Mit künstlicher Intelligenz auf Fehlersuche
Neue Ansätze zur Erhöhung von Wirtschaftlichkeit und Effizienz in der Produktion
Gerhard Schaller, Mazlum Zerey, ZF Friedrichshafen
Kurz und bündig:
In einer hochkomplexen Produktion gilt es, Fehler bestmöglich zu vermeiden sowie auf-tretende Fehler möglichst schnell zu erkennen und abzustellen. Die Qualitätssicherung im ZF Werk Saarbrücken setzt dabei auf KI-Prozesse, um durch die Auswertung großer Datenmengen eventuelle Fehler sicher aufzudecken, diese im Herstellungsprozess zu lokalisieren und daraus resultierend Fehlervermeidungs-Maßnahmen abzuleiten. Übergeordnete Ziele sind dabei die Sicherstellung einer hohen Produktqualität sowie die Steigerung von Wirtschaftlichkeit und Effizienz der Produktion im Werk.
Am ZF Standort Saarbrücken werden täglich rund 11.000 Getriebe herge-stellt. Eine hohe Qualität in der Produktion ist dabei unerlässlich; jedoch sind Fehler nie hundertprozentig vermeidbar. Um die Fehlerquote in der Fertigung zu minimieren, hat das Werk mehrere KI-Projekte gestartet. So sollen zuverlässige und schnelle Ergebnisse bei der Ursachenermittlung und bei der Vermeidung von Fehlern und Fehlerquellen erreicht werden. Ziel ist die Steigerung von Wirtschaftlichkeit und Effizienz der Produktion im Werk.
KI-Projekt “EoL-Expert”: Reduzierung der Fehlerquote
Am ZF-Standort Saarbrücken werden seit mehr als vierzig Jahren Automatgetriebe für Automobilhersteller aus aller Welt hergestellt. Eine hohe Qualität in der Produktion ist dabei unerlässlich; jedoch sind Fehler nie hundertprozentig vermeidbar. Um die Fehlerkosten zu reduzieren, hat die Qualitätsabteilung das Projekt „EoL-Expert“ (End of Line) initiiert, das ein optimiertes Prüfen von intelligenten mechanischen Systemen mit Hilfe von künstlicher Intel-ligenz ermöglicht. An dem Projekt arbeitet seit Ende 2018 ein interdisziplinäres ZF-Team aus Informatikern, Data Analysten und Prozessexperten. Für die Produktion und Qualität stellt die KI-Anwendung „EoL-Expert“ ein Assistenzsystem dar. Dieses soll es ermöglichen, sich künftig stärker auf die Einleitung von Fehlervermeidungsmaßnahmen zu fokussieren. Zum technischen Hintergrund: Das aktuell produzierte ZF Automatgetriebe 8HP ist als Baukasten mit 17 Basisgetrieben und insgesamt 551 Varianten konzipiert. Ein Getriebe enthält dabei bis zu 600 Teile. Diese Komplexität der Bauteile und Produktionsprozesse führt zu einer hohen Anzahl an zu prüfenden Funktionsmerkmalen. Am sogenannten „End of Line“ – also dem Ende der Produktionslinie – werden diese Merkmale von einem Prüfprogramm auf Fehlerfreiheit kontrolliert.Für die Prüfgenauigkeit beim Einsatz der KI ist die Qualität der erhobenen Daten entscheidend. Während der Fertigung werden daher alle erzeugten Daten aufgezeichnet, um später in die Prüfung einfließen zu können. Der Prüfprozess beinhaltet neben einer intensiven Datenverarbeitung auch das Antrainieren durch einen Prüfingenieur. Dadurch werden die Vorhersagegüte und die Akzeptanz in der Produktion auf einem hohen Niveau gehalten. Während der Projektphase fanden bevorzugt agile Arbeitsmethoden Anwendung. Bereits in ersten Sprints konnten Ausfälle durch ein Modell erfolgreich automatisch klassifiziert werden. Es zeigte sich, dass die KI nicht zuletzt im Reklamationsfall eine Reihe von Vorteilen bietet, da sie eine sehr hohe Anzahl an relevanten Informationen und Daten gleichzeitig verarbeiten und bewerten kann. Ohne den Einsatz von KI würde nur eine deutlich geringere Anzahl von Informationen bei der Prüfung bewertet werden. Somit konnte die Eindeutigkeit der Ausfallursachenvorhersage mit Hilfe von KI in einer Vielzahl von Fällen deutlich optimiert werden. Hiervon profitierte bereits in der ersten Phase der Einführung des Assistenzsystems explizit der Produktions-Bereich „Rückmontage“, in dem Getriebe, die einen Fehler aufweisen, rückmontiert und wieder neu aufgebaut wer-den. Generell lässt sich sagen, dass mit dem Projekt „EoL-Expert“ messbar wirtschaftliche Vorteile erzielt werden konnten. Dazu zählen kürzere Reaktionszeiten, die Reduzierung von Analyseaufwänden, die Verbesserung der Ursachenanalyse in der internen und externen Fertigungskette sowie eine effizientere Nut-zung der EoL-Prüfstände.
KI-Projekt „IS-Predict“: Reduzierung von Geräuschausfällen
Im Rahmen der Qualitätssicherung werden als weitere Maßnahme unter anderem sogenannte interne Geräuschtests durchgeführt. Sollte ein Getriebe diesen Test nicht bestehen, so ist es bei der hohen Getriebe- und Bauteilevarianz sehr zeitaufwändig, den Fehlerort und -grund in der Herstellungskette zu lokalisieren. Besonders fatal aus Sicht der Qualitätssicherung ist dabei, dass während der Phase der Ursachenfindung weiterhin fehlerhafte Teile produziert und verbaut werden. Deshalb ist die Geschwindigkeit der Ursachenfindung von herausragender Bedeutung, zumal das Werk an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr produziert. Schneller Entdeckungsmechanismus mit Hilfe von KI soll den Ausschuss in ausgewählten Bereichen innerhalb der Produktionskette um 20 Prozent reduzieren. Ziel des Projekts „IS-Predict“ war es daher, den Ausschuss in ausgewählten Bereichen um 20 Prozent zu reduzieren. Als geeignetes Werkzeug wurde dazu der schnelle Entdeckungsmechanismus innerhalb der Produktionskette mit Hilfe der KI definiert. Dabei setzte man im Unternehmen mit dem Lösungsanbieter IS-Predict auf die Einbindung eines erfahrenen KI-Spezialisten mit Expertisen in der industriellen Produktion. Vormontage/Endmontage/ Prüfung) der Feh-ler aufgetreten sein könnte. Ist der Fehlerpro-duktionsabschnitt gefunden, so erfolgt in der Hauptursachen-Analyse die genaue Ursache-nermittlung. Dies geschieht in Form von Detailanalysen in der Endprüfung, der Montage oder in der Fertigung. Sollte nach der Fehlervermutung eine Abstellmaßname definiert worden sein, so erfolgt in einem zweiten Akustikmeeting ein Ursachenreport zum Erfolg der Abstellmaßnahme selbst.Mit der Anwendung von KI sieht der Prozess wesentlich effizienter aus: Bereits während des Herstellungsprozesses durchforstet die KI-Applikation alle anfallenden Daten im Hintergrund. Im Rahmen der Datenverarbeitung für den Geräuschtest werden Analysedaten an folgenden Stationen in der Produktion gewonnen:
▶Am Prüfstand: Geräuschmessungen, Prüfgrenzwerte für Prüfphasen, Einstellungen für jeden Prüfstand
▶In der Vor- und Endmontage: Genealogieda-ten und Einstellwerte, Rückverfolgbarkeitsda-ten von Lieferanten, Rückverfolgbarkeitsdaten von eigenen Maschinen
▶In der Fertigung: Gleichgelagerte Daten wie in den Montagen. Die miteinander verschachtelten Daten werden kontinuierlich analysiert. Auffällige Daten werden den jeweils zuständigen Spezialisten angezeigt. Dabei wird automatisch ermittelt, in welchem Produktionshauptabschnitt die genaue Fehlerursache liegt. Die angezeigten Fehlervor-schläge werden von den Spezialisten auf ihre Gültigkeit geprüft. Dadurch ist der Ingenieur – und damit der Mensch – aktiv in den Prozess eingebunden. Er gibt dem System Feedback und macht ergänzende Eingaben. Ist der Fehler durch die KI entdeckt und durch Fachpersonal verifiziert, lernt die KI automatisch und kann bei ähnlich gelagerten Fällen Fehlervorhersagen. Solche Fehler können dann umgehend in der Produktionskette gestoppt werden, was letztendlich zu einer Reduzierung von internen Geräuschausfällen in der Endprüfung führt.
Von entscheidender Bedeutung: die Datenhygiene
Entscheidend in diesem Prozess ist die „Datenhygiene“. Die wesentlichen Kriterien hierbei sind eine „lückenlose Datenbereitstellung“ und die „semantische Anreicherung“ zur Interpre-tierbarkeit der Information, die durch die bereitgestellten Daten geliefert werden. Die gewählte Lösung von IS-Predict gibt durch Datenqualitätsreports automatisch Hinweise, wenn sich die Datenhygiene verschlechtern sollte. Zusätzlich sorgt die eingebaute Datenhy-gieneüberwachung dafür, dass sich das System in der Anwendung selbst kontrolliert, um die Effizienz der KI hochzuhalten.Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die KI letztendlich in der Lage ist, die Masse der anfallenden Daten schneller zu verarbeiten und Fehlerkombinationen online zu bewerten. „Durch die schnelle Informationsverarbeitung und die Prediktionsmöglichkeit sind eventuell auftretende Fehler in der variantenreichen Produktion eindeutiger und viel schneller detektierbar. Der Mensch bleibt bei diesem Prozess aber weiterhin im Mittelpunkt – mit der KI hat er jedoch ein Instrument in der Hand, das ihn bei seiner Aufgabe effizienter und schneller werden lässt“, so Dr. Hermann Becker, Standortleiter am ZF-Standort Saarbrücken.