Mit Super Mario zum Super Talent
Serious Games im Human Resource Management
Carmela Aprea, Universität Mannheim
Kurz & Bündig
In einem dynamischen Geschäftsumfeld bieten Serious Games Unternehmen die Möglichkeit, talentierte Mitarbeitende auf sich aufmerksam zu machen, an sich zu binden und kontinuierlich fortzubilden. Für einen adäquaten Einsatz von Serious Games im Human Resource Management bedarf es jedoch fundierter Kenntnisse über deren Charakteristika, Wirkungsweisen, Varianten und mögliche Einsatzgebiete. Ebenso ist ihr Erfolg an spezifische Gestaltungs- und Implementierungsmerkmale gebunden.
Der Fachkräftemangel in vielen Branchen sowie Veränderungen in Einstellungen und Bedürfnissen sowie im Kommunikationsverhalten vor allem jüngerer Bewerberinnen und Bewerber machen neue Wege in der Gewinnung, Bindung und Entwicklung von Mitarbeitenden erforderlich. Während früher etwa die Popularität eines Arbeitgebers, unbefristete Verträge und hohe Gehälter entscheidend waren, zählen heute verstärkt Aspekte wie flache Hierarchien, familiäres Umfeld und eine flexible und ausgewogene Work-Life-Balance. Vor diesem Hintergrund haben viele Unternehmen das Potenzial von Serious Games im Human Resource Management erkannt.
Nicht erst seit der Corona-Pandemie boomt der Markt für analoge und insbesondere digitale Spiele als Unterhaltungsmedien. So wird in einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. März 2021 über ein Wachstum des deutschen Videospielemarkts im Jahr 2020 um 32 Prozent bzw. rund 2 Milliarden Euro berichtet. Spielen ist jedoch weit mehr als nur Freizeitbeschäftigung oder Zeitvertreib, sondern stellt ein universales menschliches Lern- und Entwicklungsprinzip dar, denn vieles, was wir für unser Leben brauchen, erwerben wir in jungen Jahren auf spielerische Art und Weise. Und wie der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seinem wegweisenden Werk „Homo ludens“ herausgearbeitet hat, bleibt der Mensch zeitlebens ein Spielender, der im Spiel seine individuellen und kulturellen Eigenschaften entdeckt, über die dabei gemachten Erfahrungen sein Handlungsrepertoire erweitert und seine Persönlichkeit entwickelt.
Dieses universale Prinzip des Spielens machen sich auch Serious Games zunutze, bei denen eine ernsthafte Absicht – nämlich etwas zu lernen oder eine bestimmte Verhaltensveränderung herbeizuführen – mit unterhaltsamen Elementen verknüpft wird, wie sie aus handelsüblichen Videospielen bekannt sind. Während Serious Games bereits seit längerem Einzug in verschiedene Bildungskontexte gehalten haben, werden sie unter den einleitend skizzierten Bedingungen eines dynamischen Geschäftsumfelds zunehmend auch für Unternehmen attraktiv, um Personal zu rekrutieren, zu schulen und zu motivieren. Der vorliegende Beitrag greift dieses Anwendungsfeld von Serious Games auf.
Vom Spielen zu Serious Games und anderen game-basierten Formaten
Um das Potenzial von Serious Games in der Rekrutierung und Qualifizierung von Mitarbeitenden adäquat einordnen zu können, ist es zunächst wichtig, zwischen verschiedenen spielbasierten Konzepten und Vermittlungsformen zu unterscheiden, die verwandt sind oder im Zusammenhang mit Serious Games genannt werden. Eine erste relevante Unterscheidung ist jene zwischen freiem Spiel (paidia), das im Englischen auch als Play bezeichnet wird, und regelbasiertem Spiel (ludus), wofür im Englischen der Begriff Game steht. Play und Game stellen unterschiedliche Aktivitäten dar:
Während man unter ersterem zumeist ein nicht reglementiertes, freies und expressives Verhalten versteht, stellt letztgenanntes eine regelbasierte und zielorientierte Form des Handelns dar. Obgleich gegenwärtige Theorien zum Serious Game Design das spielerische Moment nicht außer Acht lassen, werden klar definierte Ziele, konsistente Regeln als Vorgaben – die sogenannte Spielmechanik – sowie fortlaufendes Feedback über die Zielerreichung durchweg als konstituierende Merkmale von Serious Games angesehen. Serious Games können zudem weitere Funktionen wie Storytelling, Interaktivität oder Belohnungssysteme enthalten. Diese Elemente bilden jedoch eine Anreicherung der zuvor genannten Grundfunktionen.
Serious Games grenzen sich daher auch von der sogenannten Gamification ab, worunter man die Anwendung spieltypischer Elemente und Prozesse in spielfremden Kontexten versteht. Ein Beispiel für Gamification ist eine Fortschrittsanzeige auf einer Homepage, um zu zeigen, wie vollständig ein Profil ausgefüllt wurde oder die Belohnung von bestimmten Aktionen mit Punkten, etwa zur Kundenbindung im Einzelhandel. Gamification erschafft jedoch noch kein Spiel, da das entscheidende Element der Spielmechanik fehlt, denn durch diese Spielmechanik begünstigen Serious Games Lernen und Verhaltensänderung auf vielfältige Weise: Sie fördern die aktive Beteiligung der Spielerinnen und Spieler durch Erkundung, Experimentieren, Wettbewerb und gegebenenfalls Kooperation, regen das Vorstellungsvermögen durch Visualisierung und Eintauchen in die Spielwelt an und unterstützen die Motivation durch Lernfreude, Flowerleben und kontinuierliches Feedback.
Dadurch sprechen sie Kompetenzen an, die im Informationszeitalter besonderes benötigt werden, wie etwa Selbstregulierung, Informationskompetenz, vernetzte Zusammenarbeit und Problemlösungsstrategien, kritisches Denken und Kreativität.
Typen von Serious Games in Lern- und Arbeitskontexten
In der Forschungsliteratur werden verschiedene Typen von Serious Games unterschieden, wobei sich bislang allerdings noch kein einheitliches Einteilungssystem durchgesetzt hat. Da Typologien von der jeweiligen Perspektive abhängen, ist dies jedoch nicht verwunderlich. Zudem führt die rasche technische Entwicklung dazu, dass neue Typen entstehen oder vorhandene miteinander gemischt werden. Typisierungen dürfen also nicht als etwas Statisches missverstanden werden, sondern sollen Entwicklern und Nutzern von Serious Games eine gewisse Orientierung ermöglichen. Eine für Lern- und Arbeitskontexte häufig verwendete Kategorisierung unterscheidet zwischen digitalen Lernspielen im engeren Sinne, Simulationen und Planspielen.
Digitale Lernspiele bezeichnen Spiele, die fiktive virtuelle Spielwelten abbilden und mittels der darin implementierten Spielmechanik das Lernen spezifischer erwünschter Inhalte anregen sollen. Diese Inhalte können sich praktisch auf alle Lerngegenstände vom Sprachenlernen über die Umweltbildung, Mathematik und vieles mehr beziehen. Zudem können sie gleichermaßen Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Verhaltensweisen oder Einstellungen umfassen. Simulationen sind virtuelle Varianten von etwas Realem, um dieses in einem sicheren Umfeld zu testen oder zu üben (zum Beispiel Flugsimulatoren). Von Planspielen spricht man, wenn komplexe reale soziotechnische Systeme (beispielsweise Verhandlungssituationen oder Interaktionen an der Börse) simuliert werden.
Neben der in dieser Typologie angeklungenen Unterscheidung von Serious Games nach ihrer Realitätsnähe sind auch ihr Komplexitätsgrad sowie ihre Dauer von Bedeutung, die prinzipiell von wenigen Minuten bis über mehrere Stunden, Tage, Wochen oder gar Monate reichen kann. Wichtig ist weiterhin ebenfalls die Frage, inwiefern es sich um ein Single-Player-Game handelt oder Interaktionen mit anderen Spielerinnen und Spielern vorgesehen sind.
Wie lassen sich Serious Games im Human Resource Management nutzen?
Wie eingangs erläutert, ist der potenzielle Nutzen von Serious Games für das Human Resource Management im Zusammenhang mit gegenwärtigen Veränderungen im Umfeld von Unternehmen zu sehen. Dabei wird zum einen ihre strategische Bedeutung im Rahmen des Employer Branding hervorgehoben, um ein Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber darzustellen und gegenüber anderen Wettbewerbern am Arbeitsmarkt zu positionieren. Zum anderen werden die flexiblen Einsatzmöglichkeiten von Serious Games im Human Resource Management betont. Diese betreffen zunächst inhaltliche Aspekte, denn das mögliche Spektrum von Serious Games reicht von unternehmensspezifischem Fachwissen über Teamregeln und Prozesse bis zu Fragen der Compliance. Eng damit zusammenhängend können mit Serious Games außerdem unterschiedliche Zielgruppen erreicht werden. Während sie in der Gewinnung und Entwicklung von Führungskräften eine längere Tradition haben, setzen sie sich mehr und mehr auch für andere Gruppen von Mitarbeitenden durch. Schließlich kann der Einsatz von Serious Games in verschiedenen Phasen des sogenannten Employee Lifecycles erfolgen, von denen
im Folgenden das Recruiting sowie das Onboarding und die Weiterbildung näher beleuchtet werden sollen.
Für die Nutzung von Serious Games in der Rekrutierung von Mitarbeitenden hat sich der Ansatz des ‚Recrutainment‘ etabliert, bei dem psychologische Auswahlverfahren (Assessments) mit Spielumgebungen verknüpft werden. Die Performanz von Bewerberinnen und Bewerbern im Spiel liefert dabei nicht nur wertvolle Informationen für die Auswahlentscheidungen der Personalverantwortlichen, sondern unterstützt auch die Selbsteinschätzungsfähigkeit von Bewerberinnen und Bewerbern. Serious Games erfreuen sich daher bei ihnen meist hoher Beliebtheit.
Auch mit Blick auf das Onboarding und die Weiterbildung von Mitarbeitenden wird das Potenzial von Serious Games zunehmend erkannt. So ist davon auszugehen, dass sich Serious Games beim Onboarding nicht nur positiv auf die Motivation neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auswirkt, sondern dass auch die Mitarbeiterbindung gefördert werden kann, da von Anbeginn an eine positive Einstellung zum Unternehmen unterstützt wird.
Durch den Einsatz von Serious Games im Onboarding und in der Personalentwicklung können Personalverantwortliche im Unternehmen zudem entlastet werden und sich so auf andere Aufgaben, wie beispielsweise die persönliche Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, konzentrieren. Da Serious Games in diesem Anwendungsbereich auch als Assementtool eingesetzt werden können, gewinnen Personalerinnen und Personaler ferner gezielte Erkenntnisse darüber, in welchen Bereichen die Mitarbeitenden noch mehr Unterstützung brauchen.
Neben den hier skizzierten Einsatzgebieten sind für den Human Resource Kontext zahlreiche weitere Anwendungen von Serious Games denkbar, so beispielsweise das Team Building oder das Change-Management.
Erfolgsmerkmale für den Einsatz
Unabhängig vom konkreten Einsatzgebiet ist zu beachten, dass Serious Games in der Personalrekrutierung und -qualifizierung keine Selbstläufer sind, sondern ein planvolles und sorgfältiges Vorgehen erfordern. Dabei sind sowohl das Game Design als auch die Implementierung im Kontext des Human Resource Managements an bestimmte Erfolgsmerkmale geknüpft. Um Mehrwerte durch Serious Games zu schaffen, sollten zunächst die Ziele des Spiels in einer Bedarfsanalyse geklärt werden. Dabei sind sowohl die Anforderungen der konkreten Anwendung (Rekrutierung, Onboarding, Weiterbildung) als vor allem auch die Präferenzen und Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu erfassen und dann adäquat in der Spielgestaltung abzubilden.
Ebenso sind mögliche Zielkonflikte zu klären und ist der Umstand zu berücksichtigen, dass auch mit Serious Games niemals alle Interessen und Vorlieben berücksichtigt werden können. Zur Sicherung der Akzeptanz und Nutzungsbereitschaft von Serious Games sollten wichtige Akteure deshalb möglichst frühzeitig eingebunden werden. Auch müssen Fragen der technischen Integration und der betrieblichen Mitbestimmung gelöst werden. Last but not least ist es essenziell, die Auswirkungen der spielerischen Ansätze auf die gewünschte Zielsetzung sowie potenzielle positive oder negative Nebeneffekte laufend im Blick zu behalten. Hierzu bedarf es der systematischen begleitenden Evaluation.
(Bildquelle: AdobeStock | 02823639 | bohlam)