Wenn Avatare den Redefluss stören
Rhetorik Training in der virtuellen Arena
Im Gespräch mit Michael Scholl, Union Stiftung
Kurz & Bündig
Die Union Stiftung ist ein Produkt der wechselvollen Geschichte des Saarlandes und steht seit 1959 als Fortbildungseinrichtung für Themen der staatsbürgerlichen Bildung, internationalen Verständigung, Wissenschaft, Forschung und Kultur Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung. Besonders kommunale Amtsträger und Ehrenamtler nutzen die Angebote. Mit ihrem virtuellen Rhetorik Training in ihrer VR-Arena bietet sie seit September 2020 eine innovative Erweiterung des Angebotes ihrer Online-Akademie.
Allen voran kommunale Amtsträger nutzen das 2020 entstandene Angebot der Online-Akademie der Saarbrücker Union Stiftung. Ergänzt wird dieses nun auch durch virtuelles Rhetorik Training vor Avataren in einer VR-Arena.Rhetorik Präsenzseminare nutzen die VR-Arena ebenfalls als zusätzlichen Kanal. Die Hintergründe zu diesem Gamification Ansatz hat uns Michael Scholl, Geschäftsführer der Stiftung, erläutert.
IM+io: Wie ist bei der Union Stiftung die Idee der VR-Arena entstanden?
MS: Unsere Aufgabe ist u.a. die Förderung der staatsbürgerlichen Bildung, und um als mündiger Staatsbürger agieren zu können, braucht man auch rhetorische Fähigkeiten. Da haben wir angesetzt. Wir bieten schon länger Präsenzseminare zur Rhetorik, beispielsweise mit Dr. Roland Forster, aber im vergangenen Jahr sind wir dann auch auf virtueller Ebene eingestiegen. Wir haben uns aufgrund der Anregung unseres Rhetoriktrainers Wladislaw Jachtchenko mit den Möglichkeiten, die eine VR-Brille bietet, beschäftigt. Darauf folgte dann die Überlegung, wie man diese Brille in unsere Arbeit einbetten kann. Daraus wurde dann unsere Arena konzipiert.
IM+io: An welche Zielgruppe wenden Sie sich mit diesem Angebot?
MS: Wir setzen die Arena zum einen als Ergänzung zu unseren Präsenz-Rhetorikkursen im Haus ein, aber wir bieten auch bei uns gezielt vor Ort Termine an, wenn jemand individuell trainieren möchte. Die erweiterte Idee liegt darin, das neue Angebot mit unserer Online-Akademie zu koppeln und Teilnehmerinnen und Teilnehmern an Online-Rhetorikseminaren dann hier bei uns die Möglichkeit der praktischen Übung zu geben. Wer sich nach der Theorie live vor virtuellem Publikum ausprobieren möchte, kann das bei uns nach Anmeldung in der VR Arena tun. Dabei sind bei uns alle Angebote kostenlos.
IM+io: Wie sieht das dann konkret aus?
MS: Man bucht zunächst einen Termin über unsere Website www.unionstiftung.de/vr-arena. Vor Ort erhält man eine kurze Einführung, wie die Brille funktioniert, und setzt diese dann auf. Sie können Aufgabenstellungen mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden vom Einsteiger bis zum Profi wählen. Per VR Brille tritt man dann in einer Redesituation vor virtuelles Publikum. Man erhält die Aufgabe, vor diesem virtuellen Publikum eine Rede zu einem bestimmten, vorher unbekannten Thema zu halten. Für Fortgeschrittene kann das dann so etwas sein wie: „Halten Sie ohne Vorbereitung eine 3-minütige Meinungsrede über die Vorzüge des Euro.“ Der Redner sieht dann z.B. eine Gruppe von Menschen an einem Konferenztisch, zu der er spricht. Unsere KI gestützte Software misst dabei verschiedene Parameter, um daraus eine qualifizierte Rückmeldung zu generieren. Dazu gehört z.B.: Wie oft benutzen Sie Dopplungen oder Füllwörter? Wie halten Sie ihren Blickkontakt? Machen Sie absichtliche oder ungewollte Sprechpausen? Das alles fließt in die Auswertung ein.
IM+io: Haben die Teilnehmer danach das Gefühl, dass das Training sie tatsächlich weitergebracht hat?
MS: Wir erhalten viel positives Feedback. Bei dem VR Training gibt es für mich einen besonders schönen Effekt, der uns auf jeden Fall mit unserer Idee bestätigt: Bei Präsenzseminaren zur Rhetorik erleben wir immer wieder Teilnehmer, die sich in praktischen Übungen schwertun, weil sie sich in der Gruppensituation beobachtet fühlen. Diese Beobachtung macht sie ängstlich. Das Schöne bei der virtuellen Situation ist, dass dieser Aspekt wegfällt. Teilnehmerinnen und Teilnehmer wissen, dass sie tatsächlich alleine sind und nur die KI sie beobachtet. Wir bekommen immer wieder die Rückmeldung, dass man sich da viel eher traut sich auszuprobieren und dass das entsprechend viel als Trainingseinheit bringt. Es geht hier um einen geschützten Raum, den wir bieten schöpfen. Die Teilnehmer schätzen auch die detaillierte Auswertung durch unsere Software.
Sehr positiv reagieren unsere Teilnehmer auch darauf, dass wir den Schwierigkeitsgrad nicht nur bei der Themenstellung skalieren können, sondern dass unser Avatar-Publikum auch auf unterschiedliche Art als Störfaktor eingesetzt werden kann. Da ruft jemand etwas in den Raum, ein Handy klingelt, jemand gähnt gelangweilt oder tut sonst etwas, um zu stören. Das lässt sich vorab je nach Set-up einstellen. Das ist natürlich nur etwas für die Fortgeschrittenen.
IM+io: Die VR-Arena ist nicht zuletzt als Ergänzung zu Online-Angeboten zum Rhetoriktraining gedacht. Wie sind solche Seminare konzipiert?
MS: Natürlich kann ein Online-Seminar nicht so breit und optimal aufgestellt sein, wie das in einem Präsenzseminar der Fall wäre. Bei letzterem können sehr viel differenziertere Übungseinheiten absolviert werden. Wir bieten online ein skalierbares Modell, das aber durchaus als Vorbereitung zu einem Präsenzseminar dienen kann. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekommen eine Vorstellung davon, ob es Sinn für sie macht, sich bei uns z.B. für ein Wochenendseminar einzubuchen.
Man kann in einem solchen Onlinekurs schon mal Theorie üben, mit Videos und Skripten. Das wird gut angenommen, wir sind damit am 15. November 2020 gestartet und jetzt, bis März 2021, wurden bereits über 1100 Kurse heruntergeladen. Wir haben ein kleines Einsteigermodul, um in das Thema hineinzufinden, dann drei weitere mit spezifischen Themen bis hin zur „Schwarzen Rhetorik“, mit dem Ziel Manipulation durch Rhetorik zu erkennen. Die Seminare geben Tipps und Tricks, die weiterhelfen, die eigenen rhetorischen Fähigkeiten zu entwickeln.
IM+io: Online-Akademie und VR-Arena sind erst seit 2020 Teil Ihres Angebots – entstanden diese Projekte Corona bedingt?
MS: Wir hatten schon länger Überlegungen angestellt, wie wir einen digitalen Raum aufstellen könnten, aber Corona hat das natürlich beschleunigt. Wir bieten auch viele Vortragsveranstaltungen, die auch durch Online-Angebote ergänzt werden sollten. Die letzte Vorortveranstaltung vor Corona hatte sinnigerweise das Thema „Digitalisierung in Kommunen“. Wir mussten im Ergebnis keine unserer geplanten Vorträge coronabedingt absagen, weil wir sie alle als Online-Formate anbieten konnten. Wir haben auch Online-Seminare konzipiert und uns so neu aufgestellt. Im Ergebnis haben wir die Krise als Chance genutzt.
IM+io: Wie werben Sie für Ihre Angebote?
MS: Unsere VR-Arena und Online-Akademie sind derzeit ein einmaliges Angebot in der Schulung von kommunalen Mandatsträgern und interessierten Bürgerinnen und Bürgern, was die Bewerbung einfach macht. Zusätzlich haben wir mit unserem „Netzwerk für Kommunalpolitik“ eine Plattform, die wir auch per Newsletter direkt ansprechen können. Diese Zielgruppe nimmt das Angebot besonders gut auf. Aber auch für unsere Rhetorik Präsenzkurse ist die VR Arena eine sehr spannende Ergänzung, die gerne genutzt wird.
IM+io: Eine letzte Frage zum Hintergrund der Union Stiftung: Woher stammt das Stiftungskapital?
MS: Das ist eine sehr saarländische Geschichte: Die Union Stiftung wurde am 1. August 1959 vom ersten saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann gegründet und verfolgt den Zweck, demokratische und staatsbürgerliche Bildung, internationale Verständigung, insbesondere die europäische Einigung, sowie Wissenschaft, Forschung und Kultur zu fördern. Auf der Grundlage eines christlichen Menschenbildes arbeitend, sind wir als gemeinnützig anerkannt und finanzieren unsere Tätigkeit uneingeschränkt aus privaten Mitteln. Die Stiftung erhält keine öffentlichen Mittel und keine Zuwendungen von politischen Parteien und ist nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ausgerichtet.
Wir sind aber keine Parteistiftung und stehen allen Interessierten, ungeachtet ihrer parteipolitischen Ausrichtung, zur Verfügung. In unseren Seminaren sind Vertreter aller demokratischer politischer Parteien vertreten. Und wir sind breit aufgestellt. Da in unserer Satzung auch die Förderung von Kultur verankert ist, konnten wir jetzt in Corona Zeiten auch ein Projekt zur finanziellen Förderung saarländischer Künstlerinnen und Künstler auflegen. So wurden von uns unbürokratisch insgesamt 70.000 EUR in Tranchen von 1000 EUR an Kulturschaffende ausgezahlt.
(Bildquelle: AdobeStock | 398306972 | Yaroslav Danylchenko/Stocksy)