Kurz & Bündig
Das Hasso-Plattner-Institut (HPI), auch als „Digital Lab Deutschland“ bezeichnet, beschreibt an den beiden Beispielen digitale Bildung und digitale Souveränität, wie wichtig die Arbeit digitaler Vordenker und Think Tanks ist. Der Durchbruch zur innovativen Infrastruktur in Deutschland ist mit Hilfe der Krise als Katalysator gelungen. So stieg die Zahl der Nutzer der digitalen Lernplattform von 2 auf 11 Millionen innerhalb eines Jahres. Die Weiterentwicklung Deutschlands ist ein Mannschaftsspiel, und Think Tanks sind als Impulsgeber unersetzlich.
Das Hasso-Plattner-Institut (HPI) ist ein digitaler Vordenker, der in der Ergänzung zur Wissenschaft die eigenen Lösungen in konkrete Produkte verwandelt und Unternehmen auf den Markt bringt. Das HPI kennt damit das „Valley of Death“, das von der Idee bis zur Anwendung zu durchlaufen ist. Eine Brücke über das Tal sind besondere Bedarfe und Krisen. Die Rolle von Think Tanks wird umso stärker, je fertiger, praktikabler und praxisnäher digitale Technologien sind, vor allem, wenn sie nicht nur Visionen beschreiben. Wie die digitalen Infrastrukturen des HPI öffentlichen Stellen geholfen haben, betriebsfähig zu bleiben, ist im Folgenden dargestellt.
Wie das Hasso-Plattner-Institut hilft, die Krise zu meistern
Seit einem Jahr sind Millionen Bürger im Homeoffice oder Homeschooling und nutzen vermehrt digitale Tools zur Erledigung ihrer Aufgaben in Beruf und Ausbildung. Aus einem zunächst nur als befristet empfundenem Ausnahmezustand entwickelt sich immer mehr eine neue Normalität. Denn längst ist klar, dass viele der vorerst nur als Notbehelf eingeführten Veränderungen auch nach der Krise weiterbestehen bleiben. Das betrifft insbesondere die mit dem Begriff digitale Transformation bezeichneten Veränderungen im privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Leben. Klar ist, dass wer schon vor der Krise über Know-how im Bereich der digitalen Technologien verfügt hat, besser mit der Pandemie umgehen konnte. Das zeigt sich insbesondere in der Rolle von digitalen Vordenkern und Think Tanks. Das Hasso- Plattner-Institut (HPI), auch als „Digital Lab Deutschland“ bezeichnet, hat bereits weit vor der Krise digitale Techniken und ihre Veränderungspotentiale in allen Bereichen unseres Lebens erforscht, die nun für viele Menschen und Institutionen in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und medizinischer Abwehr des Corona- Virus sehr schnell unverzichtbar geworden sind. Im Folgenden sollen zwei Beispiele aus den Domänen digitale Bildung und digitale Souveränität im staatlichen Verantwortungsbereich vorgestellt werden, die unterstreichen, wie wichtig die Arbeit digitaler Vordenker und Think Tanks ist und wie sie unserer Gesellschaft helfen, auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren
Lernplattform openHPI-Projekt
Bereits 2012 startete am HPI das openHPI-Projekt. Auf einer eigens entwickelten Plattform experimentierte das Institut mit innovativen Formaten für die digitale Wissensvermittlung. Schon in den Anfangsjahren des Internets stellte sich heraus, dass es nicht ausreicht, Lerninhalte einfach digital aufzubereiten und dann über das Internet anzubieten. Nur autodidaktisch begabte Menschen konnten aus solchen Angeboten Nutzen für ihre Weiterbildung ziehen. Aus der Erfahrung wissen wir, dass die erfolgreichen Lernformen gemeinschaftlich organisiert sind, in Kitas, Schulen oder Seminaren. So müssen Formen des digitalen Lernens scheitern, wenn sie den Austausch zwischen den Lernenden vernachlässigen.
Interaktive „Lernevents“ ziehen Massen an
Die Lösung des HPIs bestand darin, Lerninhalte in Rahmen von interaktiven Kursen anzubieten und diese mit Social-Media-Elementen zu verbinden und das Ganze auf einer nutzerfreundlichen Plattform als „Lernevent“ zu gestalten. Diese Lernevents oder auch MOOCs (Massive Open Online Courses) versammeln Tausende Lernende über einen bestimmten Zeitraum, in dem gemeinsam der gleiche Lernstoff bearbeitet wird. Entscheidend für den Erfolg von MOOCs ist die Masse der Teilnehmenden. Wie in den sozialen Medien entsteht ab einer Schwelle von 2.000 Lernern eine weitgehend autonome Lerngemeinschaft, die die Lerner an das Lerngeschehen bindet und einen nachhaltigen Lernerfolg befördert. Über Foren, Chats, Videokonferenzen und digitale Whiteboards können sich Lernenden wie beim Offline- Lernen in Echtzeit austauschen. Zusätzliche spielerische Elemente (Gamification) feuern die Interaktion und damit die Gruppenbildung weiter an. So werden die Lerner motiviert, Kurse aktiver zu verfolgen und diese mit einem Zertifikat abzuschließen.
Das MOOC-Konzept auf der openHPILernplattform war schnell so erfolgreich, dass auch international agierende Unternehmen wie SAP oder internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf dieser technischen Basis eigene Kurse für Mitarbeiterweiterbildung, und Schulungen für Externe bis hin zu gemeinnützigen Kursen für Kinder angeboten haben. So hat sich die HPI-Lernplattform bei der WHO zur weltweiten Verbreitung von Wissen zur Bewältigung von Gesundheits krisen wie der Ebola- oder der Corona-Pandemie sehr bewährt. Auch die Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen und die Notwendigkeit, sich sehr schnell auf veränderte gesellschaftliche Umstände zum Beispiel in Bezug auf die Digitalisierung einzustellen und sich dafür fit zu machen, haben eindrucksvoll gezeigt, was solche Lernplattformen wie openHPI.de leisten können. Allein in der Zeit des ersten Lockdowns wurden über vier Millionen neue Einschreibungen registriert – mit stetig steigender Tendenz. Heute können mehr als 11 Millionen Kurseinschreibungen registriert werden. Damit ist der Durchbruch im Bereich des digitalen Lernens im Bereich von Fort- und Weiterbildung gelungen.
Die digitale Transformation des Bildungswesens voranbringen
Die Erfolge von openHPI veranlasste das Bundesministerium für Bildung und Forschung 2017, am HPI ein Projekt zur Erforschung und Bereitstellung einer nachhaltigen und datensouveränen digitalen Lernplattform für deutsche Schulen zu fördern, um die seit wenigstens einem Jahrzehnt verschleppte digitale Transformation im deutschen Bildungswesen voranzubringen. So etwas vermeintlich Einfaches, wie eine digitale Lernplattform für Schulen in Deutschland zu entwickeln, stellte sich jedoch als eine kaum zu lösende Herausforderung heraus. Um ein solches Projekt zum Erfolg zu führen, müssen auf Grund der föderalen Struktur Deutschlands im Bildungsbereich nicht nur die Interessen der Schulen, sondern auch die der Schulträger, der verschiedenen Landesbehörden und Datenschützer, der Schulbuchverlage und Lernsoftwareanbieter in Einklang gebracht werden. Sehr früh hat das HPI deshalb damit begonnen, schon in der Konzeptphase sämtliche Stakeholder des deutschen Bildungswesens an einen Tisch zu bringen, um diese an der Entwicklung der HPI Schul-Cloud zu beteiligen. Zusätzlich musste die komplexe Frage beantwortet werden, wie personenbezogene Daten von Minderjährigen auf einer hoch integrativen digitalen Plattform geschützt werden können und gleichzeitig den Erfordernissen moderner interaktiver Lernsysteme Rechnung getragen werden kann.
Das unmögliche Projekt wurde trotzdem zum Erfolg, weil das HPI sowohl das technische Know-how mitbrachte, mit agilen Arbeitsstrukturen und dem Design Thinking Mindset vertraut war und als neutraler Akteur auf der Stakeholder- Gesprächsplattform fungierte, wenn es darum ging, die Bedürfnisse aller Beteiligter auszutarieren. Die Schwierigkeiten von einheitlichen Infrastrukturlösungen traten durch das offene Projektformat frühzeitig zu Tage, und gangbare Lösungen konnten gefunden werden. In praktisch allen sonstigen Projekten scheiterte die Etablierung einer Lernplattform für Schulen daran, dass weder die Bedürfnisse der Beteiligten rechtzeitig eruiert noch die regulatorischen Rahmensetzungen beachtet wurden und sich dann die Mängel im Produktivbetrieb schonungslos offenbarten.
Die wichtigste Erkenntnis aus dem offenen Projektansatz zur Digitalisierung des deutschen Schulwesens bestand darin, zu verstehen, dass digitale Infrastrukturen und digitale Lerninhalte streng zu unterscheiden sind. Die HPI Schul-Cloud stellt eine Infrastruktur bereit, den digitalen „Arbeits- und Lernplatz“ , auf dem Schüler und Lehrer Dokumente anlegen und teilen, mit verschiedenen digitalen Tools zusammenarbeiten und in datenschutzkonformer Weise Zugang zu einer riesigen Vielzahl von digitalen Lerninhalten erhalten können. Auch wenn Bildung Ländersache ist, ist es für alle Beteiligten von Vorteil, sich eine solche gemeinsame digitale Infrastruktur zu teilen. Das spart Entwicklungskosten, verbessert die IT-Sicherheit, macht Schulwechsel leicht möglich und vereinfacht die Beschaffung von Lernmaterialien. Wie auch bei openHPI können die Länder auf der technischen Basis der HPI Schul-Cloud- Infrastruktur eigengebrandete Landesinstanzen betreiben, über die dann auch landesspezifische Lerninhalte auffindbar sind. Die große Erkenntnis des Projekts besteht also darin, dass sich Föderalismus gerade dann positiv entfalten kann, wenn die Länder auf der Infrastrukturebene kooperieren und sich in ihren Lerninhalten differenzieren.
Die Trennung zwischen Infrastruktur und Lerninhalten ist auch aus einem weiteren Aspekt entscheidend: Auf Grund der Datenschutzregelungen in Deutschland müssen die Anbieter interaktiver Lernsoftware für jeden Dienst und jedes Update von den Eltern sowie ab 16 Jahren zusätzlich der Schüler die Einverständniserklärung zur Verarbeitung von Schülerdaten einholen. Das ist in der Praxis nicht leistbar. Hier schafft die HPI Schul-Cloud Abhilfe, indem das Problem bereits auf der Infrastruktur- ebene gelöst wird. Die HPI-Lernplattform verfügt über eine Pseudonymisierungsschnittstelle, über die die Lerninhalte im Lernstore der HPI Schul-Cloud erreichbar sind. Die interaktiven Lernsysteme, die natürlich ihre Nutzer kennen müssen, können aus der HPI Schul-Cloud heraus über Pseudonyme genutzt werden, ohne dass personenbezogenen Daten beim Anbieter landen. Es reicht also eine Einverständniserklärung der Eltern zur Nutzung der HPI Schul-Cloud aus, und die Schüler können datenschutzkonform jetzt und zukünftig verfügbaren Lerninhalte nutzen.
Durch die Krise mehr als eine Million Nutzer
Als die Corona-Krise im Frühjahr 2020 Deutschland traf, war die HPI Schul-Cloud noch mitten in der Entwicklungsphase, eine Öffnung für alle interessierten Schulen war erst ein Jahr später vorgesehen. Trotzdem war es (mit großen Anstrengungen) möglich, die HPI Schul-Cloud zu öffnen und praktisch über Nacht in den Produktivmodus zu überführen. Tausenden Schulen und inzwischen mehr als einer Million Nutzern konnte eine digitale Lösung angeboten werden, mit der Schüler auch in den Lockdown-Phasen von zu Hause aus am Unterricht teilnehmen konnten. Drei Bundesländer haben inzwischen einen Vertrag geschlossen, den Betrieb und die Weiterentwicklung der HPI Schul-Cloud in eigener Regie in einer gemeinsamen Ländergesellschaft fortzuführen, mit weiteren Bundesländern gibt es Gespräche dazu. Die HPI Schul- Cloud gibt ein Beispiel, wie durch die Bereitstellung länderübergreifender digitaler Infrastrukturen die so schwer in Gang kommende digitale Transformation Deutschlands endlich gemeistert werden könnte.
Die Weiterentwicklung Deutschlands ist ein Mannschaftsspiel, und Think Tanks sind als Impulsgeber so unersetzlich wie ein guter Passgeber im Vorwärtsspiel.
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