Plastikfrei!
Wege ins zukunftsfähige kommunale Wirtschaften
Hella Rihl, Johanna Gäbken, plastikfreie Stadt
(Titelbild: © plastikfreie Stadt)
Kurz und Bündig
Nach dem Motto „Reduce and Reuse“ hat es sich die Initiative „plastikfreie Stadt“ zur Aufgabe gemacht, Plastik nicht einfach durch andere Einwegmaterialien zu ersetzen, sondern tatsächlich Ressourcen zu sparen. Ein klassisches Beispiel ist dabei die Papiertüte, die einen viel größeren ökologischen Fußabdruck als ihr Äquivalent aus Kunststoff hat und den Druck von Plastik hin zu Holz verschiebt. Die Initiative nennt das „Ressourcendruckverschiebung“ und rät Unternehmen, grundsätzlichere Fragen zu stellen, wie etwa, ob die Tüte überhaupt benötigt wird oder ob es bessere, mehrfach verwendbare Transportlösungen gibt?
„Dieser Artikel ist vorübergehend nicht lieferbar“. Seit der Corona-Pandemie haben wir uns an solche Sätze gewöhnt. Stockende Lieferketten und Materialmangel haben uns fest im Griff, und die Folgen werden laut Experten noch lange spürbar sein. Doch auch wenn die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Herausforderungen mit der Zeit gelöst werden können, wird es nicht allzu lange dauern, bis das Problem erneut auftaucht. Auch ohne Krieg und Pandemie. Denn die derzeitigen Lieferschwierigkeiten sind nur ein Symptom. Das sich dahinter verbergende Problem ist unser Umgang mit natürlichen Ressourcen.
Unsere lineare Wirtschaftsweise basiert auf einer globalen Ressourcenknappheit und einer nicht nachhaltigen Ressourcennutzung: produzieren – kaufen – wegwerfen – vergessen. Dabei ist die Inanspruchnahme von Ressourcen über die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet mit enormen Belastungen für die Umwelt verbunden. Und die Nutzung natürlicher Ressourcen nimmt weltweit stetig zu. Ein sparsamer Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten ist daher nicht nur aus Aspekten des Umweltschutzes, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht nachhaltig. So werden Unternehmen ihr Geschäft künftig zwangsläufig auf möglichst ressourcenschonende Praktiken umstellen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und fortbestehen zu können. Ein Modell, über das in diesem Zusammenhang viel gesprochen wird, ist die sogenannte „Kreislaufwirtschaft“. Dieses idealtypische Konzept verspricht, Materialien nach ihrem Gebrauch wieder vollständig in den Materialkreislauf zurückzugeben und zu recyceln. Doch die Zahlen zeigen, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben. So werden aktuell gerade einmal 15,6 Prozent des in Deutschland weggeworfenen Plastiks recycelt, weltweit sind es sogar nur 9 Prozent. Ein genauerer Blick zeigt, dass es sich dabei oftmals um „Downcycling“ handelt, die neuen Materialien also qualitativ schlechter sind. Auch wenn der Paradigmenwechsel von einer Linearwirtschaft hin zu Modellen wie der Kreislaufwirtschaft notwendig ist, bedarf es bereits jetzt greifbarer und umsetzbarer Lösungen.
Was also tun? Die Abfallhierarchie spricht hier eine klare und logische Sprache: Vermeidung ist die Königsdisziplin, denn das nachhaltigste Material ist nun einmal jenes, das gar nicht erst produziert wird. Die Abfallhierarchie dient dazu, diejenigen Möglichkeiten der Abfallbewirtschaftung zu fördern, die insgesamt das beste Ergebnis unter dem Aspekt des Umweltschutzes erbringen. Dabei ist der gesamte Lebenszyklus des Abfalls zugrunde zu legen. Oberste Priorität hat die Vermeidung von Abfällen, etwa durch die Wiederverwendung von Stoffen oder Gegenständen. Dies ist zum Beispiel bei Einkaufstaschen, Kleidung oder Behältern gut möglich.
Einer solchen Vision hat sich auch die Initiative „plastikfreie Stadt“ verschrieben. Im Jahr 2019 beschlossen sechs Rostocker Unternehmer und Unternehmerinnen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und sich aktiv gegen das Müllaufkommen einzusetzen, mit dem sie sich in ihrem beruflichen Alltag konfrontiert sahen. Müll, der zwangsläufig auch im Rostocker Stadthafen und den anliegenden Gewässern landet. Man wollte weniger Einwegplastik verbrauchen, darin waren sie sich einig. Nur, wie sollte das gehen? Irgendwie musste der Verbrauch ja erst einmal sichtbar und messbar werden. So entstand die Idee der „Plastik-Inventur“. Wie bei einer klassischen Jahresinventur wogen die Pionierunternehmer ihre Produkte aus Einwegplastik, bevor sie entsorgt wurden und notierten die Gewichte. Aufs Jahr hochskaliert erhielten sie ihre zum Teil erschreckenden, Verbrauchszahlen. Mit der Analyse der größten Plastik-Baustellen, die jetzt schwarz auf weiß vorlag, konnten sie gezielt Maßnahmen ergreifen, um ihre Müllberge schrumpfen zu lassen. Seitdem motiviert die Initiative „plastikfreie Stadt“ Unternehmen und Organisationen sowie Städte und Kommunen dazu, sich mit ihrem Einwegplastik-Verbrauch auseinanderzusetzen und diesen zu reduzieren. Die Teilnehmenden durchlaufen einen strategischen plastikfrei-Prozess, der in die Aufnahme in ein Expertennetzwerk mündet. Durch die entwickelten Instrumente und die unkomplizierte Weitergabe von Best-Practice-Ansätzen können in kürzester Zeit spürbare, messbare und sichtbare Erfolge zur Vermeidung von Einwegplastik erreicht werden.
Der gesellschaftliche Transformationsprozess, in dem Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit eine tragende Rolle spielen, vollzieht sich jedoch nur langsam, obwohl es laut Umweltbundesamt für den sozial-ökologischen Wandel einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung gibt. Umso wichtiger ist es, Lösungswege
für einen ressourcenschonenden Umgang aufzuzeigen und Organisationen branchenübergreifend darauf vorzubereiten, die zukünftigen gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen aktiv mitzugestalten. Um diesen Bewusstseinswandel zu fördern, werden die Teilnehmenden der Initiative in eine Nachhaltigkeitsdebatte geführt, die bis in die Unternehmens- und Handelsstrukturen vordringt. Mit ihrem praxisnahen Ansatz bietet die Initiative geeignete Unterstützungsstrukturen, um politische und gesetzliche Rahmenbedingungen zur Müllvermeidung effektiv umzusetzen und Unternehmen und Organisationen, aber auch Städten und Kommunen, einen Wettbewerbsvorteil in Sachen Nachhaltigkeit zu sichern.
Mittlerweile, trotz Corona-Pandemie und Ukraine-Krise, ist die Zahl der engagierten Unternehmen, die sich dem Netzwerk angeschlossen haben, deutschlandweit auf 43 angewachsen, und auch die Anfragen von Städten und Kommunen mehren sich. Die „Plastik-Inventur“ wird stetig weiterentwickelt und bietet nun zusätzlich einen digitalen Instrumentenkoffer zur Erleichterung der Inventur. Getreu dem Motto „Reduce and Reuse“ hat es sich die Initiative „plastikfreie Stadt“ zur Aufgabe gemacht, Plastik nicht einfach durch andere Einwegmaterialien zu ersetzen, sondern tatsächlich Ressourcen zu sparen. Ein klassisches Beispiel ist dabei die Papiertüte, die einen viel größeren ökologischen Fußabdruck als ihr Äquivalent aus Kunststoff hat und den Druck von Plastik hin zu Holz verschiebt. Eine klassische Scheinlösung. Die Initiative nennt das „Ressourcendruckverschiebung“ und rät den teilnehmenden Unternehmen, stattdessen grundsätzlichere Fragen zu stellen. Zum Beispiel, ob die Tüte überhaupt benötigt wird? Oft ist sie lediglich ein vorübergehendes Mittel zum Transport.
Vielfach auf ihren Namen angesprochen, ist die Initiative „plastikfreie Stadt“ mittlerweile in vielen weiteren Bereichen aktiv, in denen es Einsparpotenziale zu verzeichnen gibt. So unterstützt sie in mehreren Städten die dortigen Kampagnen zur Ausgabe von Essen und Trinken in Mehrwegbehältnissen. In Rostock etwa hat sie gemeinsam mit dem Amt für Klima- und Umweltschutz ein Förderprogramm für Gastronomen ins Leben gerufen, welches Umsteigewillige bei der Einrichtung eines Mehrwegsystems finanziell unterstützt und inhaltlich begleitet. Darüber hinaus betreut die Initiative einen Becherverleih für Veranstaltungen, den Schulen und Vereine kostenfrei in Anspruch nehmen können. Inklusive Zubehör wie Deckel, Strohhalm und Rührstab fallen allein durch die To-go-Becher für Heiß- und Kaltgetränke in Deutschland jährlich rund 55.000 Tonnen Abfall an. Damit hat der Becher die Plastiktüte als Abfallverursacher im Alltag überholt. Grund genug also, etwas dagegen zu unternehmen.
Zentrales Handlungsfeld der Initiative „plastikfreie Stadt“ ist und bleibt jedoch die Vermeidung und Reduzierung von Einwegplastik durch die Plastik-Inventur. Dieser strategische Prozess richtet sich an verschiedene Zielgruppen. Unternehmen und Organisationen jeder Form und Größe reduzieren ihren Einwegplastikverbrauch im Rahmen des plastikfrei-Prozesses, für Städte und Kommunen wurde ein Vier-Kriterien-Ansatz entwickelt. Für Schulen und Bildungseinrichtungen wird es zukünftig ein Bildungsmodul geben. Die Ansätze unterscheiden sich, die Methode bleibt: Verbrauch ermitteln, Probleme identifizieren, Maßnahmen einleiten.
Die Initiative „plastikfreie Stadt“ bietet ein Konzept zur grundlegenden Stärkung der jeweils regionalen Wirtschaft mit klarem Fokus auf eine ressourcenschonende Entwicklung. Sie stellt Unterstützungsstrukturen und bietet einen realisierbaren pragmatischen Ansatz, mit dem der gesellschaftliche Wandel zu mehr ökologischem Wirtschaften befördert werden kann. Dazu gehört auch, über die einzelnen Teilnehmenden der Initiative hinaus zu wirken und ihnen ihre Rolle bei der Beeinflussung von der Wertschöpfungskette vor- und nachgelagerten Lieferketten bewusst zu machen. So kann ganz gezielt für die Thematik sensibilisiert, eine breite Aufmerksamkeit erzeugt und die Notwendigkeit zum Handeln verdeutlicht werden.
Noch nie war das Thema Plastik so weit oben auf der politischen Agenda, noch nie haben sich so viele Menschen in globalen Bewegungen wie beispielsweise „Break Free From Plastic“ organisiert. Überall auf der Welt wachsen und entstehen Initiativen für eine „ZeroWaste“ Politik in Städten und Gemeinden und ihnen allen ist gemeinsam: Sie wollen das Problem an der Wurzel packen und an Lösungen und Alternativen arbeiten. Eine Welt ohne Plastikverschmutzung ist eine Vision, für die es sich einzutreten lohnt. Die Initiative „plastikfreie Stadt“ trägt ihren Teil dazu bei.