KI - oder das Ende der Mittelmäßigkeit
Dirk Werth, Chefredakteur IM+io
Ein gutes Pferd springt nur so hoch wie es muss. Diesen Satz habe ich in meiner Laufbahn schon häufig gehört. Darf ich fragen: Wie oft haben Sie ihn selbst bereits verwendet, um auszudrücken, dass nicht mehr Aufwand und Energie in eine Sache investiert werden müssen als absolut notwendig, um dadurch ein ausreichend, meint durchschnittlich, gutes Ergebnis zu erzielen? Nun, die schlechte Nachricht ist: Das wird in Zukunft nicht mehr reichen.
Die Entwicklung der generativen Künstlichen Intelligenz stellt einen Meilenstein in der technologischen Entwicklung dar. Denn erstmalig ist die KI damit in der Lage, in einem gewissen Rahmen eigenständig eine schöpferische und kreative Leistung zu erbringen. Diese Technologie ermöglicht es beispielsweise Texte zu verfassen, die nicht nur informativ, sondern auch stilistisch ansprechend sind. Tatsächlich könnte eine generative KI problemlos diese Kolumne schreiben.
Genau das hat sie übrigens auch getan: Die Kolumne, die Sie auf der vorherigen Seite gelesen haben, stammt nicht etwa aus meiner Feder, sondern wurde vollständig von einer generativen KI, nämlich GPT-4 verfasst. Diese beeindruckende Leistung zeigt, wie weitreichend die Fähigkeiten generativer KI inzwischen sind.
In zahlreichen Bereichen der Wissensarbeit ist generative KI bereits heute in der Lage, sinnvolle Ergebnisse zu liefern. Diese sind nicht absolute Spitzenklasse, aber immerhin passabel. Vor allem angesichts der hohen Geschwindigkeit und der niedrigen Kosten für die Erstellung. Ich würde sagen, durchschnittliche Ergebnisse bekommt eine KI mittlerweile bereits ganz gut hin. Aber genau das ist der Kern des Problems:
In Zukunft können Sie „ein gutes Pferd springt nur so hoch wie es muss“ aus Ihrem Repertoire streichen, denn „durchschnittlich“ wird nicht mehr genügen. Durchschnittlich kann die Künstliche Intelligenz auch, und das schneller und günstiger. Wer also nicht von der KI ersetzt werden möchte, braucht eine neue Strategie.
Klar ist, diejenigen, die überdurchschnittlich performen, sind (noch?) außer Gefahr. Aber das ist eben auch eine kleine Anzahl von Personen und bei Weitem nicht die Mehrheit. KI zwingt uns folglich, über unsere Kompetenzen und unsere Ausbildung nachzudenken. Um relevant zu bleiben, müssen wir uns weiterbilden und spezialisieren, und das in weit ausgeprägterem Maße als es heute üblich ist. Durchschnittliches Wissen und durchschnittlich ausgeprägte Fähigkeiten sind nicht mehr ausreichend, um in einer KI-dominierten Welt zu bestehen. Nun ist die Zeit der Exzellenz, des tiefen Verständnisses und der kreativen Problemlösung.
In einem solchen Umfeld müssen Wissensarbeiter mehr bieten als nur mäßige Reproduktion. Ein Speaker muss beispielsweise immer mehr dazu fähig sein, eine emotionale Verbindung zum Publikum aufzubauen, spontane Fragen zu beantworten und Geschichten zu erzählen, die berühren und inspirieren. Denn Authentizität und die Fähigkeit, aus eigenen Erfahrungen zu schöpfen, sind Schlüsselkompetenzen, die eine KI nicht nachahmen kann. Diese Eigenschaften sind es, die den Wert von menschlicher Interaktion und Kreativität in einer zunehmend von KI geprägten Welt noch weiter hervorheben.
Dieser Umstand muss zu einem Druck zur Weiterbildung und Spezialisierung, ja zu einem Bildungsschub führen. Lebenslanges Lernen ist keine Option mehr, sondern überlebensnotwendig. Die Zukunft gehört denen, die bereit sind, über das Durchschnittliche hinauszugehen und ihre einzigartigen menschlichen Fähigkeiten zu entfalten.
Kurz gesagt: Künstliche Intelligenz ist das Ende der Mittelmäßigkeit.