„Man muss als Anbieter auf Plattformen erkennen, dass nicht Abkapselung, sondern Öffnung den Erfolg am Markt bringt“
Im Gespräch mit Hartmut Rauen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, VDMA
Kurz und Bündig
Handelszölle und Handelsstreitigkeiten, der drohende Brexit sowie politische Instabilität in einigen Märkten der Welt erschweren dem deutschen Maschinenbau zwar das Geschäft, jedoch ist man durch Innovation und Technologieführerschaft in vielen Bereichen gut für die Zukunft der Industrie 4.0 aufgestellt – davon ist VDMAs stellvertretender Hauptgeschäftsführer Hartmut Rauen überzeugt.
Wer an Industrie 4.0. denkt, assoziiert mit dem Begriff gemeinhin intelligente Maschinen, die nicht nur autonom untereinander kommunizieren, sondern auch mit dem Menschen. Ist der deutsche Maschinen- und Anlagenbau bereits in dieser Welt angekommen? Sind neue digitale Businessmodelle bereits in der Praxis erfolgreich, oder bewegen wir uns noch im Bereich von Visionen und Perspektiven? Hartmut Rauen hat uns als stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, VDMA, dazu Rede und Antwort gestanden.
IM+io: Herr Rauen, laut VDMA steht der Maschinenbau im Zentrum von Industrie 4.0. Wie genau begründet sich eine solche zentrale Position des Maschinenbaus?
HR: Dem Maschinenbau kommt bei Industrie 4.0 eine Schlüsselrolle zu, denn er ist Anbieter und Anwender zugleich. Zudem sitzt er an der Datenquelle, da die Sensoren und IT-Systeme ihren Input von den Maschinen erhalten – das ist ganz entscheidend! Das bedeutet ein tiefgreifendes technisches Verständnis für Industrie 4.0, verbunden mit den traditionellen Tugenden des deutschen Maschinenbaus: Qualität, Lösungskompetenz sowie technische Integrationsfähigkeit und Serviceleistungen. Insgesamt sind die Maschinen- und Anlagenbauer auf einem sehr guten Weg. Unser Maschinenbau ist in der globalen Führungsrolle, die Digitalisierung steht ganz oben auf der Agenda der Unternehmen. Dabei geht es um Technologie, neue Geschäftsmodelle und natürlich auch um den Menschen. Er wird weiterhin im Zentrum stehen, auch wenn Aufgaben und Qualifikationen sich ändern werden.
IM+io: E-Mobilität ist unterdessen in der Realität angekommen, aber Innovation und Technologie entstehen nicht primär in Deutschland als Automobilland. Was kann hier getan werden, um doch noch in den Prozess maßgeblich eingreifen zu können?
HR: Grundsätzlich: Deutschlands Automotive Industrie ist Spitzenklasse in Patenten und wettbewerbsfähigen neuen Technologien.
Elektromobilität ist ein wichtiger Baustein für eine zukunftsfähige Mobilität. Der Maschinen- und Anlagenbau liefert hierfür maßgebliche Produktionstechnologien an seine Kunden weltweit, von Antriebstechnik bis hin zu Maschinen für Batteriezellproduktion oder Leichtbauverfahren. Zugleich darf nicht aus dem Blick geraten, dass die neuen Antriebstechnologien nicht nur im Automobilbereich entwickelt werden und zur Anwendung kommen. Es gibt viele andere Bereiche in denen die Elektrifizierung des Antriebsstrangs bereits eine tragende Rolle spielt. Denken Sie an mobile Maschinen oder Fahrzeuge im Freizeitbereich.
Mobilität darf zudem nicht eindimensional auf nur eine Antriebsart reduziert werden. Es gibt einfach zu viele verschiedene Anwendungsfälle und Einsatzgebiete. Der VDMA hat dazu die Studie „Antrieb im Wandel“ veröffentlicht, die Marktszenarien für zukünftige Antriebskonzepte in den Bereichen PKW, Nutzfahrzeuge und mobile Maschinen beschreibt. Solche Untersuchungen sind wichtig, denn darauf aufbauend lässt sich die Entwicklung der Wertschöpfungskette in der Fertigung ableiten. Zudem sind wir technologieoffen unterwegs. Aktuell bauen wir eine erste P2X-Plattform auf, um Green Fuels einen Weg in die Realisierung zu geben.
IM+io: Als Beispielbranche für Innovation durch Digitalisierung positioniert sich derzeit neben der Landwirtschaft auch die Baubranche mit neuen Geschäftsmodellen für Baumaschinen und Baustoffanlagen. Welche Veränderungen können Sie dort beobachten?
HR: Das Thema Digitalisierung nimmt in der Tat auch im Bereich der Baumaschinen rasant an Fahrt auf. Zwar liefern die modernen Baumaschinen bereits eine erhebliche Zahl an unterschiedlichen Maschinendaten, doch diese sind von Hersteller zu Hersteller oft sehr unterschiedlich und stellen somit die Anwender – das sind in diesem Fall die Bauunternehmen – vor große Schwierigkeiten.
Aus diesem Grund verständigen sich im VDMA derzeit Maschinenhersteller und Bauunternehmen, zusammen mit weiteren Akteuren der Wertschöpfungskette des Bauprozesses, auf eine gemeinsame Grundlage, bei der die Daten, unabhängig vom Maschinentyp und unabhängig vom Hersteller eine vergleichbare Aussagekraft haben (An bzw. Aus, Betriebsstunde, usw.) Natürlich entstehen hierbei auch neue Geschäftsmodelle, denn in der Zukunft nehmen Daten immer mehr die Position eines finanziellen Wertes ein. Übrigens hoffen wir auf eine 5G-Umgebung auch im ländlichen Raum.
IM+io: Der VDMA hat das Thema Plattformökonomie offensiv aufgegriffen und zur Hannover Messe 2018 eine eigene Studie dazu vorgestellt. Wo stehen wir in Deutschland bei der Wertschöpfung durch digitale Services?
HR: Aktuell steht unsere Branche durchaus in einer frühen Phase, was die Umsetzung von Wertschöpfung durch digitale Services betrifft. Konkret heißt das, dass es innerhalb der Investitionsgüterindustrie eine hohe Aufmerksamkeit bezüglich des Themas gibt, die Unternehmen neugierig sind und einen hohen Bedarf an fundierter Information zum Thema haben. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Unternehmen, die bereits Projekte zur Plattformökonomie durchgeführt haben und diese gegenwärtig im Markt etablieren.
IM+io: Erfolgreiche Plattformunternehmen setzen nicht nur auf perfektes Engineering sondern zeichnen sich durch eine hohe Nutzerorientierung aus. Ist dieser zweite, erkennbar wichtige Aspekt im Bewusstsein des deutschen Maschinenbaus angekommen?
HR: Für eine Branche wie den deutschen Maschinen- und Anlagenbau, die sich seit vielen Jahren im höchsten Maße am Kundennutzen orientiert und eng an die Kundenanforderungen orientierte Produkte liefert, ist Nutzerorientierung natürlich selbstverständlich. Im Sinne der Plattformökonomie kommt nun aber etwas Neues hinzu: Der Kunde will auf einer Plattform natürlich möglichst breit und umfassend auf ein Marktangebot zugreifen und dabei möglichst nur eine oder sehr wenige Plattformen benutzen. Dies bedingt, dass sich auch in diesem Kontext marktwirtschaftliche Grundgedanken durchsetzen müssen und man als Anbieter erkennt, dass nicht die Abkapselung, sondern die Öffnung den Erfolg am Markt bringt. Das heißt, dass man sich Plattformen anschließt, auf denen sich auch der Wettbewerb mit seinem Angebotsportfolio bewegt. Diese Erkenntnis beginnt sich bei den Betroffenen allmählich durchzusetzen.
IM+io: Wo wird der deutsche Maschinen- und Anlagenbau aus Ihrer Sicht in 5 Jahren stehen und in welcher Rolle sieht sich der VDMA als Wegbegleiter?
HR: Der Maschinen- und Anlagenbau in Deutschland ist in einer starken Position. Die Technologien der Unternehmen sind weltweit gefragt und hierzulande ist der Maschinenbau das Rückgrat der gesamten Industrie. Mit über 1,3 Millionen Beschäftigten ist der Maschinenbau zudem größter industrieller Arbeitgeber in Deutschland, mit einem Umsatz von 226 Milliarden Euro. All dies ist eine hervorragende Basis für die Zukunft.
Zugleich muss der Blick nach vorne immer wachsam sein. Die Herausforderungen für den Maschinen- und Anlagenbau sind groß und vielseitig. Die Globalisierung hat ihren Kuschelkurs verlassen und zunehmender Protektionismus greift um sich. Handelszölle und Handelsstreitigkeiten, der drohende Brexit sowie politische Instabilität in einigen Märkten der Welt erschweren dem Maschinenbau das Geschäft. Für eine Industrie die maßgeblich vom Export lebt (Exportquote etwa 78 Prozent) ist all dies schädlich.
Dem VDMA kommt hierbei die Rolle zu, seine Mitglieder bei all den genannten Themen mit Rat und Tat zu begleiten. Unsere Experten verstehen sich als Berater für die Unternehmen, immer mit dem Ansatz konkret zu unterstützen. Die Vielfalt der Kompetenzen im VDMA ist dabei eine seiner besonderen Stärken. Als größter Industrieverband Europas haben wir zudem auch eine Stimme in Berlin und Brüssel, auch hier bringen wir uns im Sinne des gesamten Maschinen- und Anlagenbaus konstruktiv ein.