Vom Rasen ins Netz
Der Datenball rollt auch Hellas 05 Bildstock im Amateurfußball
Irmhild Plaetrich, Redakteurin IM+io, im Gespräch mit Tim Hollinger und Walter Thorn, SV Hellas 05 Bildstock
(Titelbild: ©Hellas 05 Bildstock)
Kurz und Bündig
Noch bis 2016 wurden Spielermeldungen und Spielertransfers bei Amateur-Fußballvereinen per Post und/oder Fax durchgegeben. All das änderte sich mit der Einführung des DFB Net durch den Deutschen Fußballbund, dem auch die Landesverbände angeschlossen sind. Unterdessen werden Passanträge im DFB Net online beantragt und als digitale Dokumente inklusive Spielerfotos hinterlegt. Spielertransfers werden online gemeldet, ebenso wie die Spieler für ein Match und die Spielberichte im Nachgang. Beim SV Hellas 05 Bildstock konnte man die neuen Herausforderungen gut meistern, da man im Vorstand digital-affine Mitglieder hatte. Aber für 80 Prozent der Vereine im
Saarland waren diese digitalen Anforderungen zunächst kaum oder gar nicht umzusetzen, weil weder das Know-how noch die technische Ausstattung vorhanden waren. Unterdessen profitieren aber alle Vereine von der neuen digitalen Effizienz.
Der Fußballverein Hellas 05 Bildstock feiert im kommenden Jahr sein 120-jähriges Bestehen. Aus tiefster Überzeugung positioniert sich der kleine Traditionsclub aus dem Saarland als reiner Amateurverein. Weder Spieler noch Betreuer erhalten Gehälter. Belohnt werden nur erspielte Punkte mit einer Prämie. Der gesamte Verein wird ehrenamtlich geführt, jeder muss mit anpacken, um Existenz und Erfolg der „Hellas“ sicherzustellen. Ob und wie der digitale Fortschritt den Verein bereits erreicht hat, haben wir im Gespräch mit dem Vereinsvorsitzenden Walter Thorn und dem jungen Geschäftsführer Tim Hollinger erfahren.
Rund 350 Mitglieder, zwei aktive Mannschaften in Verbands- und Bezirksliga, Jugendmannschaften in allen Altersbereichen und eine aktive Alte Herren Mannschaft, das ist die stolze Bilanz des SV Hellas 05 Bildstock. Man spielt auf einem Kunstrasenplatz, der mit viel Eigenleistung gebaut wurde, der
Stadionsprecher sitzt in einem von handwerklich versierten Vereinsmitgliedern gebauten Häuschen hoch oben über der Mittellinie des Platzes. Gespielt wird komplett analog, ohne Torkamera oder Videoschiedsrichter. Und doch hat die Digitalisierung in verschiedenen Bereichen der Hellas bereits Einzug gehalten. Langjährige Spieler und Trainer erinnern sich noch daran, dass bis Mitte der 10er Jahre Spielerpässe noch aus Papier waren und dem Schiedsrichter vor dem Spiel präsentiert wurden.
Spielergebnisse gab der Schiedsrichter am Ende per Telefon dem Saarländischen Fußballverband
(SFV) durch. Spielermeldungen und Spielertransfers wurden per Post und/oder Fax durchgegeben. All das änderte sich ab 2016 mit der Einführung des DFB Net durch den Deutschen Fußballbund, dem auch der SFV angeschlossen ist. Unterdessen werden Passanträge im DFB Net online beantragt und als digitale Dokumente inklusive Spielerfotos hinterlegt. Spielertransfers werden online gemeldet, ebenso wie die Spieler für ein Match und die Spielberichte im Nachgang. All das gilt unterdessen für
jeden Verein – von der untersten Kreisklasse an. „Für 80 Prozent der Vereine im Saarland waren diese digitalen Anforderungen zunächst kaum oder gar nicht umzusetzen, weil weder das Know-how noch die technische Ausstattung vorhanden waren“, so Walter Thorn. „Mittlerweile hat sich das aber stark geändert. Wir hatten schon damals den Vorteil, dass wir im Vorstand Leute hatten, die aus Berufsgründen am PC und online gearbeitet haben, sodass wir problemlos schnell dabei waren, als es um die Umstellung ging. Unterdessen haben wir einen Vorstand mit vielen jungen Leuten, die als Digital Natives ohnehin alle neuen Schritte schnell mitgehen können. Aber einige Vereine in niedrigeren Klassen haben immer noch Probleme, zumal es bei vielen Meldungen auch keine Papieralternative gibt. Ich hätte mir allerdings damals auch mehr und bessere Schulungen vom SFV gewünscht. Unterdessen funktioniert das sehr gut über Webinare und Online-Meetings.“ Für Walter Thorn und sein Vorstandsteam ist durch die Digitalisierung der Verwaltung und Kommunikation mit dem SFV vieles einfacher und schneller geworden. Man ärgert sich jedoch über Medienbrüche, die zu Doppelarbeit führen. Beim Transfer von Spielern müssen nach wie vor Papierformulare ausgefüllt
und unterschrieben werden, ebenso wie beim Beitritt zum Verein. Die Dokumente werden dann online dem SFV übertragen, das Papier wandert in einen Hellas Aktenordner, wo es zwei Jahre lang für mögliche Kontrollen aufbewahrt werden muss. Für den 31-jährigen Geschäftsführer Tim Hollinger ist die digitale Kommunikation ohnehin eine Selbstverständlichkeit, aber er sieht in Verfahren wie der rein elektronischen Erstellung und Verwaltung der Spielerpässe auch eine Möglichkeit, Betrug vorzubeugen: „Früher haben Spieler, die eigentlich nicht spielberechtigt waren, schon mal mit dem Pass eines anderen gespielt. Wenn das Foto ähnlich war und der Schiedsrichter die Spieler nicht kannte, war das durchaus möglich. Manche haben auch ohne Pass gespielt, weil sie ihren „vergessen“ hatten. Heute kann der Schiedsrichter und auch der Gegner jederzeit die Pässe online einsehen und die Spielberechtigung der Spieler verifizieren!“ Bei der Buchhaltung verlässt sich der Verein mit Blick auf die Digitalisierung noch auf seinen Steuerberater. Belege werden in Papierform
abgeliefert, erst das Steuerbüro kümmert sich um die Digitalisierung der Daten. Geplant ist allerdings die Einführung eines neuen Programms zur Rechnungserstellung. Hier sorgen automatisch fortlaufende Rechnungsnummern für bessere Übersicht und Transparenz. Tim Hollinger ist ein Fan von digitalen Trainingslösungen und auch Walter Thorn, der selbst eine B- Trainerlizenz hat, sieht darin gute Möglichkeiten, selbst für den Amateursport. Es sind die hohen Kosten, die die größte Hürde darstellen. Also geht man bei der Hellas in kleinen Schritten voran und nutzt, was verfügbar
ist. „Leider können wir im Training noch nicht mit umfassenden Trackingdaten arbeiten“, so Hollinger. „Es gibt bereits Leibchen, die sind gespickt mit Sensoren und geben dem Trainer alle Daten zu Fitness und Reaktion einzelner Spieler. Auch im aktiven Spiel kann der Trainer zum Beispiel Leistungslöcher entdecken und einen Spieler rechtzeitig auswechseln. So etwas ist aber nur in Profivereinen finanzierbar.“ Aber – wenn auch abgespeckt – es gibt bei der Hellas durchaus digitale Trainingsbegleitung. Nicht nur werden von den einzelnen Spielern der ersten und zweiten Mannschaft die Trainingsdaten von Konditionseinheiten auf ihren Smartwatches aufgezeichnet und dem Trainer
zur Verfügung gestellt, auch die Trainer selbst greifen auf digitale Helfer zurück. YouTube-Videos werden zur Verfeinerung der Spieltaktik herangezogen, und man hofft, bald auch über eine digitale Taktiktafel zu verfügen, die dann die alte Magnettafel in den Ruhestand schickt. Diese werden vom SFV in mehreren Tranchen den Vereinen zur Verfügung gestellt. Jetzt, bei der zweiten Tranche, ist man zur Informationsveranstaltung eingeladen. Mit dieser Taktiktafel können Trainingssequenzen vorbereitet und vor Ort beim Training taktische 24 IM+io Best & Next Practices aus Digitalisierung | Management | Wissenschaft Heft 2 I Juni 2024 Veränderungen simuliert und angepasst werden. Auch bei der Analyse von Spielen weiß man sich zu helfen. Die Hellas verfügt – anders als Profivereine – nicht über acht Kameras, die den Spielverlauf von allen Seiten minutiös aufzeichnen. Man setzt auf die Aufzeichnung durch ein paar Minikameras, anhand derer relevante Spielszenen zusammengeschnitten werden, die der Trainer mit seinem Team im Nachgang immer wieder ansehen und analysieren kann. Damit ist man in der Verbandsliga weitgehend alleingestellt und innovativ. Große Schritte in die digitale Welt hat die Hellas im Bereich der Außenkommunikation gemacht. Startete man um das Jahr 2000 mit einer eher statischen Website, die mehr wie ein digitaler Flyer daherkam, so hat man mittlerweile schon die dritte Version am Start. Ein einfaches, aber modernes Baukastensystem, das unkompliziert und auch per App zu betreuen ist. Eine Besonderheit, die nicht nur wirtschaftliche Vorteile bringt, sondern auch die Marke Hellas verstärkt, ist der eingebundene Fanshop. Kaufte der Verein früher ein paar Vereinsschals und Uhren mit Logo, wurden die in der Vereinsgaststätte präsentiert und an der Theke verkauft – mit mäßigem Umsatz. Nun gibt es einen Webshop von einem auf Fußballvereine spezialisierten Anbieter, der die Gesamtbreite an Sportbekleidung und Gimmicks wie Tassen, Christbaumkugeln und Gläser mit Hellas-Logo anbietet.
Die werden bei rein online erfolgenden Kundenbestellungen in der gefragten Auflage bedruckt und versendet. Längst sieht man in Bildstock viele Hoodies und Regenjacken mit dem Hellas Logo. Und der Verein, der mit all dem weder Arbeit noch Risiko hat, erhält einen gewissen Prozentsatz des Umsatzes. Facebook und Instagram gehören seit Jahren zum Standard der Außenkommunikation.
Inzwischen wird nichts mehr dem Zufall überlassen, mehrere Vorstandsmitglieder kümmern sich koordiniert um die Posts – und die Fans danken es ihnen. Allein bei Facebook, wo man eher die Generation 35+ anspricht, hat man 2000 Follower und je nach Inhalt schauen sich bis zu 17.000 Menschen die Nachrichten an. Ähnliches gilt für Instagram, der Plattform, mit der man die 12-40-jährigen am besten erreicht, da hier eher Fotos als Texte zählen. Beide Plattformen helfen zudem dabei, Mitakteure und Gäste für die beiden großen Events des Vereins zu finden, das Sportfest „Hoferkopfspiele“ im Sommer und der Christmas Cup als eines der Qualifikationsturniere für das prominente Hallenmasters im Winter. Auch die interne Kommunikation erfolgt innerhalb der einzelnen Mannschaften bis hin zu den Alten Herren digital per WhatsApp. Und dennoch – weiterhin gibt es bei jedem Heimspiel der Hellas ein gedrucktes Stadionheft – ebenso Turnierhefte bei den erwähnten
Hoferkopfspielen und dem Christmas Cup. In Schaukästen in Bildstock hängen große Hellas-Plakate, die Heimspiele und Events ankündigen. Und das ist weiterhin notwendig, wie Walter Thorn erläutert: „Es gibt aber noch viele, vor allem ältere Mitglieder, die noch nicht digital sind. Wenn diese über Wochen nichts von der Hellas lesen, keine Plakate mit Spielankündigungen sehen, kein Stadionheftchen bekommen, werden sie unzufrieden und fühlen sich von ihrem Verein abgehängt. Das darf nicht passieren. Wir werden aber künftig unsere Hefte in einer geringeren Auflage produzieren und sie zudem auf der Website und in den sozialen Medien digital verfügbar machen.“
Bei der Hellas ist man sich sicher, dass man als Amateurverein, dessen erste Mannschaft seit sechs Jahren in der Verbandsliga spielt, bei der Offenheit für und Umsetzung von digitalen Möglichkeiten weit voraus ist. Und man arbeitet weiter an digitalen Perspektiven für Training und Vereinsorganisation – was man sich im Großen noch nicht leisten kann, dem nähert man sich in kleinen Schritten.