Heilsbringer Schatten-IT
Warum es für Unternehmen so nützlich ist, wenn die IT ein Eigenleben entwickelt
MehrWerth: die Kolumne von Dirk Werth, Chefredakteur IM+io
Dirk Werth ist seit 2016 Chefredakteur der IM+io. In der Kolumne „MehrWerth“ schreibt er in pointierter Form Meinungsbeiträge zum Schwerpunktthema des Heftes und stellt diese zur Diskussion.
Schatten-IT ist BÖSE. Wo kämen wir denn da hin, wenn in unserem Unternehmen jeder tun könnte, was er wollte. Wenn ein Mitarbeiter einfach jede dahergelaufene Anwendung einfach installiert und nutzt. Oder gar seine ach so wertvolle Arbeitszeit damit verschwendet, ein eigenes Excel-Makro zu schreiben und womöglich sogar an die Kollegen weiterzugeben. Das wäre doch nur der erste Schritt zu einem vollkommenen Kontrollverlust, zu einer unternehmensweiten Anarchie. Ich fürchte aber…
…das Böse ist bereits REALITÄT. Schauen wir in den betrieblichen Alltag, sehen wir doch genau, dass Mitarbeiter versuchen, eigene Applikationen zu nutzen. oder – soweit der Administrator das nicht erfolgreich zu unterbinden vermag – verwenden sie Cloud-Dienste, die sie auch noch von ihrem eigenen Geld bezahlen. Ich kenne Fälle, da bauen Fachkräfte Funktionalitäten eines ERP-Systems mit drei Buchstaben mit Excel nach – benutzen ihr eigenes Excel-Sheet und tragen nur noch das Ergebnis in besagte Applikation ein. Das macht doch alles überhaupt keinen Sinn, oder? Eine Frage der Sichtweise…
Fast alle Mitarbeiter arbeiten im Sinne des Unternehmens, das sie beschäftigt. Und – wie dieses Heft auch eindrucksvoll darlegt – sind umso produktiver, je mehr jeder unternehmerisch denkt und handelt. Aber was bedeutet denn Intrapreneurship für einen Sachbearbeiter, der IT nutzt? Ein Unternehmer sucht nach Schwachstellen und behebt diese. Wenn ein Cloud-Anbieter mir hilft, besser zu arbeiten, als es die Unternehmens-IT vermag? Wenn das ERP so kompliziert und umständlich ist, dass es für meine Belange mit Excel viel schneller geht?
Schatten-IT ist vielleicht doch GAR NICHT SO SCHLECHT. Denn eigentlich ist sie ein Indikator für unzulängliche IT-Unterstützung. Wenn ich als mündiger Mitarbeiter von meinem Unternehmen optimal mit IT unterstützt werde, dann gibt es auch keine Schatten-IT – lassen wir mal die Mittagspausen-Spiele unbetrachtet. Schatten-IT legt den Finger in die Wunde, sie zeigt auf, was nicht gut läuft und was an IT besser gemacht werden könnte.
Was moderne Unternehmen doch eigentlich wollen, brauchen und zunehmend auch fordern – Stichwort New Work – sind die Intrapreneure, die Unternehmer im Unternehmen. Diejenigen, die sich nicht mit dem Status Quo zufriedengeben, sondern sich aktiv um bessere Prozesse und Produkte bemühen. Und genau ein solcher Mitarbeiter erschafft auch Schatten-IT.
Schatten-IT ist sogar GUT. Kennen Sie Trampelpfade im Park? Stellen wo der schöne grüne Rasen von zahlreichen Fußtritten unschön ausgetreten ist. Schatten-IT sind Trampelpfade, Abkürzungen dort, wo die Wegeplanung eher ästhetischen denn pragmatischen Gesichtspunkten folgt. Über die Trampelpfade komme ich schneller von A nach B. Warum ist das gut? Nun, zum einen kurzfristig für mich als Fußgänger ganz offensichtlich indem ich Zeit spare. Zum anderen aber auch für mich als Wegeplaner, da ich jetzt nicht nur sehe, wo ich nicht optimal geplant habe. Vielmehr bekomme ich frei Haus sogar einen neuen Wegeplan, der tatsächlich bereits optimiert ist.
Zum Schluss eine ganz persönliche Frage: Wen haben Sie denn heute schon zum Trampeln angestiftet?