„Ein Puzzle mit vielen Teilen“
Digitale Souveränität als gelebte Abhängigkeit
Andreas E. Thyen, LizenzDirekt AG
Kurz & Bündig
Digitale Souveränität ist aktuell ein großes politisches Anliegen ohne eindeutige Definition und zu komplex, um an einfache, universelle und absolute Lösungen zu Förderung dessen zu glauben. Hingegen bestehen auch eigene Möglichkeiten, um einen Beitrag hierzu zu leisten. Am Beispiel gebrauchter Software zeigt sich etwa die Synthese und wechselseitige Stimulierung der beiden derzeitigen Hauptanliegen der Europäischen Union (Grüner Deal und Digitale Zukunft), indem sowohl ökologisch nachhaltig Werte erworben und veräußert werden wie auch damit Souveränität in Form des europäischen Wettbewerbs und der involvierten Kunden gestärkt werden.
Das Thema digitale Souveränität ist dieser Tage in aller Munde. Zuletzt hat sich auch die Politik hierfür in zunehmendem Maße ausgesprochen. Aber ist es leicht oder gar überhaupt möglich, diese zu erlangen? Und wenn ja, ist sie überhaupt erstrebenswert? Genügt ein entsprechender politischer Wille, um das proklamierte Ziel digitaler Souveränität zu erreichen?
Digitale Souveränität – Maßstab und Denkansatz
Pauschalisierungen helfen sicher nicht, um Antworten zu finden, aber allzu häufig dürften die Teilnehmer der Diskussionen nicht einmal von derselben Bedeutung des Begriffs und dessen Dimension ausgehen. Hinzu kommt, dass regelmäßig auch ein technischer Sachverstand erforderlich für eine Orientierung ist. Aber auch ökonomische, soziologische bis hin zu ökologischen Aspekten gehören maßgeblich zu diesem Komplex. Dann wird sich die Frage stellen: „Inwieweit ist eine digitale Souveränität überhaupt möglich, oder geben wir uns mit diesem Ansinnen nur noch einer Illusion hin?“
Ein wissenschaftlich-theoretischer Bezugsrahmen sowie entsprechende Hypothesen werden nachfolgend nicht aufgestellt. Vielmehr geht es darum, einige Aspekte und Szenarien exemplarisch herauszustellen, um die Relevanz, Komplexität, aber auch Gegensätzlichkeit aufzuzeigen und vor allem einen Appell zu richten, das Thema für sich zu entdecken und sich in den gesellschaftlich-politischen Diskurs einzubringen.
Digitale Souveränität – Eine Orientierung
Bevor eine Meinungsbildung möglich ist oder Lösungsansätze evaluiert werden können, muss eine Orientierung im Zusammenhang mit dem Begriff der digitalen Souveränität erfolgen. Dabei fällt schon bei der Meinungsschau auf, dass es nicht nur keine klare Definition hierfür gibt, sondern jeder Beitragende einen eigenen Ausgangspunkt mit entsprechendem Verständnis wählt. Folglich ist die Auswahl von Definitionsversuchen denkbar groß und die inhaltliche Reichweite allumfassend und kontextabhängig ausgeprägt.
Souveränität zielt vom Wortverständnis auf Selbstbestimmung ab, welche sich durch Unabhängigkeit und Eigenständigkeit vom Zustand der Fremdbestimmung abgrenzt [1]. Im digitalen Kontext wird hiermit ein gesellschaftliches Ziel beschrieben, wodurch politische, wirtschaftliche und auch individuelle Abhängigkeiten in der sich digitalisierenden Welt reduziert werden sollen; das gelte etwa für Schlüsseltechnologien, Geschäftsmodelle und digitale Ökosysteme [2]. Umfasst werden Abhängigkeiten von Infrastrukturen, Daten, Hard- und Software wie auch Bildung [3].
Aus dem weiten und komplexen Definitionsansatz wird deutlich, dass die Frage einer digitalen Souveränität niemals universell beantwortet werden kann und vom individuellen Standpunkt aus als äußerst paradox empfunden wird. Was für den einen Souveränität bedeutet, bedeutet paradoxerweise das Gegenteil – nämlich eine Einschränkung von Freiheit – für manch anderen. Gleiches folgt aus den unterschiedlichen Idealen und Zielrichtungen von Politik, Wirtschaft und Geisteswissenschaften.
Bei allen Bestrebungen nach Unabhängigkeit ist zudem zu bedenken, dass eine vollständige digitale Souveränität in einer vernetzten Welt gemeinhin als weder realistisch noch zielführend angesehen wird, jedoch zumindest in kritischen Bereichen immer eine Risikoabwägung zu erfolgen habe [4].
Ebenso elementar ist aber auch, dass digitale Souveränität nicht isoliert zu betrachten ist. Unmittelbar spielen hier zu diskutierende gesellschaftliche, demokratische und politische Fragen mit, aber es werden auch Zielkonflikte und widerstreitende Interessen nicht zu vermeiden sein. Aus diesen Gründen bestehen gesamtheitliche Betrachtungserfordernisse in jedem Einzelfall der Ausgestaltung Digitaler Souveränität. Damit geht es darum, einseitige und unvollständige Ansätze sowie Ausgrenzungen bei der eigenen Meinungsbildung zu vermeiden.
Digitale Souveränität – Bestandsaufnahme
Um ein realistisches Bild zum Stand der Digitalen Souveränität zu erhalten, ist aufgrund der Weite des „neuen“ Themenfelds notwendigerweise eine Konkretisierung erforderlich. Im Zusammenhang mit Standardsoftware und zugehörigen Diensten fällt eine (nicht-repräsentative) Erhebung relativ leicht. Die Abhängigkeit von Betriebssystem- und Office-Software aus dem Hause Microsoft ist denkbar hoch und hat sich während des Lockdowns dramatisch ergänzt und um Cloud-Dienste wie Teams noch gesteigert. Eine Studie der Unternehmensberatung PwC für das deutsche Bundesministerium des Inneren ergab bereits im Jahr 2019, dass die zunehmende Abhängigkeit von wenigen Softwareanbietern die digitale Souveränität der deutschen Bundesverwaltung erheblich gefährde. Souveränität ist hier kaum zu erkennen und in Zukunft trotz großer Agenden begrenzt zu erwarten, und dies trotz beachtlicher Anstrengungen wie derzeit in Schleswig-Holstein [5] sowie im Ansatz in Bezug auf Basisfunktionen von weiteren Bundesländern und des Bundes zu sehen ist [6].
Bekenntnisse zur Steigerung Digitaler Souveränität gibt es sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene. Im Jahre 2020 erklärte die deutsche Ratspräsidentschaft, „Digitale Souveränität als Leitmotiv der europäischen Digitalpolitik etablieren“ zu wollen [7]. Auch die Europäische Kommission hat die „Gestaltung der digitalen Zukunft Europas“ neben dem „Grünen Deal“ zur Leitlinie erklärt [8]. Allerdings treten wegen der Vielfalt an Konzepten für digitale Souveränität und der unterschiedlichen Handlungsebenen – Staat, Wirtschaft und Individuum – immer wieder Zielkonflikte bereits in der Konzeptionsphase auf [9]. Richtigerweise spricht die Kommission daher von einem komplexen Puzzle mit vielen Teilen [10].
Digitale Souveränität – Bestrebungen
Insbesondere auf Infrastrukturebene gibt es zunehmend staatlich initiierte Bestrebungen – wie von der Europäischen Kommission in Bezug auf 5G-Netze und Deep-Tech wie Cloud-Kapazitäten, Blockchain und Quantentechnologien [11]. Damit soll dem Trend entgegengewirkt werden, dass neben Microsoft Clouddiensten auch in Europa insbesondere auf Amazon Web Services auf Infrastrukturebene, zumindest im Privatsektor, zunehmend zurückgegriffen wird, anstatt noch eigene Server zu betreiben. Denknotwendig nimmt die Abhängigkeit auf Datenebene zu – und damit die Souveränität weiter ab. Nicht einmal Wechselmöglichkeiten sind hier noch ohne Weiteres möglich, wodurch sich die Initiative der EU erklärt, hier entsprechende Rechte für Kunden zu schaffen [12].
Was häufig bei der großen Programmatik vergessen wird, ist jedoch, dass die Abhängigkeiten nicht ohne Grund bestehen und nicht ohne Grund noch zunehmen. Zwar gibt es beachtliche Anstrengungen, europäische Lösungen wie das GAIA-X-EU-Cloudprojekt aufzubauen, und es bestehen zahlreiche Open-Source-Lösungen, die mit den kommerziellen Produkten mithalten können. Dennoch gilt das nicht uneingeschränkt.
Eine Software ist kein statisches Werk, sondern lebt von der Fortentwicklung und Anpassung an aktuelle Bedürfnisse. Hieran hapert es häufig im Open-Source-Bereich genauso wie an Supportmöglichkeiten und Kompetenzen. Hinzu kommen wichtige Maßgaben an Verfügbarkeit, Performance und Skalierbarkeit.
Aus diesem Grund überrascht es wenig, dass dem europäischen GAIA-X Projekt ausgerechnet das auf Big-Dataanalysen spezialisierte US-Unternehmen „Palantir“ angehört, das auch für die US-Geheimdienste tätig sein soll. Ebenso befriedigend ist die Tatsache, dass zuletzt wiederum auch die US-Giganten Microsoft und Amazon einbezogen wurden [13]. Gleichwohl sieht die von der Europäischen Kommission ausgearbeitete europäische Datenstrategie weiterhin noch alle Möglichkeiten der EU als offen an, da ein Großteil der Daten künftig aus industriellen und beruflichen Anwendungen, aus Bereichen von öffentlichem Interesse oder aus Alltagsanwendungen des Internets der Dinge stammen, also aus Bereichen, in denen die EU stark sei [14]. Diese Erwartung erscheint jedoch recht optimistisch, da die Vergangenheit diesen Effekt vermissen ließ.
Digitale Souveränität – Zurück im Unternehmen
Schließlich darf nicht übersehen werden, dass jedes Unternehmen schon lange unter enormen Digitalisierungsdruck steht. Hier geht es nicht um zukünftige Visionen der Politik, sondern um die praktische Gegenwart. Im Ergebnis gilt Ähnliches für den Staat. Die Möglichkeiten der eigenen Digitalisierung sind hingegen ökonomisch ebenso unterschiedlich wie auch die Anforderungen abweichen.
Lokal installierte „On-Premise“ Software wie auch Cloud-Dienste dienen zuvorderst der Erledigung der alltäglichen Aufgaben und Bewältigung der technischen Prozesse. Der Anspruch ist hierbei nicht von regionalen Gegebenheiten abhängig, sondern muss sich in der Regel am globalen Niveau orientieren. Auf Infrastrukturebene bestimmen entscheidend Leistungsfähigkeit und skalierbare Verfügbarkeit. Hier können also europäisch-regionale Limitationen überaus unerwünscht sein. Wer in diesem Komplex den Anschluss verpasst, ist schneller abgehängt als je zuvor. Das hat auch mit der nahezu in allen Wirtschaftszweigen enormen Zunahme der Relevanz von Daten und deren Auswertung für die eigene Wertschöpfung zu tun. Dies hat wiederum auch die EU-Kommission erkannt. Hier wird von einem Wert der Datenwirtschaft von 829 Mrd. Euro und einer weltweiten Datenzunahme um 530 % (seit 2018) zu 175 Zettabyte im Jahr 2025 ausgegangen [15].
Hinzu kommt die regelmäßige Abnahme eigener Kompetenzen im Unternehmen und Server und die Fähigkeit eigene Infrastruktur zu administrieren. Die Kompetenzen im staatlichen Umfeld sind ebenfalls durch das bisherige Engagement beschränkt. Abgerundet wird das Unterfangen mit gestiegenen Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit.
Aus diesen Gründen könnten heutige Initiativen, für eigene konkurrenzfähige europäische Lösungen zu schaffen selbst bei deren erfolgreicher Vollendung zu spät für viele Unternehmen kommen und ohne rechtliche Notwendigkeit kaum Relevanz entfalten. Der nunmehr von der EU intendierte rechtliche Rahmen kommt zu spät. Selbst scheinbar datenschutzfreundliche Angebote von US-Anbietern in Zusammenarbeit mit der „Deutschen Telekom“ als Treuhänderin wurden zunächst eingestellt. Insofern darf sich nicht der Naivität hingegeben werden, dass Jahrzehnte des Rückstands und mangelnder eigener digitaler Schöpfenskraft in Europa über Nacht aufgeholt werden können. Auch anderen Rechtsrahmen wie der DSGVO ist das nicht entscheidend geglückt. Zwar diente die DSGVO manch anderem Land als Vorbild. Dennoch stehen heute Unternehmen praktisch vor unlösbaren Risiken, da umgekehrt der EU-US-Privacy Shield als Grundlage für Datentransfers in die USA noch dazu weggefallen ist.
Digitale Souveränität – Komplex bleibt komplex
In unserer hochgradig globalisierten und digitalisierten Welt wird vollkommene digitale Souveränität gemeinhin weder als realistisch noch pauschal erstrebenswert erachtet. Das mag an der angedeuteten Komplexität des Themas liegen, welches nicht frei von Paradoxen ist und unsere gesamte Gesellschaft prägt. Wie die Europäische Kommission konstatiert, sei der stattfindende Wandel ebenso fundamental wie der Wandel, der durch die industrielle Revolution ausgelöst wurde [16]. Gleichwohl muss es gar nicht um absolute digitale Souveränität gehen, sondern darum, bestimmte Abhängigkeiten der Bedeutung gegenüber in angemessen Maße graduell abzubauen, um diese durch europäische Werte und Inhalte im Rahmen einer Gesamtstrategie auszufüllen.
In bestimmten – etwa hochsicherheitsrelevanten Bereichen – dürfte das zu fordernde Souveränitätslevel entsprechend hoch anzusetzen sein. In anderen gesellschaftlichen Bereichen wird es hingegen erst einmal um mehr Transparenz und Wettbewerbsfähigkeit gehen. Im Übrigen bedeutet und verlangt Digitalisierung in aller Regel höchstmögliche Vernetzung und Dynamik. Das Maß an Abhängigkeit und die damit verbundenen Einflussnahmemöglichkeiten von einigen wenigen globalen US-Unternehmen sind aber ohne Zweifel besorgniserregend.
Am Beispiel der sogenannten „gebrauchten Software“
Trotz der Not gibt es keine pauschale Lösung der Problematik, um Abhängigkeiten zu reduzieren. Jede knappe Empfehlung hierzu wird unterkomplex sein. Jedoch lohnen sich jeder Denkansatz und jede Initiative. Vor allem müssen aber auch das konkrete praktische Szenario und entsprechende flankierende Maßnahmen betrachtet werden. Anfangen kann hierbei jeder bei sich selbst, indem anstelle des Reflexes zugunsten von kommerziellen US-Produkten zumindest auch Alternativen evaluiert werden und die gebotene Risikobetrachtung erfolgt. Genauso zählt hierzu, nicht nur aus Trendgründen auf Cloud-Produkte zu setzen.
Zumindest im Officebereich genügen Behörden wie auch Unternehmen oftmals „On-Premise“ Lizenzen. Diese dauerhaften Lizenzen („Perpetual“) bieten zudem den Vorteil absoluter (einmaliger) Kosten mit entsprechenden Möglichkeiten der Abschreibung anstelle von kontinuierlichen Kosten und etwaigen Änderungen, aber noch dazu die Möglichkeit, bei Bedarf weiterverkauft zu werden. Nicht zuletzt die Europäische Union als freiheitlicher Rechtsraum bietet hiermit dank der EuGH-Rechtsprechung aus 2012 einen entscheidenden Vorteil in Form der sogenannten gebrauchten Softwarelizenzen. Auch durch Wahrnehmung solcher Möglichkeiten und allenfalls lediglich ergänzender Abolizenzen wird ein Stück Souveränität bewahrt. Gleichzeitig ist der negative ökologische Effekt von Cloud-Serverfarmen nicht zu unterschätzen.
Dort, wo es keine konkurrenzfähigen Lösungen gibt oder keine eigenen Kompetenzen bestehen, diese konkurrenzfähig zu machen, sind Vorwürfe verfehlt und politische Agenden gefragt, Kompetenzen zu entwickeln und zu fördern. Dort, wo aber Ignoranz herrscht, etwa indem Ausschreibungen in der IT aus Gewohnheit oder gar Bequemlichkeit auf bestimmte Produkte oder Anbieter zugeschnitten werden und damit offener Wettbewerb und Alternativen faktisch ausgeschlossen werden oder aus fadenscheinigen Gründen Möglichkeiten wie der An- und Verkauf gebrauchter Software versäumt werden, ist vor dem Hintergrund des Ansinnens digitaler Souveränität Kritik angebracht und ein höheres Maß an Selbstreflexion geboten.
Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen – mag es im digitalen Kontext auch beschränkt sein – unterliegt der eigenen Obliegenheit, sich zugunsten dessen Wahrung zu verhalten. Dies ist sich stets zu vergegenwärtigen und bei Abwesenheit fortwährend anzumahnen, wozu nicht zuletzt dieser Artikel aufrufen will. Politisch wurde dem von der EU-Kommission Nachdruck verliehen. Es geht gerade nicht nur um die Förderung des europäischen Wettbewerbs, sondern es zeigt sich am Beispiel gebrauchte Software erstaunlicherweise die Synthese und wechselseitige Stimulierung der beiden Hauptanliegen der Europäischen Union (Grüner Deal und digitale Zukunft), indem entsprechend der Kreislaufwirtschaft sowohl ökologisch nachhaltige Werte erworben und veräußert werden. Damit wird auch die Souveränität in Form des europäischen Wettbewerbs und der involvierten Kunden gestärkt.
Insofern bestehen einige Gemeinsamkeiten und ein gleich gerichtetes Engagement zwischen der Herausforderung durch die digitale Souveränität und die globale Klimakrise. Gleichermaßen kann jeder seinen Beitrag hierzu leisten, wenngleich große Veränderungen politische Umsetzung verlangen.
Die Tat des Einzelnen zählt (auch)
Dabei kann sich das Engagement des Einzelnen sehr wohl lohnen. Nichts zu tun und sich nur zu echauffieren oder aufzugeben, ist sicher nicht die richtige Wahl. Auch kleine Anstrengungen können sich lohnen und gemeinsam zu einer beeindruckenden Aktion werden und Vorbildcharakter erreichen. So wurde der Softwareriese Microsoft in seine Schranken gewiesen, nachdem im letzten Jahr trotz des vom Hersteller gewünschten Umstiegs von On-Premise-Lizenzen auf entsprechende Abonnementlizenzen schlagartig entgegen europäischen Grundsätzen ein Verkauf der alten Lizenzen nicht mehr erlaubt sein sollte. Diese Änderung der Produktbestimmungen durch Microsoft inmitten der Corona-Krise fiel dem Autor umgehend auf, der als erfahrener Händler nicht vergessen hat, mit welcher Intensität Hersteller den Gebrauchthandel verhindern wollten. Dennoch sollte es mehr als ein Jahr mit zahlreichen Publikationen und Aufrufen des Autors und anderer dauern, bis Microsoft den Zusatz kassierte.
Das ist sicherlich nur ein vergleichsweise einfaches Beispiel, aber ein solches mit Signalwirkung. Persönliches Engagement kann sich lohnen und Grenzen müssen gerade auch US-Monopolisten zumindest dort gesetzt werden, wo europäische Rechte untergraben werden, und Linien heimlich verschoben werden. Umgekehrt soll damit kein Aufruf für protektionistische oder sonstige wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen verbunden sein. Auch eine solche Einseitigkeit würde der Komplexität der digitalen Souveränität nicht gerecht werden und wirtschaftlichen Interessen kaum entsprechen.
Es bleibt abzuwarten, was die europäische Agenda zur digitalen Souveränität bis zum Ende der deutschen Ratspräsidentschaft tatsächlich konkret erreichen wird. Aber auch die Evaluierung deutscher Bestrebungen der digitalen Verwaltung wird spannend sein. Nicht zuletzt wird es hierbei auf eine Auswertung der Nachhaltigkeit genauso wie auf Interoperabilität und eine Kosten-Nutzen-Analyse ankommen. Wie sich hier der dieser Tage ebenfalls gelegentlich diskutierte Föderalismus und länderübergreifende Kooperationen auswirken werden, bleibt abzuwarten.
Erst eine Auswertung der Erfolge der Maßnahmen wird zeigen, ob und in welchen Bereichen überhaupt eine qualitative Verbesserung digitaler Souveränität erreicht wurde. Es ist anzuerkennen, dass das Thema politisch spät, aber deutlich ambitionierter angegangen wird als bisher. Hier tut sich aktuell sehr vieles, aber nur rechtstheoretisch und abstrakt. Daher werden die konkrete Umsetzung und der praktische Effekt entscheiden. Eine grundlegende Umordnung der aktuellen Machtverhältnisse der Akteure in diesem Komplex ist kurz- und mittelfristig kaum zu erwarten. Auch in anderen Bereichen wird digitale Souveränität unter Umständen eine Illusion bleiben. Dennoch zählen auch die bereits in der Gegenwart möglichen Entscheidungen und Maßnahmen zugunsten einer Zunahme von digitaler Souveränität. Hier können Wechsel zu freier Office Software genauso wie die nachhaltige Beschaffung gebrauchter Software eine gewichtige Rolle spielen. Das gilt für den Staat genauso wie für die Privatwirtschaft. Die Summe solcher Einzeltaten kann einen signifikanten Beitrag leisten und den gesellschaftlichen Wandel mitprägen. Der einzelne Benutzer ist also selbst gefordert, nicht auf das Wahrwerden der absoluten Souveränität zu warten, sondern seine eigenen Möglichkeiten auszuschöpfen und genauso wie in Umweltfragen die Tragweite und Konsequenzen des eigenen Tuns zu begreifen. Es geht damit darum, eigene Initiativen zu entfalten und sich entsprechend diesem Appell, wie eingangs als Maßstab und Denkansatz für diesen Ansatz postuliert, den großen Herausforderungen im Alltag zu stellen und eigene Handlungsmöglichkeiten zu bewerten.
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