Rettet Künstliche Intelligenz den Planeten?
Oliver Zielinski, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz
Kurz & Bündig
Wie können Anwendungen und Daten der Künstlichen Intelligenz zu Nachhaltigkeit und Umweltschutz beitragen? Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) widmet sich in seinem neuen Kompetenzzentrum dieser Fragestellung. Beispiele aus der Erdbeobachtung, der Bekämpfung von Plastikmüll, der Kreislaufwirtschaft und dem Agrarsektor verdeutlichen das Potential solcher Daten.
Der Einfluss des Menschen auf seine Umwelt ist zu einer Dimension angewachsen, die die Erde als Ganzes betrifft. Technologische Innovationen haben einen entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung. Sie dienen im Wesentlichen der Effizienzsteigerung ökonomischer Prozesse. Oftmals wurde hierbei außer Acht gelassen, dass die Ressourcen unseres Planeten knapp sind. Das DFKI sieht das Potential, Anwendungen der Künstlichen Intelligenz zu entwickeln, die ökonomisches Wachstum ermöglichen und gleichzeitig ökologische Nachhaltigkeit fördern.
Künstliche Intelligenz (KI) ist ein fester Bestandteil unseres Lebens geworden. Suchmaschinen, Sprachübersetzer, Kundenportale, Diagnosesysteme, Fertigungsroboter, … die Liste der Anwendungsgebiete von KI ist lang und doch erst am Anfang. Keine technologische Innovation hat sich in den letzten zehn Jahren so rasant entwickelt wie dieses Teilgebiet der Informatik. Aber kann KI unseren Planeten retten? Oder ist sie ein weiterer „Brandbeschleuniger von Wachstumsmustern“, jenseits der ökologischen Nachhaltigkeit [1]? Die Antwort auf diese Frage liegt wie bei allen technologischen Errungenschaften in unseren Händen.
Wir wissen, dass weder das Meer, noch andere Naturräume unendlich sind, sondern dass die Erde ein geschlossenes System ist und alle ihre Ressourcen begrenzt sind. Und wer mit diesen knappen Ressourcen langfristig seine Existenz gestalten möchte, der muss sich in seinem Verbrauch in dem Korridor bewegen, den das System Erde zur Verfügung stellt – kurzum, wir müssen nachhaltig agieren. Dabei gibt es drei Aspekte, die sich gegenseitig bedingen: die ökologische, die ökonomische und die soziale Nachhaltigkeit. Hieraus entstehen Zielkonflikte und Herausforderungen für unsere Gesellschaft. Lösungen derartiger Probleme sind in der Regel vielschichtig und bedürfen gesellschaftlicher sowie technologischer Entwicklungsprozesse.
KI ist vor allem ein Werkzeug – geschaffen, um Muster in komplexen Daten zu erkennen, um aus diesen Daten zu lernen und das Gelernte zu nutzen, um spezifische Ziele durch flexible Anpassung zu erreichen [2]. KI birgt Risiken jedoch auch Chancen für den Umweltschutz und die Transformation unserer Gesellschaft hin zu einer ökologischen, sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit. Die Anzahl der Studien, Initiativen und Förderinstrumente, die sich mit dem Einsatz von KI im Kontext von Umwelt- und Klimaschutz sowie ökologischer Nachhaltigkeit beschäftigen, ist verglichen mit Themenfeldern wie Industrie 4.0 oder Handel gering. Dabei gibt es existentielle Gefahren für die Menschheit, zu deren Lösung KI und andere Werkzeuge der Digitalisierung signifikant beitragen können. In einer 2018 veröffentlichten Studie des Weltwirtschaftsforums („Harnessing Artificial Intelligence for the Earth“) werden die sechs drängendsten Herausforderungen für den Einsatz von KI benannt: Klimawandel, Erhalt der Biodiversität, gesunde Ozeane, Wasserversorgungssicherheit, saubere Luft sowie die Widerstandskraft gegenüber Extremwetterereignissen und Naturkatastrophen.
Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) ist seit über 30 Jahren ausgewiesen in der anwendungsorien- tierten Grundlagenforschung in den Informations- und Kommunikationstechnologien. Da- bei stellt das DFKI in seiner Ausrichtung klar den Menschen in seinen Fokus und sieht sich dem europäischen Weg einer verantwortungs- vollen KI verpflichtet. Und eben diese KI gilt es, denkt man vor allem an die internationalen Klimaziele oder den European Green Deal, so zu entwickeln und einzusetzen, dass sie der Menschheit im Sinne eines nachhaltigen Handelns dient. Reden wir bisher von Mensch-Maschine-Interaktionen oder Human-Cyber-Physical-Systems, so ist es Zeit, auch die ökologische Dimension und die Interaktion mit der Natur zum Gegenstand der technologischen Entwicklung zu machen. Vor diesem Hintergrund hat das DFKI im Juni 2020 sein Kompetenzzentrum KI für Umwelt und Nachhaltigkeit (DFKI4planet) gegründet. Hier werden die verschiedenen Beiträge des DFKI im Bereich ökologischer Nachhaltigkeit gebündelt und neue Perspektiven für Cyber-Environmental-Systeme entwickelt.
Schon heute existieren KI-Anwendungen, die sich den oben genannten Herausforderungen annehmen. In vielen Fällen sind es Ansätze des maschinellen Lernens, die große unstrukturierte Datenmengen moderner Erdbeobachtungssysteme auswerten und so beschleunigt Informationen für menschliche Entscheidungsprozesse zur Verfügung stellen. So werden im Vorhaben DeepEye im DFKI-Forschungsbereich „Smarte Daten & Wissensdienste“ (Leitung Prof. Dr. Andreas Dengel) Satellitenbilder mittels Deep-Learning-Verfahren analysiert und mit extrahierten Daten aus sozialen Medien angereichert, um die Auswirkungen von Naturkatastrophen zu erfassen und Einsatzkräfte mit zeitkritischen Informationen zu unterstützen. Ein weiteres Beispiel für die KI-gestützte Analyse von Sensordaten ist das von der Weltbank finanzierte Vorhaben zur Erfassung des Plastikmülls in asiatischen Flüssen. Aktuelle Forschungsergebnisse [3] zeigen, dass über 2/3 der Kunststoffabfälle im Ozean durch gerade einmal 20 Flüsse eingetragen werden, die meisten davon in Asien. Der DFKI-Forschungsbereich „Marine Perception“ (Leitung Prof. Dr. Oliver Zielinski) nutzt multispektrale Bilddaten von Drohnenbefliegungen aus Kambodscha, den Philippinen und Myanmar, um mit einem zweistufigen Ansatz von künstlichen neuronalen Netzwerken sowohl die Menge des Mülls zu bestimmen als auch dessen Zusammensetzung. Ersteres ist für die effiziente Müllbeseitigung relevant, während die detaillierten Angaben über einzelne Müllbestandteile (Becher, Lebensmittelverpackungen, Transportbehälter, …) den lokalen Behörden helfen, die Quellen des Plastikmülls zu identifizieren und Gegenmaßnahmen einzuleiten. „Closing the Loop“ nennt sich die dazu passende Initiative der Vereinten Nationen, die durch technologische Innovationen die südostasiatischen ASEAN-Staaten in die Lage versetzen möchte, sich des Problems vermüllter Flüsse, Küsten und Meere anzunehmen.
Die Abfall- und Kreislaufwirtschaft ist ein weiterer Bereich, in dem Methoden der KI wertvolle Beiträge zu leisten vermögen. Im Vorhaben ReCircE, gefördert durch das Bundesumweltministerium im Rahmen des aktuellen KI-Leuchttürme-Programms, geht es um die Verbesserung des Recyclings von Kunststoffen mittels KI und einem digitalen Produktpass. Letzterer soll es ermöglichen die gesamte Wertstoffkette eines komplexen Produktes, wie zum Beispiel einer Kaffeemaschine, transparent zu machen. Zudem sollen Algorithmen des maschinellen Lernens dabei helfen Abfälle möglichst sortenrein zu sortieren. Ziel des Konsortiums aus Unternehmen und Forschungseinrichtungen, darunter der DFKI-Forschungsbereich „Innovative Fabriksysteme“ (Leitung Prof. Dr.- Ing. Martin Ruskowski), ist es, die Wiederverwertung von Produkten mit hoher Materialvielfalt zu verbessern.
Die Verbindung von ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit bestimmt auch die Agrarsysteme der Zukunft. Das digitale Wissens- und Informationssystem für die Landwirtschaft (DAKIS) will Ökosystemleistungen einen Wert geben und Zielkonflikte in der Landbewirtschaftung lösen. Hierzu dienen digitale Entscheidungsunterstützungssysteme sowie eine diversifizierte Landbewirtschaftung unter anderem durch den Einsatz von Feldrobotern, gelenkt durch intelligente Algorithmen des DFKI-Forschungsbereichs „Planbasierte Robotersteuerung“ (Leitung Prof. Dr. Joachim Hertzberg).
Weitere, klassische Anwendungsfelder für intelligente Algorithmen finden sich in den Sektoren Energie und Mobilität. Beide zeichnen sich durch immer mehr Akteure und dezentrale Strukturen aus, deren wachsende Komplexität konventionelle Ansätze der Vorhersage und Regelung übersteigt. KI ermöglicht es, die Sicherheit der Systeme zu erhöhen und ihre Effizienz zu steigern. Angesichts anhaltender Leistungssteigerungen der Computersysteme sowie disruptiver Innovationen, wie zum Beispiel dem Quanten-Computing, werden in den nächsten Jahrzehnten Anwendungen der Künstlichen Intelligenz entstehen, die wir heute bestenfalls erahnen können. Aktuell verstärkt durch die Covid-19-Krise gibt es zudem einen globalen Trend zu mehr Resilienz statt Effizienz. Im existentiellen Sinne dieser Resilienz sowie vor dem Hintergrund endlicher Ressourcen gilt es, das „Werkzeug KI“ in der Zukunft möglichst effektiv für den Schutz von Umwelt und Klima einzusetzen. Dann kann Künstliche Intelligenz in der Tat ein Stück dazu beitragen, den Planeten zu retten.