Grüner Hemmschuh für die Digitalisierung?
Ein Kommentar von August-Wilhelm Scheer, Scheer Holding
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Grundsätzlich scheint in Gesellschaft und Politik Konsens darüber zu herrschen, dass die Digitalisierung einen wichtigen und unerlässlichen Beitrag zum umwelt- und klimagerechten Umbau von Industrie und Wirtschaft leistet. So funktioniert etwa eine dezentrale Energieversorgung durch nachhaltige Energieträger nur über eine intelligente Datensteuerung. Aber auch die effiziente und damit umweltschonende Energieversorgung im privaten Smart Home steht und fällt mit dem Einsatz digitaler Technologien. Da verwundert es dann doch, wenn man auf der Website des Bundesumweltministeriums Passagen liest wie: „Die Digitalisierung hat erhebliche Auswirkungen auf Umwelt und Natur. Unverändert fortgesetzt, wird sie zum Brandbeschleuniger für die ökologischen und sozialen Krisen unseres Planeten, weil sie die Überschreitung der planetaren Grenzen weiter beschleunigt. Mehr Energie -und Rohstoffverbrauch, mehr Konsum und mehr Verkehr.“ [1] Gefordert wird eine Trendwende der Digitalisierung, in deren Kern das Ansinnen steht: „jeder Algorithmus muss Umweltschutz eingepflanzt bekommen“ [2], eine entsprechend erstellte Digitalagenda für Umwelt-, Klima- und Naturschutz gelte als Kompass für Deutschland und Europa. Es sei mir erlaubt, an dieser Stelle ungläubig den Kopf zu schütteln. Deutschland als Taktgeber beim Umbau der Digitalisierung? Sind wir nicht viel eher als Nachzügler auf dem (verspäteten) Weg zur Digitalisierung endlich vom Brems- aufs Gaspedal umgestiegen? Und ich warne davor, den ökologisch und ökonomisch wichtigen Digitalisierungsinitiativen mit einer Art Umweltverträglichkeitsprüfung einen grünen Hemmschuh zu verpassen.
Es ist unstreitig richtig, dass Rechenzentren energieeffizienter werden müssen und auch die Beschaffung von Hardware nachhaltiger gestaltet werden kann. Aber die Furcht vor energiefressender IT-Infrastruktur mit wachsen- dem CO2-Fußabdruck ist nicht nur angesichts der vermehrten Verfügbarkeit von grünem Strom übertrieben, auch die Datenlage spricht dagegen, denn in den vergangenen Jahren hat eine zunehmend energieeffiziente Technologie dafür gesorgt, dass der Verbrauch trotz verstärktem Einsatz digitaler Instrumente stabil geblieben ist. Ein vermehrter Einsatz von cloudbasierten und hyperscale Rechenzentren kann künftig zu weiteren Effizienzsteigerungen führen.
Es gibt eine Vielzahl von Beispielen, dass Digitalisierung wirkt – auch im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes. Der Digi-
talisierungsschwerpunkt Künstliche Intelligenz (KI) gewinnt gerade bei produzierenden Unternehmen in Deutschland in der Produktent-
wicklung und Produktion an Bedeutung. Das geht aus einer im Juni 2021 veröffentlichten Studie des VDI Zentrums Ressourceneffizienz
(VDI ZRE) hervor [3]. 42 Prozent der befragten Unternehmen setzen KI bereits in der eigenen Produktion ein, unabhängig von der Betriebsgröße. Unternehmen wollen mit KI vor allem Kosten und Zeit sparen, aber auch die Qualität ihrer Produkte steigern. Fast alle Befragten sehen die größten Einsparpotenziale beim Material- und Energieverbrauch. Der verstärkte Einsatz von Künstlicher Intelligenz schont damit natürliche Ressourcen, spart Energie und CO2-Emissionen. Und gleichzeitig wird hier unsere Wettbewerbsfähigkeit gestärkt. Hochwertige Produkte ‚Made in Germany‘ als Exportschlager haben die deutsche Industrie immer wieder erfolgreich durch Wirtschafts- und Finanzkrisen navigieren lassen und in ihrem Bestand gesichert.
Selbst die einst wegen ihres hohen Energieverbrauchs ökologisch verteufelte Blockchain-Technologie hat laut einer Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie aus dem vergangenen Jahr [4] das Potenzial, den Umweltschutz zu befördern, etwa bei Lieferketten, Strom- und Emissionshandel. Neue Blockchain-Methoden verbrauchen heute deutlich weniger Ressourcen und Energie als die Methoden der ersten Generation, wie sie bei der Kryptowährung Bitcoin zum Einsatz kommen. Die Studie bescheinigt Blockchains großes Potenzial für den Umwelt- und Klimaschutz. So kann die Nachhaltigkeit von Lieferketten oder die CO2-Emission bei der Herstellung von Produkten nachverfolgt werden.
Digital GreenTech, also der Einsatz von digitaler Technologie im Sinne der Ökologie, ist längst in Deutschland angekommen. Autos, Kühlschränke, Industrieroboter, Wettersatelliten oder auch Stromzähler werden vernetzt. Onlinehandel, Industrie 4.0, Smart Cities und eAgriculture sind ohne Digitalisierung nicht denkbar. Wenn dadurch die Effizienz gesteigert, der Ressourcenverbrauch gesenkt oder die sichere Energieversorgung durch Sonne, Wasser und Wind erst möglich werden, dann ist die Digitalisierung ein Treiber der ökologischen Ausrichtung und nicht ihr Widersacher.
Sicher ist bei der ökologischen Ausrichtung der Digitalisierung noch Luft nach oben, und es gilt, diese zu nutzen. Daher zitiere ich hier gerne Franz Kafka: „Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen.“