Erfolgreiches Intrapreneurship ist... wenn ein Recycling-Konzern Kindermode verleiht
Im Gespräch mit Axel Schweitzer, ALBA Group, und Henrik Scheuschner, kilenda GmbH
Kurz und bündig:
Mit kilenda, dem ersten Online-Mietservice für Kinderkleidung, zeigt der Recycling-Konzern ALBA Group wie das Umsetzen neuer Geschäftsmodelle funktioniert. Was mit der Idee eines Studenten begann, ist heute ein zukunftsfähiges Unternehmen mit starken Kooperationen. Ein wichtiges Mittel für nachhaltige Innovation von innen: das Einbinden von etablierten Geschäftsbereichen in die Arbeit der Innovation Labs.
Viele Firmen tun sich immer noch schwer in Sachen Innovation. Die ALBA Group, ein international tätiger Recycling-Konzern, zählt jedoch nicht dazu. Mit dem Portal kilenda hat das inhabergeführte Familienunternehmen nicht nur den ersten Online-Mietservice für Kindersachen geschaffen, sondern auch gezeigt, wie man Intrapreneurship fördert. ALBA Group-Vorstand Dr. Axel Schweitzer und kilenda-Geschäftsführer Hendrik Scheuschner lassen uns an ihrem gemeinsamen Weg in ein neues Geschäftsmodell teilhaben.
IM+io: Herr Schweitzer, was genau steckt hinter kilenda und welche Ziele verfolgen Sie mit dem Start-up?
AS: Unsere Unternehmensvision lautet: „eine Welt ohne Abfall“. Deshalb leisten wir nicht nur ein hochwertiges und technisch anspruchsvolles Recycling, sondern setzen uns auch für Abfallvermeidung ein. Denn der beste Abfall ist der, der gar nicht erst entsteht. Deshalb ist die Wiederverwendung von Gegenständen so wichtig. Und dabei wollten wir nicht nur unsere Kunden beraten, sondern auch selbst aktiv werden. Die Idee, Kinderkleidung zu vermieten und damit einen Mehrwert für die Eltern und einen Beitrag zum Ressourcenschutz zu liefern, hat uns schnell überzeugt.
IM+io: Und wie kam es zur Gründung von kilenda, Herr Scheuschner?
HS: Als die Idee für die Plattform 2013 geboren wurde, habe ich als Student bei einem Innovationsdienstleister gearbeitet. Viele meiner Kollegen waren bereits Eltern und haben sich immer wieder darüber beschwert, dass ihre Kinder so schnell aus ihren neuen Kleidungsstücken herauswachsen. Ein Kollege und ich haben etwas weiter geforscht und festgestellt, dass es tatsächlich bislang keinen Online-Mietservice für Kinderkleidung auf dem Markt gab. Den großen Stein brachte dann unsere damalige Geschäftsführerin ins Rollen, die sich noch an einen vier Jahre zurückliegenden Workshop mit der ALBA Group erinnerte, in dem nach genau solchen Konzepten gesucht wurde. Danach ging dann alles ziemlich schnell: Wir haben das Konzept bei Herrn Schweitzer und Herrn Müller–Drexel, dem CEO ALBA Services, vorgestellt, eine Finanzierung von der ALBA Group erhalten und innerhalb von neun Monaten unsere ersten paar hundert Kunden akquiriert.
IM+io: Wie lief der Innovationsprozess ab?
HS: Wir haben uns in der Anfangsphase stark an dem Lean-Startup-Ansatz von Eric Ries orientiert. Um zu testen, wie hoch die Nachfrage im Markt tatsächlich war, haben wir gemeinsam mit einer Ansprechpartnerin bei der ALBA Group und einem befreundeten Entwickler zunächst einen Prototyp des Shops entwickelt. Die Ware haben wir erst mal nur in einer Größe gekauft und für die Online-Präsentation fotografiert. Jede Bestellung bedeutete damals einen Besuch im lokalen Einzelhandel oder dann später eine manuelle Online-Bestellung. Das war wahnsinnig aufwendig – im Nachhinein aber auch wahnsinnig klug. Denn so konnten wir das Warenrisiko geringhalten. Ab dem einhundertsten Kunden sind wir 2014 dann den nächsten Schritt gegangen, haben die relenda GmbH gegründet und uns nach geeigneten Großlieferanten umgesehen. Inzwischen stand uns durch umfassende Kundeninterviews auch das hierfür notwendige Background-Know-how zur Verfügung: Wir kannten die wichtigsten Vertriebskanäle, wussten, welche Kleidungsstücke sich für die Vermietung besonders eignen und wie oft man ein Teil verleihen kann.

IM+io: In wie weit war die ALBA Group als Investor und Konzernmutter in diesem Prozess involviert?
AS: Konzernmutter – das klingt so sehr nach Glucke. Wir als Strukturgeber und Investor lassen den Startups, mit denen wir zusammenarbeiten und auch unseren eigenen Neugründungen, relativ viel Freiraum, damit sich die Kreativität auch entfalten kann. Natürlich legen wir gemeinsam Meilensteine und Ziele fest, die in der Entwicklung des Projekts erreicht werden sollen. Aber dann sind die Gründer selbst in der Verantwortung, und auf die kommt es ganz besonders an. Insofern waren Hendrik Scheuschner und Patrick Trübe ganz maßgeblich für unsere Investitionsentscheidung. Im weiteren Verlauf verstehen wir uns aber nicht nur als Geldgeber, sondern auch als Sparringspartner für die Neugründungen. Im Fall von kilenda ergaben sich eine Reihe Anknüpfungspunkte mit unserem Geschäftsbereich Services, bei dem im Business Center „Reduce“ unsere Aktivitäten zur Abfallvermeidung gebündelt sind.
IM+io: Welche Chancen und Risiken ergeben sich aus Ihrer Sicht beim Intrapreneurship und was waren die wichtigsten Learnings?
AS: Das Kerngeschäft der ALBA Group besteht im Recycling und in der Erfassung von Wertstoffen und Abfällen, also in der Sammlung und im hochwertigen Recycling. Wir sind dort zwar technisch an der Weltspitze, aber die gesamte Entsorgungsbranche hat bei der Digitalisierung noch Nachholbedarf. Viele unserer Prozesse laufen komplett anders ab als im Online-Handel. Gerade im Wertstoffhandel geht vieles noch über den persönlichen Kontakt. Auch die Rechnungstellung läuft noch nicht überall digital, unsere Kunden zahlen vielfach noch per Überweisung. Die kilenda-Kunden bestellen rund um die Uhr über Online-Bezahlsysteme und erwarten Ihre Rechnung direkt nach der Bestellung im E-Mail-Postfach. Wie das funktioniert, mussten wir erst einmal lernen.
IM+io: Was waren die größten Erfolgsfaktoren bei der Gründung und welche Herausforderungen mussten Sie meistern?
HS: Ein wichtiger Erfolgsfaktor war sicher der direkte Kontakt zu den Eigentümern der ALBA Group. Das hat den gesamten Gründungsprozess vereinfacht und abgekürzt.
Eine der schwierigsten Herausforderungen, die wir meistern mussten, war das Finden von geeigneten Vertriebspartnern. 2014, als wir das Thema angegangen sind, war zalando gerade so richtig durch die Decke gegangen und der Einzelhandel ist immer weiter eingebrochen. Ein Modemietmodell bedeutete da eine zusätzliche Bedrohung. Wir haben also erst einmal mit kleineren Labels angefangen und uns dann Schritt für Schritt nach oben gearbeitet. Auch die Suche nach einer passenden Immobilie für unseren Firmensitz war nicht einfach: Ich war damals 26, hatte keinen Abschluss und wollte eine Industriewaschmaschine aufstellen und Kinderkleidung verleihen. Da war der ein oder andere Besitzer dann doch etwas skeptisch.
IM+io: Mittlerweile haben Sie mehr als 20 Mitarbeiter. Wie schaffen Sie es, die Prozesse trotz des schnellen Wachstums schlank und das Unternehmen innovativ zu halten?
HS: Natürlich gibt es auch bei uns ein paar Dinge, die nicht mehr ganz so flexibel sind, wie sie am Anfang waren. Das geht mit der Größe einher. Nehmen wir zum Beispiel den Logistik- und Fulfillment-Prozess: Hier haben sich am Anfang fünf Leute quasi selbst organisiert. Heute arbeiten auf diesem Gebiet 15 Mitarbeiter. Da braucht man einen Abteilungsleiter, durchdachte Arbeitsteilung und einen Urlaubsplan. Je größer das Team wird, desto wichtiger werden Kommunikation und Wissenstransfer. Auch hier haben wir durch die enge Zusammenarbeit mit der ALBA Group viele Vorteile: Dank ihr können wir auf viele standardisierte Prozesse und etabliertes Wissen aus Abteilungen wie der Buchhaltung, dem zentralen Einkauf oder der Rechtsabteilung zurückgreifen – sind jedoch nicht dazu gezwungen. Es wird nichts einfach „übergestülpt“. Die Wege sind kurz. Wer einen Rat braucht, greift einfach zum Telefon. Das gilt für beide Seiten. Innovative Ideen kommen also nicht nur aus dem kilenda-Team, sondern auch aus dem Business Development der ALBA Group. Am Ende bietet uns diese Konstellation einen idealen Mix aus Bewährtem und Neuem.
IM+io: Würden Sie sich selbst als Intrapreneur bezeichnen?
HS: Das kommt ein bisschen darauf an, wie man einen Intrapreneur definiert. Wenn man es genau nimmt, war die Gründung von kilenda ja eher „Extrapreneurship“ – der Anstoß kam letztlich über die Innovationsberatung. Aber es hat funktioniert und mich dann doch wieder irgendwie zum Intrapreneur im Sinne eines unternehmerisch denkenden Teils der ALBA Group gemacht, der sich einbringt, wann immer es darum geht, neue Wege zu gehen.
IM+io: Wo soll die Reise langfristig hingehen?
HS: kilenda soll auf jeden Fall weiter wachsen. Der Markt ist noch jung, wir sind Marktführer und das wollen wir auch bleiben. Wir haben außerdem vor wenigen Monaten einen neuen Mietservice gegründet, der sich auf Damenmode spezialisiert hat. Mit der Marke Stay awhile wollen wir bewusst eine neue Zielgruppe ansprechen und unser Geschäft erweitern. Seit 2018 haben wir eine Partnerschaft mit Tchibo. Mit unserem gemeinsamen Angebot Tchibo Share planen wir, das nachhaltige Mietangebot für die breite Masse attraktiv zu machen.
IM+io: Und was steht auf dem Plan der ALBA Group? Werden Sie das aufgebaute Know-how für weitere Ausgründungen nutzen?
AS: Wir prüfen ständig, ob wir mit neuen Ideen, neuen Verfahren oder neuen Produkten eine Erfolgschance für das Unternehmen und seine übergeordneten Ziele sehen. Beteiligungen an Startups, Neu- und Ausgründungen gehören hier dazu. Unsere Kollegen im Services-Bereich diskutieren mit alten und neuen Kunden, wie sich noch mehr Abfälle vermeiden lassen. Kreisläufe zu schließen ist unsere Natur. So führen wir für einen großen Discounter Tausende Transportkisten im Kreislauf und haben damit in den vergangenen Jahren über 400 Millionen Pappkartons eingespart, in denen früher Obst und Gemüse in die Läden gebracht wurden. Für den Baustoffkonzern Xella sammeln wir mit speziellen Bigbags die Reste der berühmten Ytong-Steine auf Baustellen ein und bringen sie zurück ins Werk, damit daraus neue Steine hergestellt werden können.
Auch das InnovationLAB in unserer Berliner Zentrale arbeitet an einer Fülle von Geschäftsideen, die wir zum Teil sicher im eigenen Haus behalten, aber zum Teil eben auch mit Partnern an den Markt bringen – wie beispielsweise unsere digitale Wertstoffplattform Scrapple. Auch bei dieser immerwährenden Suche arbeiten wir eng mit Gründern, aber auch mit Acceleratoren wie Plug&Play zusammen.
IM+io: Was würden Sie Unternehmen raten, die in neue Geschäftsmodelle vordringen wollen? Wie kann unternehmerisches Denken im Unternehmen gefördert werden?
AS: Unternehmerisches Denken fördern wir schon seit Jahren – das ist allerdings zunächst ganz unabhängig von der Frage, ob und wie Gründer in ein großes Familienunternehmen eingebunden werden können. Schon wenn Sie aus mittleren Einheiten eigenverantwortliche Profitcenter machen, wecken Sie den Unternehmergeist ihrer Mitarbeiter.
Ein Innovation Lab, wie wir es vor zwei Jahren eröffnet haben, ist dabei ein sehr hilfreiches Instrument. Denn es bringt nicht nur neue Geschäftsideen und Prozessverbesserungen hervor, es ist auch ein Symbol für den Wandel und die Suche nach neuen Wegen. Je mehr man die Mitarbeiter in den etablierten Geschäftsbereichen in die Arbeit des Innovation Labs einbinden kann, desto mehr verbreiten sich auch Gründergeist und Forscherdrang im gesamten Unternehmen. Das stärkt auch bei den Kollegen mit langer Branchenerfahrung das Interesse und den Blick dafür, das angestammte Geschäft mit neuen Methoden in die Zukunft zu führen. Gleichermaßen sind Leuchtturmprojekte wichtig, um die Richtung zu zeigen. Dabei kommt es ganz maßgeblich auf die Unternehmer im Unternehmen an und auf die nötigen Freiräume.