Energie sucht Speicher: Wenn ein Kreisel für Stabilität im Stromnetz sorgt
Im Gespräch mit Hendrik Schaede, CEO des Start-up Adaptive Balancing Power
Kurz und bündig:
Seit Beginn der gemeinsamen Arbeit an der Technologie des Schwungmassenspeichers ist es das Ziel der späteren Gründer, einen Beitrag zum Energiesystem der Zukunft zu leisten. 2012 hat sich das Gründungsteam bei der gemeinsamen Forschung an der Technologie und deren Einsatzgebieten an der TU Darmstadt kennengelernt. Seit 2014 arbeitet man gemeinsam am Aufbau des Unternehmens, das 2016 als GmbH gegründet wurde. Man entwickelte das adaptive Flywheel für vielfältige Anwendungsszenarien moderner Energieversorgung.
Schwungmassenspeicher sind die älteste Form der Energiespeicherung, die die Menschheit kennt. Das Wirkungsprinzip verdeutlichen die Gründer des Start-ups Adaptive Balancing Power gerne am Beispiel eines Kreisels. Mit ‚Flywheel‘ schufen sie einen sogenannten adaptiven Schwungmassenspeicher für eine der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – die Energiewende. Ziel ist die problemlose Integration der erneuerbaren Energien in das Stromnetz.
IM+io: Herr Dr. Schaede, wie und in welchem Kontext muss man sich den konkreten Einsatz Ihres Produktes Flywheel vorstellen? Gibt es unterschiedliche Anwendungsszenarien?
HS: Unsere Technologie spielt ihre Stärken in Anwendungen aus, in denen häufig große Leistungen für kurze Zeit benötigt werden. Die Speicher helfen Stromnetze stabil zu halten und effizienter zu betreiben. Entsprechend vielfältig sind die Anwendungen. Sie reichen von Regelleistung und Momentanreserve in Verbundnetzen über Frequenz- und Spannungsregelung in Microgrids, wo das adaptive Flywheel den Netzbetrieb ohne Dieselgeneratoren ermöglicht, da unser Speicher Frequenz- und Spannungshaltung übernimmt und so die Reserveleistung zur Verfügung stellt, die die Versorgung der Stromkunden mit der benötigten elektrischen Leistung auch bei unvorhergesehenen Ereignissen im Stromnetz gewährleistet. Zu den Anwendungsbereichen gehören zudem die unterbrechungsfreie Stromversorgung für Industrieprozesse und Rechenzentren oder die Rekuperation von Bremsenergie in Bahnnetzen um Leistung zur Beschleunigung bereitzustellen. Dadurch können z.B. bis zu 30% der Energiekosten eingespart werden. Auch aus der Elektromobilität resultieren neue Anwendungen, wir sind zum Beispiel gespannt, welche Rolle eine Technologie wie unsere bei der Verbreitung der Schnelllade-Infrastruktur für Elektrofahrzeuge spielen wird.
IM+io: Worin liegt der Mehrwert Ihres Ansatzes Energie nicht in großen Batterien zu speichern, um Schwankungen in der Versorgung auszugleichen, sondern durch Ihr adaptive Flywheel regulierend einzugreifen?
HS: Der häufig verfolgte Ansatz „viel hilft viel“ ist, auch im Energiebereich, nicht immer der wirtschaftlichste. Wenn wir zukünftig eine sichere und gleichzeitig günstige Energieversorgung anstreben, benötigen wir intelligentere Ansätze, teilweise auch außerhalb der aktuell regulatorisch aufgespannten Rahmenbedingungen. Hier können unsere Speicher sicherlich ihre Stärken ausspielen. In vielen Anwendungen resultieren aus der hohen Effizienz, der von der Zyklenanzahl unabhängigen Lebensdauer von 25 Jahren und den niedrigen Investitionskosten minimale Lebenszykluskosten, die mit anderen Energiespeichern nicht erreicht werden können.
IM+io: Wie sind Sie zunächst auf die Idee zu dieser Technologie gekommen?
HS: Ich hatte im Rahmen meiner Promotion die Möglichkeit, mich tiefgehend mit der Technologie zu beschäftigen und die neuartige, von uns eingesetzte Bauform des Flywheels zu entwickeln. Ausgangspunkt war hier das Lagerungssystem. Erst die berührungsfreien Magnetlager ermöglichen die Umsetzung des Designs. Nebenbei resultieren hieraus die hohe Effizienz und die niedrigen Wartungskosten der Speicher.
IM+io: Ist so auch die Gründungsidee entstanden?
HS: Ja. Es wäre für mich nicht sehr motivierend gewesen, wenn unsere wegweisenden Ergebnisse in der Schublade verstaubt wären. Gleichzeitig bietet das wissenschaftliche Umfeld gute Möglichkeiten, ein Netzwerk für die Gründung aufzubauen und erste Workshops zu besuchen. Die TU Darmstadt unterstützt darüber hinaus natürlich auch Gründungen.
IM+io: Die Energiewende braucht hochskalierbare Anwendungen, gerade bei der Netzstabilität. Wie sieht dazu Ihr Geschäftsmodell aus?
HS: Bei der Fertigung unserer Speicher arbeiten wir mit einem qualifizierten Netzwerk von Zulieferern zusammen. Im deutschen Maschinenbau sind solche Zulieferketten seit langem etabliert, für uns ist es somit nicht nötig, eigene Fertigungskapazitäten aufzubauen. Damit bleiben wir als Unternehmen schlank, gleichzeitig können wir die Produktion schnell entsprechend der Nachfrage skalieren. Unser Vertrieb ist aktuell noch recht stark auf unsere Endkunden ausgerichtet. Um auch hier besser skalieren zu können ist es mittelfristig unser Ziel, mehrheitlich als OEM unsere Produkte an Integratoren zu liefern.
IM+io: Wie sprechen Sie mit Ihrem Portfolio heute potenzielle Kunden an, wie schaffen Sie es über POCs und Pilotprojekte hinauszukommen?
HS: Das ist für ein junges Unternehmen mit einer Hardware im B2B Infrastruktur-Bereich natürlich die Gretchenfrage. Gestartet sind wir mit einem durch die EU-geförderten Horizon 2020 Projekt, mit dem wir den POC unserer Technologie im irischen Regelleistungsmarkt nachgewiesen haben. Wir sehen, dass es uns basierend auf diesen Ergebnissen gelingt, Kunden von der Funktionalität unserer Technologie zu überzeugen.
IM+io: Wie sieht es in Deutschland denn mit dem unmittelbaren Wettbewerb aus, in der Energiebranche dürfte angesichts ganz neuer Notwendigkeiten und Möglichkeiten Goldgräberstimmung herrschen…
HS: Wenn man ehrlich ist, hat die Verweigerungshaltung der Politik die Energiewende aktiv zu gestalten die Stimmung nicht gerade befeuert. Allen ist bewusst, dass wir dringend neue Ansätze und Technologien benötigen. Allerdings kann aktuell noch niemand damit Geld verdienen. Entsprechend sind für uns die internationalen Märkte wesentlich spannender als der deutsche. Für den ganzen Sektor wäre es sicherlich gut, wenn sich zügig einige Dinge grundlegend ändern würden und sich wieder Nuggets im Markt befänden, die eine Goldgräber-Stimmung rechtfertigen. Damit meine ich keine neuen Subventionen, sondern Mechanismen, die beispielsweise einen wirtschaftlichen Einsatz von Energiespeichern zur Erbringung von Momentanreserve ermöglichen. Wenn es die gibt, wird sicherlich auch ein größerer Wettbewerb entstehen. Ich freue mich darauf!
IM+io: Wo sehen Sie die Zukunft des Unternehmens, Herr Schaede?
HS: Unsere Ausrichtung ist international und wir werden das OEM-Geschäft stärker ausbauen. Die Heimat unseres Unternehmens ist und bleibt Deutschland und auch zukünftig wird die Wertschöpfungskette weitestgehend in Deutschland und Europa liegen. Wenn sich hier auch nennenswerte Märkte auftun sollten, freuen wir uns natürlich nicht nur zum Exportüberschuss beizutragen.