WWW – World Wide Web oder Wilder Wilder Westen?
Dirk Werth, Chefredakteur IM+io
Es ist ein viel kolportierter Vergleich, dass Daten das neue Öl sind. Und es ist auch viel Wahres daran: Nicht nur, weil Daten zu einem Wirtschaftsgut geworden sind – wenn auch mit Blick auf die Rechtslage noch nicht richtig, aber dazu später mehr, sondern auch, weil Daten eine neue Industrie begründet haben, die zu einer Wirtschaftsmacht geworden ist – und die zu mono- bzw. oligopolartigen Verwerfungen geführt hat. Ähnlich wie ein Rockefeller im Boomzeitalter des Erdöls mit seiner Standard Oil Company den Markt beherrschte, so haben heute die GAFAMs (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft) eine ähnliche Marktstellung. Und es mehren sich die kritischen Stimmen, gerade in Europa.
Unbestrittene Tatsache bleibt, dass die Daten explodieren: Sowohl im Umfang – das erzeugte Datenvolumen wächst aktuell exponentiell – als auch in der Qualität. Die oben genannten GAFAMs kennen uns besser, als es die eigene Familie tut. Das kann positive aber auch negative Wirkung haben. Insofern ist es folgerichtig und konsequent nach dem Motto „Meine Daten gehören mir“ die Datensouveränität in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn Daten zunehmend und vielfältig genutzt werden, so ist es essenziell, hierüber die Kontrolle zu behalten. Diese Kontrolle zu erreichen ist alles andere als trivial: Herausforderungen sind dabei sowohl technischer als auch konzeptioneller und rechtlicher Art. Bleiben wir beispielsweise beim „Meine Daten gehören mir“. Ist das wirklich so? Hochinteressant und vielleicht etwas befremdlich ist die rechtliche Behandlung von Daten. Hier kann nämlich von einem neuen Öl, also einem Wirtschaftsgut, keine Rede sein. Tatsächlich betrachtet das deutsche Rechtssystem Daten nicht als Sache – mit weitreichenden Folgen. Denn damit gibt es kein Eigentums- oder Besitzrecht an Daten, also kein absolutes Recht, das für jedermann gleichermaßen gilt. Vielmehr müssen in Bezug auf spezifische Daten die beteiligten Parteien bilateral vertraglich vereinbaren, was und in welcher Form gelten soll. Ein immenses Hindernis, das nicht nur aufwendig in der Umsetzung ist, sondern vielfach auch eine Datennutzung verhindert – mangels rechtlicher Sicherheit.
Ich kann diesen Umstand historisch gut nachvollziehen: Schließlich hat sich im 19. Jahrhundert, als die Grundzüge der Rechtsordnung geschrieben wurden, sicher niemand Gedanken über digitale Daten als Wirtschaftsgut gemacht. Aus heutiger Sicht betrachtet, muss ich klar kritisieren, dass es der Gesetzgeber bislang nicht für notwendig erachtet hat, hier nachzuziehen, und das, obwohl die Bedeutung von Daten und datengetriebenen Geschäftsmodellen seit mehr als einer Dekade bekannt ist. Denken wir mal, was gewesen wäre, wenn man Erdöl die Eigenschaft als Wirtschaftsgut abgesprochen hätte. Irgendwie schwer vorstellbar…
Wenn aber die Daten das Öl sind, was ist dann der Motor? Denn Daten alleine liefern per se ja noch keinen Mehrwert. Vielmehr geht es um die Frage, was mache ich mit den Daten? Nutze ich sie zur Analyse und Optimierung von Produkten, zur Vorhersage von Verschleiß oder zum Profiling von Benutzern? Kurzum, der Mehrwert entsteht durch das, was man mit den Daten erreichen kann. In Denglish „Services“ genannt. Der kometenhafte Aufstieg der „künstlichen Intelligenz“ in den letzten Jahren (im eigentlichen Sinne des maschinellen Lernens) hängt direkt mit der Verfügbarkeit großer Datenmengen zusammen. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass diejenigen, die die meisten Daten besitzen, – Entschuldigung, gesammelt haben, – die führenden KI-Unternehmen darstellen.
Wenn wir beim Vergleich mit dem Öl bleiben wollen, so hat das, was ich aktuell beobachte, schon etwas vom Wilden Westen. Das zu ändern, ist die Kernherausforderung dieses Jahrzehntes. Also, lasst uns den Colt umschnallen und uns aufs digitale Pferd schwingen.