Sportler oder Roboter?
Ein Kommentar von August-Wilhelm Scheer, Herausgeber IM+io
(Titelbild: ©Adobe Stock | 716669033 | Slowlifetrader)
Die digitale Analyse von Sportlern und Sportereignissen in Echtzeit ist dank rasanter Entwicklung neuer Technologien zur Selbstverständlichkeit geworden. Fußballfans an Bildschirmen lassen sich in der Halbzeitpause und nach Abpfiff von Experten exakte Spielanalysen präsentieren. Zuschauer der jüngsten Handball-EM konnten dank digitaler Analyse nicht nur taktische Finessen nachvollziehen, sondern erhielten auch eine Vielzahl von Echtzeitdaten während des Spiels. Trainer sind unterdessen mit Tablets bewaffnet, die ihnen nahezu in Echtzeit während des Spiels Daten zu Spieler-Performance, Spielzügen und Taktik der eigenen wie der gegnerischen Mannschaft übermitteln. Das Training von Leistungssportlern ist IT-gestützt individuell ausgerichtet, die Team-Taktik wird anhand eigener digitaler Daten und der des Gegners konzipiert und variiert.
Als Professor für Wirtschaftsinformatik und IT-Unternehmer, der in vielen Bereichen mehr Geschwindigkeit und Fortschritt bei der Digitalisierung in Unternehmen und Verwaltung anmahnt, müsste ich eigentlich begeistert sein: Der Leistungssport hat frühzeitig die Chancen der Digitalisierung erkannt und genutzt. Neue Entwicklungen wie künstliche Intelligenz werden schnell aufgegriffen und genutzt. Als Fußballfan frage ich mich allerdings, ob hier nicht Spontanität und Genialität von einzelnen Spielern oder Kernteams der digital errechneten Taktik zum Opfer fallen. Stirbt mit der vorab berechneten Effizienz und Vorgehensweise nicht auch ein bisschen der Zauber des sportlichen Wettstreits?
Als Anfang Februar Rekordmeister Bayern München im „6-Punkte-Spiel“ gegen Bayer Leverkusen 0:3 vernichtend geschlagen wurde, fasste Bayernspieler Thomas Müller seinen Frust so zusammen: „Leverkusen zockt einfach, die spielen Fußball, die finden Lösungen… Wir spielen von A nach B, von B nach C, und keiner hat die Freiheit. Wir haben eine Verkopftheit in unserem Spiel.“ Was aber ist der Grund für eine solche Verkopftheit, dafür, dass nicht gezockt und experimentiert wird? Meine Befürchtung ist, dass manches Team Gefahr läuft, dank digitaler Tools als eine Gruppe vorprogrammierter menschlicher Roboter ferngesteuert zu werden.
Wechseln wir jetzt die Betrachtungsweise von roboterähnlichen Menschen zu menschenähnlichen Robotern: Unstreitig rief der im Jahr 2023 ausgetragene Robo-(Fußball)Cup große Euphorie bei eSports-Fans und KI-Forschern hervor. Der RoboCup ist der wohl weltweit größte Wettbewerb für Robotik und künstliche Intelligenz. Die Menschen schreiben Algorithmen – alles Weitere machen die Roboter. In der RoboCup Standard Platform League siegte das Team B-Human der Universität Bremen und des DFKI mit 76 Toren in acht Spielen – und keinem einzigen Gegentor. Längst wird nicht mehr mit „Roboterhunden“ gespielt, alle Teams spielten mit dem gleichen humanoiden Roboter NAO, nutzten aber unterschiedliche Software. Das Prae der Sieger: Die Bremer NAOs kennen ihre genaue Position auf dem Feld, was ein präzises Passspiel ermöglicht, zu dem in dieser Form kein anderes Team der Liga fähig ist. Auch erkennen sie andere Spieler genau genug, um zwischen ihnen hindurchzuschießen oder sich an ihnen vorbeizuschlängeln. Nicht zuletzt sind sie in der Lage, in vielen Situationen aus dem Laufen heraus präzise zu schießen, was die meisten Pässe überhaupt erst möglich macht.
Doch der Ehrgeiz der Forschenden geht weiter. Das Team NimbRo der Universität Bonn hat beim RoboCup das Fußballturnier der Humanoid-AdultSize-Klasse gewonnen. In dieser Humanoid League spielen autonome Roboter mit menschenähnlichem Körperbau und menschenähnlichen Sinnen Fußball gegeneinander. Im Gegensatz zu humanoiden Robotern außerhalb der Humanoiden-Liga wird die Aufgabe der Wahrnehmung und Weltmodellierung nicht durch die Verwendung nicht-menschlicher Entfernungssensoren vereinfacht. Den Sieg brachte eine verbesserte Robotersoftware, die beispielsweise die visuelle Wahrnehmung beschleunigte, um die Spielsituation in Echtzeit zu erfassen. Die überarbeitete Gangerzeugung ermöglicht flexiblere Kickbewegungen.
Auch wenn der RoboCup grundsätzlich das Ziel verfolgt, Forschung in die Anwendung zu bringen und autonome Roboter zu optimieren – für den Zuschauer präsentiert sich dabei ein spannendes eSports-Event. Ein spannendes Spiel menschlicher Fußballer muss sich aber auch weiterhin von solchen und anderen eSports Turnieren unterscheiden, bei denen Roboter nach klaren Vorgaben wie „wenn A passiert, musst du B tun“ agieren. Nicht umsonst versucht man bislang (noch) vergebens, jenen Robo-Fußballern Sozialverhalten, Teamgeist und Spontanität beizubringen – wichtige Faktoren, die uns Menschen vom Roboter unterscheiden. Schon bei Jugendmannschaften im Amateurfußball wird der „Assist“, die Vorlage für den nächsten Spieler, der dann das Tor trifft, gelobt und gefördert. Das blinde Verständnis für spontane Entscheidungen eines Mitspielers, das Aufgreifen eines genialen Spielzugs sind Voraussetzung für Teamgeist und Erfolg. Und genau das ist es, was für den Zuschauer den Zauber eines begeisternden Fußballspiels ausmacht! Die Leistungsoptimierung von Fußballspielern darf diese nicht zu funktionierenden, aber phantasielosen Robo-Kickern machen. KI- und andere Analysedaten dürfen nicht dazu führen, dass die Individualität eines Spielers sowie die Dynamik und Spielfantasie eines Teams zerstört werden!