Kurz & Bündig
In dem Gutachten „Digitale Souveränität und Bildung“ (2018) beschreibt der Aktionsrat Bildung die Auswirkungen der Digitalisierung auf alle Bildungsphasen – von der frühen Kindheit bis zur Weiterbildung –, die Implikationen für das Bildungssystem und hebt die digitale Souveränität als übergreifendes Ziel von Bildungsprozessen hervor.
Die digitale Transformation durchdringt nahezu alle Lebensbereiche. Der souveräne Umgang mit digitalen Medien wird damit zur Grundlage von Bildungsprozessen und zur Voraussetzung dafür, Bildungsteilnehmer auf die sich wandelnden Anforderungen in Beruf und Gesellschaft vorzubereiten. Um auch zukünftig sowohl individuellen Erfolg als auch wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlstand zu sichern, muss es gelingen, digitale Souveränität als übergreifendes Bildungsziel in allen Bildungsphasen zu verankern.
Digitale Souveränität meint die Möglichkeit, digitale Medien selbstbestimmt und unter eigener Kontrolle zu nutzen, die Konsequenzen des Handelns einschätzen zu können und sich an die ständig wechselnden Anforderungen in einer digitalisierten Welt anzupassen. Digital-souveränes Handeln ist einerseits an individuelle Voraussetzungen gebunden, also an eine hinreichende Medienkompetenz der Person, und andererseits an die Bereitstellung entsprechender Technologien und Produkte. So setzt etwa die Kontrolle des Nutzenden über die Darstellung der eigenen Person in der digitalen Welt zunächst Wissen über verschiedene Medien, relevante Sicherheitsaspekte und potentielle Gefahren ihrer Verwendung voraus (Medienkompetenz).
Außerdem sind zertifizierte IT-Produkte, Datenschutzrichtlinien und Systeme notwendig, die eine sichere Datenübermittlung garantieren. Der Begriff „digitale Souveränität“ wird vor allem mit Bezugnahme auf die in einer Gesellschaft lebenden Personen und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verwendet, die einen souveränen Umgang mit digitalen Medien gewährleisten.
Bildung in einer digital vernetzten Welt erweitert somit Medienkompetenz um den Begriff der digitalen Souveränität. Neben dem Erlernen der Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen ist der souveräne Umgang mit digitalen Medien die Voraussetzung für eine systematische Verankerung der Medienbildung im Handeln jedes Einzelnen. Zur Entwicklung digitaler Souveränität gehört neben der Diskussion der Chancen auch die kompetente Auseinandersetzung mit Fragen zu relevanten Sicherheitsaspekten und möglichen Gefahren, die mit der Nutzung digitaler Medien verbunden sind. Ein wesentlicher Lerninhalt ist es zudem, für die eigene digitale Information Verantwortung zu übernehmen und folglich die Wirkungen des eigenen Handelns nicht nur zu kennen, sondern auch reflexiv zu bewerten.
Lernende aller Altersgruppen sollen als selbstbestimmte Persönlichkeiten in einer sich ständig verändernden Gesellschaft bestehen und souverän sowie verantwortlich am gesellschaftlichen, politischen und beruflichen Leben teilnehmen können. Darum zählt die sichere Beherrschung der Informations- und Kommunikationstechnologien heute zu den Schlüsselkompetenzen. Vollständige digitale Souveränität wird erst möglich, wenn auch auf ethisch-reflexiver Ebene eine verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit digitaler Information und Kommunikation stattfindet.
Chancen und Risiken der Nutzung digitaler Medien für das Lernen
Digitale Kompetenzen sind, wie oben beschrieben, also zum einen eine übergeordnete Notwendigkeit, die sich aus gesellschaftlichen Wandlungsprozessen ergibt. Zum anderen wird die Digitalisierung des Bildungssystems als Mittel zur Verbesserung der Bildungsqualität gesehen und eingefordert. Negative Auswirkungen digitaler Medien auf das Lernen sind unter ungünstigen Randbedingungen möglich, z. B. wenn der Lernende nur über eine geringe Selbstregulationskompetenz verfügt.
Zudem gibt es eine gewisse Evidenz dafür, dass bestimmte Eigenschaften digitaler Medien einen exzessiven Gebrauch begünstigen und entsprechend auch andere entwicklungsförderliche Aktivitäten, wie z. B. sportliche Betätigung, „verdrängen“ können. Digitale Medien haben also nicht per se positive Auswirkungen auf Lernen und Leistung, sondern nur wenn tatsächlich die spezifischen Vorteile genutzt werden, die sie bei der Unterstützung von Lehr- und Lernprozessen gegenüber konventionellen Lehr-/Lernmethoden bieten. Die Forschung hat viele Erkenntnisse darüber hervorgebracht, wie Lernmotivation erzeugt oder gesteigert werden kann: Klar definierte und für den Lernenden etappenweise erreichbare Ziele spielen eine Rolle, genauso wie mittelschwere, an die Kompetenz des Lernenden optimal angepasste Aufgabenschwierigkeiten. Hinzu kommen das Erleben von Autonomie und Selbstbestimmtheit, kooperative Lehr-/Lerndesigns und informelles Lernen, auch in formellen Lernsettings.
Durch Interaktivität und Individualisierung können diese motivationssteigernden Effekte erzielt werden. Es sind diese Merkmale, die sicher mit dafür verantwortlich sind, dass digitale Medien von Menschen gerne und viel genutzt werden. Diese Prinzipien sollten noch stärker bei der Gestaltung z. B. von Lernsoftware oder von Lehr-/Lernarrangements in Bildungssettings berücksichtigt werden.
Der Aktionsrat Bildung schlägt eine Vielzahl übergreifender Maßnahmen vor, die zur Steigerung von Digital- und Medienkompetenz hilfreich sind:
Überprüfung der Lehrinhalte und systematischere Erarbeitung und Verankerung digitaler Lehr-/Lernkonzepte
Folgende Aspekte sind hierbei vor allem zu beachten:
Für alle Bildungsbereiche gilt es, darüber nachzudenken, welche Auswirkungen der Einsatz digitaler Medien und die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Informationen auf die zu vermittelnden Lehrinhalte haben sollten: Welche Inhalte sind so grundlegend, dass die Lernenden sie als Grundlagen- und Orientierungswissen beherrschen müssen? Welche Inhalte müssen mittels übergeordneter Medienkompetenzen und entsprechender inhaltsbezogener Kompetenzziele (z. B. die Fähigkeit, zu ausgewählten Themen selbständig zu recherchieren, Inhalte einzuordnen und kritisch zu hinterfragen etc.) Eingang in die Curricula finden?
Da digitale Kompetenzen als vierte Kulturtechnik gelten, sollte ihre Förderung analog zum Rechnen, Schreiben und Lesen Eingang in die Gesamtkonzepte der Bildungseinrichtungen finden. Neben informationstechnischem Grundlagenwissen sind auch alle übrigen Komponenten von „ICT Literacy“ zu berücksichtigen, d. h. sowohl speziellere technische Bedien- und Anwendungskompetenzen als auch übergeordnete Medienkompetenzen („Prozesskomponenten“, z. B. Medienkritik, Medienverständnis, Kommunikationskompetenzen etc.), die für einen ziel- und problemorientierten Umgang mit digitalen Medien notwendig sind.
Über diese überfachlichen Medienkompetenzen hinaus müssen auch für die einzelnen Inhaltsbereiche gesondert digitalgestützte fachdidaktische Lehr-/Lernkonzepte entwickelt und ausdifferenziert werden. Denn der sinnvolle Einsatz digitaler oder herkömmlicher Medien kann sich je nach zu vermittelndem Lerninhalt sehr unterschiedlich gestalten.
Bei der Entwicklung von mediendidaktischen Konzepten sollten herkömmliche und digitale Medien komplementär berücksichtigt werden. Ziel muss es sein, die Stärken des jeweiligen Mediums – unter Berücksichtigung vorliegender empirischer Erkenntnisse – nach Fach und Inhalt optimal zu nutzen.
Besondere Aufmerksamkeit verdient auch die Gestaltung der Übergänge zwischen den Bildungsetappen: Es sollten jeweils die Kompetenzziele und -voraussetzungen jeder Etappe definiert und in ein phasenübergreifendes Gesamtkonzept integriert werden
Flächendeckende und systematische Aus- und Weiterbildung des Personals in Bildungseinrichtungen
Folgende Aspekte sind hierbei vor allem zu beachten:
Für Lehrende aller Bildungsetappen sollten ein Angebot berufsbegleitender weiterbildender Module und Masterstudiengänge (z. B. für die Ausbildung zum „Digitalisierungsbeauftragten“, s.o.) sowie ein übergreifendes Gesamtkonzept zur Förderung digitaler Kompetenzen geschaffen werden.
Lehrkräfte sollten dafür qualifiziert werden, für die eigenen Unterrichtsziele fachdidaktisch und pädagogisch sinnvolle Unterrichtskonzepte mit digitalen Medien zu entwickeln. Darüber hinaus muss – mit dem Ziel der Nutzung von Synergieeffekten – in der Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte die Grundlage für einen kollegialen Austausch im Bereich der digitalen Medien und die Kooperation zwischen den Bildungseinrichtungen geschaffen werden.
Für das Bildungs- und Verwaltungspersonal in den staatlichen Bildungseinrichtungen von der frühen Bildung bis zur Sekundarstufe sollte eine Anzahl an verpflichtenden Weiterbildungstagen für den Themenbereich Digitalisierung festgelegt werden.
Da den Führungskräften eine bedeutsame Rolle bei der Digitalisierung der Bildungseinrichtungen zukommt, muss ein besonderes Augenmerk auf Qualifizierungsangebote für diese Zielgruppe liegen. Neben der Vermittlung der technischen und didaktischen Kompetenzen sollten Angebote geschaffen werden, die zu Fragen der Mitarbeiterführung und -motivation im digitalen Wandel qualifizieren. Ziel der Einrichtungsleitungen muss es sein, dem Lehrpersonal eine offene Haltung gegenüber dem Lehren mit digitalen Medien zu vermitteln und auch speziell auf die Bedürfnisse diesbezüglich sehr zurückhaltender und skeptischer Personen einzugehen.
Förderung der wissenschaftlichen Forschung in allen Bereichen der Digitalisierung von Bildungseinrichtungen
Folgende Aspekte sind hierbei vor allem zu beachten:
Die Wirksamkeit und der Mehrwert digitaler Unterrichts- und Prüfungsformen sollten für alle Bildungsbereiche und -etappen fortlaufend wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden.
Dies ist Voraussetzung, damit ein evidenzorientierter Einsatz digitaler Medien möglich wird und digitale Medien zur Individualisierung und Qualitätssteigerung von Prüfungen genutzt werden können.
Für alle Altersstufen sollten qualitätsvolle Unterrichtsmaterialien und Lernprogramme entwickelt werden. Bildungstechnologien sollten in enger Abstimmung mit den Bedürfnissen der Praxis vorangetrieben und weiterentwickelt werden.
Bei der Einführung von digital angereicherten Lehr-/Lern- und Prüfungsformaten sind die Vorstellungen und Bedürfnisse der Lehrenden sowie die heterogenen Voraussetzungen im Zugang zu ICT und in der digitalen Grundbildung der Lernenden zu berücksichtigen.
Für alle Bildungsetappen sollten die Aus- und Weiterbildungsangebote des pädagogischen Personals zum Themenbereich Digitalisierung fortlaufend evaluiert und wissenschaftlich begleitet werden.
Die medienpädagogischen und IT-Kompetenzen der Lehrenden an Schulen, Universitäten und Weiterbildungseinrichtungen sind ein zentrales Nadelöhr für einen effektiven medienunterstützten Unterricht. Darum müssen Modelle für die Kompetenzen der Lehrkräfte entwickelt und empirisch validiert werden.
Großer Forschungsbedarf besteht zur Frage des informellen Lernens: Über welche Kanäle werden außerhalb formaler Bildungskontexte für die Arbeitswelt und die Gesellschaft relevante Kompetenzen erworben (z. B. Diskussionen in sozialen Netzwerken, selbstgesteuerte Informations- und Meinungsrecherche zu beruflichen und privaten Themen)?
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