Plattform 9 ¾ , Anschluss leider verpasst...
Wie der Zug der Plattform-Ökonomien an Deutschland vorbeirast
MehrWerth: die Kolumne von Dirk Werth, Chefredakteur IM+io
Dirk Werth ist seit 2016 Chefredakteur der IM+io. In der Kolumne „MehrWerth“ schreibt er in pointierter Form Meinungsbeiträge zum Schwerpunktthema des Heftes und stellt diese zur Diskussion.
Es hat schon etwas Magisches, was in den letzten Jahren passiert ist: Eine neue Organisationsform hat sich global etabliert und die klassischen Kunden-Lieferanten oder Kunden-Anbieter Beziehungen durcheinandergewürfelt. Plattformen sind die neue Marktmacht und haben schon den ein oder anderen Player zu Fall gebracht.
Dabei ist die Grundidee nicht neu: Intermediäre vermitteln schon seit jeher zwischen Käufern und Verkäufern. Und sie generieren ihren Nutzen aus dem Sachverhalt, dass der Käufer über den Intermediär auf viele Verkäufer zugreifen kann – und umgekehrt. Also warum kam erst in den letzten Jahren der Durchbruch?
Der Nutzen der Intermediäre entsteht durch den Netzwerk-Effekt bei der Vermittlung. Und dieser Nutzen steigt in einem Netzwerk quadratisch mit der Zahl der Teilnehmer. Während also im klassischen Geschäft diese Zahl aufgrund physischer Ressourcen, zum Beispiel zur Verfügung stehender Mitarbeiter, natürlich begrenzt ist, heben das Internet und digitale Technologien diese Begrenzung weitgehend auf. So haben aktuell die größten Plattformen mehrere hundert Millionen Nutzer. Der Nutzensprung, der dadurch entsteht, ist überwältigend; der Vorsprung der Plattformen vergrößert sich zunehmend. „Catch me if you can“. Die Auswirkungen dieser neu entstandenen Plattform-Wirtschaften sind mehr als bemerkenswert.
Aber es ist auch bemerkenswert und ebenso erschreckend, dass das Thema Plattform-Ökonomien einer Studie des Bitkom folgend überhaupt 54 Prozent der Vorstände und Unternehmenschefs in Deutschland überhaupt nicht bekannt ist. Wie soll ich als Unternehmer aber abschätzen können, wie sich mein Geschäftsmodell zukünftig ändern könnte, wenn ich von den neuen Wertschöpfungsmodellen noch gar nichts gehört habe. „Mission Impossible“.
Und nicht zuletzt geht es bei der Plattformwirtschaft nicht nur um die Neuordnung der klassischen Warendistributions- und verkaufsströme. Noch viel entscheidender ist die Frage der Datenströme. In der Datenwirtschaft entsteht heute schon und zukünftig noch mehr ein großer Teil der Wertschöpfung mit den (Nutzungs-) Daten, die im Produkt, bei der Leistungserbringung entstehen. Hier sind Plattformen keine Option, sondern ein Muss. Doch hilft Deutschland keine magische Harry-Potter-Plattform 9 ¾, um auf den Zug aufzuspringen. Schnelles und entschlossenes Handeln ist gefragt, denn im B2B-Geschäft und insbesondere bei der Datenökonomie ist der Plattform-Zug noch nicht endgültig abgefahren.
Interessant wird zuletzt vor allem die Frage sein, ob sich in Zukunft die Plattformwirtschaften auch selbst „verplattformieren“ werden. Denn Plattformen sind eine typische The-Winner-takes-it-all Maschinerie. Aber es gibt ja mehrere Plattformen, also was passiert damit in Zukunft? Bleiben sie unangefochten oder greift die Blockchain als dezentrales Gegenmodell die Plattformen an? Dieses Thema, liebe Leser, haben wir allerdings schon in der vorletzten Ausgabe diskutiert, also auf, „zurück in die Zukunft“!