Smartphones haben nicht nur das Telefonieren und die allumfassende Erreichbarkeit ihrer Besitzer revolutioniert. Sie sind die Ursache dafür, dass das Konzept des Future Stores, des Einkaufens unter weitreichender Einbeziehung der digitalen Welt, Fahrt aufnimmt. Was Ende des vergangenen Jahrzehnts noch als Projekt 2020 mutig avisiert wurde, wird heute sowohl im Lebensmittelhandel als auch in der Modebranche bereits in Testläden zur Realität. Das Smartphone dient nicht nur der mobilen Bezahlung und ersetzt so Portemonnaies und Kreditkarten. Dieses mobile Endgerät wird nun sogar zum Träger und Empfänger weitreichender Informationen für die Einkaufsentscheidung. Die Frage ist nicht mehr Onlineshopping oder Einkaufen vor Ort. Dem Multi-Channel-Shopping gehört wohl die Zukunft. Künftig wird für den Erfolg im Einzelhandel zusätzlich ausschlaggebend sein, wie internetbasierte Informationen das Einkaufen auch vor Ort beeinflussen werden. Digitale Einkaufsassistenten, Produktzusatzinformationen aus dem Netz, Avatare und magische Spiegelbilder, die die Kleideranprobe übernehmen, das sind nur einige Komponenten, mit denen die Future Stores den Weg in die Zukunft antreten.
Schon heute betreibt weltweit rund ein Drittel aller Handy- und Smartphone-Nutzer das sogenannte „Showrooming“. In Deutschland liegt dieser Anteil bereits bei 68 Prozent. Das zeigt die aktuelle Studie „Mobile Life“ des Marktforschungsunternehmens TNS Infratest. [1 ] Konsumenten testen beim „Showrooming“ Produkte im stationären Handel, kaufen diese dann aber anschließend entweder im Internet oder in anderen Geschäften. Ob dieses Verhalten eine Bedrohung oder am Ende doch eine neue Chance für den stationären Einzelhandel bedeutet, liegt ganz beim Einzelhandel selbst und seiner Kreativität, wenn es darum geht, mit den neuen Möglichkeiten der digitalen Welt umzugehen. Die Studie zeigt nämlich auch, dass die Nutzung mobiler Endgeräte im Kaufprozess zu einer Risikominimierung für Marken beitragen oder mit den richtigen Ansätzen sogar zu zusätzlichem Wachstum führen kann. So ist mehr als ein Fünftel der Smartphone-Besitzer weltweit sehr daran interessiert, während des Einkaufs mobile Coupons zu erhalten. Ähnlich viele haben Interesse an Apps, die sie dabei unterstützen, sich während ihres Einkaufes im Geschäft zurechtzufinden. Und auch die Offenheit für Location Based Services, wie beispielsweise Push-Hinweise auf aktuelle Angebote in der direkten Umgebung, kann genutzt werden, um potentielle Kunden in die Geschäfte zu locken. Beratung durch einen „virtuellen Verkäufer“, der dem Kunden im Laden Fragen zu einem bestimmten Produkt beantworten kann, können sich weltweit schon heute 13 Prozent vorstellen.
Neue Chancen durch virtuelle Verkäufer
Mittlerweile nutzen 40 Prozent der Smartphone-Besitzer in Deutschland ihr Gerät auch faktisch zum Einkaufen, das entspricht einer Steigerung von acht Prozent gegenüber 2012. Mit einem Nutzungsanteil von 56,6 Prozent verwenden vor allem jüngere Nutzer zwischen 18 und 29 Jahren ihr Handy zum Einkaufen. Für Händler bedeutet dies, dass der neue und einfache Weg des Kaufens gerade bei jungen Kunden angekommen ist und dass es zukünftig umso wichtiger sein wird, mobile Endgeräte optimal in das Verkaufsgeschäft einzubinden. [2 ] Angesichts dieser Daten will der Einzelhandel möglichst bald nicht nur Testkunden davon überzeugen, dass moderner Lebensmitteleinkauf mit jederzeit digital verfügbaren Produkt- und Einkaufsinformationen das Kauferlebnis ebenso optimiert wie es beim Modeshopping mit Avataren oder magischen Spiegelbildern der Fall sein wird. Wer träumt nicht davon, 20 verschiedene Looks passgenau in der digitalen Welt auszuprobieren und dabei nicht ins Schwitzen zu kommen?
METRO GROUP setzt im Future Store auf RFID
Die Metro Gruppe als großer internationaler Retailer hat die Möglichkeiten, den Einzelhandel zu revolutionieren, schon lange vor dem Siegeszug der Smartphones erkannt und vor 5 Jahren den ersten Future Store einzelnen Gruppen öffentlich zugänglich gemacht. Dort hatte man erkannt, dass innovative Technologien ein entscheidender Wettbewerbsfaktor sein würden. Dabei ging es zum einen darum, die Effizienz im Lagermanagement und in der Logistik zu erhöhen. Gleichzeitig wollte man dem Verbraucher auch maßgeschneiderte Services und ein besonderes Einkaufserlebnis bieten. Im Rahmen der METRO GROUP Future Store Initiative verknüpfen nun zahlreiche Kooperationspartner aus Handel, IT- und Konsumgüterindustrie sowie der Dienstleistungsbranche innovative Technologien mit diesem Ziel. Mit im Boot sind z. B. T-systems, SAP und Siemens.
Man identifizierte die Radiofrequenz-Identifikation (RFID) als die Schlüsseltechnologie für den Handel der Zukunft. Zum wichtigen Baustein wurde der real-Future Store. In dem SB-Warenhaus können die Kunden die Zukunft des Handels schon heute erleben. Auf der anderen Seite bietet der real – Future Store für die Kooperationspartner die einmalige Gelegenheit, neu entwickelte Anwendungen für Lagermanagement und Verkaufsraum unter realen Bedingungen zu testen. [3] Dabei haben sich die von Metro initiierten Future Stores als Testlabor – gerade mit Blick auf das Kundenangebot- in den vergangenen Jahren dramatisch verändert, dem Smartphone und spezifischen Apps sei Dank. Kunden erleben nicht nur eine neue Art des Einkaufens, sondern können ihre Besorgungen bereits unterwegs planen und erledigen. Im Markt selbst lassen sich Produktinformationen abrufen und das Bezahlen lässt sich beschleunigen, denn an der Kasse ersetzt das Smartphone bereits das Portemonnaie. So können Kunden Barcodes einscannen, um Produktinformationen anzeigen zu lassen und ihren virtuellen Warenkorb zu füllen. Der Rechnungsbetrag wird als Barcode angezeigt und per Smartphone beglichen.
Forschungseinrichtungen Hand in Hand mit SB Warenhäusern
Diese digitale Revolution scheint besonders schnell bei SB Warenhäusern anzukommen, stehen diese doch im besonders harten Wettbewerb miteinander. So verwundert es auch nicht, dass die Globus Warenhauskette aus dem Saarland im engen Verbund mit Forschung und Wissenschaft den Weg in die Zukunft beschreitet. In der Zentrale der GLOBUS SB-Warenhaus Holding in St. Wendel wurde ein sogenanntes Innovative Retail Laboratory (IRL) eingerichtet. Dabei handelt es sich um ein anwendungsnahes Forschungslabor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, DFKI. Im IRL werden – in enger Verbindung mit den Fachleuten von Globus – Themenkomplexe rund um intelligente Einkaufsberater auf ihre Alltagstauglichkeit und den Kundennutzen getestet – von virtuellen Allergie- oder Diätassistenten bis hin zum digitalen Sommelier, personalisiertes Cross- und Up-Selling, Smart Items in digitalen Produktgedächtnissen als Weiterentwicklung der RFID-Technologie, Innenraumpositionierung und Navigation sowie neuartige Logistikkonzepte. Neue Formen der Interaktion mit dem Kunden werden entwickelt und für den Einsatz getestet: von personalisierter Verkaufsberatung über „sprechende“ Produkte, bis hin zum intelligenten Einkaufswagen, der den Weg durch das Warenhaus anhand des Einkaufszettels plant und anzeigt, rezeptbasierte Kaufanregungen gibt, Produktvergleiche ausführt, personalisiert auf passende Sonderangebote hinweist und Zusatzinformation zu den Produkten gibt. Doch man konzentriert sich in der Forschungsarbeit nicht nur auf das SB-Warenhaus der Zukunft als Ort des Einkaufens, denn man ist überzeugt davon, dass die Beziehung des Warenhauses zu seinen Kunden bereits vor dem Einkaufen beginnt, nämlich mit der individuellen Einkaufsvorbereitung und personalisierten Angebotspräsentationen zu Hause. Auch wird sie durch Produkt- und Verwendungsratgeber zu den gekauften Waren nach dem Einkauf weitergeführt, was sich seinerseits positiv auf die Kundenbindung auswirkt. [4]
Fashion Shopping im digitalen Zeitalter
Der Einzelhandel umfasst jedoch nicht nur das breite Sortiment von Warenhäusern, einen wichtigen Zweig stellt auch die Modebranche dar. Gerade Markenartikler mit ihrem eher hochpreisigen Angebot setzen zunehmend auf innovative Präsentationsformen, um im Wettbewerb zu bestehen. Auch hier geht es darum, dass man mithilfe moderner Technologien die üblichen Grenzen zwischen Absatz- und Kommunikationskanälen aufzuheben versucht, um das sogenannte Fashion Shopping zu einem Omni-Channel-Erlebnis zu machen. Schon heute existieren zahlreiche Forschungsprojekte und Testlabors, um die neue digitale Technik möglichst bald praxisreif zum Einsatz bringen zu können. Künftig sollen den Kunden z. B. bereits beim Passieren des Schaufensters eines stationären Modehändlers erste Interaktionsmöglichkeiten erwarten. Das Schaufenster im Jahr 2020 soll zur multimedialen Spielwiese werden. Inspiration, Information, aber auch die direkte Einkaufsmöglichkeit per App sollen dem Schaufensterbummel unabhängig von Ladenöffnungszeiten eine neue Dimension geben. Der Kunde kann durch gestenbasierte Steuerung, dem Abfotografieren von QR-Codes oder über Hologramme mit dem Schaufenster interagieren und Produkte darüber kaufen. Auch der Laden selbst wird sich dramatisch verändern. In der Modewelt von morgen wird der Kunde beim Betreten des Geschäfts aufgrund seiner im Smartphone gespeicherten Kunden-ID vom Verkäufer persönlich begrüßt. Sein Smartphone fungiert dabei als neuartige Kundenkarte, die sich bei Betreten automatisch im Store eincheckt. Die Kunden-ID speichert bisherige Präferenzen und Kaufentscheidungen und erzeugt einen virtuellen Kleiderschrank des Kunden. Der beste Service erwartet dabei den Kunden im Premiumsegment. Folgt man den Ideen der Forscher und Entwickler, so erwartet den Kunden 2020 ein großzügiger Showroom, über dem eine digitale zweite Haut liegt. Beratung erfolgt über das mit mobilen Endgeräten ausgestattete Personal, mit RFID-Etiketten versehene Produkte oder das eigene Smartphone, das auch bei der Auswahl der Kleidungsstücke unterstützt. Während der Kunde durch das Geschäft stöbert, scannt er z.B. über QR-Codes Kleidungsstücke ein. Sie können ihm so direkt in der Umkleidekabine zur Verfügung gestellt werden.
In der Umkleidekabine erwarten den Kunden, der sich Schweiß und Stress ersparen will, intelligente Spiegelkonzeptionen, die es ihm ersparen, die vielfältigen Kleidungsstücke selbst anzuprobieren. Sie ermöglichen es über augmented reality, dass das eigene Spiegelbild die virtuelle Anprobe übernimmt. Über Bodyscanns können eigene Avatare geschaffen werden, die die Kleidung nicht nur anprobieren, sondern auch damit über einen (virtuellen) Laufsteg laufen oder die Wirkung des Kleidungsstückes in einer entsprechenden Umgebung zeigen. So wird etwa die Frage beantwortet, wie ein gewähltes Cocktailkleid in einem Edelrestaurant wirken würde. Die Kabine von morgen erhält auch weitere Serviceelemente. Passend zur Stimmung und Auswahl der Kleidungsstücke kann der Kunde individuell die Musik bestimmen. Mithilfe eines Service-Buttons kann er zudem den Kontakt zum Verkäufer suchen. Die Umkleidekabine dient hier nicht nur der Anprobe, sondern wird zum Point-of-Sale. Da strategische branchenübergreifende Allianzen Teil des Commerce-Konzepts der Zukunft sind, werden dem Kunden zum Beispiel passend zum Abendkleid Karten für die Oper angeboten. Die Bezahlung erfolgt ganz selbstverständlich über Mobile Payment. [5] Internationale Markenartikelhersteller wie Adidas oder Boss gehen bereits die Testläufe mit, aber auch die Metro Group hat dieses Segment für ihre Future Store Initiative entdeckt. [6] [7] Forschung und Handel faszinieren die Möglichkeiten der schönen neuen Welt der Future Stores, die schon bald in der Praxis den Unterschied im Wettbewerb ausmachen sollen. Das Internet soll nicht mehr länger die Bedrohung des stationären Handels sein, sondern zum Schlüssel für den nachhaltigen Erfolg werden.
Wie bei anderen Teilschritten der digitalen Revolution auch, ist man in den USA bereits einen Schritt weiter. Die Kaffeehauskette Starbucks etwa hat sich mit Square verbündet, dem Mobile-Payment-Dienst von Twitter-Gründer Jack Dorsey. Die Idee: Starbucks-Kunden müssen an der Kasse nur noch ihren Namen nennen, um ihr Getränk zu bezahlen. Den Rest erledigt ihr Smartphone im Hintergrund. Wer so zahlen will, benötigt die App „Pay with Square“. Die greift auf die persönlichen Kreditkartendaten zu, der Nutzer kann dann mithilfe der App ein Geschäft in seiner Umgebung aussuchen, das mit Square kooperiert. Wählt er einen Laden aus, meldet er sich automatisch an: Sein Name und sein Bild tauchen auf einem Bildschirm an der Kasse des jeweiligen Ladens auf. Der Kunde muss nur noch hineingehen, seinen Namen nennen und bestellen. Der Kassierer überprüft lediglich, ob der Name mit dem auf seinem Bildschirm übereinstimmt. Bezahlbestätigung und Rechnung bekommt der Käufer auf sein Smartphone. Doch man will noch weiter gehen, irgendwann soll es reichen, die Filiale zu betreten. Starbucks erfasst seine GPS-Koordinaten und erkennt ihn automatisch. Damit wissen die Verkäufer, wer sich im Laden aufhält. [8]
Eine beeindruckende konzertierte Aktion haben über ein Dutzend US- Einzelhändler 2012 gestartet. Best Buy, Walmart, Target, 7-Eleven und andere große Player haben sich zusammengeschlossen, um das sogenannte Merchant Customer Exchange (MCX) zu bilden, ein Netzwerk für Mobile Payment das sich in Konkurrenz zu Google und Isis stellt. Die Anwendung soll für jedes beliebige Smartphone verfügbar sein, der Start ist für das kommende Jahr geplant. Wie bei anderen Anbietern auch, soll die digitale Geldbörse mit zielgerichteten, kundenspezifischen Angeboten verbunden werden. Hier entsteht nicht nur eine unglaubliche Marktmacht, es wird auch ein riesiges Netz ausgelegt, um Daten für Kundenprofile einzufangen. Angesichts der berechtigten Aufregung über die Datensammelwut der NSA bleibt gleichwohl die Frage, ob potenzielle Kunden bereit sein werden, den ganzen Weg mitzugehen, der sie ob der Menge der persönlichen Daten, die man zwangsläufig hinterlässt, zunehmend zum gläsernen Menschen machen wird.
LITERATUR
[1] Zur Quelle auf internetworld.de (Zugriff: 09.12.2019)
[2] Zur Quelle auf internetworld.de (Zugriff: 09.12.2019)
[3] Zur Quelle auf future-store.org (Zugriff: 27.07.2013)
[4] Zur Quelle auf dfki.de (Zugriff: 09.12.2019)
[5] Zur Quelle auf future-store-studie.de (Zugriff: 27.07.2013)
[6] Zur Quelle Smart dressing room (Zugriff: 27.07.2013)
[7] Zur Quelle Virtual dressing room (Zugriff: 27.07.2013)
[8] Zur Quelle auf zeit.de (Zugriff: 24.09.2013)
Irmhild Plaetrich