Wird Olympia zur digitalen
Disziplin?
„KI stößt bei Normbrechern an ihre Grenzen.“
Im Gespräch mit Sascha Schwindling, Universität des Saarlandes
(Titelbild: ©Adobe Stock | 748948696 | Irina)
Kurz und Bündig
Derzeit erfährt der Sportcampus Saarbrücken durch viele Leistungssportler und deren Umfeld großes Interesse, denn er spielt eine aktive Rolle im Rahmen der Olympischen Spiele in Paris im Juli 2024. Einen analytischen Blick auf Chancen und Risiken digitaler Helfer bei Leistungsanalyse, Training und Rehabilitation wirft Dr. Sascha Schwindling als Trainingswissenschaftler am Olympiastützpunkt Saarbrücken.
Der Olympiastützpunkt (OSP) Rheinland-Pfalz/Saarland ist die zentrale Förder- und Serviceeinrichtung für Spitzenathleten der beiden Bundesländer. Die wichtigste Aufgabe des Olympiastützpunktes besteht dabei in der hochwertigen, umfassenden Beratung und Betreuung der Nachwuchs- und Spitzensportler sowie ihrer Trainer. Ziel ist die Vorbereitung von Weltklasseleistungen in Olympischen Sportarten und Disziplinen. Hauptstandorte sind Mainz und Saarbrücken. Derzeit richten sich die Scheinwerfer besonders auf den Sportcampus Saarbrücken, der eine aktive Rolle im Rahmen der Olympischen Spiele in Paris im Juli spielt. Über Aufgaben, Herausforderungen und digitale Helfer bei Training und Rehabilitation haben wir mit Sportwissenschaftler Dr. Sascha Schwindling gesprochen.
IM+io: Herr Dr. Schwindling, welche olympischen Sportarten stehen im Training in Saarbrücken generell im Mittelpunkt?
SS: Der OSP Saarbrücken ist Bundesstützpunkt für Badminton, Triathlon, Ringen und Leichtathletik.
Aber es gibt auch Nationalkaderathleten aus anderen Disziplinen, wie zum Beispiel Geräteturnen,
Mountainbiken, Rudern, die den OSP nutzen. Darüber hinaus gibt es auch einen Kader aus Athleten der paralympischen Disziplinen.
IM+io: Was macht den Mehrwert des Sportcampus Saarbrücken für die Hochleistungssportler aus?
SS: Der große Mehrwert sind die kurzen Wege zu den Servicedienstleistungen für die Athleten, die auf dem Campus leben und trainieren können. Neben der Wohnung und der Sportstätte, wie zum Beispiel der Schwimmhalle, sind dies die Physiotherapie, die Regenerationsräume und die Nähe zur Universität und damit auch zur Sportmedizin, wo sie im Krankheitsfall sofort einen Arzt konsultieren können.
IM+io: Durch welche Spezialisten unterstützen Sie diese Athleten in Training und Rehabilitation?
SS: Neben den Ärzten des Instituts für Sportund Präventivmedizin sind dies die Athletiktrainer und die Physiotherapie. Außerdem stehen eine Laufbahn- und Ernährungsberatung sowie die psychologische Betreuung zur Verfügung. Daneben sind Professor Felder als Biomechaniker und ich als Leistungsphysiologe da, um die Athleten regelmäßig zu testen.
IM+io: In Saarbrücken will man im Vor- und Umfeld der Olympischen Sommerspiele in Paris auch internationalen Topathleten Trainings- und Vorbereitungsmöglichkeiten geben. Gibt es bereits Interessenten?
SS: Dies macht in erster Linie der Landessportverband für das Saarland mit seinem Angebot, den Sportcampus als Camp zu nutzen. Die Nachfrage ist groß, schon jetzt steht fest, dass die Zimmer komplett ausgebucht sein werden.
IM+io: Im Hochleistungssport entscheiden schon minimale Unterschiede über Erfolg und Misserfolg. Eine wichtige Ressource beim Kampf um Zentimeter, Zehntelsekunden und den entscheidenden Wettkampfvorteil ist die Biomechanik beziehungsweise Trainingswissenschaft. Welche Rolle spielt
dabei die digitale Unterstützung? Sehen Sie bereits heute oder aber künftig Einsatzfelder
für künstliche Intelligenz?
SS: Man stellt eine unterschiedlich weit fortgeschrittene Ausprägung der Digitalisierung je nach Sportart und Trainer fest. Dies hängt vermutlich an den Personen und den finanziellen Möglichkeiten. So bemerkt man zum Beispiel in den Mannschaftssportarten wie Fußball, dass zwar fast alle Möglichkeiten der digitalen Analyse von Spielen und Training vorhanden sind, aber nicht jeder Trainer darauf zurückgreift. Wenn er es tut, dann nur, wenn ihm Spielanalysten die Daten entsprechend aufbereiten. Dies hängt mitunter an der Vielzahl von Daten, die hier erhoben werden (können). In
Zukunft könnte die künstliche Intelligenz eine Hilfe sein, um aus dem Wust an Daten die wesentlichen
zu filtern. In den weniger komplexen Sportarten (reine Ausdauer- und Kraftdisziplinen) ist dies einfacher. Hier weiß man in der Regel schon, was die wichtigen Werte sind, auf die es ankommt. Natürlich werden hier viele Daten mit digitaler Hilfe erhoben, zum Beispiel mittels GPS, und anschließend auch analysiert. Künstliche Intelligenz könnte in Zukunft den Trainern dabei helfen, Trainingsdaten und Wettkampfergebnisse auszuwerten und zu interpretieren. Man muss aber immer bedenken, dass Olympiasieger und Weltmeister Menschen sind, die bisher vorhandene Normenwerte
überbieten und damit im Training auch nicht vorhandene Werte erreichen, weshalb hier künstliche Intelligenz, wenn sie nur aus vorhanden Daten lernt, in der absoluten Spitze der Athleten womöglich sogar hinderlich dabei sein könnte. Dies sollte man zumindest im Hinterkopf behalten, wenn man KI einsetzt.
IM+io: Sportler haben immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen. Wie sehen Ihre Maßnahmen zur Prävention und Rehabilitation aus? Welche Rolle spielen dabei digitale Daten?
SS: Am Olympiastützpunkt spielen die Physiotherapie und Athletiktrainer in Kooperation mit der Sportsmed-Saar, die Sportwissenschaftler in den Bereichen Biomechanik und Leistungsphysiologie
und die Ärzte des Instituts für Sport- und Präventivmedizin eine wichtige Rolle bei der Prävention und Rehabilitation. Hier arbeiten alle Bereiche Hand in Hand, um die Sportler bestmöglich gesund und fit zu halten. Sollte eine Verletzung einmal eintreten, gibt es immer neue Technologien, die den Sportler unterstützen und auf die Belastbarkeit testen können. Isokinetische Kraftwerte im Seitenvergleich
können zum Beispiel Aufschluss über den Status geben. Für die Prävention wird gerade ein neues Regenerationszentrum gebaut und demnächst eröffnet, wo die Sportler verschiedene regenerative Methoden wie Sauna und Kaltwasserbecken nutzen können, um sich besser von Training und Wettkampf zu erholen.
IM+io: Betrachtet man die vergangenen 70 Jahre, so ist es bei Athleten in allen Bereichen zu massiven Leistungssteigerungen gekommen, Weltrekorde purzeln oft im Jahresrhythmus. Welche Rolle spielt dabei die digitale Trainingsunterstützung.? Welche Rolle wird aus Ihrer Sicht die Digitalisierung in den nächsten Jahren spielen?
SS: Es ist schwer, in die Zukunft zu blicken. Aber aus der Vergangenheit sehen wir, dass es immer
wieder neue technische Entwicklungen gibt, die man sich ein paar Jahre zuvor kaum vorstellen konnte. Dies betrifft vor allem die Produkte aus der Sportindustrie, wie zum Beispiel Laufschuhe,
Rennräder und Mountainbikes oder auch Skier, die es den Sportlern ermöglichen, immer neue Rekorde aufzustellen. Aber auch in den Servicebereichen gibt es immer neue Entwicklungen. Die Geräte werden immer kleiner und portabler und dadurch ist es dauerhaft möglich, Daten zu messen. Ein Beispiel der technischen Entwicklung ist hier die Messung von Blutlaktatwerten: Früher brauchte man immer ein Labor zur Bestimmung, heute geht’s über Schnelltests aus einem Tröpfchen aus der Fingerbeere oder dem Ohrläppchen mit fast gleicher Präzision. Dies kann man als Sportler sogar selbst an sich durchführen. Womöglich wird es bald Geräte zu kaufen geben, die sogar dauerhaft die Blutlaktatkonzentration messen können. Ein ähnliches Beispiel sind die portablen Geräte zur Atemgasanalyse. Hier entstehen immer neue Startups, die portable günstige Geräte auf den Markt bringen, die aber heute bei weitem noch nicht die Genauigkeit oder Praktikabilität erfüllen, wie es die teuren Laborgeräte tun.