KI in der Kreativbranche
Was kommt nach der Euphorie?
Stefan Mannes, kakoii Berlin/Tokyo
(Titelbild: © Adobe Stock | 637947975 | Glittering Humanity)
Kurz und Bündig
KI-Tools wie ChatGPT und Dall-E haben die Kreativbranche revolutioniert, doch nach anfänglicher Euphorie bei den Unternehmer:innen und Ängsten bei Kreativarbeitnehmer:innen werden die Herausforderungen sichtbar. Steigt die Content-Produktion, führt sie zur Content-Inflation und zu einem Dead Internet. Der Mensch und seine Kreativität könnten also in naher Zukunft gefragter sein denn je. Wie also könnte eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI aussehen? Der Versuch einer Prognose.
KI-Tools haben seit ihrer Veröffentlichung zahlreiche Branchen nachhaltig verändert – darunter auch die Kreativindustrie. Nach rasch einsetzender Euphorie (oder Angst, je nachdem) kehrte Ernüchterung ein, denn es wurde deutlich, dass sich der Mensch nicht voreilig abschaffen lässt. Die Frage bleibt: Wie funktionieren Kreativberufe im Zeitalter fast kostenloser Maschinenarbeit? Welchen Platz nimmt der Mensch ein und welche Skills benötigt er, um in Zukunft seine Daseinsberechtigung zu behalten?
Grafiken, Beschriftungen, Designs, Texte, Produktvideos, Audiountermalungen für Präsentationen: In der Vergangenheit wurde entweder in-house die Marketingabteilung mit der Erstellung bestimmter Inhalte beauftragt, um etwa Produktneuvorstellungen anzukündigen oder neue Services zu bewerben, oder – wenn das Know-how im eigenen Unternehmen nicht ausreichte – man heuerte externe Dienstleister:innen an. Selbst im Computerzeitalter war es nicht möglich, Menschen vollständig wegzurationalisieren. Heute steht Unternehmen eine neue Option zur Verfügung: KI.
Als die Globalisierung Fahrt aufnahm, drehte sich für die Manager:innen dieser Welt alles um einen, damals noch neuen Begriff: Outsourcing. Warum sollten sie teuer etwas zu Hause anfertigen lassen, was anderswo günstiger produziert werden kann? So begann die Jagd nicht nur nach der besten Qualität, sondern auch dem günstigsten Preis – auf dem gesamten Planeten.
Eine annähernd kostenlos arbeitende Maschine zu beauftragen, anstatt Angestellte bezahlen zu müssen, ist im Wesentlichen das Versprechen des Outsourcing. Aus wirtschaftlicher Perspektive ergeben sich durch die KI nun ungeahnte Möglichkeiten, das Prinzip „minimale Kosten, maximaler Ertrag“ auf die Spitze zu treiben. Die KI schläft nicht, verlangt nicht nach Lohn, arbeitet immer bei voller Produktivität und lernt rasant hinzu. Der Traum eines jeden Unternehmers und einer jeden Unternehmerin.
Dass der Mensch sich auf diese Veränderungen einstellen muss, ist offensichtlich. KI-Modelle werden regelmäßig erweitert, der Fortschritt allein in den letzten Jahren ist beachtlich. Aktuell ist nur der Beginn dieser Entwicklung zu sehen – doch was können die Kreativ-KI-Tools der nächsten fünf, zehn oder zwanzig Jahre? Wie kann der Mensch mithalten, wenn sich die Leistung der KI alle zwei Jahre verdoppelt?
Bei aller Euphorie sollte der Status quo nicht außer Acht gelassen werden. An die Fähigkeiten ausgebildeter Fachkräfte reichen KI-Tools noch nicht heran. Eine herausragende Werbekampagne oder ein Musikstück mit einem eigenständigen Stil zu kreieren zum Beispiel, ist für die KI noch schwierig bis unmöglich.
Die KI arbeitet umsonst oder annähernd kostenlos – monatliche Gebühren für Abonnements können je nach Software anfallen. An dieser Stelle helfen einfache Rechenbeispiele, um das Kosten-Nutzen-Verhältnis im Vergleich zu menschlichen Mitarbeiter:innen zu bestim-
men: Ein Unternehmen beauftragt einen externen Partner damit Werbetexte und dazu passende Grafiken für ein neues Produkt zu erstellen. Die Qualität erreicht annähernd 100 Prozent des gewünschten Resultats. Durch KI steht nun eine Alternative bereit. Diese mag nur 85 Prozent der Anforderungen erfüllen – sie spart fast 100 Prozent der Kosten ein. Die KI liefert binnen Sekunden oder Minuten, kostet fast nichts und arbeitet 24 Stunden am Tag auf Abruf ohne Zuschläge oder lästige Arbeitsverträge.
Nicht nur finanziell schwächer aufgestellte Unternehmen werden sich daher überlegen, ob sie für ein perfektes Resultat Geld in die Hand nehmen möchten oder auf Software zurückgreifen, die gut genug ist. Denn in vielen Bereichen ist überhaupt keine Exzellenz für eine solide Wertschöpfung nötig.
Abwertung von Content oder Aufwertung des Menschen?
Wer in der Kreativindustrie tätig ist, weiß, dass die Erstellung neuer Inhalte mit schweißtreibender Arbeit verbunden ist. Herausragender Content benötigt Zeit, Erfahrung, Fachwissen und nicht zuletzt Leidenschaft, um die Konkurrenz zu überflügeln. Kein Wunder, dass Social-Media-Manager:innen, die diese Inhalte entsprechend der strategischen Kommunikation erstellen und in die jeweiligen Kanäle einspeisen, gefragt sind wie nie.
Nur durch die endliche Anzahl fähiger Mitarbeiter:innen werden die zur Verfügung stehenden Inhalte auf natürliche Weise noch begrenzt. Instagram Reels, SEO-Texte, Blogbeiträge bis hin zu TV- und Außenwerbung erreichen die Konsument:innen in immer schnellerer Taktung auf immer mehr Kanälen. Die Nachfrage nach diesen Inhalten wächst aber immer noch und der Markt reguliert die Preise für diejenigen, die diese anbieten, und sichert der Kreativbranche ihr Einkommen. Und das, obwohl bereits jetzt in eben dieser Branche das Phänomen der „Content-Inflation“ schon längst bekannt ist.
Nun kann eine KI-Software Millionen Texte pro Tag verfassen, Millionen Bilder erstellen und Millionen Videos produzieren. Die Inflation von Content wird damit auf ein nie dagewesenes Niveau gehoben – sodass einige bereits vom Dead Internet sprechen: einem Internet, das derart mit KI-Inhalten geflutet wird, dass es seelenlos und für den Menschen ohne Wert ist.
Die Flut des Mittelmäßigen
Die durch KI-generierte Inhalte auf die Spitze getriebene Content-Inflation könnte am Ende zu einem Paradox führen. Sie könnte die Arbeit des Menschen wieder aufwerten und ihr einen nie dagewesenen Stellenwert verleihen. Allein dadurch, dass in dieser Flut der aus bereits Vorhandenem neu erzeugten Inhalte die Sehnsucht nach authentischen Beiträgen wächst. Irgendwann wird es ein Qualitätsmerkmal sein, wenn es heißt: Diesen Inhalt hat ein echter Mensch gemacht.
Ein offensichtlicher Weg in die KI-Zukunft besteht in einer vorübergehenden Teilung der Aufgabenbereiche. Die KI übernimmt die Routine, der Mensch wird zum Spezialisten. Wer kreativ tätig ist, weiß bereits, wie das aussehen könnte, hat er oder sie sich sowieso schon gefragt: Sind meine Fähigkeiten wirklich sinnvoll eingesetzt, wenn ich zum zweihundertsten Mal einfache Retuschen an einem Bild vornehme?
Die Automatisierung von Routineaufgaben ist ein Kernaspekt der KI, die diese bereits jetzt gut erledigen kann – je nach Branche und Einsatzbereich. Das bedeutet, dass der Mensch, der bislang diesen Aufgaben nachgegangen ist, sich weiterbilden muss. Upskilling wird unausweichlich werden, wenn KI die meisten „Alltagsaufgaben“ im Kreativbereich zufriedenstellend erledigt.
Im Idealfall werden die kreativen Fähigkeiten dieser Mitarbeiter:innen vom KI-Boom sogar beflügelt. Lästige wiederkehrende Aufgaben, die dennoch viele Stunden Arbeitszeit pro Tag verschlingen, entfallen. Die gewonnene Zeit könnte die kompromisslose Entfaltung der eigenen Visionen erlauben und die Kreativinhalte des Unternehmens auf ein neues, bislang unerreichtes Niveau heben.
Die Erledigung der Routineaufgaben findet bereits heute in zahlreichen Branchen auf konkrete Weise statt. In der Filmindustrie werden Drehbücher automatisiert überarbeitet. Oder die Standortwahl für Locations wird anhand der gewünschten geografischen Eigenschaften des Drehbuchs getroffen. Die KI kennt schließlich die ganze Welt, da kann kein menschlicher Locationscout mithalten. In der Postproduktion spielt KI-Einsatz ebenfalls eine stark wachsende Rolle.
Ähnliches gilt für die Bildbearbeitung: Marktführer wie Adobe implementieren KI-Features in jedem Bereich ihrer Softwarepalette. Grafiker und Designer lassen unerwünschte Bildinhalte – unpassende Objekte im Hintergrund etwa – automatisch entfernen oder komplett Neues hinzufügen. Hier geschieht innerhalb von Sekunden, wofür Menschen früher Stunden brauchten.
Auch in der Musikindustrie kann die Produktion wesentlich beschleunigt werden. Automatisiertes Mixing und Mastering etwa verkürzt die Produktion von Musik drastisch. Daraus folgen schneller produzierte und technisch bessere Songs (oder andere Musikschnipsel), sodass Firmen dieser Branche ihre Kund:innen mit höherer Wahrscheinlichkeit zufriedenstellen können. Die Liste könnte endlos weitergeführt werden. In allen Bereichen der Kreativindustrie arbeitet generative KI bereits mit.
KI-Herausforderungen auf der Managementebene
Trotz der gesteigerten Produktivität, die mit der richtigen Verwendung von KI-Tools einhergehen könnte, sind vor allem einige rechtliche und ethische Fragen offen. Generative KI kann nur dann Inhalte erstellen, wenn sie vorher entsprechend trainiert wurde – und zwar mit Hilfe von Text-, Bild-, Audio- und Videomaterial, das andere – Menschen und damit Rechteinhaber – zuvor veröffentlicht haben. Daher steht die Frage im Raum, was KI darf. Ist die massenhafte Auswertung menschlich erstellter Inhalte ohne Bezahlung oder Umsatzbeteiligung in Ordnung? Würde ein Gericht urteilen, dass Urheber:innen beteiligt werden müssen, müssen sich die Unternehmer:innen in der Kreativbranche fragen, ob sie KI dann noch gewinnbringend einsetzen können. Besonders das EU-Recht legt Unternehmen, die KI-Modelle für die Nutzung durch End-verbraucher:innen anbieten, viele Steine in den Weg. Dass noch keine einheitliche Regulierung für diese Fragen besteht, ist für die Kreativbranche ein Problem, denn so weiß keiner, ob man sich mit der Verwertung KI-generierter Inhalte im rechtlichen Rahmen bewegt.
Andere Bedenken in der Kreativbranche sind ethischer Natur. Arbeitsplätze werden gefährdet, denn gerade Routineaufgaben verschaffen vielen freien und festen Mitarbeiter-
:innen ein regelmäßiges Einkommen und diese fühlen sich daher stark von generativer KI bedroht. Daher stehen für die Branche zwei Optionen im Raum: Bestimmte Berufe, und damit die Menschen, werden früher oder später durch die KI ersetzt. Oder die betroffenen Mitarbeiter:innen werden weitergebildet.
Wann verschmelzen beide Welten?
KI ist kein kurzfristiger Hype. Nicht nur im kreativen Bereich, sondern in fast jeder Branche werden KI-Tools revolutionäre Folgen haben. Innerhalb der Kreativindustrie werden neue Geschäftsmodelle entstehen: KI-basierte Content-Erstellung wird zu einer ganz normalen Dienstleistung werden. Menschen erstellen in Zusammenarbeit mit KI-Tools Inhalte günstiger und besser, als es ein Mensch auf sich allein gestellt könnte. Jene Unternehmen, die ihre Mitarbeiter:innen entsprechend geschult haben, haben Wettbewerbsvorteile, da sie preiswerter und schneller liefern können.
Aktuell sind die Prompts – die Eingaben der Nutzer:innen – in KI-Tools noch von größter Bedeutung. Sind die Angaben nicht hochpräzise gewählt, entstehen oft gänzlich unbrauchbare Bilder, Filme, Musikstücke oder Texte. Schon jetzt kennt und sucht man in der Branche „Prompt-Spezialist:innen“: Kreativarbeitende, die sich auf das Verständnis mit der KI spezialisiert haben. Die rasante Entwicklungsgeschwindigkeit der KI-Modelle wird allerdings dafür sorgen, dass das Prompten in Zukunft weniger kritisch sein wird. Etwas provokant formuliert: Die Maschine wird lernen, die oftmals unpräzise Sprache des „dummen“ Menschen besser zu kontextualisieren und Fehler ausgleichen. Einfache Nachfragen – genau wie im Gespräch zwischen Menschen – werden die Stelle exakter Prompts einnehmen.
Unternehmer:innen werden sich überlegen müssen, wie sie KI gewinnbringend und wertsteigernd in bestehende Arbeitsprozesse einbinden. Mit Kanonen auf Spatzen zu schießen und überall KI zu integrieren, ohne an die langfristige Strategie und die Folgen zu denken, wird wahrscheinlich selten von Erfolg gekrönt. Es ist nie eine leichte Aufgabe, (r)evolutionäre neue Tools in bestehende Prozesse zu integrieren und Mitarbeiter:innen dafür zu begeistern. Wer sich mit Change-Management in Unternehmen beschäftigt, weiß das.
Ein neues Bewusstsein für uns selbst
Nur eins ist sicher: Den KI-Geist bekommt keiner in seine Flasche zurück. Stattdessen werden wir uns alle die Frage stellen müssen, wie wir den KI-Geist mit dem menschlichen Geist in Harmonie bringen, nicht nur, um die Arbeitsplätze und Betätigungsmöglichkeiten innerhalb der Industrie zu erhalten und gegebenenfalls sogar zu maximieren. Sondern um unsere Schöpferkraft zu bewahren und damit unseren Stolz und unsere Würde. Je aktiver wir uns diesem Thema nähern, desto mehr stellen wir sicher, dass wir in diesem KI-Spiel die Akteure bleiben und von den Vorteilen profitieren können. Dazu reichen Schulungen im Umgang mit diesem neuen Tool nicht, dafür braucht es auch ein neues Bewusstsein, was unsere Kreativität ausmacht und woher wir sie bekommen.
In ein paar Jahren wird man übrigens auf Artikel wie diese lächelnd zurückblicken, denn sie werden von den Entwicklungen überholt sein. Die Sorgen werden lächerlich erscheinen, die Prognosen zu zaghaft. Das Einzige, was dann noch erinnerungswürdig ist, ist vielleicht das Staunen, das einen heute packt, wenn man seine ersten Schritte mit KI unternimmt. Was dieses Tool jetzt schon tut und kann, wie es aus ungeahnten Tiefen der digitalen Aufbewahrungskammer der menschlichen Kulturprodukte Dinge holt und neu verknüpft, ist wirklich unglaublich. In wenigen Jahren werden wir uns nichts mehr dabei denken – so wie sich keiner mehr etwas dabei denkt, wenn er Google Earth benutzt. Und längst dieses gottähnliche Gefühl vergessen hat, als man das allererste Mal auf fast der ganzen Welt auf Knopfdruck herumspazierte