Kurz & Bündig
Das menschliche Gehirn liebt die Kommunikationsform „Geschichte“ (Storytelling) wie keine andere. Doch was ist dieses Storytelling eigentlich? Was unterscheidet fiktionales Storytelling von edukativem Storytelling? Und wie aufwändig ist Storytelling im E-Learning eigentlich? In diesem Artikel werden die wissenschaftlichen Grundlagen dargestellt, es wird gezeigt, was eigentlich das Storytelling in einem E-Learning ausmacht, und auf die „Schwierigkeitsstufen“ für Konzipierende eines Story-Trainings eingegangen.
Unser Leben ist eine Ansammlung von Geschichten: Es gibt sogar Hinweise darauf, dass bis zu zwei Drittel unserer täglichen Unterhaltungen aus Geschichten bestehen. Ein großer Teil dieser Geschichten gibt bewusst oder unbewusst Wissen weiter. In der Regel sind wir gern der Held unserer eigenen Geschichte, unseres eigenen Lebens. Wir rechtfertigen unser Handeln vor uns selbst und anderen und zeichnen uns in einem heldenhaften Licht. Das gibt uns ein gutes Gefühl. Und das lässt sich auch für positive Anreize und Lernerlebnisse im E-Learning nutzen.
Warum Storytelling?
Die Forschung hat in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Studien und Theorien vorgelegt, wie und warum Storytelling funktioniert: Roger C. Schank fasst bereits 1995 in seinem Buch “Tell Me a Story: Narrative and Intelligence” gut zusammen, was Intelligenz, Lernen und Storytelling miteinander verbindet. Er definiert Intelligenz als die Fähigkeit, Probleme zu lösen: Man muss in der Lage sein, Schlüsse aus dem zu ziehen, was bereits passiert ist, um die Zukunft erfolgreich meistern zu können. Dafür ist es wichtig, zum richtigen Zeitpunkt die passende Erfahrung für die neue Situation abrufen zu können. Die wichtige Erkenntnis seiner Forschung ist hierbei, dass das menschliche Gehirn Erfahrungen in einer „narrativen Logik“, in „Skripten“ abspeichert. Wir haben also Mini-Geschichten im Kopf, durch die wir Regeln lernen und die uns dabei helfen, uns in der Welt zurechtzufinden.
John Weich fasst zusätzlich die Erkenntnisse jahrzehntelanger Forschung über die Definition und Bedeutung von Geschichten folgendermaßen zusammen: Das Geschichtenerzählen ist eine Methode des Verbindens. Es nutzt aus, dass die Menschheit mit grundlegenden Handlungsstrukturen und Archetypen vertraut ist. Gleichgültig, welchen Rang oder welchen gesellschaftlichen Stand ein Mensch hat – die grundlegenden Skripte sind für die Mehrheit sofort erkennbar.
Zusätzlich zum Abspeichern und Sinnerzeugen spielt die Gehirnchemie eine große Rolle in der menschlichen Neigung zum Storytelling: Wenn wir uns mit einer Geschichte beschäftigen, interpretiert unser Gehirn, dass wir diese selbst durchleben. Dabei stößt es vor allem drei Hormone aus: Cortisol, Dopamin und Oxytocin. Cortisol wird ausgeschüttet, wenn wir uns mit den Helden identifizieren und deren Aufregung und Probleme mit großer Aufmerksamkeit teilen. Um uns für diesen Kraftakt zu belohnen, setzt unser Gehirn Dopamin – das Glückshormon – frei. Das dritte Hormon, Oxytocin, verbindet uns durch Empathie mit den Protagonisten und ist für Solidarität und Gemeinschaftssinn verantwortlich.
Und was hat das nun alles mit Lernen im Allgemeinen und E-Learning im Speziellen zu tun? Wie bereits zu Beginn gezeigt: Unser Gehirn speichert Erinnerungen in narrativer Struktur. Der Kognitionswissenschaftler Jerome Bruner zeigt auf, dass wir uns Wissen, das in Geschichten vermittelt wird, bis zu 22 Mal besser merken können als reine Fakten. Das bedeutet auch, dass das Gehirn es präferiert, Wissen gleich in der bevorzugten Speicherform vorgelegt zu bekommen – als Geschichte.
Geschichten zeigen zudem nicht nur Zusammenhänge auf, sondern vermitteln auch, dass auf Handlungen Konsequenzen folgen. Hierdurch lernen Charaktere und Lernende die Konsequenzen ihres Handelns kennen. Dabei wird ein Format genutzt, das erwiesenermaßen von unseren Gehirnen so behandelt wird, als hätten wir diese Ereignisse selbst erlebt. Das Gehirn unterscheidet also nicht, ob wir eine Geschichte erzählt bekommen oder sie selbst erleben. So erinnern wir uns besser an das Gelernte.
Konzeption
Wie unterscheidet sich nun Storytelling für E- Learning von regulärem fiktionalem Storytelling? Der größte Unterschied ist der Freiheitsgrad des/der Konzipierenden. Im Gegensatz zum rein fiktionalen Erzählen müssen in einem Training Lerninhalte passend vermittelt werden. Die Dramaturgie und der Plot werden also um diese Inhalte herumgearbeitet. Hinzu kommt, dass die Inhalte oft auch nicht typisch für die klassischen Skripte sind und die Besonderheiten zusätzlich erklärt werden müssen. Außerdem ist die Haltung des Rezipienten oft eine andere. Die allermeisten E-Learnings im Unternehmensumfeld sind verpflichtend. Das bedeutet zumeist, dass viele Lernende bereits mit einer weniger günstigen Haltung an dieses Training gehen.
Story-Trainings müssen deshalb eine emotionale Verbindung zwischen der Geschichte, den Charakteren (und somit dem Lerninhalt) und den Lernenden aufbauen. In Anlehnung an Christina Maria Schollerer und Robert Mc- Kee braucht man dafür etwas, was die Aufmerksamkeit erregt und die Rezipienten in die Geschichte hineinzieht. Dann benötigt man etwas, was die Aufmerksamkeit fesselt – in der Regel Herausforderungen, und ganz am Ende ist es wichtig, eine emotional befriedigende Auflösung für die Geschichte zu bieten. Kurz: Hook, Hold und Payoff.
Die erste Idee für das Story-Training braucht also schon einmal einige Grundelemente: Eine dramatische Story mit einem klaren Aufhänger, diversen Problemen und deren Lösungen, verschiedenen Charakteren und einer klaren Definition, welche Perspektive der Lernende in der Story einnimmt. In der Regel spielt er in Story-Trainings direkt eine Rolle und wird auch unmittelbar angesprochen. Man kann die Lernenden zwar auch nur über die Schulter der Charaktere schauen lassen, sie bringen sich aber in der Regel stärker in das Training ein, wenn sie selbst Teil der Geschichte sind.
Nachdem die Idee gefunden und in eine Storyline verpackt ist, muss das Setting entwickelt werden. Die Fragen, die in einem Grobkonzept für das „Worldbuilding“ im Story-Training beantwortet werden müssen, sind folgende:
• Reales oder fiktives Setting?
• Zukunft, Gegenwart oder Vergangenheit?
• Wie sieht dieses Setting aus? Welche Personen/Wesen bevölkern es?
Schwierigkeitsgrade
Die Konzeption von digitalen Story-Trainings kann für einen darin unerfahrenen Konzipierenden deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als ein reguläres Training: Es gilt, eine Welt und Charaktere zu erschaffen, die zum Thema des Trainings passen.
Am leichtesten zu erstellen ist ein Story-Training, das einer einfachen, realitätsnahen Geschichte folgt. Ein sehr gutes und weit verbreitetes Beispiel dafür ist das „A day in a life“- Skript. Hier schlüpft der Lernende zum Beispiel in die Schuhe eines bestimmten Mitarbeiters, um den Tag aus seiner Perspektive zu erleben. Man kann die Charaktere auf realen Unternehmensmitarbeitern (oder einer Mischung von mehreren) basierend schreiben, reale Bilder aus dem Unternehmen verwenden und berücksichtigen, wie die Personen miteinander sprechen würden. Das nimmt den Konzipierenden viel Denkarbeit ab.
Von mittlerem Aufwand sind Story-Trainings, die nicht in der realen Welt spielen oder sogar mit fremden Spezies gespickt sind. Ein Beispiel hierfür ist das Zeitreise-Skript. Der Lernende kommt entweder aus der Gegenwart und reist in die Zukunft oder kommt aus der Zukunft und versucht, in der Vergangenheit – beziehungsweise der Gegenwart – etwas geradezubiegen. Die vielen Möglichkeiten zeigen schon, dass es zunehmend komplexer wird. Die Konzipierenden müssen sich überlegen, wie die Vergangenheit / Gegenwart / Zukunft genau aussieht. Welche Arbeitsgeräte wurden in der Vergangenheit zur Verfügung gestellt oder werden in der Zukunft zur Verfügung stehen? Welche Kleidung tragen die Menschen? Wie sind ihre Verhaltensweisen? Gibt es in der Zukunft vielleicht sogar Androiden oder Mitglieder einer anderen Spezies, die beim Lösen des vom Training vorgegebenen Problems helfen können? Vielleicht sprechen diese Wesen eine andere Sprache? Oder nutzen zumindest eine andere Grammatik (wie Yoda)? Das alles muss überlegt und beschrieben werden. Es dauert länger und muss plausibel sein.
Was kommt nun auf der schwersten Stufe hinzu? Game-Logik. Ein Serious Game erweitert das komplexe Setting noch um die speziellen Herausforderungen des Spieldesigns. Hier besteht zum Beispiel die Möglichkeit, dass wir es mit einem sogenannten Branching-Szenario zu tun bekommen. Je nachdem, welche Entscheidung der Lernende fällt, verändert sich die Story. In der Regel können Lernende sich auch freier durch die Welt eines Spiels bewegen, die aus mehr als einzelnen Seiten eines Autorentools besteht. Die Welt muss genauer definiert werden, Begegnungen in ihr sind spezifischer, Interaktionen ausgefeilter. Game-Elemente sollten passend zu Story und Problem gewählt werden. All das schafft Mehraufwand. Die Konzipierenden sollten einiges an Erfahrung mitbringen, um ein solches Training zu entwickeln – denn das ist die Königsklasse des Story-Trainings.
Ob nun inhouse oder extern konzipiert – Story-Trainings sind eine gute Wahl. In folgenden Situationen sind sie besonders geeignet:
1. Das Training ist optional, aber wichtig.
Eine gute Geschichte erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es dennoch ausgeführt wird. Wird das Training aufgrund seiner Originalität intern weiterempfohlen, gibt es einen Streueffekt.
2. Das Training hat ein sehr langweiliges oder schwer verständliches Thema. Storytelling eignet sich dann, um solche Themen mit einem größeren Anreiz zu vermitteln.
3. Die Mitarbeitenden wollen nicht wahrhaben, dass sie zu einem Thema Defizite haben. Durch die Identifikation mit der Story und dem Protagonisten können blinde Flecken aufgelöst werden.
4. Das Thema ist diffus und schwer in klare Worte zu fassen: Storytelling, vor allem wenn es mit gutem Design verbunden ist, lebt den Grundsatz „Show, don’t tell“.
Unabhängig davon, wie groß die Herausforderung ist, es gibt für jedes Thema das passende Story-Training.