„Wir haben jetzt die Chance, richtig Gas zu geben!“
Modernisierung der E-Learning-Plattform „Lernwelt Saar“
Im Gespräch mit Christian Wachter, imc AG, Dr. Hanspeter Georgi und Günter Hoffmann, Lernwelt Saar
Kurz & Bündig
Der Index of Readiness for Digital Lifelong Learning des Centre for European Policy Studies führt unmissverständlich vor Augen, wo Deutschland im Vergleich zu seinen europäischen Partnerländern steht: auf dem letzten Platz. Eine bemerkenswerte Initiative für das digitale Lernen von morgen hat die E-Learning-Plattform Lernwelt Saar gestartet. Sie nimmt die Erkenntnisse aus der Corona-Krise zum Anlass, ihr Angebot zu professionalisieren.
Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist – das wusste schon der französische Schriftsteller und Politiker Victor Hugo im 19. Jahrhundert. Bereits seit 2008 gibt es die Lernwelt Saar als digitale Plattform für Lehrer, Eltern und Schüler. Mit Preisen ausgezeichnet, aber doch nur bei einer begrenzten Nutzer-Community in der Anwendung, soll die Lernwelt nun professionalisiert und breit ausgerollt werden. In Partnerschaft mit E-Learning-Spezialist imc AG wollen die Väter der Plattform, eine Gruppe engagierter Lehrer, den Corona-Schub nutzen.
Die Anfänge der Lernwelt Saar liegen im Jahr 2008. Damals ging Microsoft eine Partnerschaft mit dem Saarland ein und stellte einen Share Point Server zur Verfügung, auf der eine E-Learning-Plattform entwickelt werden konnte. So entstand eine Idee und Konzeption, die ihrer Zeit weit voraus war – getragen und umgesetzt von einer Gruppe engagierter Lehrer. Günter Hoffmann, der als Lehrer der Saarbrücker Gesamtschule Bellevue an der Spitze der Bewegung stand und heute noch steht, erinnert sich an die Gründerzeiten: „Die Landesregierung suchte damals Kooperationspartner für ihr Projekt, das sie mit Microsoft angestoßen hatte. Ich habe mich dann mit anderen engagierten Lehrern zusammengetan, um herauszufinden, wo denn eigentlich die Bedürfnisse der Schulen lagen. Es kristallisierte sich der Wunsch nach einer Lernumgebung heraus, in der alles wiederzufinden ist, was im pädagogischen Schulalltag anzutreffen ist, angefangen von Schulsozialarbeit über Eltern, Schulorganisation und Unterrichtsmaterialien. Ein Entwicklerteam von Microsoft Education passte dann den Share Point Server für Schulzwecke an. Dort konnte man vieles realisieren, auch die Kommunikation über Klassen und Schulen hinweg. Alle Beteiligten hatten schon damals Zugriff auf die verfügbaren Bibliotheken, die von Lehrern an verschiedenen Schulen kontinuierlich befüllt wurden. Der Share Point Server wurde uns dann gegen einen überschaubaren Obolus überlassen, als das Saarland-Microsoft-Projekt endete. Von da an haben wir im Team allein an der Weiterentwicklung gearbeitet. Uns ging es dabei um den pädagogischen Content, den wir kontinuierlich bis heute ausgebaut haben und der von über 80 Schulen im In- und Ausland genutzt wird.“
In den ersten Jahren unterstützte Microsoft das Lehrerteam durch verschiedene Veranstaltungsformate. Schon bei Projektstart wendeten die Lehrer sich an Microsoft mit der Bitte um Schulungen, die den Lehrern die notwendige Digitalkompetenz vermittelten. Diese wurden dann in Form sogenannter Akademien realisiert. Gleichzeitig ermöglichte Microsoft auch die Teilnahme an internationalen Konferenzen zum Austausch mit anderen Pädagogen und Schulen. So entstanden dann auch Chancen, die Lernwelt Saar an Auslandsschulen vorzustellen und einzuführen. Doch irgendwann trat man nur noch auf der Stelle, obwohl die Lernwelt Saar im Jahr 2016 noch einmal einen großen Aufritt hatte. Im Rahmen des IT-Gipfels, der in jenem Jahr in Saarbrücken stattfand, besuchte die damalige Bundesbildungsministerin Frau Prof. Dr. Wanka die Gesamtschule Bellevue und lobte sie wegen des umfassenden Einsatzes der Lernwelt Saar. Bundeskanzlerin Merkel zeichnete die Schule dann bei einem Festakt in der Congresshalle in einer Liveschalte zur ersten Smart School Deutschlands aus.
Der ehemalige saarländische Wirtschaftsminister Dr. Hanspeter Georgi ist seit 2016 Mitglied des Beirates der Initiative Lernwelt Saar und gemeinsam mit Hoffmann fest entschlossen, das Projekt aus dem unfreiwilligen Dornröschenschlaf zu erwecken: „Das ist ein tolles, von Idealismus getragenes Projekt mit vielen guten Leistungsmerkmalen, das schon früh das Ziel hatte, hybrides Lernen zu ermöglichen. Bislang wird das gesamte Projekt fast ausschließlich durch ehrenamtliches Engagement getragen. Wenn wir uns aber im Wettbewerb mit anderen Anbietern und auch jenseits der widerstreitenden Interessen in der Bildungsbürokratie durchsetzen wollen, dann müssen wir die Lernwelt dringend professionalisieren. Darum geht es bei der Kooperation mit der imc AG als Europas führendem Anbieter von E-Learning-Tools und Contents. Gemeinsam können wir diese Herausforderungen in Angriff nehmen. Da wir bislang so gut wie keine Fördergelder erhalten, ist das Angebot der imc AG, die ersten wichtigen Projektschritte im Rahmen ihrer Corporate-Social-Responsibility-Aktivitäten kostenlos zur Verfügung zu stellen, ein absoluter Glücksfall.“
Christian Wachter, Vorstandsvorsitzender der imc AG, bestätigt die Einschätzung Georgis zur notwendigen Professionalisierung der Lernwelt Saar: „Was man braucht, ist eine Auffrischung der Technik mit Blick auf Design, User Interfaces – auf die gesamte Bedienerfreundlichkeit –, und natürlich geht es auch um die Unterstützung neuer didaktischer Formate. Die IT verändert sich schnell. Es geht um Updates im Sinn von neuen Trends und um Innovationen, sowohl bei der Aufbereitung der Inhalte als auch bei der Software. Die Lernwelt Saar ist sehr früh mit viel Pioniergeist gestartet, sie ist in vielen Ansätzen weiter als andere, aber von der Benutzerfreundlichkeit her gesehen nicht mehr durchgehend zeitgemäß. So werden z. B. mobile Endgeräte noch nicht unterstützt, was heute ja eine Grundvoraussetzung für den Erfolg ist. Es geht auch um ein schlüssiges Zukunftskonzept im Sinn eines Betreiberkonzeptes. Wenn die Lernwelt Saar den breiten Erfolg realisieren will, den sie eigentlich verdient, braucht man eine funktionierende Supportorganisation, auch müssen Lehrer in der Fläche qualifiziert werden, um dies alles zu nutzen.“
Nicht zuletzt dank der vielfältigen, kurzfristig in der Corona-Krise entstandenen Angebote hat das Thema E-Learning in Deutschland erstmals einen großen Stellenwert erhalten. Damit steht die Lernwelt Saar derzeit nicht nur erneut im Fokus, sondern auch im starken Wettbewerb. Gemeinsam will man jetzt mit einer Lernwelt Saar 2.0 die Möglichkeiten eines modernen Frontend und einer responsiven Lernumgebung nutzen. Auf Basis der bestehenden Technologie mit Microsoft Teams, die bereits heute perfekt mit der imc Learning Suite für Kurse und Lerninhalte harmoniert, gilt es, Kommunikations- und Kollaborationsdienste weiter auszubauen. „Die Learning Suite bringt dann zusätzlich die Komponenten der Personalisierung und Individualisierung mit. Damit können Schüler auch individuell angeleitet werden, freies und individuelles Lernen ist so besser zu steuern. Die Technologie ist aber nicht die größte Herausforderung, die Hürden liegen dort, wo es darum geht, Unterricht in ein Digitalformat zu transformieren“, so Wachter. „Wie kann ich Technologie richtig nutzen, nicht nur PDFs hochladen, so wie das auf vielen anderen Plattformen der Fall ist? Hier können wir sowohl auf unsere Kernkompetenzen beim weltweiten Einsatz von Lernsoftware und -konzepten als auch auf die pädagogische Pionierarbeit, die bei der Lernwelt Saar geleistet worden ist, zurückgreifen. Wir sind uns absolut einig, dass eine Lernplattform nur erfolgreich sein kann, wenn das Grundkonzept gemeinsam mit den Lehrkräften entwickelt wird. Das Ziel muss sein: auch jenseits von Corona langfristig sinnvolle Lernformate zu entwickeln, die fester Bestandteil des dann hybriden Unterrichts werden.“
Bei imc tätigt man mit dem aktuellen Engagement der kostenlosen Unterstützung eine Investition in die Zukunft, eine Zukunft, die dann profitabel sein soll und muss. Der Plan ist, vom Endausbau her zu einem Full-Service-Angebot für Schulen zu kommen, und das gibt es bislang nicht. Dabei geht es um Technologie, Content-Hardware und Support als Gesamtlösung. „Als Anbieter eines solchen Gesamtservices kann man am Ende auch als Unternehmen Geld verdienen. Es geht um ein durchgehendes Angebot ohne Systembrüche, denn nur so kann ein E-Learning-Konzept breite Akzeptanz bringen. Analoge Unterrichtsmaterialien wie Schulbücher werden ja auch nicht kostenlos aufgelegt“, so Christian Wachter.
Und das Projektteam ist bereits an die Umsetzung gegangen. Die Nachricht von der Kooperation zwischen Lernwelt Saar und imc traf auf die Aufmerksamkeit des Oberbürgermeisters der saarländischen Kreisstadt St. Ingbert, Uli Meyer, als kommunalem Bildungsträger und auch der Lehrer verschiedener Grund-schulen der Stadt. Dort suchte man bereits vor den Sommerferien 2020 nach einem zukunftsträchtigen Ansatz für kindgerechtes E-Learning. Nachdem das Konzept der Lernwelt Saar grundsätzlich überzeugte, wurde bereits über die Sommerferien, gemeinsam mit einer Grundschule, dieses Konzept für kindgerechtes Lernen weiterentwickelt. Mit Schulbeginn Mitte August stand ein Rahmenwerk zur Verfügung. Als Blaupause soll es jetzt an allen städtischen Grundschulen in St. Ingbert eingeführt werden. „Dafür müssen wir natürlich als Coaches und Mentoren für die Lehrer zur Verfügung stehen. Digitale Kompetenzen, die in Unternehmen unterdessen selbstverständlich sind, sind an vielen Schulen noch nicht in dem notwendigen Maß vorhanden“, erläutert Wachter. „Wenn wir wirklich erfolgreich sein wollen, ist das Upskilling der Lehrkräfte das Wichtigste. Lehrerfortbildungseinrichtungen haben, zumindest derzeit, nicht die Kapazitäten, und nicht überall ist auch die Kompetenz vorhan- den. Wir aber machen das seit 20 Jahren und haben das Know-how. Wir sehen uns da durchaus in der Verantwortung. Wir haben jetzt durch Corona eine große Chance, die Dinge möglichst schnell voranzutreiben. Wir dürfen diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen. Wir haben nicht nur als Unternehmen, sondern auch als Gesellschaft, sehr gute Gründe, uns anzustrengen. Der Index of Readiness for Digital Lifelong Learning des CEPS (Centre for European Policy Studies) führt uns unmissverständlich vor Augen, wo wir in Deutschland im Vergleich zu unseren europäischen Partnerländern stehen: auf dem letzten Platz. Diese ernüchternde Feststellung muss mehr als nur ein Weckruf sein. Da hilft es auch nicht viel, dass wir dank Teams, Zoom und vergleichbarer Werkzeuge in unseren Schulen den Lockdown bis zu den Sommerferien mehr oder minder gut gemeistert haben. Wir müssen überzeugende Antworten auf die Fragen finden: Wie sehen neue digitale pädagogische Konzepte aus? Wie sieht ein Lernen aus, das einen Präsenzunterricht genauso berücksichtigt, wie einen digitalen Unterricht. Hier geht es um eine intelligente und transparente Verzahnung. Wir haben jetzt die Chance, richtig Gas zu geben!“