Datenpower macht Ionen schlauer
Wie Datascience und KI zu neuen Hochleistungsakkus verhelfen können
Marcel Mutz, Dirk Werth, August-Wilhelm Scheer Institut
Kurz & Bündig
Das Projekt „Plattform für Batteriematerialdaten, -wissen und deren Verknüpfung“ (DigiBatMat) wird über das vom BMBF geförderte akademische Förderprogramm MaterialDigital begleitet. Das August-Wilhelm Scheer Institut arbeitet gemeinsam mit Partnern in diesem Vorhaben an der Verbesserung der Batteriezellproduktion. Die entwickelte Plattform für Batteriematerialdaten stellt eine innovative Lösung dar, um die Entwicklung und Transparenz von Batterien, deren Herstellung sowie die eingesetzten Materialien weiter voranzutreiben – ein Ansatz für steigende digitale Souveränität in der Branche.
Batterien müssen leistungsfähiger, zuverlässiger und langlebiger werden, um den rasant steigenden Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Elektroautos, Smartphones, Tablets oder Laptops sind heute batteriegetrieben, und bei Ihrer Herstellung stellen sich Fragen, wie: „Durch welche Veränderung im Produktionsprozess kann ich die Kapazität der Batterie erhöhen?“. Das gemeinnützige August-Wilhelm Scheer Institut arbeitet mit Partnern im Forschungsvorhaben „DigiBatMat – Plattform für Batteriematerialdaten, -wissen und deren Verknüpfung“ an der Verbesserung der Batteriezellproduktion. Die in dem Projekt entwickelte Plattform für Batteriematerialdaten stellt eine innovative Lösung dar, um die Entwicklung und Transparenz von Batterien, deren Herstellung sowie die eingesetzten Materialien weiter voranzutreiben – ein Ansatz für steigende digitale Souveränität in der Branche.
Digitale Souveränität
Wer dem Begriff „digitale Souveränität“ begegnet, erkennt schnell: die eine Definition von „digitaler Souveränität“ stellt sich als schwierig heraus. Digitale Souveränität, so zeigt auch das vorliegende Heft, bedeutet im Grunde dreierlei:
- Digitale Medienkompetenz: Das selbstbestimmte Arbeiten und der souveräne Umgang mit digitalen Medien, Daten und Informationen im Alltag, Privatleben, Beruf und innerhalb von Organisationen und Unternehmen.
- Datensicherheit: Datensicherheit als selbstbestimmte Regulation und die selbstbestimmten Zugriffsmöglichkeiten auf die eigenen Daten und Informationen in einer digitalisierten Welt. Diese Daten können sowohl personenbezogene als auch solche sein, die innerhalb einer Organisation oder eines Unternehmens vorliegenden. Die Sicherheit dieser Daten muss für den Nutzer gewährleitet und darf nur für ihn transparent sein.
- Digitale Konkurrenzfähigkeit: Die meisten digitalen Global Player sind weder aus Deutschland noch anderen Staaten der Europäischen Union. Unternehmen wie Amazon, Facebook, Google oder Ali Baba sind in Ländern wie den USA oder China entstanden. Um den Anschluss an diese Länder nicht zu verlieren und völlig abhängig von ihnen zu werden, versuchen sich Staaten und Unternehmen in Sachen Digitalisierung souveräner aufzustellen. Die Stärkung der Standorte Europa und Deutschland wird beispielsweise im großangelegten und europaweiten Vorhaben Gaia-X gebündelt.
Elektroauto, Laptop, Akkustaubsauger - alles batteriegetrieben
Heutzutage kommen moderne Lithium-Ionen-Batterien (LIB) in einem Großteil der elektronischen Geräte zur Anwendung. Ob in einem Elektroauto, einem Akkustaubsauger, einem Laptop oder einem Smartphone: Die Batterieherstellung hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und Qualität des Produktes. Die aktuellen, zum Teil nicht digitalisierten Vorgänge innerhalb der Materialforschung hemmen die Möglichkeiten zur unternehmensübergreifenden Forschung und Kooperation. Ultimativ können dadurch die Potentiale der Forschung nicht ausgeschöpft werden, was der Beantwortung relevanter Fragen in der Batterieproduktion im Weg steht. An dieser Problemstellung knüpft das Forschungsprojekt „Plattform für Batteriematerialdaten, -wissen und deren Verknüpfung“ (DigiBatMat) an. Durch das im Forschungsprojekt entwickelte System werden Daten und Informationen unterschiedlichster Quellen und Unternehmen unter Berücksichtigung der Datensicherheit zusammengeführt. Dies ermöglicht den Nutzern der Plattform die umfängliche Analyse der vorliegenden Daten und die Qualitätsvorhersage produzierter Batterien in Abhängigkeit von relevanten Kennzahlen während der Produktion. Das vorliegende und erarbeitete Wissen wird zusammengeführt und für den Nutzer unmittelbar abrufbar gemacht. Somit ermöglicht die Plattform eine ressourcenschonende Batterieforschung zur Entwicklung leistungsfähiger Batterien. Nutzer des Systems werden in die Lage versetzt, zuvor ungenutzte Datenbeziehungen aufzudecken und Synergien zu schaffen.
Aktueller Forschungsstand
Moderne Lithium-Ionen-Batterien (LIB) für aktuelle technologische Geräte enthalten hochspezialisierte, komplexe Materialien. Binder, Leitadditive, Elektrolyten und die Aktivmaterialien der Kathode und Anode werden in einer mehrteiligen Prozesskette zu Batteriezellen verarbeitet. Die Leistungsdaten der Batteriesysteme hängen entscheidend von den Eigenschaften der Materialien und ihrem Zusammenspiel ab. Deshalb werden sie bei den Herstellern in aufwändigen Serienversuchen verbessert und geprüft. Diese Serienversuche gehen mit einem enormen Kostenaufwand und einer Verschwendungvon Rohstoffen aufgrund der Produktion unbrauchbarer Batterien einher. Die Anwender solcher Batterien (beispielsweise Hersteller elektrischer Fahrzeuge) analysieren die Materialien ebenfalls und versuchen Beziehungen zur Leistung und Haltbarkeit herzustellen. Auf Systemebene bemühen sich innovative Start-Ups, möglichst zutreffende Vorhersagen über den Ladezustand und die Lebensdauer der Batteriesysteme zu treffen. Aufwändige Auswertungssoftware ist Teil heutiger Batterie-Management-Systeme. Daten sind die „Rohstoffe“ all dieser Bemühungen. In der Wissenschaft werden Batteriematerialien (nicht nur von LIB) mit großem Aufwand erforscht, wobei sowohl Eigenschaften der etablierten Materialien untersucht als auch neue Materialien gesucht werden.
Wozu der Schritt zur Digitalisierung
Im Bereich der Materialwissenschaft werden Projekte üblicherweise getrennt voneinander geplant und durchgeführt. Die Aggregation der erhobenen Daten in einer gesammelten Datenbank ist hierbei nicht möglich. Da Analysen maschinellen Lernens erst mit größerer Datenbasis zu verwertbaren Ergebnissen kommen, ist die Schaffung einer projektübergreifenden Datenbasis eine Grundvoraussetzung. Bei der Entwicklung neuer Lithium-Ionen-Batterien (LIB) und der Analyse von Qualitätsmängeln existierender LIB stellen sich der Industrie konkrete Fragen, wie „Kann ich eine Batterie schneller laden, wenn ich das Material X verändere“ oder „Durch welche Veränderung kann ich die Kapazität der Batterie erhöhen?“. Solche Fragestellungen sind wirtschaftlich bedeutsam und können entscheidend für die Realisierbarkeit neuer Anwendungen sein. Sie sind heute aber oft schwer zu beantworten und bleiben deshalb offen oder müssen mit großem Aufwand in Serienversuchen beantwortet werden. Wichtige Ursachen dieses Problems liegen in der mangelnden Zusammenspiel existierender Daten und der unsystematischen Darstellung bestehenden Wissens. So werden Veränderungen in Versuchen teilweise nicht genau erfasst und dokumentiert. Auch das Anwenden von Analysemethoden zur Bestimmung von Eigenschaften ist unzureichend beschrieben, wodurch eine Vergleichbarkeit nur schwer möglich ist. Erhobene Daten werden in unterschiedlichen Formaten, nicht standardisiert und oft lokal gespeichert. Diese in der Materialforschung herrschenden Probleme sollen mit dem Forschungsprojekt DigiBatMat angegangen werden.
Die Plattform zur Lösung des Problems
Das Projekt „Plattform für Batteriematerialdaten, -wissen und deren Verknüpfung“ (DigiBatMat) wird durch das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte akademische Förderprogramm „MaterialDigital“ begleitet. Außerdem ist DigiBatMat im Kompetenzcluster zur Batteriezellproduktion „ProZell“ verankert. Für das über drei Jahre geförderte Forschungsvorhaben werden Mittel in einem Volumen von ca. 2,2 Mio. € bereitgestellt. Das Projekt startete im März 2021. DigiBatMat schafft als Teil von „MaterialDigital“ eine Plattform, mit der Daten unterschiedlicher Akteure zusammengeführt und verknüpft werden können. Hierbei tritt das August-Wilhelm Scheer Institut als Experte im Bereich der Digitalisierung und Qualitätsdatenanalyse auf und wirkt unmittelbar auf die Digitalisierung der Batteriematerialforschung ein, indem ein Datenbanksystem entwickelt wird, auf dessen Basis Forschung betrieben werden kann. Zuvor unstrukturierte und nicht zusammengeführte Daten werden in dem System aufbereitet und durch weitere Applikationen analysiert. Das Institut ist für die Softwareentwicklung der Plattform und die Entwicklung der Komponente des maschinellen Lernens zuständig. Erst dadurch sind umfangreiche, projektübergreifende Untersuchungen der Batterien möglich. Um Praxisrelevanz zu garantieren, nutzt das Projektkonsortium eine Datenbasis aus Industriekooperationen und Batterieforschung. Zusätzlich werden Versuchsdaten erzeugt, die im Projekt entlang der gesamten Kette vom Rohstoff bis zur Zelle charakterisiert und dokumentiert werden. Simulationsdaten aus der Kooperation und von externen Partnern ergänzen die Datenbasis und füllen Lücken, wo nicht gemessen werden kann. Integraler Teil der Plattform sind innovative Applikationen, mit denen die Daten komfortabel analysiert werden können. Zur Vorhersage von Qualität (predictive quality) aufgrund von Materialdaten einer bestimmten Zelle wird im Projekt ein Maschinenlern-Algorithmus mit historischen und Referenzdaten trainiert, der zum Schluss Bestandteil der Plattform wird. Zur Identifikation relevanter kausaler Zusammenhänge wird eine Applikation zur linearen und nichtlinearen Korrelationsanalyse der Daten zur Verfügung gestellt. Neben dem August-Wilhelm Scheer Institut sind vier weitere Partner an DigiBatMat beteiligt:
Im Bereich der Materialwissenschaften und der Batterieforschung ist das Leibniz Institut für neue Materialien (INM) federführend. Das Leibniz Institut beteiligt sich mit zwei Fachbereichen (Energy Materials und Structure Formation) an diesem Projekt. Der Programmbereich Strukturbildung des INM koordiniert das Gesamtprojekt und untersucht die Funktions- und Bildungsmechanismen, die den Eigenschaften von Batteriematerialien zugrunde liegen. Die Technische Universität Braunschweig engagiert sich mit dem Institut für Partikeltechnik und dem Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik. Die Institute verfügen als zentrale Institution der Battery Labfactory Braunschweig (BLB) über eine vollständige Prozesskette zur Herstellung von Elektroden und Zellen mit inline, online und offline-Erfassung von mehr als 600 Prozess- und Produktdaten. Die Hochschule Aalen – Technik und Wirtschaft untersucht kommerzielle und selbst hergestellte LIB-Zellen aus etablierten Materialien und sammelt dazu seit 10 Jahren umfangreiche Daten, die die Machine Learning Group der Hochschule zur Detektion von Fehlstellen und Gefügekenngrößen untersucht. Das Institut für Angewandte Informatik und Formale Beschreibungsverfahren (AIFB) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) unterstützt das Konsortium bei der Schaffung der Organisation der Definitionen und Terminologien bis hin zur Erstellung von verknüpften Wissensgraphen, insbesondere im Hinblick auf deren Anschlussfähigkeit.
Systemkomponenten
Im Projekt werden vier Hauptkomponenten betrachtet. Im ersten Schritt soll basierend auf mit allen Partnern festgelegten Definitionen und Kenntnissen eine Datenbankstruktur erstellt werden. Mit der in DigiBatMat entwickelten Datenbank sollen Forschungseinrichtungen und industrielle Unternehmen die Möglichkeit haben, Forschungsdaten zur Materialforschung zu pflegen und verwalten. Im DigiBatEin-Modul (Dateneingang) werden die Datenbank, sowie entsprechende Schnittstellen zum einfachen Import und Export von Batterie-Materialdaten und -Prozessdaten entwickelt. Über das DigiBatQ-Modul (Question) können Fragen an die Plattform gestellt werden, die basierend auf schon prozessierten Daten Informationen bereitstellen kann. Somit besteht die Möglichkeit, schnell auf vorhandene Erkenntnisse zurückzugreifen. In den Modulen DigiBatKor (Korrelation) und DigiBatML (Maschinelles Lernen) werden vorliegende Daten in der Datenbank prozessiert und analysiert. So werden beispielsweise durch Veränderungen von Prozess- oder Materialparametern die Auswirkungen auf die hergestellte Batterie analysiert. Dies ermöglicht die Qualitätsvorhersage der produzierten Batterie auf Basis vorliegender Einstellungen und Daten im Produktionsprozess.
Fazit und Ausblick
DigiBatMat wirkt perspektivisch in allen oben genannten Aspekten auf die Stärkung der digitalen Souveränität ein. Durch die Verwendung des Systems befinden sich Unternehmen der Materialwissenschaften in der Lage, selbstbestimmt mit den vorhandenen Daten und deren vielseitige Nutzung umzugehen. Zusätzlich entsteht die Möglichkeit der Zusammenarbeit verschiedener Unternehmen zum Zwecke der gemeinsamen Forschung oder des Datenaustausches. Dabei steht die selektive Datenveröffentlichung nach den Vorgaben des jeweiligen Unternehmens im Fokus, wobei die Datensicherheit gewährleistet wird. Zusätzlich soll durch die Verwendung der Plattform die digitale Struktur in Deutschland gestärkt werden, um die Konkurrenzfähigkeit gegenüber großen internationalen Playern aufrecht zu halten.
In den verbleibenden zweieinhalb Jahren des Projektes soll das DigiBatMat-System entwickelt und bereits produktiv von den Partnern der Materialforschung verwendet werden. Hierbei wird ein Fokus auf die Benutzerfreundlichkeit der Applikation gelegt. Neben den wissenschaftlichen Verwertungen in Publikationen und auf Konferenzen soll ein Systemrahmen entwickelt werden, welcher ohne großen Aufwand auf andere Bereiche der Materialforschung angepasst werden kann. Sowohl Forschungseinrichtungen als auch industrielle Unternehmen sollen über dieses System als Unterstützungskomponente Forschung betreiben können. Der Einsatz des Systems stellt einen bedeutenden Schritt in der Digitalisierung der Materialforschung dar.
(Bildquelle: AdobeStock | 127127708 | Ruslan Grumble)
Infobox
Das Projekt „Plattform für Batteriematerialdaten, -wissen und deren Verknüpfung“ (DigiBatMat) wird durch das vom BMBF geförderte akademische Förderprogramm MaterialDigital begleitet. Außerdem ist DigiBatMat im Kompetenzcluster zur Batteriezellproduktion ProZell verankert. Für das über drei Jahre geförderte Forschungsvorhaben werden Mittel in einem Volumen von ca. 2.2. Mio. € bereitgestellt. Das Projekt startete am 01.03.2021. Daran beteiligt sind fünf Partner: Neben dem gemeinnützigen August-Wilhelm Scheer Institut unterstützen das Leibniz Institut für neue Materialien, die Technische Universität Braunschweig, die Hochschule Aalen und das Institut für Angewandte Informatik und Formale Beschreibungsverfahren (AIFB) die Entwicklung der Plattform im Projekt DigiBatMat.