien, die auf Echtzeit-Sensordaten statt vorab erstellte Karten setzen. Diese Ansätze reduzieren nicht nur Kosten, sondern schaffen Flexibilität in dynamischen Umgebungen wie Logistikzentren. Automatisierung adressiert zudem drängende Herausforderungen wie Fachkräftemangel und steigende Betriebskosten. Im Fokus stehen auch Nachhaltigkeit und neue Geschäftsmodelle, die langfristige Effizienz und Klimaschutz vereinen.
In einer Welt, in der autonome Systeme zunehmend Realität werden, revolutionieren innovative Technologien die Art und Weise, wie wir Mobilität und Logistik verstehen. Autonomes Fahren ist mehr als nur eine Zukunftsvision: Technologien, die Fahrer:innen entlasten und Fahrzeuge auf privaten sowie industriellen Flächen autonom navigieren lassen, sind längst Realität. Wie beeinflussen diese Technologien die Effizienz, Sicherheit und Nachhaltigkeit im Transportwesen – und wo sind die größten Herausforderungen?
IM+io: Können Sie kurz vorstellen und erklären, was driveblocks genau macht?
AW: Unser Unternehmen wurde 2021 gegründet, nach meiner Promotion an der TUM im Bereich autonomes Fahren. Wir haben uns auf hochautomatisiertes Fahren spezialisiert, insbesondere auf Anwendungen in der Logistikbranche und in industriellen Szenarien. Driveblocks entwickelt Softwarelösungen und KI-Modelle, die es ermöglichen, Fahrzeuge fahrerlos zu betreiben.
Unser Schwerpunkt liegt auf der Umfelderkennung, der Objekterkennung und der Sensorfusion. Das bedeutet, wir kombinieren die Daten verschiedener Sensoren wie Kameras und Laserscanner, um ein präzises Bild der Umgebung zu erstellen. Unser Ziel ist es, komplexe Aufgaben wie das Navigieren durch dynamische Umgebungen zu lösen – und das zuverlässig und sicher. Dabei arbeiten wir eng mit Hersteller:innen von Nutzfahrzeugen, mobilen Arbeitsmaschinen und Baumaschinen zusammen, um unsere Technologie in die Praxis zu bringen.
IM+io: Was unterscheidet Ihre „Mapless Autonomy“-Plattform von anderen Lösungen?
AW: Traditionelle Systeme für autonomes Fahren setzen oft auf hochauflösende Karten, die vorab erstellt werden müssen. Das bedeutet, das Fahrzeug benötigt ein detailliertes, dreidimensionales Abbild des Betriebs- oder Einsatzgeländes. Dieses Verfahren hat jedoch klare Nachteile: Es ist teuer, zeitaufwendig und unflexibel, besonders in dynamischen Umgebungen wie Logistikzentren, wo sich Container, Paletten oder Fahrzeuge häufig bewegen. Unsere „Mapless Autonomy“-Plattform verfolgt einen anderen Ansatz. Wir erstellen die Karte nicht vorab, sondern in Echtzeit. Das Fahrzeug scannt und analysiert seine Umgebung kontinuierlich mithilfe von Kameras und Laserscannern. Dadurch entfällt der Bedarf, das Gelände vorher manuell zu kartieren, was enorme Kosten und Zeit spart. Ein weiterer Vorteil ist die Flexibilität: Wenn sich die Umgebung verändert – etwa durch Baustellen, neue Containerstellungen oder andere Hindernisse – reagiert unser System sofort. Es ist nicht an veraltete Karten gebunden. Dies ist besonders in industriellen Anwendungen von großer Bedeutung, wo die Bedingungen oft unvorhersehbar sind.
IM+io: Können Sie genauer auf die technische Funktionsweise der Mapless Autonomy-Plattform eingehen?
AW: Technisch gesehen kombinieren wir verschiedene Sensoren wie Kameras, Laserscanner (LiDAR) und Radar in einem Sensorfusionssystem, das die Umgebung in Echtzeit analysiert. Jeder dieser Sensoren liefert spezifische Informationen. Diese Sensordaten werden in unserem KI-gestützten System zusammengeführt und verarbeitet, um ein detailliertes und dynamisches Modell der Umgebung zu erstellen. Ein zentraler technischer Aspekt ist das Decision Making. Dieser Layer analysiert kontinuierlich die Daten aus der Sensorfusion und trifft auf dieser Basis präzise Entscheidungen zur Fahrzeugsteuerung, beispielsweise bei Spurwechseln oder Hindernisvermeidung. Zusätzlich wurde die Plattform als Sicherheitslayer konzipiert, der bestehende autonome Systeme ergänzt. Das bedeutet, sie kann in Situationen einspringen, in denen HD-Kartenbasierte Systeme unzuverlässig oder unbrauchbar sind.
IM+io: hr Projekt mit „TIER IV“ testet seit 2024 autonome Lkw auf Japans Autobahnen, um den Fahrer:innenmangel in der Frachtindustrie zu lösen. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht, und wie unterscheidet sich der Ansatz in Japan im Vergleich zu Deutschland, insbesondere in Bezug auf die Förderung und Umsetzung autonomer Technologien?
AW: Wir arbeiten in diesem Rahmen mit unserem Projektpartner TIER IV zusammen und unterstützen ihn bei der Integration unserer Plattform. Konkrete Ergebnisse des Projekts können wir derzeit nicht öffentlich teilen, doch es zeigt, wie wichtig Japan als Markt für solche Technologien ist. Japan zeichnet sich durch eine starke Innovationskraft und einen hohen Grad an Automatisierung aus. Ein treibender Faktor ist der demografische Wandel: Ähnlich wie in Deutschland wird die Bevölkerung älter, und die Verfügbarkeit von Arbeitskräften sinkt. Die japanische Regierung und die Industrie reagieren darauf proaktiv mit gezielten Investitionen in Automatisierung und Robotik. Im Gegensatz zu Deutschland sind in Japan die Umsetzung von Pilotprojekten und der Übergang in die Praxis oft schneller und strukturierter.
In Deutschland gibt es viele vielversprechende Förderprojekte, jedoch sind diese oft klein und fragmentiert. Es gibt zahlreiche Universitäts- oder Demonstrationsprojekte mit ein oder zwei Fahrzeugen, aber selten groß angelegte Initiativen. Japan hingegen setzt auf langfristigere Strategien und eine klar strukturierte öffentliche Beschaffung, was Unternehmen mehr Planungssicherheit gibt. In Deutschland könnten wir von dieser Konsequenz lernen, um unsere eigenen Innovationsprozesse zu beschleunigen und autonomes Fahren schneller in die Breite zu bringen.
IM+io: Sicherheit ist auch ein zentrales Thema. Wie gewährleisten Sie, dass Ihre Systeme zuverlässig und sicher sind?
AW: Wir setzen auf mehrere Sicherheitsmechanismen, die ineinandergreifen. Erstens verwenden wir eine Kombination aus Kameras und Laserscannern, um Redundanz zu schaffen. Jede dieser Technologien hat ihre eigenen Stärken und Schwächen – durch die Kombination gleichen wir das aus und stellen sicher, dass das Fahrzeug selbst bei einem Ausfall eines Sensors weiterhin sicher operieren kann.
Zweitens haben wir unser KI-System in mehrere Teilsysteme zerlegt. Jedes dieser Teilsysteme arbeitet unabhängig und analysiert einen bestimmten Aspekt der Umgebung. Die Ergebnisse dieser Systeme werden anschließend in einem Fusionsansatz zusammengeführt. Das sorgt für zusätzliche Zuverlässigkeit, da die Entscheidungen nicht auf einem einzigen System basieren.
Darüber hinaus orientieren wir uns eng an geltenden Normen und Standards, um sicherzustellen, dass unsere Technologie den höchsten Sicherheitsanforderungen entspricht. Wir führen regelmäßige Tests und Simulationen durch, um die Zuverlässigkeit unserer Systeme zu gewährleisten. Wir analysieren zudem Daten aus realen Fahrsituationen und simulierten Extremszenarien, um mögliche Schwachstellen frühzeitig zu erkennen und zu beheben. Zusätzlich arbeiten wir mit externen Prüfinstituten zusammen. So stellen wir sicher, dass unsere Technologien nicht nur den aktuellen, sondern auch zukünftigen Sicherheitsstandards entsprechen.
IM+io: Arbeiten Sie mit Lkw-Herstellenden zusammen, um den Einbau zu optimieren?
AW: Wir liefern die Software und die KI-Modelle, die dann in die Fahrzeuge integriert werden. Die Hersteller:innen haben dabei die Flexibilität, zu entscheiden, welche Sensoren sie verwenden, wo diese angebracht werden und welche Computer eingesetzt werden. Es handelt sich also um eine Partnerschaft, bei der wir die Technologie bereitstellen und die Hersteller:innen sie an ihre spezifischen Anforderungen anpassen. Gleichzeitig unterstützen wir sie dabei, die Sicherheitsanforderungen zu erfüllen und die Systeme effizient in ihre Produktions- und Entwicklungsprozesse zu integrieren.
IM+io: Manche sagen, autonome Fahrzeuge könnten Arbeitsplätze im Transportbereich gefährden. Was sagen Sie dazu, und welche Rolle nimmt driveblocks dabei ein?
AW: Diese Sorge ist verständlich, aber wir sehen Automatisierung nicht als Ersatz für Arbeitsplätze, sondern als Chance zur Transformation. Statt selbst auf einer Maschine zu sitzen, können Mitarbeiter:innen künftig mehrere Fahrzeuge überwachen und koordinieren. Das verändert die Rolle hin zu einer koordinierenden Tätigkeit und macht die Arbeit produktiver. In Branchen wie Logistik oder Landwirtschaft, wo Fachkräftemangel ein großes Problem ist, entlastet Automatisierung die Belegschaft und steigert die Effizienz. Dabei ist uns wichtig, das Fachwissen der Mitarbeiter:innen einzubinden.
IM+io: Welche Rolle spielen Kosten bei der Entwicklung und Implementierung autonomer Technologien, und wie wirkt sich das auf Unternehmen und Endverbrauchende aus?
AW: Kosten spielen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung autonomer Technologien, da hohe Investitionen nötig sind, oft im Millionenbereich. Unternehmen profitieren von Einsparungen von bis zu 50 Prozent durch geringere Personalkosten und effizienteren Maschineneinsatz, besonders in Branchen wie Logistik und Landwirtschaft. Für Endverbrauchende ist die Einführung ein langsamer Prozess, da hohe Implementierungskosten bestehen. Skalierung, Wartung und regelmäßige Updates sind entscheidend, wobei zukünftig Abonnement- oder Pay-per-Use-Modelle möglich sind. Letztendlich betrachten wir Automatisierung nicht nur als Möglichkeit, Kosten zu senken, sondern auch als Hebel, um die Produktivität zu steigern und steigende Betriebskosten langfristig zu bewältigen.
IM+io: Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei driveblocks, und wie wird daran gearbeitet?
AW: Nachhaltigkeit ist ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit. Automatisierte Fahrzeuge können durch gleichmäßigeres und defensiveres Fahren substanziell weniger Energie verbrauchen. Das ist ein erheblicher Vorteil, insbesondere bei Flotten mit vielen Fahrzeugen.
Zusätzlich arbeiten wir intensiv daran, unsere KI-Modelle energieeffizient zu gestalten. Das betrifft sowohl die Hardware in den Fahrzeugen als auch das Training der Modelle in Rechenzentren. Gerade in einer Zeit, in der der Energiebedarf durch Elektrofahrzeuge, KI und andere Technologien stetig steigt, ist es entscheidend, Ressourcen effizient zu nutzen.
IM+io: Wie sehen Sie die Zukunft des autonomen Fahrens mittel- und langfristig?
AW: Autonomes Fahren wird schrittweise eingeführt, zunächst in kontrollierten Umgebungen wie Logistikzentren, Baustellen und landwirtschaftlichen Betrieben. Langfristig könnten autonome Fahrzeuge auch den öffentlichen Nahverkehr oder ländliche Regionen besser erschließen. Für private Nutzer:innen bleibt die Technologie jedoch vorerst ein Nischenthema, während die Industrie und der öffentliche Verkehr in den nächsten Jahrzehnten die größten Fortschritte machen werden.