Der digitale Produktpass
Ein prozessbezogener CO2-Ausweis für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft
Dr. Dirk Werth, Shari Alt, August-Wilhelm Scheer Institut
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Kurz & Bündig
Das Forschungsprojekt OekoProOf entwickelt und erprobt ein innovatives IT-System, in dessen Kern der Digitale Prozesspass steht. Mittels des Digitalen Prozesspasses können prozessbezogene CO2-Emissionen transparent dargestellt sowie die prozessualen Ressourceneffizienzen flexibel an die bestehenden auftragsbezogenen Anforderungen angepasst und gesteuert werden. Damit stellt der Digitale Prozesspass eine Lösung für alle Dienstleister der Kreislaufwirtschaft dar, welche selbst keine Produkte herstellen, in ihren Prozessen aber die Produkte ihrer Kunden wertschöpfend bearbeiten und die damit einhergehenden Emissionen auftragsgenau nachweisen möchten.
Die aktuellen politischen sowie gesellschaftlichen Entwicklungen hinsichtlich des nachhaltigen Umgangs mit begrenzten natürlichen Ressourcen führen zu neuen Herausforderungen und Chancen, die es für Industriebetriebe zu meistern und nutzen gilt. Eine zentrale Rolle nimmt in diesem Wandel zunehmend das Treibhausgas CO2 als ein Hauptindikator für die Nachhaltigkeit eines Unternehmens oder Produktes ein. Die verursachten CO2-Emissionen in einem ersten Schritt überhaupt feingranular messbar und in einem nächsten Schritt steuerbar zu machen, stellt hierbei eine Hauptherausforderung, aber auch eine große Chance für die Unternehmen der Kreislaufwirtschaft dar. Vor allem die prozesszentrierte Betrachtung dieser Emissionen steht bislang erst wenig im Fokus.
Durch das wachsende gesellschaftliche Bewusstsein für den Umwelt- und Klimaschutz gewinnt nachhaltiges Wirtschaften an Bedeutung. Dies zeigt sich unter anderem in internationalen, europäischen sowie nationalen Vorhaben und Beschlüssen, wie beispielsweise der Agenda 2030 der Vereinten Nationen, dem Green Deal der Europäischen Union und dem Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung. Diese Initiativen haben das Ziel, wirtschaftliches Wachstum nicht länger auf dem Rücken der begrenzten natürlichen Ressourcen auszutragen. Es wird eine Entkopplung der bisherigen negativen Korrelation angestrebt, sodass ökonomische und ökologische Aspekte vereint und Interessenskonflikte aufgelöst werden können.
Eine entscheidende Rolle zur Erreichung dieser Ziele stellt hierbei die Kreislaufwirtschaft dar. Mittels dieser können Ressourcen geschützt, CO2-Emmissionen eingespart sowie gleichzeitig neue Möglichkeiten und Chancen für Unternehmen geschaffen werden. Essentiell zur Etablierung einer Kreislaufwirtschaft und damit zur Wiederverwertung von Produkten ist eine genaue Kenntnis der einzelnen Bestandteile und Eigenschaften eines Produktes. Nur durch fundiertes Wissen über Zusammensetzung, Materialmix oder enthaltene Schadstoffen des Produktes kann dieses nach seiner Nutzung fachgerecht aufbereitet oder zerlegt und wiederverwertet werden. Neben den Vorteilen eines solchen Datensatzes für Recycling- und Reparaturbetriebe profitieren auch alle anderen Parteien der Kreislaufwirtschaft davon. Hersteller können damit beispielsweise die Bedingungen und den Ort der Rohstoffgewinnung ihrer Produkte nachvollziehen. Des Weiteren können Produktnutzer bei einer bewussten Kaufentscheidung unterstützt werden, indem sie Informationen über die Umweltauswirkungen eines Produktes erhalten. Ein solcher Datensatz mit Informationen zu einem Produkt entlang seines gesamten Lebenszyklus wird als Digitaler Produktpass bezeichnet.
Als weiterer Bestandteil des Digitalen Produktpasses können konkrete Angaben über die verursachten CO2-Emissionen bei der Produktherstellung dazu beitragen, eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft zu etablieren. CO2 steht derzeit im Fokus der klimaschädlichen Treib-hausgase, da es als Hauptindikator für die Klimafreundlichkeit eines Unternehmens oder Produktes gilt. Durch die Angabe der CO2-Emissionen können wiederverwertete klimafreundliche Rohstoffe und Produkte von klimaschädlichen unterschieden und damit die Lieferketten sowie der Konsum bewusst in Richtung der Kreislaufwirtschaft gelenkt werden.
Die genaue Erfassung und Zuordnung der in der Herstellung entstandenen CO2-Emissionen stellt dabei aber vor allem für die Dienstleistungsbetriebe der Kreislaufwirtschaft eine große Herausforderung dar. Dienstleistungsbetriebe, wie beispielsweise Härtereien, Lackierereien oder auch Anbieter von Transport- oder Kommissioniertätigkeiten, stellen selbst keine Produkte her, sondern führen in ihren Prozessen ausschließlich Dienstleistungen an Produkten anderer Hersteller durch. Die damit einhergehende prozesszentrierte Betrachtung stellt die Dienstleistungsbetriebe vor die Schwierigkeit, die prozessabhängigen CO2-Emissionen exakt zu erfassen und diese konkreten Prozessdurchläufen zuzuweisen. Anstelle eines Digitalen Produktpasses, ist für die Dienstleistungsbetriebe der Kreislaufwirtschaft daher viel mehr ein Digitaler Prozesspass von Interesse, mit Hilfe dessen sie ihre prozessabhängigen CO2-Emissionen gegenüber anderen Unternehmen der Kreislaufwirtschaft oder auch Behörden ausweisen können. Letzteres ist vor allem im Hinblick auf die zunehmende ökologische Berichtspflicht, die Abdeckung der Emissionen durch CO2-Zertifikate oder die seit Januar 2021 in Kraft getretene CO2-Bepreisung, besser bekannt als die CO2-Steuer, von wachsender Bedeutung für Unternehmen.
Im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klima geförderten Forschungsprojekts OekoProOf entwickelt das August-Wilhelm Scheer Institut genau einen solchen Digitalen Prozesspass, der für die genannten Herausforderungen der prozessorientierten Kreislaufwirtschaftsunternehmen konzipiert wird. Eine konkrete praktische Implementierung und Erprobung des Digitalen Prozesspasses erfolgt hierbei bei dem Projektpartner Wegener Härtetechnik GmbH, einem Fachbetrieb für Metallveredelungen. Neben der Konzeption und Entwicklung des Bilanzierungselements Digitaler Prozesspass, wird im Forschungsprojekt OekoProOf außerdem eine Erweiterung des Digitalen Prozesspasses um eine Steuerungskomponente konzipiert und entwickelt. Diese zusätzliche Steuerungskomponente soll es ermöglichen, dass Unternehmen ihre prozessabhängigen Ressourceneffizienzen flexibel den bestehenden Anforderungen anpassen können. Diese Anforderungen können dabei durch
allgemeine gesellschaftliche sowie politische Zielsetzungen, wie Ressourcenschonung
ökologische sowie soziale Kundenwünsche, wie der Nachfrage nach Nachhaltigkeit
ökonomische Wünsche der Kunden nach einem optimierten Kosten-Nutzen- Ver-
hältnis unternehmenseigene ökonomische Zielstellungen wie Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit
für alle Unternehmen der Kreislaufwirtschaft entstehen.
Durch den Digitalen Prozesspass können die Prozesse damit flexibel auf Basis der bestehenden Anforderungen in ihrer Ressourceneffizienz auftragsgenau gesteuert sowie ausgewiesen werden. Um eine solche auftragsgenaue Erfassung und Steuerung der Ressourceneffizienzen zu ermöglichen, besteht die Lösung in OekoProOf neben dem Digitalen Prozesspass aus zwei weiteren zentralen Bausteinen: einer marktüblichen Erfassungskomponente aus Energiemanagementsoftware inklusive notwendiger Kopplung an Unternehmensdaten (ERP-System) sowie Datenpunkten, die über smarte Sensorik erfasst und gesteuert werden können. Dabei wird die softwaretechnische modulare Kopplung der drei zentralen Bestandteile durch Cloud-Software-Services als Microservice-Architektur realisiert. Dies ist entscheidend, um eine maximale Flexibilität und Übertragbarkeit des IT-Systems sicherzustellen.
Zur Hebung von Ressourceneffizienzpotentialen werden im Projekt OekoProOf außerdem Möglichkeiten zur Wärmerückgewinnung untersucht. Von besonderem Interesse sind dabei die Vakuum- und Schutzgashärteanlagen der Wegener Härtetechnik GmbH, da diese eine Prozesswärme von bis zu 1300°C erzeugen. Zur Anwendung kommen hierbei die thermischen Energiespeichersysteme des Projektpartners Kraftblock GmbH, welche neben der effektiven Wärmerückgewinnung und -speicherung eine gezielte und flexible Rückführung der Abwärme ermöglichen. Durch die gezielte Rückführung der sonst ungenutzten Abwärme zum Betrieb der Energieverbraucher werden Primärenergiequellen geschont und damit CO2-Emissionen vermieden. Durch den Einsatz der rückgewonnen Abwärme können so die angefallenen CO2-Emissionen innerhalb eines Prozessdurchlaufs, im Vergleich zu einem Prozessdurchlauf ohne den Einsatz der rückgewonnen Abwärme reduziert werden und damit kann die Ressourceneffizienz erhöht werden. Insgesamt ergeben sich bei Wegener Härtetechnik GmbH durch die Abwärmenutzung im Hochtemperaturbereich nach bisherigen Schätzungen bis zu 46 % Wärmespeicherungs- und damit Wärmewiederverwertungspotential. Welche Auswirkungen diese Wärmerückführung im Sinne der Kreislaufwirtschaft genau auf die Ressourceneffizienz und damit einhergehend auf die entstandenen prozessbezogenen CO2-Emissionen hat sowie an welchen Prozessschritten und ab welcher Größenordnung eine solche Rückführung als wirtschaftlich sinnvoll betrachtet werden kann, wird in OekoProOf zudem in Zusammenarbeit mit dem Institut für Technologie- und Betriebsmanagement der Hochschule Trier erforscht.
Letztlich ermöglicht es der Digitale Prozesspass allen Unternehmen der Kreislaufwirtschaft ohne eigene Produktfertigung, ihre Dienstleistungsprozesse flexibel im Sinne der vielfältigen ökonomischen und ökologischen Anforderungen zu steuern sowie prozessgenau die daraus resultierenden CO2-Emissionen gegenüber allen Parteien der Kreislaufwirtschaft auszuweisen. Damit knüpft der Digitale Prozesspass nahtlos an den auf europäischer und nationaler Ebene geforderten Digitalen Produktpass an und erweitert die Anwendbarkeit der zugrundeliegenden Idee eines solchen Passes auf eine weitere wichtige Unternehmensgruppe der Kreislaufwirtschaft.