KI²
Wenn Maschinen sprechen lernen
Richard Martens, IS Predict
(Titelbild: AdobeStock_567681994 | khunkornStudio)
Kurz und Bündig
Die Kombination von adaptivem Machine Learning mit proaktiver Chat-/Dialog-Technologie ermöglicht es, Produktionsmitarbeitenden Maßnahmen zur Qualitätssicherung zu ergreifen, ohne erst Domänenexperten zu involvieren. Die KI-Lösung kann Handlungsempfehlungen in mehreren (natürlichen) Sprachen generieren. Auch fremdsprachige Mitarbeitende können so die Handlungsempfehlungen verstehen. Zudem bleibt Erfahrungswissen in der Abteilung, wenn Mitarbeitende die Firma verlassen.
Selbst wenn die KI-Analysen hochpräzise sind, kann es in der Praxis an der Verständlichkeit scheitern. Hier kommt erklärende KI ins Spiel, die die analytischen Ergebnisse in die Welt der Anwendenden umsetzt, sodass aus den Erkenntnissen auch zielführende Taten folgen können. Das KI-Dialogsystem ist daher ein Mittler zwischen dem Menschen und der KI-Analyse. Wichtig ist hierbei, dass die Anwendenden die KI nicht erst fragen müssen, sondern die KI proaktiv auf die Nutzenden zugeht und ihnen die KI-Ergebnisse erklärt. Denn es kann sein, dass der eigentliche Sachverhalt so komplex ist, dass nur Domänenexperten wüssten, was genau zu fragen ist. Dieses proaktive KI-Dialogsystem zielt jedoch auf alle Nutzenden ab. Aber natürlich können Anwender und Anwenderinnen auch nachfragen oder Details vertiefen, wie man es von der Chat-Technologie kennt.
Die Kombination von proaktiven KI-Chats mit klassischen KI-Analysen soll anhand eines Beispiels in einer komplexen Produktion kurz erläutert werden, in diesem Fall bei der Herstellung von Zementfaserplatten. Nicht selten hängt die Qualität jedes einzelnen Produktes von vielen unterschiedlichen Einflüssen ab. Daher beschäftigen sich Qualitätsabteilungen in den unterschiedlichen Werken damit, zu verstehen, warum Minderqualität entsteht und wie man sie vermeiden kann. Es wundert folglich nicht, dass aufgrund der komplexen Zusammenhänge mehr und mehr künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt. Hierbei zeigen sich die Vorteile einer KI, die mit Hilfe von Large Language Models um Chat-/Dialog-Technologie ergänzt wird. So können die Ergebnisse der künstlichen Intelligenz zielgruppenorientiert aufbereitet werden, sodass eine Kommunikation mit den jeweiligen Produktionsmitarbeitenden gemäß Erfahrungsschatz stattfinden kann.
Fallstudie
In einer Fabrik werden Zementfaserplatten für den Außen- und Innenbereich produziert. Hierzu werden Zement und weitere Bestandteile in Wasser aufgelöst und in einen Mischer gegeben. Danach werden knapp 1 Millimenter dünne Faserzementschichten übereinandergelegt, geschnitten, gepresst und getrocknet, bevor die Oberfläche behandelt wird, beispielsweise durch Lasuren. In dieser Produktion gibt es viele unterschiedliche Einflüsse, die einander bedingen. So unterliegt etwa alleine der Ausgangsstoff Zement – als Naturprodukt – schon einer Variantenvielfalt. Weitere Einflüsse auf die Qualität der Platten haben natürlich die unterschiedlichen Einstellungen in den einzelnen Produktionsschritten, wie Temperaturen, Drücke et cetera oder auch der Zustand der Anlagen wie der Säge oder der Presse.
Ziel ist es, einerseits die Produktionsmitarbeitenden frühzeitig zu warnen, dass Minderqualität entstehen wird, aber auch andererseits konkrete Handlungsempfehlungen zu geben, wie diese Qualitätseinbußen vermieden werden können. Dazu werden zuerst adaptive Machine Learning-Verfahren genutzt, die dann um Large Language Model- Verfahren ergänzt werden:
Schritt 1: Prognose der Qualität
Künstliche Intelligenz-Verfahren werden auf historischen Daten antrainiert, um die Produktqualität im operativen Betrieb prognostizieren zu können. Hierzu bedarf es einerseits der Qualitätsdaten, also beispielsweise Bruchfestigkeit oder Dimensionen, aber auch Prozess-und Maschinendaten, also zum Beispiel Rezepturen, Drücke, Temperaturen. Auf ungelernten Daten wurde eine stabile Prognosegenauigkeit von mehr als 98 Prozent erreicht.
Schritt 2: Ursache für Minderqualität
Nun werden die Daten durch semantische KIVerfahren bearbeitet. So können versteckte
Einflüsse aufgedeckt werden, die zu Minderqualität führen (werden). Oft ist es eine Kombination von Einflüssen wie zum Beispiel Restfeuchte, Vibration, Werkzeugzustand et cetera.
Schritt 3: KI im Dialog mit den Domänenexperten
Die semantische KI deckt die Ursache auf, wie eine leicht erhöhte Vibration in der Säge, die in Verbindung mit einer bestimmten Rezeptur oder Trocknereinstellung zu Problemen führen wird. Die Domänenexperten kennen ihre Anlage im Detail und wissen daher, wie sie diese störende Vibration vermeiden können. Entsprechend wird justiert, beispielsweise an Rotationselementen, wodurch sich das Spiel reduziert. Danach teilt der Experte der KI mit, was er oder sie genau gemacht hat und warum das als sinnvoll angesehen wurde. Diese Mitteilung erfolgt in natürlicher Sprache, so als ob der Domänenexperte dies einem Kollegen oder einer Kollegin erklären würde.
Die KI verarbeitet dieses Feedback und auch das von allen Experten aus unterschiedlichen Domänen, also beispielsweise dem Mischprozess, der Pressung, der Trocknung und der Lackierung. So kann die KI die komplexen Ursachen für Minderqualität in die semantischen KI-Modelle zurückfließen lassen. Durch proaktiven „KI-Chat“ können die Domänenexperten Minderqualität vermeiden und gleichzeitig die KI-Lösung validieren.
Schritt 4: KI empfiehlt Maßnahmen für Produktionsmitarbeitende
Wenn wieder Minderqualität droht (Schritt 1: Prognose der Qualität) decken die semantischen Netze die Ursache auf (Schritt 2: Ursache für Minderqualität) unter Berücksichtigung der konkreten Maßnahmen, die die entsprechenden Domänenexperten in der Vergangenheit durchgeführt haben (Schritt 3: KI im Dialog mit den Domänenexperten).
Daraus leitet die KI – in natürlicher Sprache – konkrete Handlungsanweisungen ab. Also erfahren die Produktionsmitarbeitenden nicht „nur“, dass eine erhöhte Vibration an der Säge in Verbindung mit einer bestimmten Rezeptur oder einer Trocknereinstellung zu einem Problem führen wird. Sondern die KI teilt (im geschriebenen oder gesprochenen Wort) mit, dass zum Beispiel die Komponente X an der Säge nachjustiert werden muss, damit nur noch eine Vibration bis zu einem Wert von Y erreicht wird.
Die Produktionsmitarbeiter wissen genau, was zu tun ist, um Minderqualität zu vermeiden.
Wie wir Menschen auch unterliegt die KI einem ständigen Lernen: Jedes Feedback durch Domänenexperten oder Produktionsmitarbeitende verbessert automatisch die KI-Lösung. Dadurch kann sich die KI auch an veränderte Prozesse eigenständig anpassen.
Vorteile von KI²
Diese Kombination von adaptivem Machine Learning (Schritt 1 und 2) mit proaktiver Chat-/Dialog-Technologie (Schritt 3 und 4) hat mehrere Vorteile: Die Produktionsmitarbeitenden können gezielte Maßnahmen zur Qualitätssicherung ergreifen, ohne dass erst Domänenexperten involviert sein müssen. In komplexen Ursache-Wirkungs-Ketten kommt es oft vor, dass sogar der Domänenexperte erst recherchieren muss, also beispielsweise seine Mails oder das firmeninterne WiKi durchforsten muss, bis er eine Lösung vorschlagen kann.Noch zeitaufwändiger wird dies, wenn er weitere Domänenexperten zu Rate ziehen muss. Die KI-Lösung kann die Handlungsempfehlung, ob in Wort oder Schrift, in mehreren Sprachen generieren. Da oft viele Nationalitäten in der Produktion arbeiten, ist so sichergestellt, dass die Handlungsempfehlungen richtig verstanden werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass das Erfahrungswissen in der Abteilung bleibt, selbst wenn altgediente Mitarbeitende in den Ruhestand gehen oder jüngere Mitarbeitende die Abteilung oder gar die Firma verlassen.
Gerade bei steigendem Fachkräftemangel und erhöhtem Wettbewerbsdruck helfen „KI²“- Lösungen, dass die Mitarbeitenden sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und die Prozesse effizient durchführen können.