Banking goes Blockchain
Die Transformation des Bankensektors nimmt Fahrt auf
Hartmut Giesen, Sutor Bank
Kurz & Bündig
Der Bankensektor wird in den nächsten Jahren zu einer der spannendsten Arenen für den digitalen Wandel werden. Jetzt nutzen Kryptotechs ihre Chance: Mit der Blockchain ändert sich die technologische Lage in der Finanzbranche grundlegend: Das Blockchain Konzept ermöglicht erstmals die digitale Schaffung, Verbreitung und Verarbeitung von nicht-dinglichen Werten, ohne dass eine Bank diese Aktivitäten ausführt oder beglaubigt.
In der „frühen“ Fintech-Zeit der 2010er Jahre gab es eine Grafik in unendlich vielen Versionen: darauf eine Übersicht mit Fintech-Startups, die verschiedene klassische Bankendienstleistungen schöner, schneller, digitaler anboten. Prophezeit wurde, dass die Banken damit verschwänden. Banken gibt es heute noch immer, auch wenn einige Fintechsbanken wurden oder Banken kauften. Umgekehrt haben auch Banken Fintechs gekauft. Heute kann man eine ähnliche Grafik wieder zeichnen, nur dass dort statt Fintechs Kryptotechs auftauchen. Das heißt: Für jede klassische Bankendienstleistung gibt es inzwischen einen blockchain- basierten Service, angeboten entweder durch Unternehmen – Kryptotechs – oder durch ein Ökosystem, das sich um eine Blockchain gebildet hat.
Die Blockchain-Apologeten prophezeien auch jetzt wieder, dass dezentrale (=Blockchain basierte) Finanzanwendungen, die grundsätzlich ohne zentrale Vertrauens- oder Clearingstelle auskommen, den Banken den Garaus machen werden. Vermutlich werden Banken auch diesen Digitalisierungsschub als regulierte Entitäten, Säulen des Finanzmarkts und Transmissionsriemen für die Realwirtschaft überleben. Doch die Blockchain wird die Geschäftsmodelle und die grundlegende Technologie-Architektur von Banken wesentlich mehr verändern als die Fintech-Revolution. Die Institution Bank wird in ein paar Jahren nicht mehr viel mit dem Wesen der Bank von heute zu tun haben.
Das Führen von Konten sowie der (Besitz-) Transfer von Werten ist prinzipiell eine Art von Datenmanipulation, für die sich die nach dem Zweiten Weltkrieg auftauchenden Computer ideal eigneten. Deshalb gehörten Banken nach den Wissenschaftlern zu den IT-Anwendern der ersten Stunde. Sie mussten sehr viele Daten sehr exakt möglichst schnell bearbeiten und hatten die Budgets, um die IT-Investitionen zu stemmen. Die IT machte größere Banken mit größeren Bilanzen möglich, denen effizientere Systeme für Zahlungsverkehr, Kreditwesen und Kapitalmärkte zur Verfügung standen, um komplexere Finanz- (Werte-) Transaktionen zu ermöglichen. Sieht man von Finanzproduktinnovationen für Spezialanwendungen ab, änderten sich weder das „Basismodell“ Banken noch deren Produkte und Prozesse. Nur liefen sie jetzt mehr oder weniger IT-basiert ab.
Fintechs digitalisieren Frontends
In den 10er Jahren dieses Jahrhunderts begannen Fintechs die Möglichkeiten der digital-mobilen Vernetzung zu nutzen und entwickelten tatsächlich neue Geschäftsmodelle, die Banken bisher nicht angegangen waren: Robo-Advising, Peer-to-Peer-Lending, Social Trading oder Crowd Funding sind nur einige Geschäftsmodelle, mit denen Fintechs zum Teil zu „Unicorns“ gewachsen sind. Bei näherem Hinsehen waren aber diese Geschäftsmodelle nur klassische Bankdienstleistungen, die „digital vom Kunden her“, wie die Fintechs gerne sagen, optimiert wurden. Die „Finanz-Frontends“ wurden mobilen Apple– und Android-Standards angepasst, „Mobile First“ wurde zum Gestaltungsprinzip und Kundenprozesse, wie zum Beispiel grenzüberschreitender Geldverkehr, die Kreditvergabe oder die Geldanlage wurden effizienter und einfacher gestaltet. Hinter jedem Fintech stand aber immer noch eine Bank, die die eigentlichen Finanztransaktionen ausführte und überwachte, mithin die Aufgaben wahrnahm, die sie seit ihrem Entstehen in der Renaissance ausführte.
Nicht-digitalisierte Werte und Regulierung schützten Banken
Dass Banken weiterhin im Zentrum jedes Fintech-Geschäftsmodells standen, hatte einen technischen und einen (aufsichts-) rechtlichen Grund. Der technische Grund ist, dass Werte sich bislang zwar schon digital als Daten darstellen ließen, ihr Vorhandensein und ihr Transfer aber weiterhin den vertrauensvollen Dritten benötigen, der dies beglaubigt. Dieser Akt ließ sich nicht digitalisieren. Deshalb blieben die Banken mit ihren Core-Banking-Systemen auch technisch im Zentrum der „neuen“ Finanzwelt. Darüber hinaus wollten Staaten weiterhin – und darin liegt der rechtliche Grund –, dass Finanzgeschäfte nur Unternehmen durchführen, die von ihnen streng beaufsichtigt werden. Zu wichtig ist ein funktionierender, stabiler Finanzsektor für die Realwirtschaft und die Geldwertstabilität in einer funktionierenden Volkswirtschaft. Deshalb blieb Fintechs nichts anderes übrig, als mit Banken zu kooperieren, was die meisten taten, oder selbst zu Banken zu werden – ein Weg, den auch einige gingen. Dies hat auch verhindert, dass in der Finanzbranche wirklich disruptive Geschäftsmodelle entstehen konnten, wie etwa Streaming oder Social-Media-Plattformen im Medienbereich, Software-as-a-Service oder Cloud-Computing im Technologie-Sektor oder Plattform-Geschäftsmodelle in Werbung, Handel, Tourismus etc.
Blockchain verändert bei Banken
Geschäftsmodelle und Technologie
Mit der Blockchain, hier synonym für alle dezentrale Technologien genutzt, ändert sich die technologische Lage jetzt aber auch in der Finanzbranche grundlegend: Das Konzept, das Satoshi Nakamoto für den Bitcoin erstmals entwickelt hat und das durch inzwischen ungezählt weitere Blockchain-Architekturen weiter verfeinert wurde, ermöglicht erstmals die digitale Schaffung, Verbreitung und Verarbeitung von nicht-dinglichen Werten, ohne dass eine Bank diese Aktivitäten ausführt oder beglaubigt. Die digitalen Konsensprozesse, die Teil jeder Blockchain sind, übernehmen jetzt die Aufgabe der Banken. Vertrauen wird digitalisiert, und damit wird die vollständige Digitalisierung, von Werten möglich. Werte lassen sich nun wie Informationen schaffen, verarbeiten und verbreiten. Und da die Blockchains sich als Schicht auf die existierende Internet-Infrastruktur legen, gibt es auch schon die Bahnen für den unbegrenzten Wertetransfer.
Die zuerst mit Ethereum entwickelte Blockchain-Erweiterung, mit der Werterzeugung oder -transfer in technisch codierte Bedingungsketten – sogenannte Smart Contracts – eingebettet werden kann, reduziert die Rolle der Banken als Instanz, die alleine Finanztransaktionen ausführen kann, weiter. Obwohl die Digitalisierung von Werten wahrscheinlich die gleichen umwälzenden Auswirkungen haben wird wie die Digitalisierung von Informationen, werden Banken weiter bestehen. Denn die Staaten werden wie bisher darauf bestehen, dass die Finanzwelt reguliert bleibt. Sie sind als Regulierungshubs und makroökonomische Transmissionsriemen, über die sich das gesamte Finanzsystem kontrollieren und steuern lässt, unverzichtbar. Staaten benötigen Banken weiterhin als Kontrollinstanzen, die dafür sorgen, dass Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und sonstige Straftaten im Sinne des GWG verhindert werden. Genauso werden sie von Zentralbanken benötigt, die durch das Setzen von geldpolitischen Parametern die Geldschöpfung und Kreditvergabe von Geschäftsbanken beeinflussen und damit für die Stabilität von Wirtschaft und Geld sorgen.
Neue Technologiearchitektur für Banken
Aber die technische Infrastruktur von Banken wird künftig wahrscheinlich komplett anders aussehen: Statt Core-Banking- und Wertpapier-Handelssystemen betreiben sie Blockchain-Knoten und bieten Wallets an, in denen digitale Währungen gehalten werden. Die Parameter für die Geldschöpfung und Kreditvergabe werden von Zentralbanken in die Protokolle der entsprechenden Blockchains programmiert. Kapitalmarktakteure sind über Blockchains vernetzt, die Schnittstellen zu den Geldblockchains besitzen. Die Vergabe von Krediten oder der Handel von Wertpapieren werden durch Smart Contracts automatisiert ausgeführt.
Dass die Banken als regulierte Entitäten erhalten bleiben, heißt nicht unbedingt, dass die heutigen Banken als Unternehmen bestehen bleiben. Denn sie müssen die technische Transformation von der heutigen zentralen „Core-Bankingarchitektur“ zu dezentralen Blockchainnetzwerken schaffen und ihre Prozesse darauf hin ausrichten. Tun sie dies nicht, laufen sie Gefahr, von den heute noch unregulierten Kryptotechs abgelöst zu werden. Schon jetzt ist sichtbar, dass erfolgreiche Kryptounternehmen Lizenzen erwerben oder Banken kaufen, um ihr Geschäft regulierungsfest zu machen.
Optimierungspotenzial der Blockchain zwingt zur Innovation
Nun wird bereits sichtbar, welche gewaltigen Optimierungspotenziale die Blockchaintechnologie hat. Klar wird dies, wenn man beispielsweise betrachtet, welchen Wandel eine Blockchain-basierte digitale Zentralbankwährung bedeuten würde, an der heute bereits eine Reihe von Staaten inklusive der EU arbeiten (Central Bank Digital Currency = CBDC). Im Gegensatz zu anderen längst im Gebrauch befindlichen digitalen Geldformen auf Konten, Karten oder Wallets, die eine Forderung der Kunden gegenüber Geschäftsbanken auf die Herausgabe von Bargeld (=Papiergeld) darstellen, sind die CBDC wie Bargeldforderungen gegenüber Zentralbanken. CBDC ersetzen Papiergeld als bisher einzige Form von Zentralbankgeld. CBDC können von ihren Besitzern in eigenen Wallets statt auf Bankkonten gehalten werden. Sie können sie direkt transferieren, ohne dass jede Transaktion durch das Bankensystem gezogen wird und erst nach ein bis drei Tagen abgeschlossen ist. Damit werden Konten und Einlagen bei Banken überflüssig, genauso wie die gesamten Zahlungsverkehrssysteme, die Banken mit großem Aufwand unterhalten. So fallen wesentliche Säulen des traditionellen Bankengeschäftsmodells weg.
Weitere Prozesse und damit verbundene Systeme entfallen, weil CBDC-Transaktionen in Echtzeit ablaufen und Gegenparteirisiken verschwinden, die bisher Banken als vertrauenswürdige Intermediäre – als Geldnotare gewissermaßen – gemanagt haben. Zu diesen verschwindenden Gegenparteirisiken gehört, dass Kunden nicht um ihre Einlagen bangen müssen, falls eine Bank einmal in Schieflage geraten sollte; Einlagensicherungsfonds verlieren damit ihren Sinn. Banken werden so – zumindest zum Teil – von Bilanz- zu Service-Unternehmen.
Von der technischen Frontend- zur End-to-End-Revolution
War die Fintech-Revolution in erster Linie eine Frontend-Revolution, ist die sich anbahnende Blockchain-Revolution eine End-to-End-Revolution, die Geschäftsmodelle, Kernprozesse und -technologien betrifft. Die wahren Auswirkungen der Blockchain-Revolution werden wir – Unternehmen und Kunden – aber vielleicht erst in ein paar Jahren erleben und spüren. Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson haben in „Machine, Platform, Crowd“ dargestellt, dass disruptive Technologien erst in der jeweils nächsten Unternehmensgeneration ihr volles Potenzial entfalten.
Nach der Erfindung der Elektrizität ersetzten die Unternehmen die zentralen Dampfantriebe zunächst einfach durch zentrale Elektromotoren. Erst später lernten sie das Dezentralisierungspotenzial einzusetzen und Elektromotoren direkt in die Maschinen an den Aktoren einzubauen und damit Industrieanlagen mit ganz neuen Ausmaßen zu konstruieren. Ähnlich wurden in der ersten Digitalisierung in allen Branchen zunächst nur die Prozesse digitalisiert, bevor damit begonnen wurde, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln – dies waren dann in der Regel die Newcomer, die damit mobile Smartphones oder Plattformen bauten.
Dies beobachten wir auch in der Adaption der Blockchain-Technologie: Im ersten Schritt werden bestehende Prozesse ‚blockchainisiert‘, erst dann kommen die Blockchain-basierten Geschäftsmodelle, mit dem Unterschied, dass die Regulierung für diese Geschäftsmodelle Lizenzen vorschreiben wird. Die Möglichkeiten von dezentraler Geldschöpfung, programmierbarem Geld, Smart Contracts oder der ‚Tokenisierung‘ von Werten aller Art werden erst die Banken der nächsten Generation erkennen und in neue Geschäftsmodelle umsetzen, die wir heute noch gar nicht absehen können. Der Bankensektor wird damit in den nächsten Jahren zu einer der spannendsten Arenen für den digitalen Wandel werden.
(Bildquelle: Adobe Stock | 273445755 | marrishuanna)