Digitalisiert heizen: Smarte Datensysteme senken den Energieverbrauch
Im Gespräch mit Karlheinz Reitze, Geschäftsführer Viessmann PV + E-Systeme GmbH
Kurz und bündig:
Die Klimaziele der Regierung sind ehrgeizig, im Sektor Gebäude aus theoretischer Sicht jedoch durchaus realisierbar. Praktisch besteht allerdings noch Nachholbedarf. Die Mehrheit deutscher Heizungen sind deutlich veraltet. Durch die Stärkung der Handwerksbetriebe, eine verbraucherorientierte Kommunikation und die Schaffung steuerlicher Anreize könnte der Wandel hin zu einer Energieversorgung, die komplett unabhängig von fossilen Brennstoffen und steigenden Strompreisen läuft, jedoch funktionieren.
Dank moderner Technologien zur Energiegewinnung und -speicherung sind heute auch private Haushalte in der Lage, CO2-neutrale Energie zu erzeugen und zu nutzen. Angeschlossen an intelligente Netzwerke ist sogar eine Energieversorgung möglich, die komplett unabhängig von fossilen Brennstoffen und steigenden Strompreisen funktioniert – soweit die Theorie. In der Praxis besteht Nachholbedarf. Noch sind die Mehrzahl der Heizungsanlagen in deutschen Ein- und Mehrfamilienhäusern deutlich veraltet.
IM+io: Herr Reitze, welche Komponenten machen ein modernes, ressourcenschonendes Heizsystem aus?
KR: Besonders nachhaltig ist die Energiegewinnung durch eine Photovoltaikanlage (PV-Anlage). Die Module auf dem Dach nehmen die Energie der Sonne auf und wandeln diese mit Hilfe von Solarzellen in Strom um. Die selbst produzierte Energie kann dann für den Eigenbedarf genutzt werden. Zusätzliche Einsparungen können durch die Ergänzung eines Stromspeichers und einer Wärmepumpe erfolgen. An Tagen mit hoher Sonneneinstrahlung kann der Überschussstrom im Stromspeicher bevorratet werden, die reversibel betriebene Wärmepumpe bedient sich dann aus dem Speicher und nutzt den vorhandenen Strom zur Kühlung der Wohnräume. Besonders effizient ist auch ein System welches Brennstoffzellenheizgerät, PVAnlage und Stromspeicher kombiniert, denn die Brennstoffzelle liefert insbesondere im Winter wegen des höheren Wärmebedarfs viel Strom und gleicht damit sonnenarme Zeiten der PV-Anlage aus. Auch das Thema e-Mobilität spielt hier eine Rolle. Die e-Ladestation in der eigenen Garage kann direkt an das Energiesystem angeschlossen werden und sorgt dafür, dass die Endverbraucher CO2-neutral unterwegs sind.
IM+io: Welche Rolle spielt hierbei die Digitalisierung?
KR: Fragt man den Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH), hat die Digitalisierung von Heizungsanlagen das Potenzial, den Energieverbrauch in Deutschland um bis zu 15% zu senken. [1] Und das aus gutem Grund: Erneuerbare Energien sind volatil. Bleiben wir zum Beispiel bei der PV-Anlage. Sie produziert nicht immer genau die Energiemenge, die für die Versorgung des Gebäudes, auf dem sie installiert ist, notwendig ist. Während langen Regenperioden wird weniger Energie freigesetzt. Scheint tagelang die Sonne, kann es passieren, dass die Speicher ans Ende ihrer Kapazitäten gelangen. Das Resultat: Die nachhaltig gewonnene Energie verpufft und wird nicht genutzt. Und genau hier kommt die Digitalisierung ins Spiel: Mit Hilfe intelligenter Energiemanagementsysteme, die direkt mit den Wetterdiensten verbunden sind, und IT-gestützter Communities können Unter- und Überkapazitäten vorhergesagt und Überschüsse optimal verteilt werden. Eigenheimbesitzer, die Heizsysteme von Viessmann im Einsatz haben, können bei Engpässen so auf Energiereserven anderer Viessmann-Kunden zurückgreifen. In der ViShare Community schließen sich private Stromproduzenten und -konsumenten zu einem smarten Netzwerk zusammen, um die gemeinsam erzeugte, nachhaltige Energie zu 100 % gemeinsam zu nutzen. [2] Produziert ein Mitglied mehr Strom als gespeichert werden kann, fließt die überschüssige Energie in den Strompool der Community. Benötigen die Haushalte einmal mehr Strom, als sie aktuell gemeinsam produzieren, sichert Viessmann diesen Mehrbedarf durch dezentrale, CO2-neutrale Kraftwerke ab. Die Verrechnung erfolgt über Flatrates und individuelle, leicht verständliche Bonustarife.
IM+io: Heißt das, eine komplett autarke Versorgung ist mit Solarenergie in Deutschland gar nicht möglich?
KR: Ja, das kann man so sagen. Durch den Wechsel von Tag und Nacht und die wenigen Sonnenstunden im Winter können in Deutschland nur circa 70 % des jährlichen Energiebedarfs eines Gebäudes mit Sonnenenergie gedeckt werden. [3] Zusätzliche Speicher können diesen Anteil zwar auf bis zu 95 % steigern, ab einem gewissen Punkt stehen die hierfür notwendigen Investitionen jedoch nicht mehr im Verhältnis zur potenziellen Energieeinsparung. Die Mitgliedschaft in einer Community wie ViShare ist hier eine gute Alternative oder Ergänzung auf dem Weg zur maximalen Unabhängigkeit von Versorgern und fossilen Brennstoffen.
IM+io: Wie verbreitet sind moderne, ressourcenschonende Heizsysteme heute?
KR: Von den rund 21 Millionen Heizanlagen in Deutschland sind circa 12 Millionen veraltet. [4] Das bedeutet, jede zweite Heizung in Deutschland ist älter als 20 Jahre. [4] Die Modernisierung erfolgt im Schneckentempo. Nur 600.000 der überholten Geräte wurden 2018 saniert. [5] Außerdem ist die Anzahl der reinen Energieverbraucher mit rund 20 Millionen immer noch deutlich höher, als die der Erzeuger mit 740.000 [6]. Das ist viel zu wenig, wenn man die ehrgeizigen Klimaziele der Regierung betrachtet.
IM+io: Woran liegt das und was sollte sich Ihrer Meinung nach ändern?
KR: Der Einsatz neuartiger Heizsysteme wie Wärmepumpen oder Brennstoffzellenheizgeräte hängt von der Wärmedämmung des Bestandsgebäudes ab. Gerade bei Altbauten ist es oft am effizientesten, das veraltete Heizsystem gegen ein neues auszutauschen. Maßnahmen zur Verbesserung der Dämmung sollten dann getroffen werden, wenn beispielsweise die Dacherneuerung ohnehin ansteht oder die Fenster und Haustür getauscht werden sollen. Im Neubau ist es noch deutlich schwieriger staatliche Unterstützung für die Heizanlage zu bekommen. So ist zum Beispiel für den Erhalt einer Förderung für den Einbau einer Wärmepumpe eine deutlich höhere Jahresarbeitszahl vorzuweisen, als im Altbau. Damit hier Bewegung entsteht, sollten steuerliche Anreize für Besitzer von Einfamilienhäusern geschaffen werden. Dieser Schritt ist auch im Hinblick auf die Erreichung der Klimaziele bis 2030 ein Muss. Laut BDH liegen die höchsten Energieeinspar- und CO2-Minderungspotenziale aller Energieverbrauchssektoren Deutschlands – mit Ausnahme des Kohlestroms – im Gebäudebereich. [7] Über den deutlich beschleunigten Austausch veralteter Heizungstechnik und den Einsatz moderner Heizsysteme, die Effizienz und erneuerbare Energien koppeln, könnten zwei Drittel der zur Erfüllung der Regierungsziele erforderlichen CO2-Minderungen erreicht werden. Das verbleibende Drittel kann über verbesserte Gebäudedämmung umgesetzt werden. Insgesamt könnten auf diesem Wege 40 % CO2 gegenüber 2014 eingespart werden. Die Umsetzung der Klimaziele der Regierung im Sektor Gebäude wären also zumindest technisch machbar.
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IM+io: Wie können Hersteller moderner Heizungssysteme Ihrer Meinung nach bei der Steigerung des Modernisierungstempos und der Einhaltung der Klimaziele unterstützen?
KR: Eine Möglichkeit ist sicher die bereits erwähnte Bereitstellung von privaten Communities wie ViShare. Aber auch das Stichwort „Information“ spielt hier eine wichtige Rolle. Die Endverbraucher dürfen sich nicht alleine gelassen fühlen. Sie sollten möglichst genau über die Vor- und Nachteile der neuen Technologien und die zur Verfügung stehenden Förderprogramme informiert werden. Hier hilft eine gute Pressearbeit, aber auch interaktive Angebote, wie zum Beispiel der Beitragsrechner von Viessmann. Mit Hilfe eines geführten Dialogs können potenzielle Kunden den Energiebedarf ihres Hauses selbst berechnen. Dadurch bekommen sie bereits erste Anhaltspunkte für die Auswahl des geeigneten Heizsystems. Eine weitere wichtige Aufgabe der Heizungshersteller ist die Stärkung der lokalen Handwerksbetriebe. Sie stehen den Endverbrauchern bei der Auswahl, der Installation und der Nutzung der Geräte zur Seite und sollten deshalb immer auf dem aktuellen Stand der Technik sein. Viessmann betreibt hierzu eine eigene Akademie, in der jährlich rund 40.000 Elektrotechniker und Heizungsinstallateure geschult werden. Die Unterrichtseinheiten finden sowohl in der Firmenzentrale in Allendorf als auch in den 12 Niederlassungen des Unternehmens statt. Auch Onlinekurse werden angeboten. Ergänzend dazu gibt es das neue Partnerprogramm „V+“: Wer seinen Kunden moderne Heizsysteme anbietet, erhält Rabatte auf die entsprechenden Heizungskomponenten. Zuletzt ist es für einen nachhaltig orientierten Heizungshersteller natürlich auch wichtig, mit gutem Beispiel voran zu gehen. Viessmann verfügt am Standort in Allendorf bereits seit 2008 über eine ressourcenschonende Energiezentrale, die nicht nur den Energiebedarf des Verwaltungsgebäudes, sondern auch den der Produktion mit 40 % reduziertem Bedarf an fossiler Energie abdeckt. Ein gasbetriebenes Blockheizkraftwerk, zwei Hackschnitzelkessel mit Kraft-WärmeKopplung sowie eine Photovoltaikanlage liefern dort eine elektrische Leistung von 589 kW. So spielt neben effizienter Brennwerttechnik, Wärmepumpen und Solarthermie auch Biomasse eine bedeutende Rolle. Der jährliche Bedarf von bis zu 7000 t Biomasse wird weitgehend durch Pappelholz von eigenen Kurzumtriebsplantagen gedeckt. [8]