Kamera an!
Videobasierte Verhaltenstrainings und Chancengerechtigkeit
Nicola Marsden, Alexander Wittwer
Kurz & Bündig
Digitale Verhaltenstrainings per Video: Was macht es mit uns, wenn wir eine Kamera auf uns gerichtet haben und unser eigenes Video-Feed sehen? Nicola Marsden und Alexander Wittwer zeigen auf, dass videovermittelte Trainings zu einem Booster für Chancengerechtigkeit werden und eine Lernbühne eröffnen können, auf der sich alle in gleicher Weise einbringen und ihre individuellen Lernziele verfolgen können.
Verhaltensorientierte Qualifizierungsprozesse, wie zum Beispiel Coaching oder Führungskräftetraining, werden zunehmend mithilfe digitaler Medien durchgeführt. Dies bietet Ortsunabhängigkeit und zeitliche Flexibilität. Die veränderte Kommunikation in der Online-Situation spielt für Verhaltenstrainings eine entscheidende Rolle: Richtig eingesetzt kann sie zu einem erfolgreichen Instrument zur Schaffung von Chancengerechtigkeit werden.
Online-Kommunikation gilt gemeinhin als „ärmer“ als die Face-to-Face-Kommunikation, da bestimmte Merkmale der Person im Kommunikationsprozess „herausgefiltert“ werden und damit für andere nicht sichtbar bzw. erlebbar sind. Umgekehrt bergen diese Nivellierungseffekte aber auch Chancen: Eine laute Stimme, Körpergröße, selbstsicheres Auftreten und anderes schaffen in computervermittelten Settings keine kommunikativen Vorteile. Die Ortsunabhängigkeit solcher Veranstaltungen ermöglicht zudem mehr Flexibilität in der Zusammensetzung der Lerngruppen. Damit können negative gruppendynamische Effekte, die durch den Minderheitsstatus einzelner Teilnehmer und Teilnehmerinnen entstehen, aufgehoben werden: Wenn in einer Gruppe mindestens drei Frauen anwesend sind, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit deutlich, dass diese eher als Individuen wahrgenommen werden – und weniger als Token, d. h. als Repräsentantinnen der „Frau an sich“. Die Verteilung von Redeanteilen kann computervermittelt leichter gesteuert werden, weil unabhängig von Temperament, persönlichem Dominanzanspruch und Durchsetzungsstärke die „Erteilung des Wortes“ im virtuellen Kontext ganz grundsätzlich und viel expliziter als in der Face-to-Face-Situation strukturiert und moderiert werden muss – und dies von allen Beteiligten meist auch akzeptiert wird. Die Person, die die Moderationsrolle innehat, muss sich ihrer Verantwortung im Hinblick auf Chancengerechtigkeit natürlich bewusst sein und diese Rolle entsprechend professionell ausüben.
Das Ich im Spiegel – das Idealselbst als Standard
- Ich sehe mich bei eingeschalteter Kamera gleichsam wie in einem Spiegel.
- Ich werde per Kamera aufgenommen und bin mir stärker bewusst, dass ich über meine Kamera auch von den anderen gesehen werde.
Beide Aspekte haben Auswirkungen auf die sogenannte Selbstaufmerksamkeit – ein in der