„Wir sagen der Politik, was die Menschen denken und fühlen.“
Im Gespräch mit Frank Schneider, BEE STATISTICS
(Titelbild: © Bee Statics)
Kurz und Bündig
Das Start-up BEE STATISTICS hat eine klare Mission: Regierende und Regierte sollen durch zielgenaue Analysen von Wahlen und Umfragen zur politischen Willensbildung im Social-Web näher zusammengebracht werden. Man versteht sich als Bindeglied zwischen Wählenden und Politik. Unter dem Stichwort „datengetriebene Politikberatung“ vereint BEE STATISTICS klassische statistische Analysen von kleinräumigen Wahlergebnissen mit modernen Methoden des Social-Media- Monitorings und der Sentimentanalyse.
Das Start-up BEE STATISTICS hat sich vorgenommen, Wahlkämpfen und Wähleranalysen eine neue Basis zu geben – über unbestechliche Daten und daraus erwachsenden Erkenntnissen. Der gezielte Einsatz der passenden Wahlkampfmaßnahme am richtigen Ort soll die Erfolgschancen einer Kampagne deutlich erhöhen. Ob ein solches Geschäftsmodell trägt und wo sich Akzeptanzfragen stellen, haben wir im Gespräch mit Gründer und CEO Frank Schneider erfahren.
Herr Schneider, worin genau besteht Ihr Angebot für politische Parteien und Funktionsträger?
FS: Unsere Mission ist es, die Politik fit für das 21. Jahrhundert zu machen und Wählende und Gewählte wieder zusammenzubringen. Unser Angebot besteht darin, konkrete Handlungsempfehlungen für die politische Arbeit und den Wahlkampf auszusprechen.
Das Besondere an unseren Handlungsempfehlungen ist, dass diese auf der Grundlage professioneller Datenanalysen entwickelt werden. Unsere Kundinnen und Kunden erhalten konkret ausformulierte Handlungsempfehlungen, die direkt in die Tat umgesetzt werden können. Dabei greifen wir sowohl auf Vergangenheitsdaten wie Wahlergebnisse als auch auf Echtzeitdaten zurück. Diese erhalten wir zum Beispiel durch Social Media und Sentimentanalyse.
Wie muss man sich Ihre Datenanalysen vorstellen? Welche Rolle spielt dabei KI?
FS: Gemeinsam mit der Hochschule Bochum und dem Bochumer Institut für Technologie haben wir bei der Entwicklung unserer Datenanalysen auf zwei Säulen gesetzt.
Bei Säule eins analysieren wir ausschließlich auf der Basis öffentlich zugänglicher Vergangenheitsdaten, wie etwa Wahlergebnisse. Diese Daten werden von unseren Algorithmen vollständig automatisiert verarbeitet. Dabei berechnen wir verschiedene Kennzahlen, wie beispielsweise die Parteiaffinität. Diese Kennzahl erklärt, welche grundsätzliche politische Ausrichtung die Wählenden in diesem Gebiet haben. Unabhängig von den aufgestellten Kandidierenden oder aktuellen Themen. Das Anhänger- Mobilisierungspotenzial zeigt auf, welche Parteien ihre Wählenden mobilisieren konnten und welche Lager momentan lieber zu Hause bleiben. Die Interpretation dieser Kennzahlen – vor allem in Kombination miteinander – ermöglicht es unserem System, ausformulierte Handlungsempfehlungen abzuleiten.
So wissen wir etwa, dass in einem Wahlbezirk mit einer hohen Parteiaffinität und einem hohen Anhänger-Mobilisierungspotenzial ein reiner Mobilisierungswahlkampf kurz vor der Wahl erfolgsversprechend ist. Die Wählenden sind in diesen Gebieten durchaus politisch festgelegt. In Gebieten mit einer geringen Parteiaffinität für die eigene Partei kann ein Mobilisierungswahlkampf hingegen schädlich sein. Im schlimmsten Fall mobilisiere ich Wählende anderer politischer Gesinnungen.
In diesen Gebieten ist es also sehr wichtig herauszufinden, welche Themen die Wählenden beschäftigen, worüber sich die Menschen hier Sorgen machen und was ist Ihnen wichtig erscheint? Erst nachdem ich zu diesen Themengebieten inhaltliche Angebote und Lösungen vorgeschlagen und besprochen habe, sollten beziehungsweise können die Menschen hier auch wieder mobilisiert werden. Der ganze Prozess wurde im Rahmen des Forschungsprojekts von uns automatisiert. Eine KI ist in dieser Säule jedoch nicht notwendig.
So fanden wir etwa für die Landtagswahl 2019 in Sachsen eine Korrelation zwischen dem Anteil an zugelassenen Dieselfahrzeugen (Euro 1-5) mit dem Zweitstimmenergebnis der AfD in den einzelnen Wahlkreisen. Diese Analyseergebnisse zeigen lediglich eine Korrelation, es muss nicht zwingend auch eine Kausalität dahinterstecken. Die Vermutung drängt sich jedoch auf, dass die AfD – die sich vehement immer wieder für „die Rettung des Diesels“ ausgesprochen hat und in der Vergangenheit auch entsprechende Kampagnen dazu auflegte – mit ihrer Strategie Erfolg hatte, also vom sogenannten Dieselskandal profitieren konnte. Für die politischen Gegner der AfD wäre hier also die klare Empfehlung gewesen, dieses Thema zu besetzen, Lösungen für die Sorgen der Menschen anzubieten und sich nicht ausschließlich auf die Mobilisierung der eigenen Anhänger und Anhängerinnen oder den „Kampf gegen rechts“ zu verlassen.
Bei der zweiten Säule wird es etwas abstrakter. Obwohl aus den Vergangenheitsdaten bereits exzellente Ableitungen getroffen wurden und nach wie vor werden, liegt unser Fokus auch auf der Analyse von Echtzeitdaten.
Noch nie wurde so viel über Politik gesprochen wie heutzutage. Unsere digitalen Marktplätze, also die sozialen Medien, sind voll von kleinen Meinungsäußerungen und politischen Statements. Diese bieten eine hervorragende Datengrundlage. Denn die Menschen äußern ihre Meinung hier freiwillig und öffentlich, ohne dass sie durch eine Befragung oder andere Aktionen dazu aufgefordert werden müssen. Jedoch sind diese Daten schwer zu erfassen, unübersichtlich und häufig einseitig.
Wir aber haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Meinungen der Wählenden an die Politik heranzutragen. Dabei ist uns sehr wichtig, dass wir ausschließlich allgemeine und anonymisierte Daten analysieren. An keiner Stelle ziehen wir Rückschlüsse auf das Individuum. Das ist uns sehr wichtig zu betonen. Denn nicht selten hören wir bei der Vorstellung unseres Produkts „ach, das ist sowas, wie Cambridge Analytics es gemacht haben“. Nein, ist es nicht. Wir sammeln Meinungsäußerungen. Mit Hilfe von Sentimentanalysen, also der Auswertung von Texten mit dem Ziel, eine geäußerte Haltung als positiv oder negativ zu erkennen, und diesen Meinungsäußerungen bestimmten Bewertungen zuzuordnen. Eine korrekte und brauchbare Bewertung zu implementieren, ist im deutschsprachigen politischen Raum nicht einfach gewesen. Insbesondere mit Trendanalysen ist es uns gelungen, Aussagen und Hilfestellungen abzuleiten, die für unsere Kundinnen und Kunden einen großen Mehrwert bieten und einen Vorteil in der politischen Arbeit darstellen.
Stellt Ihr Angebot einen Paradigmenwechsel in der Konzeption einer Wahlkampfstrategie dar?
FS: Insbesondere in der Kommunalpolitik mussten wir feststellen, dass bei jeder Wahl immer nach gleichen Konzepten gehandelt wird. Klischeemäßig könnte man meinen, dass das daran liegt, dass die Kommunalpolitik nicht innovationsbereit wäre, nach dem Prinzip: „Das haben wir immer schon so gemacht, das machen wir wieder so“. Das mag für den einen oder anderen Ortsverein auch durchaus zutreffen. Diese potenziellen Kunden müssen also erst einmal überzeugt werden, von ihren veralteten Mustern abzulassen und sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen, indem die modernen Technologien zum eigenen Vorteil genutzt werden.
Insbesondere haben wir aber festgestellt, dass die Kommunalpolitik häufig gar keine andere Wahl hatte, da kein passendes Angebot vorhanden war. Bis jetzt, denn BEE STATISTICS stellt insoweit einen Paradigmenwechsel dar, als dass wir erstmalig für die Kommunalpolitik professionelle Wahldatenanalysen zur Verfügung stellen. Vor allem ist unser Produkt durch die Automation auch für die Kommunalpolitik bezahlbar.
Auf höheren politischen Ebenen, wie zum Beispiel den Landtagswahlen, wurden derartige Trends bereits erkannt. Viele Parteien bieten ihren Wahlkämpfenden Datenplattformen an. Hier fehlt es jedoch häufig an dem nötigen Know-how. Die Datenplattformen sind nicht nur ungenau und methodisch fehlerhaft. Vielmehr werden die Menschen vor Ort mit den Daten allein gelassen. Und was nützen mir Daten, wenn ich diese nicht in Taten umsetze? Wir von BEE STATISTICS erwecken die Datenanalysen zum Leben, indem wir den Menschen vor Ort konkret sagen, was zu tun ist.
Wie offen sind Politiker und Funktionäre für Ihr Angebot? Begegnen Sie Besorgnissen mit Blick auf einen möglichen Datenmissbrauch?
FS: Wir haben bereits sehr frühzeitig in unserer Gründungsgeschichte erfahren, wie hilfreich unser Produkt für die Menschen vor Ort ist. „Datengetriebene Politikberatung“: Was soll das und was steckt überhaupt dainter? Zu Beginn begegnen uns häufig viele Fragen in dieser Richtung. Die Neugierde schwenkt in der Regel schnell in eine Begeisterung um, sobald die Menschen erfahren, wie wir ihnen konkret helfen können.
Das Vertrauen in die Daten ist sehr groß. Wir arbeiten eng mit der Forschung und Wissenschaft zusammen und haben uns auf den politischen Sektor spezialisiert. Bei der Vorstellung unserer Analysen kommt es immer wieder zu Aha-Effekten. Die Menschen kennen ihre Wahlbezirke gut und merken daher sehr schnell, dass die Datenanalysen vertrauenswürdig sind. Wir stellen unseren Kunden sämtliche Daten und Analyseergebnisse in einem Bericht zur Verfügung. Aus Erfahrung wissen wir, dass die Menschen beim Lesen die Zahlen gerne überspringen und direkt die ausformulierten Handlungsempfehlungen lesen. Das zeigt uns, wie groß das Vertrauen in unsere Analysen ist.
Datenschutz und Datensicherheit sind selbstredend ein wichtiges Thema für uns. Dabei setzen wir jedoch auf eine, nennen wir es mal Bottom to the Top-Methode: Wir verarbeiten ausschließlich öffentlich zugängliche Daten. Alle Datenquellen und Analyseergebnisse können von uns problemlos veröffentlich werden. Ein Datenmissbrauch ist in der Form bei unserem Produkt somit gar nicht denkbar.
Sie eröffnen Politikern die Möglichkeit, „Politik direkt am Willen des Bürgers“ auszurichten. Berührt man dabei nicht die Grenzen zu Opportunismus und Manipulation?
FS: Nein. Ganz im Gegenteil. Eine Demokratie lebt von ihren aktiven Bürgerinnen und Bürgern. Die Politik muss den Menschen zuhören. Wir sehen uns daher als Dienstleister der Wählenden. Wir tragen den Willen der Wählenden in die Politik. Nicht andersherum.
Manipulation wäre es, die Politik dahingehend zu beraten, wie sie den Wählenden unangenehme Themen schmackhaft machen kann, oder wie sie ihre Themen den Menschen vor Ort unterjubeln könnte, ohne Stimmen zu verlieren. BEE STATISTICS tut genau das Gegenteil. Wir sagen der Politik, was die Menschen denken und fühlen. Natürlich können auch negative Emotionen wie Angst oder Besorgnis das Ergebnis sein. Hier wäre es dann die Aufgabe der Politik, diesen Sorgen zu begegnen, Trends frühzeitig zu erkennen und Zersplitterung wirksam entgegenzuwirken. Eine Demokratie lebt davon, dass sich um ein gemeinsames Verständnis bemüht wird, wie Willy Brandt schon einst sagte. Demokratische Politik sollte immer am Willen der Menschen ausgerichtet sein, nicht andersherum.
Wie sieht Ihr Geschäftsmodell aus?
FS: Wir verfolgen ein Beratungsgeschäftsmodell. Unser kleinstes Paket beinhaltet damit grundsätzliche Datenanalysen und abgeleitete konkrete Handlungsempfehlungen. Abgerechnet wird nach Größe des zu analysierenden Gebiets. Unsere Preise beginnen bereits bei 1 Cent pro Einwohner oder Einwohnerin für kleine Gemeinden. Die Preise steigen für höhere Ebenen. Ein Erstgespräch zur Findung der Möglichkeiten ist bei uns immer kostenlos.
Wie entstand die Gründungsidee, und wie hat sie sich weiterentwickelt? Wie setzt sich das Gründerteam zusammen?
FS: Seit mehr als zehn Jahren beschäftigen wir uns jetzt bereits ehrenamtlich mit der Auswertung von Wahlergebnissen. Die Idee, der Kommunalpolitik vor Ort eine aussagekräftige Analyse ihrer Wahlergebnisse zu liefern, wuchs im Rahmen unserer ehrenamtlichen politischen Tätigkeit über die Jahre immer weiter. Bereits früh merkten wir, wie wertvoll derartige Analysen für die ehrenamtlichen Politiker und Politikerinnen in den Gemeinden sein können. Das viele Lob und insbesondere die Dankbarkeit für unsere Arbeit motivierten uns dazu, unsere Idee voranzutreiben.
Schnell wurde uns bewusst, dass die Ausweitung des Projekts den Rahmen einer ehrenamtlichen Tätigkeit sprengt und nicht ohne Hilfe stemmbar ist. Daher beantragten wir beim Förderwettbewerb „START-UP transfer. NRW“ des Landes NRW Fördergelder, um unser Vorhaben realisieren zu können. Die Förderung hat zum Ziel, Forschungsprojekte zur Marktreife zu führen und die Entwicklung in eine Gründung aufgehen zu lassen.
Ich bringe als Geschäftsführer und Gründer Erfahrung in der politischen Szene und die Fähigkeit mit, komplexe mathematisch-statistische Sachverhalte durch anschauliche Grafikelemente fassbar zu machen, mit. Unterstützung ist im technischen Bereich durch Prof. Dr. Henrik Blunck vom Labor für praktische Informatik der Hochschule Bochum gesichert, im sozialwissenschaftlichen Bereich durch Prof. Dr. Rainer Bovermann von der Fakultät für Sozialwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum und im unternehmerischen Know-how durch den Start-Up-Coach und Gründer Dr. Peter-Christian Zinn.
Wie lange gibt es BEE STATISTICS bereits und wie ist die wirtschaftliche Entwicklung? Woher kommt Ihr Startkapital?
FS: Seit mehr als zehn Jahren beschäftigen wir uns jetzt bereits mit der Auswertung von Wahlergebnissen und der Schaffung einer datengetriebenen Politikberatung. Anfang 2020 wurde das Forschungsprojekt BEE STATISTICS an der Hochschule Bochum im Rahmen des Förderwettbewerbs „START-UP transfer.NRW“ ins Leben gerufen. 2021 haben wir daraus das Unternehmen BEE STATISTICS gegründet. Der Gewinn der Förderung hat uns in eine sehr komfortable Situation versetzt. Wir konnten ohne wirtschaftlichen Druck gemeinsam mit der Forschung und Lehre und zahlreichen Projektpartnern aus der Politik das Produkt entwickeln und perfektionieren. Als Beratungsdienstleister sind wir seit der Gründung profitabel und investieren weiterhin in die Weiterentwicklung neuer Beratungsmethoden.
Ist BEE STATISTICS ein Experiment oder der Start von etwas Großem mit langfristiger Planung?
FS: Eine sehr schöne Frage, denn BEE STATISTICS war anfangs sicher ein Experiment. Von Beginn an und während der gesamten Entwicklung waren das Interesse und Feedback aus Gesellschaft und Politik riesig. Wir wussten, dass in unserer Idee ein riesiges Potenzial steckt. Immer schon. Die große Frage war jedoch, ob die Idee insoweit zur Marktreife geführt werden kann, dass ein funktionierendes Geschäftsmodell damit realisierbar ist. Hier sind wir sehr dankbar dafür, dass in Deutschland frühzeitig erkannt wurde, dass technologisch innovative Geschäftsideen förderwürdig sind, um daraus langfristig funktionierende Unternehmen zu entwickeln. Insbesondere unsere Forschung im Bereich der deutschsprachigen Sentimentanalyse war ein großer Entwicklungsaufwand. Und ist es auch heute noch.
Wir sind sehr stolz darauf, dass wir mit BEE STATISTICS erfolgreich am Markt tätig sind und das Interesse nicht abnimmt. Mittlerweile werden auch Kundinnen und Kunden aus anderen Bereichen und große Unternehmen etwa aus dem Bereich Meinungs- und Sozialforschung zwecks Kooperationen auf uns aufmerksam. Auch eine Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand ist durchaus vorstellbar. Es ist also erst der Anfang. BEE STATISTICS hat noch viel vor.