„Neue Technologien werden mit Plattformen koexistieren“
Im Gespräch mit Ferry Hötzel, Country Product Manager Deutschland von Shopify
Unternehmensprofil
Shopify entstand 2004 aus einem Online-Snowboardshop heraus. Die Gründer Tobias Lütke und Daniel Weinand waren jedoch unzufrieden mit den E-Commerce-Lösungen, die sie vorfanden. Also programmierten sie kurzerhand eine eigene. Heute ist Shopify eine proprietäre E-Commerce-Lösung, die vor allem auf kleine und mittelständische Unternehmen ausgerichtet ist. Eine Payment-Lösung kann ebenfalls integriert werden. Heute beschäftigt Shopify weltweit 3000 Mitarbeiter, ließ mehr als 600.000 Online-Shops entstehen und wies 2017 einen Umsatz von knapp 581 Millionen US-Dollar aus.
Seit mehr als zehn Jahren behauptet sich Shopify als E-Commerce-Plattform neben Platzhirschen wie Amazon. Der einst als Snowboardshop gegründete Plattformanbieter setzt vor allem auf Kleinunternehmer, die ihr Geschäft online abwickeln. Der Unterschied zum Konkurrenten: volle Kontrolle über alle Verkaufskanäle, sagt Ferry Hötzel von Shopify.
IM+io: Herr Hötzel, die Plattform Shopify wurde 2004 gegründet. Wie ist denn der Gründungsprozess verlaufen und wie hat sich Shopify seither entwickelt?
FH: Shopify wurde 2004 von Tobias Lütke und Daniel Weinand als Snowboardshop gegründet. Jedoch waren die beiden mit den bestehenden E-Commerce-Baukästen und Onlineshop-Vorlagen auf dem Markt recht unzufrieden und entschieden sich, alles selber zu programmieren. Tobi ist von Hause aus Informatiker und programmierte mit Ruby on Rails den Online-Shop „Snowdevil”. Dafür brauchte er insgesamt zwei Monate.
Schnell wurde den beiden Gründern jedoch klar, dass viele Leute sich mehr für die Software als für die Snowboards interessierten. Also schwenkten Sie den Fokus ihres Unternehmens um und so erblickte Shopify im Jahr 2006 offiziell das Licht der Welt.
Seither ging es immer bergauf für das Unternehmen und Shopify bekam schon in der dritten Finanzierungsrunde im Jahr 2013 rund 100 Millionen Dollar von verschiedenen Investoren. Das war natürlich großartig.
Ein weiterer definitiver Meilenstein der Unternehmensgeschichte war der Börsengang in New York und Toronto im Jahr 2015. Dieser brachte Shopify weitere hundert Millionen Dollar ein und bestätigte auch auf dem Börsenparkett den Erfolg.
Heute ist Shopify weltweit mit mehr als 3.000 Mitarbeitern aktiv. Insgesamt gibt es übrigens mehr als 600.000 Shops in über 175 Ländern. Seit diesem Herbst ist Shopify nun auch offiziell und in vollem Umfang in Deutschland verfügbar. Hierzulande vertrauen mehr als 8.000 Shop-Besitzer auf unsere Technologie und unseren Service.
IM+io: Shopify behauptet sich nach wie vor neben dem Big Player Amazon. Wie unterscheiden Sie sich von Amazon, wo gibt es direkte Konkurrenzsituationen?
FH: Shopify unterscheidet sich vor allem im Weltbild von dem Platzhirsch: Für uns zählen die viele, viele kleine Shops und Händler, die selbständig sind und mit ihren zum Teil eigenen Produkten den Markt und vor allem Nischen bedienen. Amazon ist der große, weltumspannende Konzern, bei dem der Käufer zwar alles bekommt – doch der unserer Meinung nach so gut wie kein Vertrauen zu seinen Händlern aufbauen kann. Niemand wird wohl ernsthaft jemals sein Geschäft komplett über Amazon abwickeln wollen – es ist ja auch besser alles selber unter Kontrolle zu haben, wie bei uns. Direkte Konkurrenzsituationen gibt es vor allem bei Menschen, die sich entschließen in den Online-Handel einzusteigen und ihr eigenes Geschäft aufzumachen. Über Amazon erreichen Sie zwar viele potenzielle Käufer, aber mit Shopify behalten Sie die Kontrolle über ihre Kanäle und Geschäfte.
IM+io: Wie lösen Sie diese Konkurrenzsituation auf?
FH: Wir bei Shopify versuchen immer, es dem Händler so einfach wie möglich zu machen. Wie schon gesagt wollen wir, dass der Gründer oder die Gründerin mit dem eigenen Shop wächst und auch zum Beispiel Bezahlsystem ohne große Umstände einführen kann. Bei großen Online-Händlern und ihren Marketplaces erreichen Sie wahrscheinlich erst einmal mehr Menschen. Dementsprechend entscheiden Sie sich relativ am Anfang, welche Strategie für Sie am besten funktioniert, was natürlich ganz individuell zu den jeweiligen Shops passt.
IM+io: Shopify stellt nun auch Apps für 3D-Printing für KMUs zur Verfügung. Welche Absicht steckt dahinter?
FH: Diese Apps sind nicht von Shopify sondern von Drittanbietern. Wir freuen uns aber, wenn unsere Shopbetreiber mit spannenden neuen Technologien ihr Geschäft aufbauen und betreiben.
IM+io: Welchen Markt für Plattformen wie Shopify finden Sie in Deutschland vor? Ist es eher ein B2C oder B2B-Markt?
FH: Sowohl als auch. Naturbedingt ist der B2C-Markt allerdings viel größer, weil mehr Shopbetreiber an Verbraucher verkaufen. Dennoch gibt es auch mehr und mehr B2B-Shops in Deutschland. So fand eine Untersuchung des Bundesverband E-Commerce mit der Creditreform AG im März 2017 heraus, dass es hierzulande rund 5.500 Online-Shops mit B2B-Fokus gibt. Industrie und Traditionsunternehmen nutzen also immer stärker das Web als Verkaufskanal, was wir natürlich sehr begrüßen.
IM+io: Wie schätzen Sie die internationale Konkurrenzfähigkeit des deutschen Marktes für Plattformen ein?
FH: Prinzipiell sehr gut: Deutschland bietet viele vielversprechende Faktoren, um einen eigenen Online-Shop zu eröffnen – wie etwa eine kritische Masse von potentiellen Käufern. Hinzu kommen gute Einkommensverhältnisse und eine gewisse Technologieaffinität. Dies hilft, neben weiteren Eigenschaften des deutschen Marktes, ein Produkt aufzubauen und auf den Markt zu bringen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die geographische Lage und die kulturelle Vielfalt in Europa: Dadurch, dass Deutschland von verschiedenen Ländern und Sprachen umgeben ist, werden Shops ab einer gewissen Größe quasi dazu gezwungen sich zu internationalisieren. So haben Unternehmer hierzulande meistens schon zum Beispiel Mehrsprachigkeit im Blick oder akzeptieren unterschiedliche Währungen. Das ist einerseits großartig für die Internationalisierung, kann aber natürlich auch erst einmal ein Stolperstein sein.
IM+io: Shopify kann zwar nicht mehr als Start-up durchgehen, gilt aber als einer der erfolgreichsten Gründungen in Sachen E-Commerce-Plattformen neben Amazon. Gegründet wurde Shopify in einer Zeit, in der Plattformen gerade im Trend lagen. Ist das heute immer noch so oder gibt es Technologien, die der Plattform in naher Zukunft den Rang ablaufen werden?
FH: Ich denke, dass Plattformen nach wie vor eine große Rolle spielen werden, egal ob im Handel oder einer anderen Branche. Sie bündeln Services und machen für Kunden das Leben bequemer. Und ich glaube, dass neue Technologien eine Co-Existenz mit Plattformen haben. Man denke nur beispielsweise an die Programmiersprache PHP. Sie wurde vor Jahren erfunden und erfreut sich heute immer noch großer Beliebtheit, obwohl es eine ganze Reihe von anderen Programmiersprachen gibt, die ähnliches leisten.
Wenn ich zum Beispiel an Chatbots denke, dann war da auch ein großer Hype vor ungefähr zwei Jahren, doch ersetzt haben Sie bisher eher wenig. In erster Linie muss das Business Modell einer Plattform geschäftsfähig sein und den Kunden in den Mittelpunkt stellen. Dann kann ihr auch die ausgeklügelste Technologie nichts anhaben.
IM+io: Welche Rolle spielt künftig maschinelles Lernen/KI im Ökosystem von Shopify?
FH: Wir sehen natürlich ebenfalls die großartigen Möglichkeiten dieser Technologien und sind uns sicher, dass viele spannende Erfindungen und vereinfachte Prozesse möglich werden. Schon heute sind aber die ersten Schritte möglich.
Bei Shopify können Shopgründer den intelligenten Assistenten und quasi ersten virtuellen Mitarbeiter bekommen: „KIT” hilft den Gründern und Gründerinnen dabei, ihren Shop digital zu vermarkten, setzt E-Mail-Kampagnen oder schlägt Social-Media-Werbung vor und führt diese zum Abschluss. Aufgebaut ist KIT wie ein Chatbot, der antworten und interagieren kann. Das zeigt schon einmal die enorme Wichtigkeit und die Möglichkeiten, die sich durch Zukunftstechnologien ergeben.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen auch in naher Zukunft bei Betrug, dem sogenannten Fraud Detection, hilft. Das System erkennt dabei nach ganz bestimmten Gesichtspunkten, ob ein Geschäftsvorgang oder eine Transaktion höchstwahrscheinlich einen betrügerischen Hintergrund hat oder schlichtweg eine Täuschung ist. So können Verbraucher und Shopbetreiber besser geschützt werden.
IM+io: Wie entwickelt sich Shopify in den kommenden fünf Jahren weiter?
FH: Die kommenden fünf Jahre werden sicherlich sehr spannend und halten bestimmt einige Überraschungen bereit. Wir werden uns weiterhin auf unsere Shopbesitzer konzentrieren und den Handel jeden Tag ein bisschen besser, einfacher und zugänglicher machen. Das ist unsere Mission. Dabei sind natürlich viele Faktoren wichtig, aber ich bin mir sicher, dass wir mit unseren Ingenieuren, unseren Mitarbeitern, unseren tollen Partnern und dem Kundenfeedback dieses ambitionierte Ziel erreichen.
IM+io: Welche Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen sehen Sie in naher Zukunft für Plattformtechnologien, sowohl im B2B als auch im B2C?
FH: Erst einmal freut es mich sehr, dass sich das Plattformkonzept so großer Beliebtheit erfreut, da es gerade auch Nischen ermöglicht ein skalierbares Konzept anzubieten. Zum Beispiel hat Atalanda ein wunderbares Konzept geschaffen, um Städten ein Werkzeug in die Hand zu geben und dem immer mehr aussterbenden Einzelhandel in den Innenstädten entgegenzuwirken. Solche Ideen sind wirklich Gold wert.
Herausforderungen sehe ich vor allem beim Spagat zwischen neuer und alter Technologie: Wer ein durchdesigntes Front-End hat, muss auch das Back-End auf Vordermann bringen. Das gilt vor allem bei Plattformen, die B2C und B2B in einem anbieten. Hier muss die Technik stimmen, die jeweiligen Kundenanforderungen erfüllt werden und auch die User Experience im Auge behalten werden. Das ist zwar schwierig, aber definitiv zu schaffen.