Einzigartig wie ein Fingerabdruck
Digital und regional zum individuellen Möbelstück
Alessandro Quaranta, Okinlab GmbH
(Bildquelle: © form.bar)
Kurz & Bündig
Möbel genau nach persönlichen Wünschen, online gestaltet, weltweit regional gefertigt: Mit der Design-Plattform www.form.bar haben zwei Saarbrücker Gründer ein neuartiges, nachhaltiges Geschäftsmodell in der Möbelbranche etabliert. Eine preisgekrönte Design-to-Production-Software und die klimafreundliche Fertigung im größten Schreiner-Netzwerk Europas haben form.bar zum Pionier der Digitalisierung der Möbelfertigung gemacht.
Während viele Schulen in Deutschland noch immer in der Kreidezeit festhängen und in unzähligen Lebensbereichen der Wandel nur schleppend vorankommt, ist ausgerechnet in der Möbelbranche die Onlinerevolution in vollem Gange – zumindest bei den Pionieren der Szene. Mit 3D-Software, maximaler Individualisierung und einem Netzwerk regionaler Schreiner zeigt die junge Designplattform „form.bar“ die großen Chancen der Digitalisierung. Und beweist: Die Zeit standardisierter Möbel vom Fließband geht zu Ende.
Die Coronapandemie hat in rasendem Tempo die Art und Weise, wie Menschen einkaufen, grundlegend verändert, vermutlich für immer. Statt sich im stationären Handel zu bedienen, greifen immer mehr Kunden auf Internetangebote zurück. Das trifft auch mehr denn je auf die Möbelbranche zu, die seit Beginn der Pandemie im Jahr 2020 ein erhebliches Umsatzwachstum im Onlinebereich verzeichnet, Tendenz weiter steigend. Zugleich ist die Branche aber noch immer stark in veralteten Denkmustern gefangen. Durch die Bank investieren viele klassische Anbieter, so das Fazit der Studie „Online-Möbelhandel 2021“, weiterhin lieber in Fläche als in Digitalkompetenz.
Müssten deutsche Möbelhändler und -hersteller ihre eigene Digitalisierungsstrategie bewerten, würden sie sich demnach die Note 3,1 geben – bestenfalls „befriedigend“ also. Doch schaut man genauer hin, ist diese Note eher geschönt als realistisch. 39 Prozent der in der Studie befragten Unternehmen betreiben noch überhaupt keinen Onlineshop. Und die, die einen haben, bieten meist nur eingeschränkte Funktionalitäten. Das Onlinegeschäft wird auch heute noch oft als lästiges Übel gesehen. Insgesamt sehen nur 43 Prozent der Unternehmen E-Commerce als das Business, das mittelfristig über Erfolg und Misserfolg entscheidet. Nur jeder Dritte plant einen Ausbau des Digitalgeschäfts, der Rest hält am stationären Betrieb fest. An dieser von vielen als „Branchenschlaf“ bezeichneten Haltung konnte selbst die Coronakrise noch nicht entscheidend rütteln. Doch es gibt Ausnahmen, junge, innovative Firmen etablieren sich auf dem Markt: Die digitale Transformation der Möbelbranche passiert genau jetzt.
Neben dem technologischen Fortschritt sind dafür weitere Entwicklungen maßgeblich. Nachhaltigkeit, Klimaverträglichkeit, Regionalität, Qualität – nie zuvor waren diese Themen für Möbelkäufer so wichtig wie heute. Gerade für die jüngere Generation sind zudem Innovation und Individualität wesentliche Erwartungen an Marken und Produkte. Dies alles zu vereinen, kann ohne Digitalisierung nicht gelingen. Die Design-Plattform „form.bar“ stellte sich vor sechs Jahren dieser Herausforderung und vernetzt individuelle Kundenwünsche direkt mit regionalen Schreinern und Tischlern. Somit kann verhindert werden, dass Möbelstücke quer durchs Land oder sogar um den Globus transportiert werden müssen. Auch der Kunde selbst bekommt ein Werkzeug an die Hand, weil er mithilfe von 3D seine Vorstellungen vom Traummöbelstück spielerisch umsetzen kann. So entstehen Möbel, die einzigartig wie ein Fingerabdruck sind.
Die Zeit standardisierter Möbel vom Fließband geht zu Ende. Neue Lebensabläufe, knapper werdender Wohnraum, ein allgemeiner Wertewandel und persönliche Bedürfnisse verlangen nach passgenauen Lösungen. Individuelle Möbel nach Maß sind nicht länger Luxusprodukte, sondern die Zukunft, die schon begonnen hat.
Durch die Verknüpfung von Design und Fertigung hat jede Kundin und jeder Kunde die Möglichkeit das Möbelstück online durch Klicken und Ziehen intuitiv selbst zu gestalten, ohne Vorkenntnisse in der Konstruktion oder Architektur zu besitzen. Die Formbarkeit ist dabei nahezu grenzenlos, das heißt, es geht nicht nur um ein rechteckiges Möbelstück, das fünf Zentimeter breiter oder sieben Zentimeter höher wird, sondern auch um die Gestaltung des Produkts. Die Möbel können hochindividuell und optimal an den Raum angepasst werden. Der Kunde muss nur wissen, was er will oder braucht, und kann dann mit dem inzwischen vielfach ausgezeichneten 3D-Konfigurator starten. Mit dem komplexen Konstrukt im Hintergrund – Statikprinzipien, mathematische Optimierung – muss er sich nicht beschäftigen. Denn ein Algorithmus in der Software sorgt dafür, dass sich die Proportionen der einzelnen Elemente harmonisch verändern und das Möbel immer ästhetisch aussieht. Wird das Möbel im Konfigurator an einem Punkt modifiziert, verwandelt sich synchron das Gesamtgebilde zu einer stets natürlich wirkenden Einheit. Jede Änderung des Designs sowie der exakte Preis werden dabei in Echtzeit angezeigt.
Sobald der Kunde sein Möbel am Bildschirm fertig gestaltet hat, geht die Bestellung bei form.bar ein, wird nochmals automatisch gecheckt und in Einzelfällen, falls nötig, auch von einem form.bar-Designer begutachtet. Ist alles in Ordnung, erstellt die Software die Fertigungsdaten für eine CNC-Fräse, das heißt, das Möbel wird in seine Einzelteile zerlegt, mit allen Informationen, die notwendig sind, damit es hergestellt werden kann. Dieser Datensatz geht mit Fertigungsdatum und dem Preis an einen Schreiner in Kundennähe, der das Möbel fertigt, ausliefert und auf Wunsch aufbaut. Lief die Vergabe von Aufträgen zuvor noch teilweise über Mail und Telefon, erfolgt sie seit Mitte 2020 automatisierter, strukturierter und transparenter auf dem eigenen Online-Marktplatz. Dort können sich die Schreiner aktiv Aufträge sichern, so werden Regionalität und Zuverlässigkeit gefördert.
Inzwischen arbeitet die Okinlab GmbH mit gut 100 Schreinern in Deutschland und anderen Ländern zusammen, meist sind es Familienbetriebe, die sorgfältig ausgesucht wurden. Sie können durch die Kooperation die Auslastung ihrer in der Anschaffung sehr teuren Maschinen erhöhen, neue Kunden gewinnen und am wachsenden Onlinemöbelmarkt teilhaben.
Die Plattform des Unternehmens zeigt, wie Technologie eingesetzt werden kann, um kleinen und mittelständischen Unternehmen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und die regionale Vielfalt zu stärken.
Das sah auch die Jury des Deutschen Gründerpreises bereits 2016 so: form.bar nutze „den Trend zur Individualisierung und zeigt die Chancen der Digitalisierung für das traditionelle Handwerk. Das erschließt auch kleineren Betrieben neue Zielgruppen“.
Das Ziel von form.bar: Überall auf der Welt ihre Möbel zu vertreiben, denn das Modell ist praktisch und unendlich skalierbar. Einerseits durch die Zusammenarbeit mit Schreinern und andererseits durch Angebote, wie den Service „form.bar Data“, erhält der Kunde weltweit die Möglichkeit, statt eines fertigen Möbels den dazugehörigen Datensatz zu erwerben. Das Möbel kann also standortunabhängig überall in Eigenregie hergestellt oder bei einem geeigneten Fertigungsbetrieb produziert werden.
Wie so oft war auch bei form.bar der Anfang einer Idee ein Problem. Durch die eingegrenzten Möglichkeiten zur Einrichtung eines sehr engen Ladenlokals an der Universität des Saarlandes und der daraus resultierenden Frustration, wendete der Mitgründer sich an seinen ehemaligen Schulfreund, der als Architekt an Leichtbauteilen und Bionik forschte und somit über die entsprechende Expertise verfügte. Gemeinsam fanden die beiden eine bezahlbare und spektakuläre Lösung und konnten die Tragweite der Digitalisierung für die Möbelbranche besser erfassen.
Nach fast zwei Jahren Entwicklungszeit mit vielen Höhen und Tiefen konnten dann die ersten Möbel nach persönlichen Wünschen online designt und immer regional gefertigt und deshalb besser für die Umwelt und das Klima produziert werden.
Nachhaltigkeit ist für Okinlab nicht nur ein hippes Werbeschlagwort, sondern seit erster Stunde das Grundprinzip des Unternehmens. Dass immer mehr Menschen den Einsatz wahrnehmen und anerkennen, dass mittlerweile tausende Möbel entstanden sind und dass unzählige Medien über das Konzept der Firma berichtet haben, zeigt, dass man die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen sollte. Denn es entsteht eine Win-Win- Situation: Der Kunde kann selbst bestimmen, wie sein Produkt aussieht und wie es hergestellt wird, und die Bevölkerung hat einen positiven Nutzen, da die dezentrale Herstellung in erheblichem Umfang schädliches CO2 einspart.
Das hat im Vorjahr auch eine Studie der Hochschule Darmstadt bestätigt [1]. Demnach sind Möbel von form.bar deutlich besser für das Klima, besser für die Gesundheit des Menschen, schonen Ressourcen und tragen zum Erhalt der Artenvielfalt bei. In der Arbeit mit dem Titel „Ökobilanzierung von Möbeln und Strategien zur Reduzierung der Umweltauswirkungen“ weist form.bar über den gesamten Lebensweg hinweg in allen 17 untersuchten Aspekten bessere Werte auf als ein vergleichbares Möbel aus dem traditionellen Handel – konkret unter anderem 55 Prozent weniger CO₂, 45 Prozent weniger Wasserverbrauch, dreimal weniger Meeresverschmutzung, 33 Prozent weniger Feinstaub. Zusammengerechnet entsprechen die CO₂-Einsparungen durch den Kauf von form.bar‑Möbeln bereits fünf Millionen gefahrenen Kilometern, 125 Mal um die ganze Welt!
Dazu kommen die positiven Effekte des form.bar-Prinzips, das sich in einem Satz so zusammenfassen lässt: Immer nur das, was wirklich gebraucht wird. Es werden immer nur genau die Möbel hergestellt, die sich die Kunden wünschen. Das gilt auch für das Design: Die Tiefe eines Regals kann in Bewegungszonen reduziert und in freien Räumen maximiert werden, ebenso kann man die Größe von Regalfächern anpassen, weil ja nicht in jedem Fach Schallplatten oder Aktenordner verstaut werden müssen. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die automatisierte Zuschnittoptimierung spart einen großen Teil des bei der konventionellen Produktion von Möbeln verwendeten Materials ein, weil die einzelnen Elemente so effizient wie möglich auf den Holzplatten verschachtelt werden.
Heute zeigen Studien außerdem, dass Nachhaltigkeit beim Möbelkauf für 73 Prozent der deutschen Verbraucher wichtig ist und genau wie bei Lebensmitteln gerade Regionalität zum Verkaufsargument wird. Ebenso spielt Individualität eine wesentlich größere Rolle. Viele Menschen wollen sich von der breiten Masse abheben und sind bereit, für ein selbst designtes Unikat mehr Geld auszugeben als für ein Standardmöbel. Die zunehmende Onlinekonkurrenz auf dem Markt der Maßmöbel verdeutlicht, wie viel Potenzial das Thema hat.
Auch wenn, wie anfangs erwähnt, die Möbelbranche noch stark stationär geprägt ist, werden die Möglichkeiten, Produkte online darzustellen und zu verkaufen, immer größer. Händler und Hersteller, die langfristig mithalten wollen, müssen sich fragen, wie sie ihr Knowhow, das über Jahre gewachsen ist, digitalisieren und sich damit zukunftsfähig machen können. Wer in fünf Jahren noch ein relevanter Marktplayer sein will, muss sein Geschäftsfeld durch neue Netzwerke und Kooperationen erweitern und den Wandel selbst in die Hand nehmen. Sonst entscheiden bald andere über seine Zukunft. Die Zeit der Standardisierung ist vorbei – Möbel sind jetzt formbar.
