Wirtschaftspolitik 4.0 als Antwort auf digitale Game Changer
Im Gespräch mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier
Kurz und bündig:
Der gemeinsame EU-Binnenmarkt bietet einen wichtigen Wettbewerbsvorteil. Er bedeutet aber auch, dass viele Entscheidungen, die für die Industrie relevant sind, auf europäischer Ebene gefällt werden. Daher müssen deutsche und europäische Industriepolitik im Einklang gestaltet sein. In der Konsequenz fordert BM Altmaier eine übergreifende europäische Industriestrategie.
Getrieben von der Digitalisierung entstehen neue, große und weltweit erfolgreiche Unternehmen mit einer Marktmacht, die die deutscher Dax Unternehmen deutlich übersteigt. In Deutschland wurden Trends wie KI getriebene Dienstleistungsplattformen verpasst, Zukunftstechnologien zwar erforscht, aber nicht in smarte, international marktfähige Anwendungen umgesetzt. Traditionell starken Marktsegmenten wie der Automobilwirtschaft droht der Verlust maßgeblicher Anteile an der Wertschöpfungskette. Mit seiner nationalen Industriestrategie 2030 will Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier nun im Konzert mit Forschung und Industrie gezielt gegensteuern.
IM+io: Herr Altmaier, in Ihrem Strategiepapier weisen Sie auf vielfältige Gefahren hin, die aus dem Verlust technologischer Schlüsselkompetenzen entstehen könnten – bis hin zu Folgen für die Handlungsfähigkeit des Staates. Das klingt nach einem dramatischen Szenario…
PA:…das eine nationale und europäische Industriestrategie erfordert – genau! Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel und demografischer Wandel, strategische Industriepolitiken und die Rückkehr zum Protektionismus anderer Länder stellen unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung vor neue Herausforderungen. Es geht darum, die wirtschaftliche und technologische Führungsposition der deutschen und der europäischen Wirtschaft zu erhalten, auszubauen oder wiederzuerlangen mit dem Ziel, Arbeitsplätze langfristig zu sichern und neue Arbeitsplätze in Zukunftsbranchen zu schaffen. Für einen starken Wirtschaftsstandort tragen Wirtschaft und Staat in Deutschland und Europa gemeinsam die Verantwortung. Ich habe mit der Industriestrategie eine Debatte angestoßen und Wirtschaftspolitik wieder in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt, da ich überzeugt bin, dass wir diese Debatte führen müssen.
IM+io: Welche Rolle spielt der Mittelstand, wenn es um zukunftsfähige digitale oder digital getriebene Produkte und Anwendungen geht?
PA: Die DNA der deutschen Wirtschaft ist mittelständisch. Die Stärke der deutschen Wirtschaft beruht auf dem Miteinander von erfolgreichen mittelständischen Unternehmen und Großunternehmen. Sie arbeiten gemeinsam in Getrieben von der Digitalisierung entstehen neue, große und weltweit erfolgreiche Unternehmen mit einer Marktmacht, die die deutscher Dax Unternehmen deutlich übersteigt. In Deutschland wurden Trends wie KI getriebene Dienstleistungsplattformen verpasst, Zukunftstechnologien zwar erforscht, aber nicht in smarte, international marktfähige Anwendungen umgesetzt. Traditionell starken Marktsegmenten wie der Automobilwirtschaft droht der Verlust maßgeblicher Anteile an der Wertschöpfungskette. Mit seiner nationalen Industriestrategie 2030 will Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier nun im Konzert mit Forschung und Industrie gezielt gegensteuern. hocheffizienten und präzise getakteten globalen Wertschöpfungsketten. Der Mittelstand mit seinen kleinen, mittleren und großen Familienunternehmen leistet einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg unserer Sozialen Marktwirtschaft. Deshalb ist es wichtig, dass die Mittelständler auf den Zug der Digitalisierung aufspringen. Beim Transfer von Digitalisierungs-Know-How und Forschungsergebnissen in kommerzielle Anwendungen müssen wir deutlich besser werden. Die Bundesregierung unterstützt hier nach Kräften: ganz praktisch mit einem bundesweiten Netz von Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren und mit vielfältigen zentralen Maßnahmen: Die Gründungsoffensive stärkt den Unternehmergeist, die KfW-Beteiligungsgesellschaft „KfW Capital“ stellt mehr Wagniskapital zur Verfügung, und die geplante steuerliche FuEFörderung fördert die Innovationskraft des Mittelstands. Die Künstliche Intelligenz bietet als Basisinnovation und Game-Changer enormes Potenzial für den Mittelstand. Mit der nationalen Strategie Künstliche Intelligenz und KI-Trainern in unseren Mittelstand 4.0- Kompetenzzentren unterstützen wir insbesondere KMU. Denn viele Anwendungsszenarien liegen in Bereichen, in denen vor allem der Mittelstand stark ist.
IM+io: Als markantes Beispiel dafür, wo Industriepolitik flankierend eingreifen kann und auch sollte, haben Sie die Batteriezellproduktion in Deutschland, bzw. Europa, aufgeführt und damit zugleich eine kontroverse Diskussion angestoßen. Warum ist dieser Produktionszweig so wichtig?
PA: Die Elektrifizierung der Mobilität ist einer der Megatrends unserer Zeit. In naher Zukunft werden Verkehrs- und Transportmittel mindestens auf Teilstrecken elektrisch fahren oder betrieben. In Verbindung mit erneuerbaren Energien werden Mobilitätslösungen auch einen Anteil zum Pariser Klimaabkommen leisten. Diese Entwicklung hin zu elektrischen Antrieben wird die Wertschöpfungsketten insbesondere in der Automobilindustrie tiefgreifend verändern. Eine wettbewerbsfähige, innovative und umweltschonende Batteriezellfertigung wird auch weiterhin Wertschöpfung und Arbeitsplätze vor Ort schaffen. Unser Anspruch muss sein, auch in Zukunft die Schlüsseltechnologien der Zukunft in Deutschland und Europa zu entwickeln und diese nicht einfach nur zuzukaufen. Ziel ist es, dass Unternehmen in Deutschland und Europa die nächsten Batterie-Generationen erfinden und fertigen. Hierfür muss der Staat die passenden Rahmenbedingungen schaffen, damit wir aktuelle Arbeitsplätze sichern und neue Arbeitsplätze in der Zukunft schaffen.
IM+io: Elektromobilität steht im direkten Zusammenhang mit weiteren Handlungsfeldern, wie der verstärkten Nutzung von erneuerbarer Energie oder Beiträgen von Elektroflotten zur Stromnetzstabilisierung. Wie begegnen Sie dem Eindruck vieler, dass wir uns in Deutschland in komplexen Konzepten verlieren, aber die PS nicht auf die Straße bringen?
PA: Die Entwicklung und Verbreitung neuer Technologien wie der Elektromobilität erfordern ein breites Spektrum an Maßnahmen. Das gelingt nicht von heute auf morgen, aber wir sind auf einem guten Weg. Die Bundesregierung hat bereits viel für die Förderung von Elektrofahrzeugen getan: Investitionen in Forschung und Entwicklung, ein Marktanreizpaket mit Kaufprämie und Umweltbonus, steuerliche Anreize. Zusätzlich unterstützen wir den Aufbau der Ladeinfrastruktur, die Stärkung des Stromnetzes und die Sektorkopplung. Weiteren Schwung werden Digitalisierung und KI bringen: Fahrzeugbatterien sollen als mobile Speicher eingesetzt und vor allem dann geladen werden, wenn die Nachfrage nach Strom gering ist. Das wird möglich durch die Einführung intelligenter Messsysteme, sogenannter Smart Meter. Und die gewerbliche Elektromobilität soll durch IKT-basierte Flotten- und Logistikkonzepte gefördert werden. Das Ziel sind emissionsfreie, automatisierte und auf KI basierende Lösungen für den Verkehr.
IM+io: Die Energiewende scheint derzeit noch ein sehr deutsches Thema zu sein. Brauchen wir aber nicht eher europäische Lösungen? Sind unsere Nachbarstaaten daran interessiert, die Herausforderungen gemeinsam mit uns anzugehen, wenn doch Frankreich auf Kernkraft setzt und in Skandinavien fossile Brennstoffe ohnehin eine nachrangige Rolle spielen?
PA: Im Gegenteil: Die Energiewende ist eine umfassende Modernisierungsstrategie, die international viel Aufmerksamkeit erfährt. Die europäische Dimension spielt dabei eine zentrale Rolle. Deutschland liegt geografisch in der Mitte des europäischen Energiebinnenmarktes. Die Energiewende kann daher nur gelingen, wenn sie europäisch eingebettet ist. Wir brauchen europäische Lösungen und grenzüberschreitende Zusammenarbeit, um Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz zusammenzubringen. Die EU-2030-Ziele für Energie und Klimaschutz, die Reform des europäischen Emissionshandels und die Umsetzung der Energieunion der EU sind von großer Bedeutung für die europäischen und nationalen Klima- und Energiepolitiken und für das Gelingen der Energiewende. Die Wege der einzelnen Länder mögen variieren. Aber das Streben, die europäischen Ziele zu erreichen, und der Austausch mit den europäischen Nachbarn einen die Mitgliedsstaaten.
IM+io: In der logischen Konsequenz muss auch die deutsche Industriepolitik im Takt mit europäischer Industriepolitik gestaltet werden. Welche Schritte will und kann Ihr Haus konkret gehen, um hier Anspruch und Wirklichkeit in Einklang zu bringen?
PA: Unser gemeinsamer EU-Binnenmarkt ist einer der wichtigsten Wettbewerbsvorteile für die deutsche und europäische Wirtschaft. Viele Entscheidungen, die für die Industrie relevant sind, werden auf europäischer Ebene gefällt. Daher muss deutsche Industriepolitik immer auch europäische Industriepolitik sein. Unser Ziel ist es, die industrielle Wettbewerbsfähigkeit Europas insgesamt zu stärken. Ich setze mich daher dafür ein, dass die EU-Kommission zeitnah eine Europäische Industriestrategie vorlegt. Auch der Europäische Rat hat die EUKommission aufgefordert bis Ende 2019 eine solche Industriestrategie vorzulegen. Das BMWi erarbeitet gemeinsam mit den anderen europäischen Mitgliedstaaten bereits konkrete Vorschläge für die europäische Industriestrategie. Auch in meiner Nationalen Industriestrategie 2030 und im deutsch-französischen industriepolitischen Manifest, das ich mit meinem Amtskollegen Le Maire vorgestellt habe, habe ich Vorschläge für eine solche Strategie unterbreitet. Dazu gehören Maßnahmen im Bereich Forschung und Entwicklung für Schlüsseltechnologien, die Stärkung von strategischen europäischen Wertschöpfungsketten und der Einsatz für gleiche Wettbewerbsbedingungen auch im globalen Handel.