No Shame
Re-Commerce als Marketingchance für Second-Hand
Adrienne Steffen, IU Internationale Hochschule
(Titelbild: © AdobeStock | 328493349 | Victor Koldunov)
Kurz und Bündig
Secondhand-Konsum polarisiert in der Gesellschaft. Traditionell ist der Kauf von Gebrauchtwaren negativ assoziiert und mit dem Stigma der Armut behaftet, doch heute kaufen vor allem jüngere Verbraucher Konsumgüter aus zweiter Hand, um Ressourcen zu schonen und gleichzeitig trotzdem einen gewissen Lebensstil zu führen. Für Unternehmen ist der Gebrauchtwarenmarkt bezüglich ihrer Nachhaltigkeitsstrategie und zur Erhöhung der Umsätze ebenfalls interessant.
In der Vergangenheit war der Secondhand-Markt mit einem negativen Stigma behaftet, aber das ändert sich. Inzwischen ist der Konsum von gebrauchten Gegenständen nicht nur smart und clever für das Portemonnaie, sondern steht auch für nachhaltigen Umgang mit knapper werdenden Ressourcen, und die muffige Aura von Gebrauchtwaren-Läden gehört weitestgehend der Vergangenheit an. Gerade jüngere Kunden haben Secondhand-Konsum als Lebensstil für sich entdeckt, weil sie so mit besserem Gewissen nachhaltig konsumieren können. Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass Produkte schneller gefunden und vor Ort gekauft werden können. Unternehmen sollten sich daher überlegen, wie sie aktiv am boomenden Secondhand-Markt partizipieren können.
In der Vergangenheit führte die zunehmende Industrialisierung zu einem stetigen Wachstum des nationalen Wohlstands und damit zum Anstieg des gesellschaftlichen Konsums [1]. Mit Beziehungsmarketing haben Unternehmen über Jahrzehnte hinweg einen loyalen Kundenstamm aufgebaut, der weiterhin ohne Rücksicht auf die Umwelt konsumierte [2]. Während dieses Wachstum in wirtschaftlicher Hinsicht positiv war, hat die Gesellschaft mittlerweile erkannt, dass zu viel Konsum auch Probleme schafft und unter anderem zur Erschöpfung der Ressourcen und zu Umweltverschmutzung führt sowie zu gesellschaftlichen Missständen wie etwa ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in den Herstellungsländern beiträgt. In Industrienationen besteht inzwischen in der Gesellschaft überwiegend Konsens darüber, dass Maßnahmen zur Rettung des Planeten und zur Herstellung fairer Handels- und Produktionswege ergriffen werden müssen [1]. Auch Unternehmen haben inzwischen realisiert, dass sie ihre Geschäftspraktiken ändern und sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen müssen.
Eine nachhaltige Gesellschaft erfordert eine nachhaltige Produktion auf der einen und einen nachhaltigen Konsum auf der anderen Seite. Das bedeutet, dass zwischen den beiden Konzepten eine untrennbare Verbindung und Wechselwirkung besteht, bei der ein nachhaltiger Konsum nicht stattfinden kann, wenn die Produkte nicht nachhaltig produziert oder veräußert werden. Und wenn Menschen nicht nachhaltig konsumieren, werden Hersteller ihre nachhaltig produzierten Produkte nicht verkaufen. Die Verantwortung für die Schaffung einer nachhaltigen Gesellschaft liegt sowohl beim Verbraucher als auch beim Hersteller [3].
Secondhand-Konsum als nachhaltige Subkultur
Neben Unternehmen haben auch Verbraucher die Pflicht und die entscheidende Macht, ihren Konsum zu ändern. Einige Verbraucher haben bereits die Bedeutung des nachhaltigen Konsums und der Reduzierung des Verbrauchs für die Zukunft unseres Planeten erkannt. Die natürlichen Ressourcen gehen rasch zur Neige und Menschen machen sich zunehmend Sorgen über die Auswirkungen ihres hedonistischen Lebensstils [4]. Konsumenten haben gelernt, dass die Herstellungs- und Konsumtechniken des 21. Jahrhunderts zu den wichtigsten Ursachen für Umweltverschmutzung und Ressourcenabnutzung gehören. Infolgedessen landen gebrauchte Gebrauchsgegenstände bei Nichtgefallen nicht mehr einfach auf dem Müll, sondern im Secondhand-Kaufhaus oder bei entsprechenden Onlineplattformen, und viele Menschen verwenden Dinge wieder oder kaufen sie gebraucht, um die Umweltbelastung zu verringern [5].
Daraus hat sich eine Subkultur von Secondhand-Käufern (synonym auch Gebrauchtwarenkauf, Re-Commerce, Secondhand Konsum oder Second-Cycle-Konsum genannt) entwickelt – in bestimmten Personengruppen gilt der Kauf von Gebrauchtwaren mittlerweile als „schick und clever“ [6] [7]. Besonders in den letzten 40 Jahren haben Secondhandkäufe unter den Verbrauchern zugenommen [8], indem allmählich die lange vorherrschende „Scham und das Stigma, das mit dem Gebrauchtwarenkonsum verbunden war“ verschwanden und Dinge mit einer gewissen Geschichte zunehmend „cool“ und „stylisch“ wurden [9]. Noch vor 20 Jahren zeigten Verbraucherstudien in Großbritannien, dass es überwiegend finanzielle Not war, die Verbraucher zum Secondhand-Konsum veranlasste, weil sie sich schlicht keine neuen Waren leisten konnten [10]. Heutzutage jedoch sind viele Secondhand-Käufer:innen nicht zwingend arm, sondern wollen clever einkaufen [7], indem sie nicht nur ihren Geldbeutel, sondern auch das Ökosystem schonen.
Heute gibt es demnach immer mehr Konsument:innen, die aus Überzeugung und Verantwortungsgefühl nachhaltigere Konsumformen praktizieren, auf unnötigen Konsum verzichten oder stattdessen Gebrauchtwaren kaufen. Diese Personengruppe legt mehr Wert auf persönliches Wachstum als auf ihren sozialen Status [11]. Die Ergebnisse einer Studie von Steffen im Jahr 2017, in der 231 Teilnehmer:innen zu ihrem Secondhand-Konsum befragt wurden, zeigen, dass deutsche Verbraucher gebrauchte Produkte nicht aus finanzieller Not heraus kaufen – zahlungsbezogene, aber auch umweltbezogene Erklärungen waren bei den angeführten Ursachen nur schwach ausgeprägt. Die Dominanz sozialer und nostalgischer Motive deutet darauf hin, dass die Deutschen Secondhand-Käufe aus Lifestyle-Gründen tätigen, zum Beispiel, wenn ältere Kultprodukte gekauft werden, um einen bestimmten Lebensstil zu demonstrieren [12].
Da der Gebrauchtwarenhandel immer beliebter wird und Re-Commerce nicht mehr rein aus finanzieller Not praktiziert wird, müssen Einzelhändler diese alternativen Formen des Konsums kennen und können diese aktiv in ihre Unternehmensstrategie mit einbinden.
Integration von Recycling und Secondhand in die Marketingstrategie eines Unternehmens
Unternehmen müssen auf die Marktveränderungen im 21. Jahrhundert reagieren, und viele wenden sich daher nachhaltigeren Geschäftspraktiken zu [2]. Recycling und Secondhand sind nur zwei der vielen Möglichkeiten, um die nachhaltige Marketingpraxis eines Unternehmens zu unterstützen.
In den letzten Jahren haben mehrere Hersteller begonnen, sich am Secondhand-Austausch zu beteiligen, indem sie in der Produktion Recyclingmaterialien verwenden oder Produkte sammeln, um sie selbst zu recyceln. Recycelte PET Plastikflaschen (rPET) oder Meeresabfälle werden zerkleinert sowie gewaschen, und aus den Kunststoffspänen wird neues Garn hergestellt [13], das dann zum Beispiel für die Herstellung von Kleidung bei H&M [14], Taschen und Rucksäcken bei Recyclebags [15] oder Schuhen der Marke Giesswein [16] verwendet wird. Der Bekleidungshändler H&M nimmt außerdem Kleidungsstücke zurück und recycelt sie mit seinem Partner I:CO. Kleidung, die noch getragen werden kann, wird auf dem Secondhand-Markt verkauft, unbrauchbare Kleidungsstücke hingegen werden anderweitig verwertet, zum Beispiel in einer Re-Worn-Kollektion oder als Reinigungstücher, und der Rest der Textilmaterialien wird dem Wiederverwertungskreislauf zugeführt [17].
Neben dem Recycling gibt es weitere Möglichkeiten für Hersteller und Einzelhändler, ihre Bemühungen um nachhaltiges Marketing zu verstärken, indem sie sich am Markt für den Austausch von Gebrauchtwaren beteiligen. Einige traditionelle Einzelhändler haben verstanden, dass Verbraucher gut erhaltene Produkte, die sie selbst zwar nicht mehr mögen oder nicht mehr tragen wollen beziehungsweise können, gerne für einen zweiten Lebenszyklus verkaufen und dass sie sich an dieser Transaktion beteiligen und davon profitieren können. Der althergebrachte einfache Produktlebenszyklus kann durch eine zweite Nutzungsphase verlängert werden, und Unternehmen sollten den Secondhand-Austausch im zweiten Zyklus in ihre Marketingplanung mit einbeziehen.
Ein Unternehmen, das den Austausch im zweiten Zyklus bereits aktiv praktiziert, ist Decathlon, ein internationaler Sportartikelhersteller und -einzelhändler französischen Ursprungs. Wie schematisch in Abbildung 1. dargestellt, erweitert das Unternehmen bereits den Produktlebenszyklus, indem es auf der eigenen Website und in seinen Geschäften gebrauchte Waren verkauft.
Decathlon bietet auf seiner Website eine „Second Use“-Kategorie an, in der Testprodukte, Retouren und gebrauchte Produkte von anderen Kunden angeboten werden. Der jeweilige Artikel wird zunächst auf seine Qualität geprüft und kann dann entweder online oder in der Stadt des jeweiligen Geschäfts, in dem sich das Produkt befindet, von Kunden erworben werden [18]. Damit hat das Unternehmen den Austausch im zweiten Zyklus formell in seine Marketingstrategie integriert. Auch der Online-Kleidungshändler Zalando beteiligt sich an der Second-Cycle-Börse und hat auf seiner Website einen Shop für gebrauchte Kleidung, Schuhe und Accessoires eingerichtet [19].
In der Automobilbranche lässt sich ebenso beobachten, dass Händler zurückgegebene Leasingfahrzeuge am Gebrauchtwagenmarkt verkaufen. Auch die Hersteller von Camping- und Expeditionsfahrzeugen gehören zu den Unternehmen, die sich bereits am Second-Cycle-Automobilmarkt beteiligen. So bieten etwa Vantourer und CS Reisemobile gebrauchte Vans an oder verweisen auf ihrer Website auf Händler, die gebrauchte Fahrzeuge des Herstellers anbieten [20],[21].
Sowohl Unternehmen als auch Verbraucher sollten also ein Verständnis für nachhaltigen Konsum und die Produktlebenszeit über den ersten Zyklus hinaus entwickeln. Unternehmen könnten ihren Umsatz steigern, indem sie ihre Produkte in einem zweiten Zyklus aus zweiter Hand verkaufen, wie es Decathlon tut. Selbst wenn Einzelhändler entscheiden, sich nicht proaktiv am Second-Cycle-Austausch beteiligen zu wollen, könnten sie mit professionellen Wiederverkäufern zusammenarbeiten. Derartige Unternehmen wie momox fashion (ehemals ubup) [22] oder ThredUP [23] ermöglichen bereits seit Längerem private Secondhand-An- und Verkäufe und sind zusätzlich Firmenkooperationen eingegangen. Beispielsweise hat sich der Konzern Walmart mit ThredUP zusammengetan, um am schnell wachsenden Wiederverkaufsmarkt zu partizipieren. Mit dem Secondhand-Warenmarkt kann das Unternehmen so auch jüngere und eher umwelt- und kostenbewusstere Kunden ansprechen [24]. In vielen Ländern ist jedoch nach wie vor die Akzeptanz des Re-Commerce unter den Verbrauchern gering, und Re-Commerce-Plattformen sowie traditionelle Einzelhändler sind aufgefordert, gemeinsam daran zu arbeiten und den Secondhand-Konsum zu fördern.
Die Digitalisierung könnte dazu beitragen, die Einstellung der Verbraucher zum Secondhand-Konsum zu ändern. Zahlreiche Online-Plattformen wie etwa eBay Kleinanzeigen bringen schon Menschen in der eigenen Nachbarschaft zusammen und geben dabei gebrauchten Waren ein zweites Leben, ohne dass diese notwendigerweise quer durchs Land verschickt werden müssen. Auch abseits solcher Portale könnte außerdem die lokale Verfügbarkeit von Gebrauchtwaren bei Händlern auf ihrer Webseite oder in ihrer App in Echtzeit angezeigt werden, sodass Kunden zielgerichteter Secondhand-Waren kaufen können. Wenn immer mehr Einzelhändler oder Hersteller gebrauchte Produkte ihrer eigenen Marke in einem zweiten Zyklus anbieten würden, ließe sich die Akzeptanz des Re-Commerce steigern. So könnten auch Luxusmarken vollkommen neue Kundengruppen erschließen, die sich ihre Waren neu nicht leisten können oder wollen. Für die Kunden bestünde ein zusätzlicher Vorteil darin, dass sie ein geringeres Risiko beim Gebrauchtwarenkauf von Luxusgütern eingehen, da autorisierte Händler die Ware vor dem Wiederverkauf auf ihre Echtheit prüfen könnten.
Allerdings hat aus Unternehmenssicht der Secondhandmarkt nicht nur Vorteile, sondern auch Schattenseiten. Eine große Herausforderung in diesem Zusammenhang sind Kannibalisierungseffekte, da die Kunden keine Neuwaren, sondern gebrauchte Produkte des Unternehmens kaufen und für dieses der Umsatz mit neuen Produkten daher wahrscheinlich sinken wird. Dennoch werden die Unternehmen die Glaubwürdigkeit ihrer nachhaltigen Marketingstrategie, die heutzutage in der Bevölkerung immer mehr zum entscheidenden Kaufkriterium gerät, steigern, da sie eine wirklich nachhaltige Lösung für Produktverwertung anbieten und so im besten Falle außer Kundenbindung auch Neukundengewinnung betreiben können [25].
Allzu oft wird jedoch in weiten Teilen der Bevölkerung nachhaltiger Konsum immer noch mit persönlichen Opfern oder Abstrichen assoziiert. Um aber die Einstellung der Verbraucher zum Secondhand-Konsum umfassend zu ändern, müssen zunächst die Unternehmen eine positivere Einstellung zum Re-Commerce entwickeln. Hersteller und Einzelhändler könnten sich am Second-Cycle-Austausch beteiligen, indem sie gebrauchte Produkte auf ihren Websites anbieten oder mit Wiederverkäufern zusammenarbeiten. Diese Praxis könnte das negative Stigma, das dem Secondhand-Konsum anhaftet, restlos beseitigen und die Wahrnehmung des Markenimages durch die Verbraucher verbessern. Diese Praktiken würden die negativen Auswirkungen des Warenkonsums auf die Umwelt verringern und gleichzeitig den Menschen als Käufern ein in jeder Hinsicht gutes Gefühl vermitteln, weil sie nicht nur einen Gegenstand gefunden haben, den sie schon immer haben wollten, sondern dabei weder die Umwelt noch den eigenen Geldbeutel über Gebühr belasten [25].