Digitale Energie:
Wenn Energiedaten wertvoller werden als die Energie selbst
MehrWerth: die Kolumne von Dirk Werth, Chefredakteur IM+io
Wir erleben gerade nicht weniger als die Revolution der Energiebranche. Das Zeitalter der herkömmlichen Energieerzeugung hat seinen Zenit überschritten. Immer mehr dezentrale, kleine Erzeugungsanlagen drängen auf den Markt und wortwörtlich ins Netz. Aktuelle Schätzungen gehen in weniger als zehn Jahren von mehr als fünf Millionen solcher Anlagen aus. Die Folgen sind beachtlich. Ein als Top-downDistributionssystem konzipiertes Stromnetz wird nun zunehmend zu einem Bottom-upoder besser gesagt zu einem Bottom-to-bottomNetz: Energie wird am Endpunkt nicht nur verbraucht, sondern nun auch erzeugt. Und da elektrische Energie nicht lagerfähig ist, also das Strom-Angebot immer der StromNachfrage entsprechen muss, liegt die Herausforderung in der Steuerung: Es müssen nicht nur einige Hundert Kraftwerke geregelt werden, sondern mehrere Millionen unabhängiger Erzeugungsanlagen. Der aktuelle Königsweg zur Lösung liegt in sogenannten Flexibilitäten, also der Möglichkeit, von „außen“ Einfluss auf die Erzeugung sowie – und das ist wichtig – auf den Verbrauch elektrischer Energie am Endpunkt zu nehmen. Denn wenn ich als Netzbetreiber mittels Flexibilitäten Optionen habe, Stromerzeugung und -verbrauch zu erhöhen oder zu drosseln, dann kann ich die Netze auch stabil halten. Leider hat das zwei entscheidende Nachteile: Zum einen erhöht sich die Anzahl der zu steuernden Einheiten nochmals deutlich, da nicht nur die mehrere Millionen Erzeuger in die Gleichung eingehen, sondern auch die – mindestens so zahlreichen – steuerbaren Verbraucher. Zum anderen sind diese Flex-Optionen ein marktrelevantes Gut, d.h. sie stellen ein handelbares, verbrieftes Recht dar, die Anlage des Emittenten in einem definierten Maße zu regeln. Es wird interessant werden, zu beobachten, wie sich diese Flex -Preise entwickeln werden. Denn einerseits gibt es bereits Schätzungen, dass sich die Bandbreite des momentanen Strompreises stark erhöhen wird – mit Ausschlägen in beide Richtungen: Es wird zukünftig Zeiten geben, in denen es sehr teuer ist, Strom zu verbrauchen – und umso lukrativer diesen zu erzeugen. Aber es wird genauso Zeiten geben, in denen es sogar Geld kostet, Strom zu erzeugen und der Stromverbrauch honoriert wird – also eine Situation negativer Preise. Und jetzt spekuliere ich einmal: Wenn man die Analogie zu den Finanzmärkten zieht und postuliert, dass Flex-Optionen analog zu Finanzderivaten einen Hebeleffekt besitzen, so sind die Preisausschläge der Optionen umso höher gehebelt. Umso wichtiger wird es sein, Preisentwicklungen vorhersehen zu können. Denn somit lässt sich nicht nur das Netz besser und effizienter aussteuern, sondern auch ein erheblicher Profit erzielen. Der Schlüssel hierzu liegt in den Daten: Denn das Netz und seine Mechanismen lassen sich nur prognostizieren , wenn man die Netz-, Verbrauchs- und Erzeugungsdaten verstehen kann. Und auch das wird seinen Preis haben. Sicherlich, die energiewirtschaftliche Zukunft wird grüner werden, aber eben auch um einiges komplexer. Ich finde aber, das ist eine große Chance für Deutschland, denn eine der größten Stärken des Landes liegt in der Fähigkeit, komplexe Systeme zu managen. Insofern können wir doch sehr zuversichtlich in die grüne digitale Zukunft blicken.