Die vorausschauende Instandhaltung benötigt viele verschiedene Informationen. Eine Lösung für diese Herausforderung verspricht die Informatisierung und Vernetzung von Industriemaschinen. Durch eine neue Tiefe bei der eingebetteten Datenerfassung sowie die Entwicklung einer eMaintenance-Cloud wird im iMAIN-Pilotprojekt ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt. Damit werden die Grundlagen für eine neue Qualität in der industriellen Instandhaltung sowie die Etablierung neuer Geschäftsmodelle im Service- und Wissensmanagementbereich geschaffen.
1. Vorausschauende Instandhaltung benötigt Informationen
Mit der vorausschauenden Instandhaltung hat man sich das Ziel gesetzt, möglichst frühzeitig zu erkennen, wann eine Komponente, Maschine oder Anlage ausfallen wird. Mit diesem Wissen könnten Unternehmen genauer planen, wann sie Systeme warten oder wann sie Komponenten austauschen: am besten dann, wenn es optimal in den Produktionsplan passt. Doch ein derartiger Blick in die Zukunft benötigt eine Unmenge an Informationen über die Schädigungshistorie, den aktuellen Zustand, das zukünftige Produktionsspektrum und den Zusammenhang zwischen Belastung und Schädigung. Insbesondere Letzteres ist eine bis heute kaum gelöste Herausforderung, denn nur in den seltensten Fällen existieren hierfür hinreichend genaue Beschreibungsmöglichkeiten und Modelle. Die Unkenntnis über die wahren Belastungszustände von Komponenten sowie stochastische Einflüsse lassen eine echte vorausschauende Instandhaltung deshalb kaum realisierbar erscheinen. Erst mit einer statistisch relevanten Informationsbasis, das heißt, einer großen Anzahl ausgefallener Komponenten bei gleichzeitigem Wissen über die Ausfallzusammenhänge, lässt sich für gleiche oder ähnliche Komponenten ein Blick in die Schädigungszukunft wagen. Somit sind Ausfälle, die man eigentlich vermeiden möchte, eine essentielle Basis für eine effektive vorausschauende Instandhaltung. Wenngleich Verschleiß praktisch kaum vermeidbar ist, ist es aus ökonomischer Sicht nur konsequent, wenn eine derartige statistisch relevante Anzahl an Komponentenausfällen an einer einzelnen Maschine während ihrer Lebensdauer nicht zugelassen wird, zum Beispiel durch entsprechende konstruktive Gestaltung. Was allgemein für industrielle Maschinen und Anlagen gilt, trifft im Besonderen bei Umformmaschinen mit ihren oftmals vergleichsweise sehr teuren und technisch aufwändigen Komponenten zu. Im Unterschied zu vielen anderen Produktionsmaschinen sind Umformmaschinen sehr hohen Belastungen ausgesetzt. Prozesskräfte von vielen Tausend Tonnen über hunderttausende Umformzyklen bei gleichzeitig sehr hohen Genauigkeitsanforderungen sind beim Pressen von Bauteilen für Autos, Waschmaschinen oder Kühlschränken keine Seltenheit. Dementsprechend sind die Komponenten von Umformmaschinen dimensioniert, was sich in hohen Kosten niederschlägt. Ausfälle von Hauptkomponenten wie zum Beispiel Hauptmotor, Lager von Antriebswellen, Stößelführungen oder Gestellkomponenten müssen deshalb minimiert werden. Sollten sie doch überraschend ausfallen, ist der finanzielle Schaden allerdings sehr groß. Hinzu kommt, dass sie meist in Prozessstraßen eingebettet sind: Fällt eine aus, steht die gesamte Produktion still. Das kann je nach Schaden, bis zu einen Monat dauern – und kostet das Unternehmen weitere hunderttausende von Euro, denn diese sehr teuren Maschinenkomponenten liegen im Regelfall nicht auf Lager, sondern müssen neu angefertigt werden. Aus diesen Gründen ist die Realisierung einer vorausschauenden Instandhaltung bei Umformmaschinen noch schwieriger, wenngleich von besonders hoher Relevanz. Eine Lösung der Herausforderungen bei der vorausschauenden Instandhaltung verspricht die Informatisierung und Vernetzung von Industriemaschinen. Eine Übersicht zeigt Abbildung 1. Denn nur durch die Zusammenführung der Informationen von vielen Maschinen und Anlagen lässt sich eine vorausschauende Instandhaltung nicht nur technisch, sondern auch ökonomisch umsetzen. Im EU-Projekt iMAIN haben sich acht Partner aus vier europäischen Ländern unter Koordination des Fraunhofer Institutes für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU das Ziel gesetzt, die hierfür notwendige informationstechnische Infrastruktur zu entwickeln und die Funktionalität an ausgewählten Use Cases zu demonstrieren.
2. Zukunftsfähigkeit durch cloudbasierten Instandhaltungsansatz
Als die wesentlichste Voraussetzung zur Lösung der Herausforderungen bei der vorausschauenden Instandhaltung von Industriemaschinen wird ein cloudbasierter Ansatz angesehen. In dieser „eMaintenance-Cloud“ werden Daten und Informationen von den einzelnen zu überwachenden Maschinen zusammengeführt. Sie ist damit der Dreh- und Angelpunkt des auf Kooperation angelegten Zukunftskonzepts, bei dem eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Partner Erfahrung aufbauen und Expertenwissen teilen können. Auf die in der Cloud-Datenbank verfügbaren Daten kann verteilt weltweit zugegriffen werden, zum Beispiel zur direkten Visualisierung – und zwar vorzugsweise mit (Computer-)plattformunabhängigen browserbasierten Diensten. Die „eMaintenance-Cloud“ ist darüber hinaus die Plattform für weitere Analysen, Data-Mining und Post-Processing jeglicher Art sowie für Verfahren, die über standardisierte Algorithmen hinausgehen und nicht bereits in den lokalen Datenloggern erledigt werden. Diese können hier von den jeweiligen Experten für einzelne Disziplinen, Aggregate oder Methoden eingerichtet, automatisiert oder interaktiv ausgeführt und die Ergebnisse wieder in die Datenbank eingespeist und geteilt werden. Je nach Erfahrungshintergrund, Bedürfnissen und Interessen der Beteiligten können das komplexere Statistiken, Trend-Analysen und Lebensdauer-Schätzungen sein, Verknüpfungen zu Produktionsplanungssystemen zum Antizipieren kommender Belastungen, oder automatisierte Alarmsysteme, die bei der Überschreitung von kritischen Grenzwerten Benachrichtigungen verschicken oder Serviceaktionen auslösen. Abbildung 2 zeigt den Cloud-Ansatz für die vorausschauende Instandhaltung.
3. Neue Tiefe bei der Datenerfassung mit eingebetteten Systemen
Der interdisziplinäre Ansatz beim Streben nach weiterführenden Erkenntnissen zu Materialbelastung und Komponenten-Lebensdauer zeigt sich auch in einer breit aufgestellten Strategie bei Instrumentierung und eingebetteter Datenerfassung (ECEM – Embedded Condition and Energy Monitoring). In Bezug auf erfasste physikalische Prozesse und Messgrößen, Sensoren und zusätzliche Anlagen-Prozessdaten, mit ihren unterschiedliche Datenraten, Formaten und Schnittstellen, wird ein „Multi-Domain“ Ansatz verfolgt. Abbildung 3 gibt eine Übersicht über die Struktur des eingebetteten Datenerfassungssystems (ECEM). Der besonderen Herausforderung von Umformmaschinen mit sehr seltenen Fehlerereignissen und entsprechend geringer Erfahrung wird durch das Einbeziehen möglichst vielfältiger Zustandsgrößen begegnet, um Ansätze für statistische Korrelationen und Data-Mining zu gewinnen. Diese neue Tiefe bei der Datenerfassung mit eingebetteten Systemen macht Maschinen und Anlagen transparent für die Instandhaltung. Neben der Überwachung der Belastungshistorie der Gestellkonstruktion – einem besonderen Schwerpunkt im iMAIN-Pilotprojekt – durch Messung von Kräften und Spannungen mittels Dehnmessstreifen (DMS) wird eine Vielzahl weiterer Größen erfasst. Dazu zählt beispielsweise die Ermittlung der besonders verschleißrelevanten Verkantung des Pressen-Schlittens durch Lagesensoren und zusätzliche Messung der resultierenden Temperaturerhöhung an den durch die Reibung belasteten Führungsschienen. Weil die hierfür verantwortliche asymmetrische Verteilung der Presskräfte, die ebenfalls gemessen wird, insbesondere durch das spezifische Design des verwendeten Umformwerkzeugs bestimmt ist, werden Prozessdaten der Maschinensteuerung (SPS) miterfasst, die unter anderem die ID-Nummer des Werkzeugs zum aktuellen Werkstück liefert. So kann nicht nur der lückenlos erfasste, kumulierte „Stress“, den die Maschine erfährt, Auskunft über Ermüdung und Ausfallprognosen geben. Zusätzlich kann zum Beispiel auch die Trendentwicklung des charakteristischen Verkantungsverhaltens eines gegebenen Werkzeuges rechtzeitig Hinweise auf verschleißende Lager und zunehmendes Spiel der Führungen geben – auch unabhängig von der Relevanz des absoluten Belastungslevels.
Sowohl derartige „Fingerprint“-Profile für individuelle Werkzeuge oder auch standardisierte Referenzhübe, als auch die Aufzeichnung der kumulierten Belastungshistorie können weiterhin ergänzt werden. So sind Luftverbrauch und Temperaturen im Pneumatik-System Indikatoren für Leckagen und Verschleiß. Die Überwachung von Schmier- und Hydrauliköl erstreckt sich auf eine Vielzahl von Kennwerten wie Viskosität, Leitfähigkeit, Dielektrizität, Feuchte und Partikelgehalt. Charakteristische Trends, auch von Kombinationen dieser Parameter, können dann den kritischen Verschleiß von assoziierten Komponenten und Lagern ankündigen.
Weiterhin gehören zu dem Datenerfassungssystem funkbasierte Sensorsysteme, die drahtlos auf schwer zugänglichen Komponenten installiert werden können, um zum Beispiel Temperaturen des bewegten Schlittens zu erfassen. Ausgewählte zentrale Antriebslager und Getriebe werden direkt und individuell mittels Körperschallmessung und neuartigen Analysealgorithmen überwacht, die Riemenspannung des Schwungradantriebs durch berührungslose Lasersensoren. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Protokollierung des elektrischen Energieverbrauchs gelegt, sowohl global für die Maschine als auch für individuelle Aggregate. Das kompakte und autonome Datenerfassungssystem hat nicht nur die Aufgabe, diese Vielzahl von Sensoraufbereitungen, Signalen und Schnittstellen zu integrieren. Die Aufnahmekanäle müssen mit ganz unterschiedlichen Abtastraten und Trigger-Logiken gesteuert werden, um dann aber zeitsynchron und uniform weiterverarbeitet zu werden. Flexible und unabhängige Trigger-Maschinen sorgen dafür, dass sowohl kontinuierlich protokollierte langsame Prozessgrößen, als auch dynamische Kräfte, getriggert jeweils in den aktiven Phasen eines Pressenhubes, oder stichprobenartige Körperschallmessungen in ausgewählten Betriebszuständen aufgezeichnet werden können. Der komplexen Datenerfassung folgen im Anschluss umfangreiche Vorverarbeitungen, Datenreduktion, Mittelung und statistische Analysen. Diese sind bereits in diesem „lokalen“ Datenlogger auszuführen, wozu auch die Live-Simulation von „virtuellen Sensoren“ gehört. Geleistet wir dies von einem Echtzeit-Prozessor, der kontinuierliche Datenströme verrechnet, basierend auf mathematischen Verrechnungsformeln, die in abstrakter Hochsprache wie im Taschenrechner direkt und intuitiv formuliert werden können. Damit können dann letztendlich durch die internetfähig vernetzten maschinennahen Systeme hochverdichtete Daten in die zentrale Datenbank der „eMaintenance-Cloud“ geladen werden. Abbildung 4 zeigt dazu ein Browser-based Graphic User Interface. [MIT ABB 4 ENTFERNT]
4. Hoher Nutzeneffekt durch eMaintenance erwartet
Die sinnvolle Unterscheidung zwischen eingebetteten und zentralen Diensten erlaubt eine deutlich wirtschaftlichere Gestaltung der IT-Infrastruktur selbst bei hochkomplexen prädiktiven Instandhaltungsaufgaben. Während signifikante Datenreduktionen sinnvollerweise direkt („embedded“) an der jeweiligen Maschine oder Anlage vorgenommen werden, können die gefilterten, nunmehr ausschließlich relevanten Informationen durch zentral bereitgestellte Dienste zu instandhaltungsrelevantem Wissen verarbeitet werden. Diese zentralen Dienste können dabei in Abhängigkeit von der jeweiligen Unternehmenspolitik sowohl unternehmensintern als auch über Unternehmensgrenzen hinweg bereitgestellt werden. Ein wesentlicher Vorteil einer derartigen Struktur zur Erfassung von Informationen verschiedener Individuen besteht in einer deutlichen Vergrößerung der für statistische Auswertungen notwendigen Datenbasis. Damit sollte selbst bei Systemen mit vergleichsweise geringer Ausfallquote eine deutlich verbesserte Restlebensdauervorhersage erreicht werden können. Somit bildet der Ansatz von Industrie 4.0 eine wesentliche Voraussetzung, um eine vorausschauende Instandhaltung an Produktionsmaschinen wie Umformpressen sowohl aus technischer als auch wirtschaftlicher Sicht sinnvoll zu realisieren.
5. Neue Geschäftsmodelle im Service- und Wissensmanagementbereich
Instandhaltung im Rahmen von Industrie 4.0 ermöglicht es Herstellern und Betreibern von Produktionsanlagen sowie deren Instandhaltungsdienstleistern, ihre Geschäftsbeziehungen insbesondere auf dem Service- und Wissensmanagement-Gebiet zu erweitern. Der Erfolg wird dabei wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, den Maschinenbetreibern – die einem externen Zugriff auf Informationen nach wie vor eher skeptisch gegenüberstehen – zukünftig einen deutlichen Mehrwert zu bieten und auch entsprechend zu vermitteln.
Natürlich ermöglicht der Blick des Herstellers auf Maschinen in der Produktion auch das Erkennen eventueller Fehlbedienungen und den sich gegebenenfalls hieraus ergebenden Konsequenzen, wie zum Beispiel für die Garantie. Dem können jedoch seitens des Herstellers signifikante Vorteile gegenübergestellt werden. Dazu zählt insbesondere die Möglichkeit, dem Betreiber eine deutlich höhere Verfügbarkeit bei gleichzeitiger Senkung der Instandhaltungskosten anzubieten, wenn dieser im Gegenzug relevante Informationen bereitstellt. In analoger Weise sind auch auf anderen Gebieten neue Geschäftsmodelle denkbar, die aus dem Know-how des Herstellers ableitbar sind. So ist eine permanente steuerungsseitige Optimierung hinsichtlich Produktionsperformance oder auch Energieverbrauch denkbar, wenn der Hersteller zum Beispiel seine vorhandenen Maschinenmodelle mit Realdaten verknüpfen kann. Dadurch kann die Herrsteller-Anwender-Kooperation auch nach der Auslieferung weiter vertieft werden. Schlussendlich ist dem Betreiber im Regelfall auch daran gelegen, auftretende Probleme kurzfristig oder spätestens mit der nächsten Maschinengeneration gelöst zu bekommen. Es ist also auch für ihn von Vorteil, wenn der Hersteller die sich ergebenden verbesserten Analysemöglichkeiten nutzen könnte.
Die Komplexität der vorausschauenden Instandhaltung im Rahmen von Industrie 4.0 erfordert jedoch auch eine deutlich erweiterte Kooperation verschiedener Technik- und Wissenschaftsbereiche. Die Entwicklung der Mehrwertalgorithmen, zum Beispiel zur Restlebensdauervorhersage, wird dabei nicht mehr ausschließlich durch den Maschinenhersteller oder einen einzelnen Technologieprovider erfolgen können, sondern wird für jeweilige Teilgebiete auch von entsprechenden Spezialisten umgesetzt werden müssen. Hier ist abzusehen, dass verschiedene Anbieter ihre Dienste in der „eMaintenance-Cloud“ bereitstellen werden und gegebenenfalls die gesamte Datenkette vom Sensor bis zum Alarm für ihr Spezialgebiet abdecken. So wird sich letztendlich eine Kooperation von Maschinenhersteller, -betreiber, IT-Spezialisten und Entwicklern von Mehrwertalgorithmen ergeben, wenn vorausschauende Instandhaltung im Rahmen von Industrie 4.0 Realität werden soll. Das iMAIN-Projekt päsentierte sich zur Hannovermesse 2015 auf dem Messestand des Fraunhofer-Verbundes Produktion, Halle/Stand: 17/F14.
Weitere Infos unter: http://www.imain-project.eu/
Markus Wabner, Martin Riedel, Steffen Ihlenfeldt