Virtual REHAlity
Ein Projekt mit gesunder Vorstellungskraft
Kevin Gisa und Dirk Werth, August-Wilhelm Scheer Institut
(Titelbild: ©Adobe Stock | 487815465 | ME Image)
Kurz und Bündig
Rehasport ist für ländliche Patientinnen und Patienten oft unzugänglich wegen langer Anfahrtswege und begrenzter Ressourcen. Doch eine innovative Lösung durch virtuellen Rehasport mit VR-Brillen und KI-Unterstützung verspricht eine verbesserte Rehabilitation. Diese Technologie ermöglicht es, Rehasport flexibler und effektiver zu gestalten, indem sie Patient:innen eine immersive Erfahrung bietet und gleichzeitig Trainer:innen automatisiert bei der Betreuung unterstützt. Dadurch wird der Zugang erleichtert, die Effizienz gesteigert und die Qualität der Betreuung verbessert.
Rehasport ist für viele ländliche Patienten schwer zugänglich aufgrund langer Anfahrtswege und begrenzter Ressourcen. Einrichtungen und Trainer:innen stehen vor erheblichen wirtschaftlichen Herausforderungen, da sie hohe Kosten für spezielle Ausrüstung und qualifiziertes Personal tragen müssen. Zudem sind die Erstattungssätze häufig begrenzt, damit sinkt die Rentabilität. Die Notwendigkeit individueller Betreuung erhöht den zeitlichen und personellen Aufwand zusätzlich, was die Wirtschaftlichkeit des Rehasports weiter einschränkt. Das Projektvorhaben MediHopps realisiert erstmalig eine Full Body Holoportation für Extended Reality (XR)-Brillen, die ohne die Notwendigkeit hochpreisiger externer Hardware ein präzises Tracking des gesamten Körpers in XR ermöglicht.
Laut Schätzungen des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) nehmen etwa 1,8 Millionen Menschen in Deutschland regelmäßig an Reha-Sportmaßnahmen teil. Der Bedarf in Deutschland ist somit signifikant und wächst stetig. Dies liegt zum einen an der steigenden Lebenserwartung und damit verbundenen altersbedingten Gesundheitsproblemen wie Arthritis, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Rückenbeschwerden. Zum anderen gibt es einen wachsenden Bedarf aufgrund von Verletzungen, Unfällen und chronischen Erkrankungen, die eine Rehabilitation erfordern. Bewiesen ist, dass der Rehasport eine entscheidende Rolle bei der Genesung und Therapie von Menschen
nach Verletzungen, Operationen oder bei chronischen Erkrankungen spielt. Jedoch sind viele
Patientinnen und Patienten, insbesondere in ländlichen Regionen, mit Herausforderungen konfrontiert, die den Zugang zu diesen lebenswichtigen Dienstleistungen erschweren. Lange Anfahrtswege zu spezialisierten Einrichtungen, begrenzte Verfügbarkeit von qualifizierten Trainerinnen und Trainern und begrenzte Ressourcen für die Einzelbetreuung sind nur einige der Hindernisse, denen Patientinnen und Patienten gegenüberstehen. Darüber hinaus kann die Notwendigkeit, während der Rehabilitationsphase regelmäßig in eine Einrichtung zu reisen, eine zusätzliche Belastung darstellen, insbesondere für diejenigen mit eingeschränkter Mobilität oder chronischen Gesundheitszuständen. Dabei ist insbesondere die Regelmäßigkeit entsprechender Übungen unter korrekter Anleitung ein wichtiger Bestandteil der physischen Wiederherstellung. Bei derart signifikantem und wachsendem Bedarf stellt sich die Frage, warum es nicht mehr entsprechende Angebote gibt. Rehasport stellt für Einrichtungen sowie Trainerinnen und Trainer eine wirtschaftliche Herausforderung dar, da es eine Reihe von Kosten und Einschränkungen mit sich bringt. Einrichtungen müssen oft spezielle Räumlichkeiten und Ausrüstungen für Rehasportaktivitäten
bereitstellen, was mit beträchtlichen Investitionskosten verbunden ist. Darüber hinaus erfordert die Betreuung von Personen im Rehasport eine hohe Qualifikation und Expertise seitens der Coaches, was zu entsprechend hohen Personalkosten führt. Da Rehasport häufig von Versicherungen oder öffentlichen Gesundheitsprogrammen abgedeckt wird, können Einrichtungen und Trainerinnen und Trainer zudem mit begrenzten Erstattungssätzen konfrontiert sein, was ihre finanzielle Rentabilität weiter einschränkt. Die Notwendigkeit, die Betreuung individuell auf die Bedürfnisse jeder Person abzustimmen, erhöht zudem den zeitlichen und personellen Aufwand, was die Wirtschaftlichkeit des Rehasports zusätzlich herausfordert.
Die Innovation: KI-unterstützter Rehasport in der Virtual Reality
Das Projekt MediHopps, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, präsentiert eine Lösung, um diese Herausforderungen anzugehen und den Rehasport zugänglicher und effektiver zu gestalten. Die zentrale Innovation besteht darin, den Rehasport durch die Integration von Virtual-Reality-Technologie (VR) und künstlicher Intelligenz (KI) zu revolutionieren. Durch die Verwendung von VR-Brillen können Patientinnen und Patienten in ihrer eigenen Umgebung oder in einer medizinischen Einrichtung eine immersive Erfahrung genießen, die speziell auf ihre Rehabilitationsbedürfnisse zugeschnitten ist. Dies ermöglicht nicht nur eine flexiblere Teilnahme am Rehasport, sondern schafft auch ein motivierendes Umfeld, das die Patientinnen und Patienten dazu ermutigt, aktiv an ihrer Genesung mitzuarbeiten. Die entscheidende Komponente dieser digitalen
Lösung ist jedoch die Integration von KI, um die Betreuung während des virtuellen Rehasports zu optimieren. Das August-Wilhelm Scheer Instutut entwickelt eine KI-Plattform, die die Bewegungsausführung der Personen während der Übungen überwacht, klassifiziert und potenzielle Fehler oder ineffiziente Bewegungsmuster identifiziert. Wenn ein solcher Fehler erkannt wird, erhält die Trainerin oder der Trainer sofort eine Benachrichtigung und kann eingreifen, um die Patientin oder
den Patienten anzuleiten und die korrekte Ausführung der Übung sicherzustellen. Auf diese Weise wird eine qualitativ hochwertige Betreuung gewährleistet, selbst wenn der Coach nicht physisch vor Ort ist. Dadurch wird ein flächendeckendes und effizientes Angebot ermöglicht. Um eine genaue Bewegungskorrektur bei Rehaübungen mit VR-Brillen, wie etwa der Meta Quest 3 zu erreichen, werden zunächst vielfältige Datensätze in Zusammenarbeit mit Reha-Sportzentren erhoben. Bei diesen Sitzungen führen die Teilnehmenden einen vordefinierten Katalog von Übungen durch, während sie die VR-Brille tragen. Das Gerät erfasst kontinuierlich Daten über die Controller und die
integrierten Inertialsensoren im Headset. Inertialsensoren werden zur Messung von Translations-
und Rotationsbeschleunigungen verwendet. Durch die Kombination mehrerer Inertialsensoren in einer Inertialsensoreinheit können während einer Bewegung die Beschleunigungen und Drehungen um die drei Achsen in sechs Dimensionen gemessen werden. Die berechneten Zeitreihendaten von Körperpunkten mittels des Inside-Out-Body-Tracking (IOBT) dienen als primärer Input für das Training des Systems. Aus den Eingangsdaten werden Datenmerkmale im Zeit- und Frequenzbereich aus
sich überlappenden Datenfenstern („sliding window approach“) extrahiert, die sich über die ursprüngliche kinematische Zeitreihe bewegen. Dieser Prozess zielt darauf ab, die Signale auf charakteristische Merkmale bestimmter Bewegungsaufgaben oder Teile davon zu reduzieren. Diese verarbeiteten Merkmale werden dann zusammen mit ihren Annotationen verwendet, um verschiedene Klassifizierungsmodelle des maschinellen Lernens zu trainieren, zum Beispiel die k-Nächste-Nachbarn und die Support-Vector-Maschine. Der kNNoder auch K-Nearest-Neighbor-Algorithmus ist ein nähebasierter Machine-Learning-Algorithmus, der Datenpunkte mit dem Datensatz vergleicht, mit dem er trainiert wurde und den er für Vorhersagen gespeichert hat. kNN basiert auf der Annahme, dass ähnliche Punkte nahe beieinander gefunden werden – nach dem Prinzip: gleich und gleich gesellt sich gern. Eine Support-Vector-Machine kann die Objektklassen mithilfe von Trennungsebenen einteilen. Diese Ebenen werden so gewählt, dass zwischen verschiedenen Klassen ein möglichst
großer Bereich frei von Objekten bleibt. Die Trennungsfläche mit dem größten Objektfreien Bereich gilt als optimale Lösung. Diese Modelle sind darauf ausgelegt, Übungsbewegungen in neuen, ungesehenen Bewegungsdaten zu identifizieren und zu klassifizieren. In Abhängigkeit der klassifizierten Übung erfolgt ein Abgleich der Körperposen über die Zeit mit den aufgezeichneten Referenzposen einer korrekten Ausführung. Letztendlich erhalten die Benutzenden auf der Grundlage dieser Analyse ein umfassendes Feedback, in dem sie auf notwendige Anpassungen zur Verbesserung ihrer Übungsform und -technik (zum Beispiel: Füße breiter hinstellen) hingewiesen werden.
Integration von Echtzeit-Bewegungserfassung und Anonymisierung
Die Technologie von MediHopps transportiert die Rehaerfahrung in eine jederzeit zugängliche digitale Welt. Durch eine innovative Echtzeit-Bewegungserfassung und den Einsatz moderner VR-Brillen werden die physischen Bewegungen der Patientinnen und Patienten präzise erfasst und auf einen virtuellen Avatar übertragen. Dieser Vorgang ermöglicht es den Nutzenden, sich selbst als Avatare in einer vollständig simulierten Umgebung zu sehen. Damit werden nicht nur die Selbstwahrnehmung
und das Feedback zur Bewegungsqualität verbessert, sondern es wird auch eine unterstützende
Gruppendynamik ermöglicht. Die Technologie ermöglicht aber auch eine vollständige Anonymisierung. Personen, die Wert auf Privatsphäre legen, können ihre Identität und ihre Bewegungen für andere Teilnehmende der virtuellen Rehasportgruppe unsichtbar machen. Diese Funktion ist besonders wichtig, um eine sichere und komfortable Umgebung für alle Nutzenden zu schaffen, da sie Bedenken bezüglich Datenschutz und sozialer Urteile adressiert. Patientinnen und Patienten können wählen, ob ihr Avatar generische oder personalisierte Züge trägt, und haben somit die Kontrolle darüber, wie sie anderen präsentiert werden.
Vorteile und Auswirkungen
Die Einführung des virtuellen Rehasports mit VR-Brillen und KI-Unterstützung durch MediHopps
bietet eine Vielzahl von Vorteilen und hat weitreichende Auswirkungen auf die Rehabilitation und Betreuung von Patientinnen und Patienten:
• Erhöhte Zugänglichkeit: Durch die Möglichkeit, Rehasport von zu Hause aus oder in lokalen Einrichtungen durchzuführen, wird der Zugang für Patienten in ländlichen Regionen erheblich verbessert.
• Effizientere Betreuung: Die KI-Unterstützung ermöglicht es einer Trainerin oder einem Trainer, mehrere Patientinnen und Patienten gleichzeitig zu überwachen und bei Bedarf individuell zu unterstützen, was die Effizienz der Betreuung deutlich erhöht.
• Verbesserte Qualität der Betreuung: Die automatisierte Überwachung der Bewegungsausführung durch die KI stellt sicher, dass Nutzende korrekte Techniken erlernen und potenzielle Verletzungen vermieden werden.
• Motivation und Engagement: Die immersive Erfahrung durch VR-Technologie motiviert die nutzenden Personen, kontinuierlich am Rehasport teilzunehmen und ihre Genesung aktiv zu unterstützen.
• Häuslicher Rehasport: Patientinnen und Patienten, die aufgrund von Mobilitätsproblemen oder anderen Einschränkungen nicht in der Lage sind, an traditionellen Rehasportprogrammen teilzunehmen, können nun von zu Hause aus von den Vorteilen des Rehasports profitieren.
Insgesamt hat das Projekt MediHopps das Potenzial, die Art und Weise zu verändern, wie Rehasport durch die Nutzung von VR-Brillen und KI-Unterstützung durchgeführt wird. Durch die Überwindung der traditionellen Barrieren im Gesundheitswesen wird eine breitere Bevölkerung erreicht und eine effektive Genesung und Rehabilitation gefördert.