Dem Dreigestirn der Innovation begegnen
Digitale Souveränität beginnt im Kopf
Tomas Herzberger, Schaffensgeist
Kurz & Bündig
Digitale Souveränität findet nicht nur auf kontinentaler oder nationaler Ebene statt, auch Unternehmen und sogar Einzelpersonen können digital souverän sein. Dafür muss die Bereitschaft vorhanden sein, der digitalen Transformation aktiv und mit dem richtigen Mindest zu begegnen.
Was ist digitale Souveränität? Kommt darauf an, wen man fragt. Häufig wird der Begriff im Umfeld von digitaler Infrastruktur (z.B. Glasfasernetzwerk oder 5G) von Staaten oder Regionen genannt. Das ist ein Aspekt, aber etwas oberflächlich gedacht. Digitale Souveränität findet nicht nur auf kontinentaler oder nationaler Ebene statt, auch Unternehmen und sogar Einzelpersonen können digital souverän sein – oder eben nicht.
Wann ist man “digital souverän”? Wann ist man endlich dieses ungute Gefühl los, neuen Trends und dem Wettbewerb hinterherzulaufen? Wann schöpft man sein ganzes Potenzial aus? Die kurze Antwort: nie. Dazu ist der technologische Wandel zu schnell. Sofern Sie nicht selbst bei einem Innovationsführer arbeiten, wird es immer Raum für Verbesserungen geben (und selbst dann gibt es bestimmt noch Unternehmensbereiche, die hinterherhinken).
Die gute Nachricht? Das ist vollkommen in Ordnung! Wenn Sie der digitalen Transformation mit dem richtigen Mindset begegnen, werden Sie von der Welle nicht hilflos überrollt, sondern können den Wandel aktiv gestalten.
Kennen Sie das deutsche “Dreigestirn der Innovation”?
- “Das haben wir schon immer so gemacht!”
- “Das haben wir noch nie so gemacht!”
- “Wo kommen wir denn da hin?!”
Wenn Sie diese Sätze von Kollegen (oder noch schlimmer: Vorgesetzten) häufiger hören, nehmen Sie die Beine in die Hand und laufen! Denn als innovationsbegeisterter Leser dieses Magazins werden Sie dort sicherlich nicht glücklich werden. Digitale Souveränität beginnt im Kopf, das heißt, es beginnt mit der richtigen Einstellung der Menschen, die für die digitale Transformation verantwortlich sind oder sie umsetzen sollen. Ironischerweise steigt mit der technischen Komplexität auch der Anspruch an den Menschen. Denn je komplexer das System, das implementiert werden soll, desto wichtiger sind die Kommunikationsfähigkeiten der beteiligten Mitarbeiter. Für die meisten Projekte brauchen Sie keinen MIT-Absolventen. Sie brauchen Menschen, die neugierig sind und gerne mit Menschen aus anderen Fachbereichen arbeiten.
In unserer Arbeit mit Start-ups, Mittelständlern und Konzernen haben sich neun Aspekte herauskristallisiert, die für digitale Souveränität kritisch sind.
Digitale Souveränität bedeutet:
1. Mut zur Sichtbarkeit: Gut sein alleine reicht nicht aus – andere müssen es auch sehen! Nur wer sein Wissen mit anderen teilt, wird als Experte in seinem Gebiet wahrgenommen. Sowohl im eigenen Unternehmen als auch auf dem Markt. Das gilt ebenso für Unternehmen als Ganzes: Wer sich unnahbar zeigt, wer seine Produkte vor Launch im dunklen Kämmerlein statt gemeinsam mit Kunden produziert, hat ein viel höheres Risiko zu scheitern.
2. Bereitschaft: Ob es nun ein neuer Prozess, ein neues soziales Netzwerk oder eine neue Technologie wie Kryptowährungen oder NFT ist: Seien Sie Neuem gegenüber aufgeschlossen, und testen Sie es aus! Wachstum beginnt außerhalb der Komfortzone, und nur wer Neues lernt, kann auch wachsen. Dies gilt für Unternehmen ebenso wie für Menschen. Verschließen Sie sich nicht neuesten Trends oder Technologien gegenüber, bleiben Sie aufgeschlossen, und geben Sie allem eine Chance – in einem gesunden Rahmen. In der Praxis können Sie mit neugierigen Kollegen ein Team aufbauen, dessen Aufgabe es ist, neue Technologien zu analysieren, zu bewerten und gegebenenfalls auszutesten.
3. Fokus: Auf der einen Seite sollte man die Bereitschaft und Kompetenz entwickeln, neue Kanäle auszuprobieren. Auf der anderen Seite darf man sich nicht der Versuchung hingeben, überall präsent sein zu müssen. Sie wollen jeden Social-Media-Kanal bespielen, jeden Design-Trend aufgreifen oder jede New-Work-Methode einsetzen? Vielleicht kennen Sie das Gefühl vom Einkaufen an einem Black Friday: Es nennt sich Fear of missing out – die Angst etwas zu verpassen. Ganz ruhig: Sie müssen keinesfalls zwanghaft auf allen Plattformen präsent sein, nur weil das “alle anderen” machen. Ja, sie sollten neugierig und bereit sein, neue Dinge zu testen. Aber das Ergebnis dieses Tests kann auch die Entscheidung sein: “Wir machen das jetzt nicht.” Fokussieren Sie sich auf die Kanäle, die wirklich relevant sind und nutzen Sie diese zielführend! Wie Sie das machen? Machen Sie niemals etwas zum Selbstzweck! Definieren Sie eine einzige Metrik, die sowohl Unternehmenswachstum als auch Kundenzufriedenheit widerspiegelt (sog. “North-Star-Metric”), und relevante KPI, an denen Sie und Ihr Team sich orientieren können. Das gilt insbesondere für Maßnahmen wie Content- oder Social-Media-Marketing. Das sorgt für weniger Ablenkung in der Umsetzung und für mehr Transparenz und Vertrauen im Team.
4. Begeisterung durch Geschichten: Jeder Mensch ist ein Geschichtenerzähler – es steckt in unseren Genen. Seitdem der Mensch Sprache entwickelt hat, erzählt er sich Geschichten, um konkrete Informationen über Nahrungsquellen auszutauschen, abstrakte Konzepte wie Jahreszeiten zu erklären und als sozialer “Kleber”, als Kitt in der Gruppe. Trotzdem nutzen viele sogenannte “Kommunikationsexperten” diese Methode nicht. Warum? Weil es oftmals leichter ist, auf etablierte Fachbegriffe zurückzugreifen, statt neue Metaphern zu finden. Das Problem dabei: Gerade Experten können der Versuchung oft nicht widerstehen, ihr Wissen so anspruchsvoll zu formulieren, dass sie nur von anderen Experten verstanden werden kann. Auf Augenhöhe. Für diese Experten gilt: “lose the fancy hat!” Machen Sie ihr Wissen dank guter Geschichten anschaulich und leichter zugänglich. Die echte Expertin erkennt man daran, dass sie ihr Wissen soweit vereinfachen kann, dass es praktisch jeder Zuhörer versteht. Und nur, wenn die Nachricht auch verstanden wird, können Ihre Kollegen mitziehen und das anspruchsvolle Projekt realisieren. Gutes Storytelling wirkt nach innen und außen. Es schafft Vertrauen bei Mitarbeitern und Kunden, Abgrenzung gegenüber Wettbewerbern und beim Aufbau einer starken, einzigartigen Marke.
5. Vertrauen: Klingt banal, aber Unternehmen müssen lernen, den eigenen Mitarbeitern zu vertrauen Dazu gehört insbesondere, sie im Namen des Unternehmens kommunizieren zu lassen – auch auf Social Media. Der Grundsatz “One Company, one voice” ist nicht mehr länger gültig. Stattdessen ist der Chor der Stimmen das, was die Kunden wahrnehmen. Sei es der Vertriebler am Messestand, der Marketer bei einer Keynote oder der Fachexperte über sein LinkedIn-Profil: Ihre Mitarbeiter beeinflussen maßgeblich das Image Ihres Unternehmens! Nicht nur das, sie beeinflussen natürlich auch die Unternehmenskultur und damit die Innovationsbereitschaft. Grundlage für all das ist Vertrauen. Also: Schluss mit dem Micro-Management! Informieren Sie Ihre Mitarbeiter über die Leitplanken der Kommunikation nach außen, aber lassen Sie Ihnen Spielraum. Wie Sie damit starten können? Überprüfen Sie Ihre Social Media Guidelines, ob sie auf “Beschränkung” oder auf “Unterstützung” ausgerichtet sind. Letzteres sollte das Ziel sein.
6. Neugier: Bleiben Sie stets neugierig! Sowohl auf neue Technologien wie auch Prozesse und Ideen. Nur weil Sie selbst nicht TikTok oder Twitch nutzen, heißt das nicht, dass es keine Relevanz hat. Millionen von Menschen (darunter vielleicht auch zukünftige Kunden oder Kollegen) würden vehement widersprechen. Gehen Sie auf Meetups, Konferenzen und Lesungen, um neue Ideen kennenzulernen – oder laden Sie Experten gleich zu sich ins Unternehmen ein, damit das gesamte Team von neuen Themen profitieren kann!
7. Ein Vorbild zu sein: Es beginnt bei Ihnen! Erwarten Sie keinen Wandel bei Ihren Kollegen, wenn Sie nicht vorangehen und andere Menschen inspirieren. Egal, ob Sie Geschäftsführer, Bereichsleiter oder Fachexperte sind: Ihr Unternehmen braucht “Leuchttürme”, die sich gut sichtbar ins Abenteuer stürzen. Das gilt insbesondere für die Nutzung von Social-Media-Plattformen wie Xing und LinkedIn, denn oftmals trauen sich die Menschen aus Mangel an Vorbildern gar nicht erst zu, die Plattformen zu testen. Nur als Vorbild können Sie den Wandel in Ihrem Unternehmen positiv beeinflussen. Zeigen Sie nicht nur Erfolge, sondern auch Fehlschläge und schmerzhafte Erfahrungen, um Ihren Kollegen die Furcht vor Neuem zu nehmen. Gewähren Sie auch Einblicke in Ihr Innenleben und geben zu, wenn Sie etwas nicht wissen, Hilfe brauchen oder unsicher sind.
8. Unabhängigkeit: Verlassen Sie sich niemals auf eine einzige Plattform oder einen einzigen Kanal – schon gar nicht, wenn Sie ihn nicht beeinflussen können. Ob Sie Salesforce oder SAP, AWS oder Oracle, Typo3 oder Drupal, Facebook oder LinkedIn nutzen: Machen Sie sich niemals abhängig von einer Plattform, einem Anbieter oder einer Agentur. Sorgen Sie dafür, dass Sie stets die Datenhoheit haben und gegebenenfalls das System wechseln können. Lassen Sie immer ausführliche Dokumentationen anfertigen, um sich nicht von einzelnen Programmierern abhängig zu machen. Und verlassen Sie sich niemals auf eine einzige Social-Media-Plattform, sondern behalten Sie die Hoheit über Ihre Website, Ihren Blog und Ihren E-Mail-Verteiler.
9. Verantwortungsbewusstsein: Digitale Souveränität ist der Mut, Verantwortung zu übernehmen und auch über einen Fehler öffentlich zu sprechen, wenn es notwendig ist. Ein Kunde beschwert sich auf Social Media über einen Produktfehler oder das Fehlverhalten eines Mitarbeiters? Zeigen Sie Größe, indem Sie den Fehler anerkennen, sich entschuldigen, und tun Sie ihr Möglichstes, um das Problem des Kunden zu lösen! Ach so, das Problem fällt nicht in Ihren Verantwortungsbereich? Das ist dem Kunden sehr egal! Wie Sie das Problem intern weiter delegieren, spielt keine Rolle. Zunächst möchte jeder Mensch gehört werden. Wir verlangen nach Anerkennung, wenn wir ein Problem gelöst haben. Diese Anerkennung, gepaart mit einer schnellen, aufrichtigen Entschuldigung, macht mehr als die halbe Miete aus. Wenn Sie in der Lage sind, das Problem so einfach, schnell und pragmatisch im Sinne des Kunden zu lösen, noch besser! War die Kundenbeschwerde öffentlich, beispielsweise via Social Media, sollten Sie so schnell wie möglich den Kanal wechseln und sich mit dem Kunden per E-Mail, Chat oder Telefon auszutauschen. Denn Social Media ist ein Zuschauersport. Nicht nur Ihr Kunde, sondern auch Ihre Wettbewerber, Partner, Dienstleister und schlimmstenfalls die Medien können auf die öffentliche Konversation aufmerksam werden und zuschauen. Ihre Reaktion auf Kundenanliegen ist deswegen ein nicht zu unterschätzender Faktor für Ihr Marken-Image.
Digitale Souveränität beginnt im Kopf des einzelnen. Erst wenn Menschen aus dem Schatten treten, Neues ausprobieren und transparent kommunizieren, können sie Mitstreiter inspirieren und somit auch einen Beitrag für eine bessere Unternehmenskultur leisten. Aber steigt damit nicht auch das Risiko, Fehler zu machen? Natürlich! Können Sie Skifahren? Sehr wahrscheinlich haben Sie sich das eine oder andere Mal in den Schnee gesetzt, als sie es gelernt haben, richtig?
Fehler machen gehört zum Lernen dazu. Und wer keine Toleranz gegenüber Fehlern hat, der wird nicht lernen können und dessen Unternehmen wird nie innovativ oder digital souverän sein können. Es geht nicht darum, Fehler machen zu müssen. Es geht darum, zu tolerieren, dass Fehler passieren, wenn man Neues ausprobiert. Nicht nur beim Skifahren, auch im Business.
Das Gute? Wenn Sie häufig kleine Experimente und Tests machen, verlieren Sie schnell die Furcht vor Fehlern. Denn diese kleinen Tests bewahren Sie davor, große Fehler zu machen. Wenn Sie beispielsweise ein neues Produkt nutzerorientiert und agil entwickeln, anstatt jahrelang viel Zeit und Geld in die perfekte Umsetzung einer vermeintlich guten Idee zu investieren, dann ist das unternehmerische Risiko deutlich geringer.
Was Sie konkret umsetzen können: Gehen Sie “Vor die Tür”, und sprechen Sie mit Ihren Kunden! Warum sind Sie Ihre Kunden, was schätzen Sie an der Zusammenarbeit, welche Probleme und Herausforderungen beschäftigen Sie? Bauen Sie keine Lösungen, und suchen dann Menschen mit dem passenden Problem, sondern erforschen Sie die Probleme der Menschen, um anschließend eine passende Lösung zu produzieren.
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