„Bei der Digitalisierung nicht bremsen, sondern Gas geben!“
Datenschutz als Hemmschuh für Innovation?
Ein Kommentar von August-Wilhelm Scheer, Scheer Holding
Kurz & Bündig
Der Nutzen der Digitalisierung muss gegen die Risiken abgewogen werden, der Missbrauch der Daten muss so weit als möglich verhindert werden. Nicht nur Datenschützer bremsen, oft verhindern auch Gesetze die Digitalisierung, anstatt sie zu gestalten, meint Prof. August-Wilhelm Scheer.
Die Datenökonomie ist wirtschaftliche Realität. Datenbasierte Geschäftsmodelle sind die Zukunft der Wirtschaft. Sie bieten die Grundlage für künftigen gesellschaftlichen Fortschritt und soziale Sicherheit, und das weit über die Grenzen Europas hinaus. Der Erfolg von ganzen Volkswirtschaften wird von der intelligenten Nutzung von Daten, und besonders von datengetriebenen Innovationen abhängen. Die Frage ist nun, sind wir in der Lage, eine solche intelligente Nutzung umzusetzen?
Ich teile die Kritik an den Brüsseler EU-Strategen, die die DSGVO in der vorliegenden Form auf den Weg gebracht haben. Ihnen ist es nicht gelungen, moderne und zukunftssichere Regeln für den Umgang mit Daten im 21. Jahrhundert zu schaffen. Was definitiv fehlt, ist die Konkretisierung der Verordnung, so, dass heute etablierte Geschäftsmodelle und zukünftige Möglichkeiten der digitalen Wirtschaft wettbewerbsfähig weiterentwickelt werden können.
Aber wir müssen auch dringend unsere nationalen Hausaufgaben erledigen. Es wird kaum jemand zu finden sein, der den Nutzen einer elektronischen Patientenakte für Ärzte und Patienten infrage stellt. Dort sollen Arztberichte und Befunde von Patienten künftig über eine zentrale Software digital gespeichert werden. Ich denke, auch die Modernisierung der Verwaltungsregister, durch die verschiedene Datentöpfe, wie etwa Melderegister und KFZ-Datenbanken, die bisher dezentral gespeichert werden, unter der Steuer-ID jedes Bürgers vernetzt werden sollen, bietet kurze Wege und effizientes Handeln. Ausgebremst wird beides durch Bedenken unserer Datenschützer. Aber wir dürfen bei der Digitalisierung nicht bremsen, wir müssen vielmehr Gas geben. Die Politik hat in den vergangenen zehn Jahren durch ihre Zögerlichkeit Chancen für die Zukunft aufs Spiel gesetzt. Mahner aus Wirtschaft und Wissenschaft wurden nicht gehört, sondern eher belächelt!
Ja, der Nutzen der Digitalisierung muss gegen die potenziellen Risiken abgewogen werden und ja, der Missbrauch der Daten muss so weit als möglich verhindert werden. Sanktionen sind möglich: In Estland etwa verliert ein Arzt seine Zulassung, wenn er Patientendaten missbraucht. Es geht darum, das viel zitierte Kind nicht mit dem Bade auszuschütten: Nur weil sich manch ein Autofahrer nicht an die Straßenverkehrsordnung hält und mit Tempo 100 durch die Innenstadt fährt, werden nicht alle Autos auf Tempo 50 gedrosselt!
Wir müssen irrationalen Ängsten und tradierten Vorbehalten durch transparente Information entgegenwirken, wir müssen die Digitalisierungsschritte durch digitale Bildung beschleunigen. Dazu gehört auch, für Klarheit beim Datenschutz zu sorgen und dabei Nutzen und Risiken in ein vernünftiges Verhältnis zueinander zu stellen. Verbissene Debatten über cloudbasierte Lernsoftware beschäftigen auch nach den Lockdownphasen noch die Kultusministerkonferenz.
Die Angst vor eben jenen hochprofessionellen aber cloudgestützten Angeboten führte während der Schulschließungen zur Nutzung von kurzfristig förmlich handgestrickten Mini-Lernplattformen, die mehr Frust als Lust am Lernen produzierten. Hier fehlte definitiv Wissen, Verständnis und Orientierung. Ich erinnere zudem an die leidenschaftlich geführte Debatte im Rahmen der Pandemie-getriebenen Verwendung von Videosoftware an Schulen. Sie war beherrscht von den überall lauernden Gefahren des Datenmissbrauchs. Erst sehr viel später haben wir über Schüler gesprochen, die vom Lernbetrieb abgehängt wurden, oder über mangelnde Lehrer-Schüler Kommunikation, die mit eben jenen Videosoftwareangeboten gleich zu Beginn des Lockdown möglich gewesen wäre. Man begnügte sich mit dem Hinweis, was aus Datenschutzgründen nicht gehe, anstatt nach Lösungen zu suchen.
Am Ende aber zeigt diese Debatte auch, dass die Modernisierung der Schulen seit Jahren vernachlässigt wurde, was sich in der Pandemie nun gerächt hat. Und damit kommen wir zum bereits angesprochenen ‚Sündenbock Datenschutz‘. Auch bei der Corona-App war wohl nicht der Datenschutz das zentrale Problem, sondern der vorsintflutliche Zustand des Gesundheitswesens hinter der App. Wäre man das Problem fehlender Leitungen, Schnittstellen und des mangelnden Know-how in der Verwaltung früher angegangen, wäre auch der Datenschutz kein zentrales Hindernis mehr gewesen. Unstreitig besteht aufgrund der komplexen Regelwerke zum Datenschutz eine große Verunsicherung.
Aber es geht natürlich auch um ein problematisches Mindset: In der öffentlichen Debatte werden eher die Risiken als die Chancen der Datennutzung betont. Und ich denke, genau hier müssen wir ansetzen. Es geht nicht darum, das Grundrecht auf den sicheren Umgang mit den eigenen Daten, auf digitale Souveränität, in Frage zu stellen. Es geht darum, was wir daraus machen.
Notwendiger Datenschutz darf sinnvoller wirtschaftlicher Datennutzung nicht entgegenstehen, darüber herrscht breiter Konsens, aber bei dieser eher übergeordneten Sicht dürfen wir es nicht belassen. Was wir brauchen, ist ein ‚sowohl als auch‘. Oft verhindern Gesetze heute noch die Digitalisierung, anstatt sie zu gestalten.
Umso wichtiger ist es, die gesellschaftliche Debatte über die Notwendigkeit einer ohnehin nicht aufzuhaltenden digitalen Transformation voranzutreiben. Aber wir müssen auch die Schere aus den Köpfen der Menschen holen. Digitale Bildung und damit ein richtiges Verständnis von Datensouveränität helfen, irrationalen Ängsten in Verwaltungen, Institutionen und beim Anwender entgegenzuwirken. Wir können es uns nicht leisten, dass aus einem falschen Verständnis und einer diffusen Auslegung unseres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ein Hemmschwelle für innovative Geschäftsmodelle betoniert wird!
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