Marktkonzentration im Visier: Wettbewerb auf digitalen und analogen Plattformmärkten
Steffen J. Roth, Rebekka Rehm, Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln
Kurz und bündig:
Plattformmärkte sind zwar kein neues Phänomen, es bestehen jedoch systematische Unterschiede zwischen digitalen und herkömmlichen, analogen Plattformen. Diese Unterschiede können zum Teil erklären, warum die Marktkonzentration auf einigen digitalen Plattformmärkten besonders hoch ist. Bei der wettbewerbspolitischen Regulierung digitaler Plattformmärkte sollte die Konkurrenz durch analoge Plattformen berücksichtigt werden, da sie disziplinierend auf marktmächtige digitale Plattformen wirken kann.
Digitale Plattformen wie Ebay oder Amazon sind Gegenstand großer öffentlicher und politischer Aufmerksamkeit. Spezielle Charakteristika von Plattformmärkten begünstigen eine besonders hohe Marktkonzentration. Die Dominanz einzelner Unternehmen wiederum weckt die Befürchtung, dass diese nicht durch Wettbewerbsdruck diszipliniert werden und die Interessen der Konsumenten in den Hintergrund geraten.
Plattformmärkte sind kein neues Phänomen. Um einen Plattformmarkt handelt es sich, wenn zwei oder mehr Marktseiten mithilfe eines Intermediärs in einen Austausch treten. Solche Intermediäre gibt es sowohl in der digitalen als auch in der analogen Welt. Ein Beispiel ist der Markt für Zeitungsannoncen, auf dem Unternehmen um Kunden werben oder Immobilienbesitzer Mieter suchen. Das Einkaufszentrum, in dem Kunden und Geschäfte zueinander finden, ein anderes.
Bei der Diskussion um die Marktkonzentration auf digitalen Plattformmärkten lohnt es sich aus mindestens zwei Gründen, auch analoge Plattformmärkte in den Blick zu nehmen: Erstens hilft der Vergleich von digitalen mit analogen Plattformmärkten dabei, spezielle Merkmale zu identifizieren, die bei der Regulierung berücksichtigt werden sollten. Zweitens stehen analoge Plattformen auf einigen Märkten in direkter Konkurrenz zu digitalen Plattformen und müssen deshalb bei der Bestimmung der Marktkonzentration und des sich daraus ergebenden Missbrauchspotentials berücksichtigt werden.
Unterschiede zwischen digitalen und analogen Plattformmärkten
Die Wettbewerbsintensität auf Plattformmärkten hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu zählen das Ausmaß von positiven Skalen- und Netzwerkeffekten, die Wahrscheinlichkeit von Überlastung, die Heterogenität der Nutzer-Präferenzen und die Attraktivität von Multi-Homing [1]. Für den Vergleich der zu erwartenden Wettbewerbsintensität ist die sachliche und räumliche Marktabgrenzung entscheidend. Bezüglich der räumlichen Abgrenzung ist klar, dass räumliche Entfernungen auf analogen Märkten von weitaus höherer Relevanz sind als in der digitalen Welt. Auf digitalen Märkten ist gar ein „Death of Distance“ zu beobachten [2]. Dementsprechend können sich in der analogen Welt tendenziell mehr Plattformen etablieren als in der digitalen. In dem Maße, wie dies auf räumliche Differenzierung zurückzuführen ist, stehen diese analogen Plattformen jedoch gerade nicht im Wettbewerb zueinander. Die schiere Anzahl von Plattformen ist also noch kein Anzeichen für die Wettbewerbsintensität.
Die zu erwartende Marktkonzentration hängt unter anderem von der Kostenstruktur der Anbieter ab. Generell sprechen positive Skaleneffekte tendenziell dafür, dass sich relativ wenige große Anbieter durchsetzen. Auf Plattformmärkten erscheinen steigende Skalenerträge wahrscheinlich, weil die Bereitstellung einer Plattform üblicherweise mit relativ hohen Fixkosten einhergeht, während die einzelne Vermittlungsleistung häufig vergleichsweise niedrige Grenzkosten verursacht. Auf digitale Plattformen scheint dies in besonderem Maße zuzutreffen: Die Grenzkosten der Bereitstellung digitaler Dienstleistungen sind oft verschwindend gering.
Ein weiteres besonderes Merkmal von Plattformen ist, dass auf ihnen indirekte Netzwerkeffekte wirken: Der Nutzen für die Teilnehmer einer Marktseite ist umso höher, je mehr Nutzer der anderen Marktseite teilnehmen. Die Zeitungsannonce hat umso höheren Wert, je mehr potentielle Geschäftspartner sie lesen. Der Kauf der Zeitung ist umso lohnender, je mehr passende Anzeigen dort erscheinen. Netzwerkeffekte begünstigen eine hohe Marktkonzentration, weil sie erstens für bestehende Kunden den Wechsel zu einer anderen Plattform unattraktiv erscheinen lassen. Zweitens erhöhen sie für weitere potentielle Nutzer die Attraktivität einer Plattform, die bereits viele Nutzer hat. Daraus ergeben sich selbstverstärkende Tendenzen, die größere Plattformen schneller wachsen lassen. Als konstituierendes Merkmal von Plattformen wirken indirekte Netzwerkeffekte sowohl auf digitalen als auch auf analogen Plattformmärkten. Positive Netzwerkeffekte werden allerdings nur in dem Maße realisiert, wie sie nicht durch Wegkosten oder ähnliches überkompensiert werden. Ein Einkaufszentrum mag zwar umso attraktiver erscheinen, je mehr interessante Geschäfte sich dort ansiedeln. Die meisten Kunden werden aber abwägen, ob sich die möglicherweise längere Fahrt zu dem besonders attraktiven Einkaufszentrum lohnt. Da solche Kosten auf digitalen Plattformmärkten eine geringere Rolle spielen, lassen sich positive Netzwerkeffekte hier eher realisieren.
Ein weiterer Faktor, der einer hohen Marktkonzentration tendenziell entgegenwirkt, ist das Risiko von Überlastungserscheinungen. Diese treten auf, wenn sich der Nutzen einer Plattform für die Teilnehmer mit weiteren Teilnehmern ab einer bestimmten Größe nicht mehr erhöht, sondern verringert. Sie lassen sich demnach als negative Netzwerkeffekte beschreiben. Auch Überlastungsgefahren ergeben sich vor allem aus der räumlichen Dimension und sind folglich insbesondere für analoge Plattformen charakteristisch: Die Vergrößerung von analogen Marktplätzen wie Einkaufszentren ist unter anderem deshalb weniger attraktiv, weil sie mit zunehmender Größe unübersichtlicher werden. Digitale Plattformen hingegen können mit geeigneten Algorithmen Suchkosten reduzieren und Übersichtlichkeit bieten. Insofern sie deshalb mit geringerer Wahrscheinlichkeit von Überlastungsgefahren betroffen sind, spricht auch dies für die Erwartung einer geringeren Anzahl entsprechend größerer Anbieter.
Auch die Heterogenität der Präferenzen potentieller Nutzer bedingt die Anzahl der entstehenden Plattformen: Je unterschiedlicher die Präferenzen der Nutzer sind, desto mehr verschiedene Plattformen bilden sich tendenziell heraus. Digitale Plattformen haben auch hier einen entscheidenden Vorteil: Im Gegensatz zu analogen Plattformen können sie häufig individualisierte Angebote anbieten. Statt einer Tageszeitung mit Mietwohnungsangeboten, einer Autozeitung mit Gebrauchtwagenanzeigen und einer monatlichen Zeitschrift mit Reiseannoncen entsteht so beispielsweise nur eine digitale Plattform mit unterschiedlichen Suchmasken. Wiederum lässt die bloße Anzahl von Plattformen aber noch keine Rückschlüsse auf die Wettbewerbsintensität zu: Wenn sich eine Vielzahl von analogen Plattformen aufgrund unterschiedlicher Präferenzen der Nutzer herausbildet, dann stehen sie aufgrund der damit einhergehenden mangelnden Austauschbarkeit auch allenfalls höchst eingeschränkt im Wettbewerb zueinander. Die Substituierbarkeit von Plattformen bestimmt also die sachliche Abgrenzung des relevanten Marktes.
In engem Bezug zu den bisher erläuterten Faktoren steht die Möglichkeit des sogenannten Multi-Homing: Je attraktiver es für die Markteilnehmer ist, mehrere Plattformen gleichzeitig zu nutzen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich mehrere Plattformen parallel etablieren können. Die Kosten des Multi-Homing sind tendenziell auf analogen Plattformen höher, da hier insbesondere die bereits erwähnten Wegkosten ins Gewicht fallen. Der Aufwand, der damit verbunden ist, eine zweite digitale Plattform zu nutzen, ist im Regelfall mit vergleichsweise geringen Kosten verbunden. Folglich ist davon auszugehen, dass Multi-Homing vor allem auf digitalen Plattformmärkten hohen Marktkonzentrationen entgegenwirkt.
Teilweise deckungsgleich aber nicht identisch mit den Kosten des Multi-Homing sind die Kosten eines Plattformwechsels. Diese sind vor allem deshalb sehr relevant, weil sie bei gegebener Marktkonzentration das Missbrauchspotential marktmächtiger Anbieter maßgeblich bestimmen. Je höher die Wechselkosten sind, desto eher ist von einem so genannten Lock-in der Plattformnutzer auszugehen, der Raum für Marktmachtmissbrauch eröffnet. Wechselkosten können vielfältige Ursachen haben. Ihre Höhe hängt zum Beispiel davon ab, wie einfach Profile zu erstellen sind oder wie die Markteilnehmer Vertrauen in die jeweils andere Marktseite aufbauen. In der analogen Welt ist für die Vertrauensbildung oft persönlicher Kontakt ausschlaggebend, während in der digitalen Welt vor allem Bewertungssysteme vertrauensschaffend wirken. In beiden Fällen geht ein Plattformwechsel mit dem Verlust der aufgebauten Reputation einher. Ob die damit verbundenen Kosten auf analogen oder digitalen Plattformmärkten höher sind, hängt davon ab, wie teuer der Wiederaufbau der Reputation auf einer anderen Plattform ist oder ob ein einmal aufgebautes Profil samt Reputation bei einem Plattformwechsel sogar transferiert werden kann.
Bislang noch nicht explizit thematisiert wurde die herausragende Bedeutung von Daten auf digitalen Plattformmärkten: Die Sammlung von Daten erlaubt es Plattformen, besonders präferenzgerechte Leistungen anzubieten, und begünstigt damit ebenfalls selbstverstärkende Marktkonzentrationen. Dies gilt vor allem für solche Geschäftsmodelle, bei denen die Angebote sogar den Präferenzen einzelner Nutzer angepasst werden können [3]. Deutlich wird, dass die Wettbewerbsintensität auf Plattformmärkten von gegenläufig wirkenden Faktoren abhängt und daher nicht eindeutig vorhersagbar ist. Ebenfalls nicht eindeutig ist, welche Wettbewerbsintensität auf digitalen im Vergleich zu analogen Plattformmärkten zu erwarten ist. Tendenziell scheinen die hier betrachteten Faktoren dafür zu sprechen, dass sich vor allem auf digitalen Plattformmärkten hohe Marktkonzentrationen ergeben.
Implikationen für die wettbewerbspolitische Regulierung
Eine hohe Marktkonzentration ist an sich aber noch kein Anlass für einen regulierenden Eingriff. Im Gegenteil: Die Verwirklichung positiver Netzwerk- und Skaleneffekte ist ökonomisch effizient und kann durchaus zum Nutzen aller Beteiligten sein [4]. Auch dass bei digitalen Plattformen in geringerem Maße mit Wegkosten, Überlastungskosten und Schwierigkeiten aufgrund verschiedener Präferenzen gerechnet werden muss, spricht für die Nutzung dieser Vorteile durch wenige große Akteure. Dieselben Effekte, die Monopolstrukturen auf digitalen Plattformmärkten wahrscheinlicher werden lassen, lassen sie aus wohlfahrtsökonomischer Sicht auch wünschenswerter erscheinen.
Dabei ist zugleich zu berücksichtigen, dass eine geringe Wettbewerbsintensität zwischen Plattformen tendenziell eine hohe Wettbewerbsintensität auf den Plattformen zur Folge hat und auch darüber präferenzgerechte Ergebnisse auf den nachgelagerten Produktmärkten begünstigen kann. Haben die Konsumenten hingegen eine hohe Präferenz für stark differenzierte Plattformen, die sie möglicherweise sogar parallel nutzen, spricht dies gegen das Vorliegen starker indirekter Netzwerkeffekte und für die Effizienz mehrerer Plattformen. Eine entsprechende Vielzahl unterschiedlicher Plattformen würde dann allerdings auch von alleine entstehen, sofern keine künstlichen Markteintrittshürden bestehen. Möglichkeiten des Multi-Homing und des Plattformwechsels inklusive möglichst weitgehender Transferierbarkeit von Reputationskapital erscheinen aus dieser Perspektive wertvoll zur Aufrechterhaltung eines zumindest potentiellen Wettbewerbs.
Hohe Marktkonzentrationen können damit zwar an sich effizienter sein, sind jedoch natürlich zugleich mit Gefahren des Marktmachtmissbrauchs verbunden. Die Möglichkeiten von dominanten Plattformanbietern, ihre Marktmacht zu missbrauchen, sind vielfältig. Sie umfassen zum Beispiel die Bevorzugung eigener Produkte oder Dienstleistungen, die in Konkurrenz zu fremden Gütern über die Plattform angeboten werden. Missbräuchliche Strategien sind jedoch immer nur in dem Maße lohnenswert, wie die Vorteile, die sie dem Anbieter erschließen, nicht dadurch aufgewogen werden, dass unzufriedene Kunden abwandern. Die Gefahr von Marktmachtmissbrauch droht daher umso mehr, je weniger Substitutionsmöglichkeiten bestehen. Folglich sind nicht nur Möglichkeiten für Multi-Homing und Plattformwechsel, sondern auch die Substitutionsbeziehungen zwischen digitalen und analogen Plattformen wichtig: Auf Märkten, auf denen die Konsumenten beide Arten von Plattformen nutzen können, diszipliniert die Existenz der analogen die digitalen Plattformen und umgekehrt.